BSG Beschluss v. - B 6 KA 34/22 B

Vertragsärztliche Vergütung - Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot - kein Verschuldenserfordernis bei Honorarkürzungen und Verordnungsregressen - Irrelevanz einer bestehenden Schwierigkeit der Erkennbarkeit eines Ausschluss der Aut-idem-Substitution

Gesetze: § 12 Abs 1 SGB 5, § 106a SGB 5

Instanzenzug: Az: S 24 KA 3273/19 Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 5 KA 2502/21 Beschluss

Gründe

1I. Streitig ist ein Regress wegen der Verordnung von Arzneimitteln unter Ausschluss der Ersetzung durch ein kostengünstigeres, wirkstoffgleiches Arzneimittel (Aut-idem-Regelung).

2Der Kläger, ein Facharzt für Allgemeinmedizin, ist im Bezirk der zu 2. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Auf Antrag der zu 1. beigeladenen Krankenkasse setzte die Prüfungsstelle der Gemeinsamen Prüfungseinrichtungen Baden-Württemberg einen Regress in Höhe von 6597,37 Euro fest, da der Kläger in 398 Verordnungsfällen in den Quartalen 1/2014 bis 4/2014 die Substitution der verordneten Arzneimittel durch rabattierte und daher günstigere Präparate ausgeschlossen hatte (Bescheid vom ). Der Kläger habe nicht dargelegt, dass der Ausschluss im Einzelfall aus medizinischen Gründen notwendig gewesen sei. Widerspruch, Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses vom ; ; ). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, der Senat habe die Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs 4 SGG durch Beschluss zurückweisen können, auch wenn der Kläger diesem Vorgehen widersprochen habe. Gründe für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung seien nicht ersichtlich. Darauf, dass die Mitgliedsnummern der Versicherten der Beigeladenen zu 1. sich geändert hätten, habe der Kläger bereits mit Schreiben vom - vor der Anhörung - hingewiesen. In der Sache habe das SG die Klage zu Recht abgewiesen, da der Kläger durch Ausschluss der Aut-idem-Substitution Arzneimittelverordnungen unter Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot ausgestellt habe und der Beigeladenen zu 1. hierdurch ein Schaden in Höhe des festgesetzten Regressbetrages entstanden sei. Es könne dahinstehen, ob auch in einem solchen Fall - wie bei der Festsetzung eines Regresses wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens - der Vertragsarzt gehalten sei, die für ihn günstigen Tatsachen bereits im Prüfungsverfahren, also spätestens gegenüber dem beklagten Beschwerdeausschuss, und nicht erst im nachfolgenden Gerichtsverfahren so genau wie möglich anzugeben und zu belegen (Hinweis auf - SozR 4-2500 § 106 Nr 41). Denn auch mit seinem nunmehrigen Vorbringen werde der Kläger den Anforderungen nicht gerecht. Er hätte bezogen auf jeden einzelnen Patienten darlegen müssen, weshalb im konkreten Fall eine Aut-idem-Substitution ausgeschlossen sei. Allgemeine Ausführungen, er habe die Erfahrungen gemacht, dass Patienten die Medikamente beim Austausch nicht mehr einnähmen oder dass sich beim Austausch die Wirkung verändere, seien nicht ausreichend. Ebenso verhalte es sich mit seinem Hinweis auf zwei schwer erkrankte Patienten, die Fentanyl benötigt hätten. Ohne konkrete Benennung der Patienten und Vorlage der Behandlungsdaten werde der Kläger auch hier seiner Darlegungslast nicht gerecht. Soweit der Kläger vortrage, die ihm zur Verfügung gestellte Liste sei nicht ausreichend informativ, stimme dies nicht. Die Liste enthalte zwar nicht die Namen der einzelnen Patienten, jedoch deren Versichertennummer, anhand derer die Patienten identifizierbar seien. Die zwischenzeitlich veränderten Mitgliedsnummern änderten nichts an der Kenntnis des Klägers von der früheren Versichertennummer. Den Abzug eines bestimmten Prozentsatzes von Verordnungsfällen, in denen Ärzte üblicherweise zu Unrecht die Aut-idem-Substitution ausschlössen, ohne dass dies beanstandet werde, sehe das Gesetz nicht vor. Auch gebe es keine "Gleichheit im Unrecht".

3Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung und einen Verfahrensmangel geltend (Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG).

