BGH Beschluss v. - 2 StR 421/22

Notwendige tatrichterliche Feststellungen bei Verurteilung wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen

Gesetze: § 225 Abs 1 StGB

Instanzenzug: Az: 28 KLs 10/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

21. Nach den Feststellungen schoss der Angeklagte am zwischen 14.00 Uhr und 16.30 Uhr dreimal mit einem frei verkäuflichen Luftgewehr, einem Knicklaufspanner, auf seinen unter einer starken Entwicklungsstörung leidenden elfjährigen Stiefsohn, mit dem er seit mehreren Jahren in einem Haushalt lebte und für den er Vaterfigur und Vertrauensperson war.

3Die drei Schüsse trafen den Geschädigten von vorne auf der linken Seite seines Brustkorbs. Ein Spitzkopfdiabolo-Projektil blieb nach drei bis vier Zentimetern im hinteren Brustkorbbereich im Subkutangewebe, von außen noch tastbar, stecken. Ein weiteres Spitzkopfdiabolo trat etwas weiter unterhalb des linken Rippenbogens in den Brustkorb ein. Es prellte den unteren Bereich der Lunge, durchdrang das Zwerchfell sowie die Darmwand, bis es im Querkolon zum Erliegen kam. Die Milz wurde knapp verfehlt. Durch die Schüsse, insbesondere den, der die Darmwand durchdrang, bestand die Gefahr, dass ein großes Blutgefäß getroffen wurde, wodurch der Geschädigte innerlich hätte verbluten können. Bei der dritten Verletzung handelte es sich um einen oberhalb der beiden anderen Wunden gelegenen Streifschuss.

4Bei Abgabe der Schüsse waren dem Angeklagten die hierdurch verursachten Leiden des Geschädigten gleichgültig. Er nahm billigend in Kauf, dass die Geschosse in den Körper eindringen und den Geschädigten hierdurch in die konkrete Gefahr des Todes bringen konnten.

5Die Strafkammer konnte nicht feststellen, ob die Schüsse im gemeinsam bewohnten Haus, aus diesem heraus, oder im Freien auf den Geschädigten abgegeben wurden. Dabei hat sie es – sachverständig beraten – für möglich gehalten, dass „die Schüsse theoretisch noch aus einer Entfernung von bis zu 170 Metern ein entsprechendes Verletzungsbild hervorrufen können.“

62. Die Revision des Angeklagten ist begründet. Zwar versagen die Verfahrensrügen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift dargestellten Gründen. Jedoch hält der Schuldspruch sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Feststellungen zu der tateinheitlichen Verurteilung wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen erweisen sich als lückenhaft.

7a) Rohes Misshandeln im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert. Eine gefühllose Gesinnung ist gegeben, wenn der Täter bei der Misshandlung das – notwendig als Hemmung wirkende – Gefühl für das Leiden des Misshandelnden verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt hätte (st. Rspr.; vgl. , NStZ-RR 2015, 369, 370 f.; vom – 1 StR 404/17, NStZ-RR 2018, 209, 210; Beschlüsse vom – 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405; vom – 6 StR 462/21, juris Rn. 6). Das Tatbestandsmerkmal erfordert eine sorgfältige Darstellung nicht nur der objektiven Tatseite, sondern auch der Gesinnung des Täters (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 47/09, juris Rn. 7; vom – 6 StR 462/21, aaO; Beck/OK StGB/Eschelbach, 55. Ed., § 225 Rn. 20).

8b) Daran fehlt es. Allein die Wertung der Strafkammer, bei Abgabe der gezielten Schüsse auf den Oberkörper des Geschädigten seien dem Angeklagten dessen hierdurch verursachten Leiden gleichgültig gewesen, erfährt in den Urteilsgründen keinen tatsachenfundierten Beleg. Nähere Ausführungen zu seiner Gesinnung lassen die Urteilsgründe vermissen. Demgegenüber ist diesen zu entnehmen, dass der Angeklagte in der Freizeit gerne mit seinen Kindern spielte. Er wirkte auch an den Rettungshandlungen des Geschädigten mit. Warum er gleichwohl bei der Misshandlung das – notwendig als Hemmung wirkende – Gefühl für das Leiden des Misshandelnden verloren haben soll, erschließt sich daher ohne weitere Erläuterung nicht.

9c) Der Rechtsfehler entzieht der für sich genommen rechtsfehlerfreien tateinheitlichen Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung die Grundlage.

103. Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf. Dies wird dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht die Möglichkeit bieten, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Annahme einer möglichen maximalen Schussdistanz von 170 Metern mit dem hier verwendeten frei verkäuflichen Luftgewehr, bei dem ein abgeschossenes Projektil im Durchschnitt eine Bewegungsenergie von 6,84 Joule erreicht, angesichts der drei Treffer von vorne im Brustbereich bei einem beweglichen Ziel realistisch erscheint.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:090223B2STR421.22.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-58832