BBK Nr. 4 vom Seite 145

Wie flexibel müssen (Leih-)Arbeitnehmer sein?

Wolfgang Eggert | BBK-Herausgeber

Von Arbeitnehmern wird erwartet, dass sie flexibel sind. Die berufliche Realität, aber auch die Gesetze fordern das. Ist jemand arbeitslos, verlangt § 140 Abs. 4 Satz 2 SGB III relevante Pendelzeiten von der Wohnung zum Arbeitsort in Kauf zu nehmen, ansonsten besteht keine Berechtigung, Arbeitslosengeld zu beziehen. Die Grenzen sind bemerkenswerte zweieinhalb Stunden bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden und Pendelzeiten von mehr als zwei Stunden bei einer Arbeitszeit von sechs Stunden und weniger.

Steuerlich [i]BVerfG, Urteil v. 9.12.2008 - 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08 NWB SAAAD-00290 zeigt sich die Notwendigkeit, flexibel zu agieren, an der Entfernungspauschale. Nicht selten spielen bei der Wahl des Wohnorts nicht nur berufliche, sondern auch private Gründe eine Rolle. Der nicht mögliche vollständige Abzug der Fahrtkosten von der Wohnung zum Beschäftigungsort, sondern stattdessen die Beschränkung des objektiven Nettoprinzips im Rahmen der Entfernungspauschale ist mit diesen auch privaten Aspekten begründbar.

Noch mehr Flexibilität wird von Leiharbeitnehmern erwartet. Sie müssen ständig wechselnde Einsatzorte in Kauf nehmen und sind folglich nicht in der Lage, ihren Wohnort nach ausschließlich beruflichen Kriterien zu wählen. Schließlich können sie sich nicht darauf einstellen, regelmäßig den gleichen Weg zum sog. Entleiher, also dem Vertragspartner des Zeitarbeitsunternehmens, zurückzulegen.

Diesem [i]Z. B. BFH, Urteil v. 12.5.2022 - VI R 32/20, BStBl 2023 II S. 35 NWB RAAAJ 23415 Umstand trägt § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG Rechnung: Eine dauerhafte Zuordnung, die eine Voraussetzung für den beschränkten Abzug der Entfernungspauschale ist, liegt nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. Das Wort „soll“ signalisiert, dass hierbei eine Prognose erforderlich ist. Der BFH hat sehr deutlich entschieden, dass die rückblickende Betrachtung nicht sach- und rechtmäßig ist.

Die Finanzverwaltung [i]BMF, Schreiben v. 25.11.2020 - IV C 5 - S 2353/19/10011 :006, BStBl 2020 I S. 1228 NWB EAAAH-65600 erkennt an, dass eine solche Prognose auch revisionsbedürftig sein kann, was z. B. bei Krankheit, aber auch der Insolvenz des „Kunden“ der Fall ist. In dem Beitrag ab der Seite 156 beschäftige ich mich mit der Frage, ob auch die gesetzliche Neuregelung des AÜG am , die eine maximale Einsatzdauer beim Entleiher von 18 Monaten gesetzlich festschreibt, ein Grund ist, eine solche Prognose neu zu erstellen.

Bejaht der BFH diese Frage im anhängigen Revisionsverfahren BFH VI R 22/23, haben Leiharbeitnehmer nach der bisherigen Rechtsprechung (VI R 32/20) keine dauerhafte erste Tätigkeitsstätte beim entleihenden Betrieb. Meines Erachtens wäre diese Folge sachgerecht, denn ein Wohnortwechsel alle 18 Monate sollte niemandem, auch nicht aus steuerlichen Gründen, abverlangt werden.

Beste Grüße

Wolfgang Eggert

Fundstelle(n):
BBK 2024 Seite 145
SAAAJ-59063