4II. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen entspricht.

51. Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet und zudem aufgezeigt werden, inwiefern diese in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich), klärungsbedürftig sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; zB - SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff; - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 5; - juris RdNr 5, jeweils mwN). Dem wird die Beschwerde des Klägers nicht gerecht.

6Der Kläger hält die folgende Rechtsfrage für klärungsbedürftig:"Ist in Regressfällen, wenn der betroffene Arzt bezogen auf den einzelnen Patienten nicht darlegt, weshalb im konkreten Fall eine 'aut-idem-Substitution' ausgeschlossen war, bei der Bemessung des Regresses zugunsten des betroffenen Arztes zumindest der Prozentsatz von Verordnungsfällen, in denen Ärzte üblicherweise zu Unrecht die 'aut-idem-Substitution' ausschließen, ohne dass dies beanstandet wird, abzuziehen."

7Hierzu führt er aus, die Rechtsfrage sei bisher nicht Gegenstand der Entscheidungen des BSG gewesen. Im Beschluss vom (B 6 KA 19/15 B) habe sich die Frage nach der Regresshöhe nicht gestellt, ebenso wenig im Urteil vom (B 6 KA 5/09 R). Die Begründung des LSG, es gebe keine "Gleichheit im Unrecht" berücksichtige nicht, dass gerade im Überprüfungswesen der kassenärztlichen Abrechnung naturgemäß mit Durchschnittswerten und Erfahrungssätzen gearbeitet werden müsse. Es müsse zwangsläufig zu solchen Erfahrungswerten kommen, da die Grenzlinie, wann der Ausschluss einer Aut-idem-Substitution eindeutig zulässig und eindeutig unzulässig sei, häufig nur schwer zu ziehen sei.

8Unabhängig davon, ob der Kläger damit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung formuliert hat, hat er die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht hinreichend dargelegt. Er setzt sich schon in keiner Weise mit der Rechtsprechung des Senats zu Wirtschaftlichkeitsprüfungen, insbesondere zu Einzelfallprüfungen, auseinander, sondern benennt lediglich zwei Senatsentscheidungen, die nach seinen eigenen Angaben hinsichtlich der Regresshöhe nicht einschlägig seien. Angesichts seines Vortrags, im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen werde "naturgemäß mit Durchschnittswerten und Erfahrungssätzen gearbeitet", hätte der Kläger jedoch auf die unterschiedliche Funktion von Einzelfallprüfungen in Abgrenzung etwa zur Prüfung nach Durchschnittswerten oder bei Überschreitung von Richtgrößen eingehen müssen. So verweist das vom Kläger selbst angeführte Senatsurteil vom darauf, dass Einzelfallprüfungen insbesondere dann sachgerecht seien, wenn das individuelle Vorgehen eines Arztes in einem bestimmten Behandlungsfall hinsichtlich des Behandlungs- und Verordnungsumfangs am Maßstab des Wirtschaftlichkeitsgebots überprüft werden solle (B 6 KA 5/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 28 = juris RdNr 14). Auf welcher rechtlichen Grundlage Raum für einen "Nachlass" bei einer bestimmten Anzahl von Fällen bestehen soll, wenn die Unwirtschaftlichkeit der Arzneimittelverordnung im Einzelfall von den Prüfgremien festgestellt wurde, legt der Kläger nicht dar (zum Verhältnis von Richtgrößenprüfung zu Einzelfallregressen vgl auch - SozR 4-2500 § 106 Nr 60, B 6 KA 23/19 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 61, B 6 KA 22/19 R - juris).

9Soweit der Kläger schließlich auf die Schwierigkeit hinweist, zu erkennen, wann ein Ausschluss der Aut-idem-Substitution zulässig sei, geht er nicht darauf ein, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ein Verschuldenserfordernis im Rahmen von Honorarkürzungen und Verordnungsregressen nicht besteht (vgl den auch vom Kläger zitierten Senatsbeschluss vom - B 6 KA 19/15 B - juris RdNr 7 mwN). Darauf, ob die Zulässigkeit des Ausschlusses für den verordnenden Vertragsarzt erkennbar war, kommt es daher nicht an.

102. Auch die Verfahrensrüge ist bereits unzulässig. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

11Der Kläger rügt als Verfahrensmangel einen Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens (vgl Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG, Art 6 Abs 1 Satz 1 EMRK). Insofern trägt er vor, dass die ihm zur Verfügung gestellte Liste der Behandlungsfälle nicht ausreichend informativ sei, da sie nicht die Namen der einzelnen Patienten, sondern lediglich deren Versichertennummer enthalten habe. Anhand dieser Versichertennummer seien die Patienten für den Kläger nur mit immensem Aufwand identifizierbar, weil die Krankenkassen zwischenzeitlich die Mitgliedsnummern verändert hätten. Wenn man schon eine Begründung in jedem der 398 Fälle verlange, wäre es der Beigeladenen zu 1. ein Leichtes gewesen, ihm eine informative Liste mit Patientennamen oder eine Liste, die alte und neue Mitgliedsnummern gegenüberstelle, zur Verfügung zu stellen.

12Damit rügt der Kläger jedoch allein ein (vermeintliches) Fehlverhalten der Beigeladenen zu 1. Dass das LSG sich widersprüchlich verhalten, aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern, Irrtümern oder Versäumnissen Verfahrensnachteile abgeleitet oder allgemein keine Rücksicht gegenüber dem Kläger in seiner konkreten Situation genommen habe (zum Anspruch auf ein faires Verfahren in diesem Sinne vgl etwa - juris RdNr 4; - juris RdNr 9; BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 2 BvR 1731/18 - juris RdNr 22 jeweils mwN), letztlich rechtsstaatlich unverzichtbare (Verfahrens-)Erfordernisse nicht gewahrt hätte (hierzu - juris RdNr 6), behauptet der Kläger selbst nicht. Vielmehr geht der im Berufungsverfahren bereits anwaltlich vertretene Kläger in seiner Darstellung des Sachverhalts schon nicht darauf ein, dass das LSG die ihm im Erörterungstermin vom bis zum gesetzte Frist, eine Liste vorzulegen, weshalb in den 398 Fällen aus medizinischen Gründen ein Aut-idem-Substitutionsausschluss erforderlich gewesen sei, auf seinen Antrag bis zum verlängert hatte. Der Kläger trägt zudem nicht vor, zu welchem Zeitpunkt die Mitgliedsnummern verändert worden sein sollen und weshalb es ihm zuvor nicht möglich war, eine Begründung zu den einzelnen Verordnungsfällen einzureichen, obwohl ihm die Liste sowohl als CD als auch als Ausdruck bereits im März 2017 - zu Beginn des Widerspruchsverfahrens - zur Verfügung gestellt worden ist. Denn auch das eigene Verhalten eines Verfahrensbeteiligten ist im Rahmen der Frage, ob ein Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens besteht, grundsätzlich zu würdigen. Auch hat der anwaltlich vertretene Kläger weder die Amtsermittlungspflicht des LSG (§ 103 SGG) gerügt, noch hat er behauptet, einen Beweisantrag gestellt zu haben, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).

13In diesem Zusammenhang ist zudem darauf hinzuweisen, dass seit dem die Krankenversichertennummer gemäß § 290 Abs 1 Satz 2 SGB V (idF des GKV-Modernisierungsgesetzes vom , BGBl I 2190) aus einem unveränderbaren Teil zur Identifikation des Versicherten und einem veränderbaren Teil, der bundeseinheitliche Angaben zur Kassenzugehörigkeit enthält, besteht. Die in der von der Beigeladenen zu 1. zur Verfügung gestellten Liste der Verordnungsfälle enthält unter "VRSN" die Angabe der Versichertennummer mit einem Großbuchstaben gefolgt von neun Ziffern und damit ersichtlich den unveränderbaren Teil der Krankenversichertennummer des jeweiligen Patienten (vgl 2.2 der "Richtlinie zum Aufbau und zur Vergabe einer Krankenversichertennummer und Regelungen des Krankenversichertennummernverzeichnisses nach § 290 SGB V" des GKV-Spitzenverbandes). Vor diesem Hintergrund hätte es weiterer Ausführungen des Klägers bedurft, weshalb ihm dennoch die Zuordnung der in der Liste genannten Versichertennummern zu den von ihm behandelten Patienten nicht möglich war.

143. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Danach hat der Kläger die Kosten des von ihm ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da diese keinen eigenen Antrag gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO; vgl - BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:101023BB6KA3422B0

Fundstelle(n):
PAAAJ-58844