BMF - III C 2 - S 7109/19/10004 :001 BStBl 2024 I S. 213

Unentgeltliche Zuwendungen und Vorsteuerabzug; Folgen aus dem

Bezug:

Bezug: BStBl 2012 II S. 68

Bezug: BStBl 2013 II S. 840

Bezug: BStBl 2012 II S. 61

Bezug:

Bezug: BStBl 2012 I S. 621

Bezug:

I. Einleitung

1Ein Unternehmer ist unter den übrigen Voraussetzungen des § 15 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt, wenn er Eingangsleistungen für Zwecke seines Unternehmens und damit für seine wirtschaftliche Tätigkeit bezieht.

2Ein Unternehmer, der für Zwecke des Vorsteuerabzugs als Leistungsempfänger anzusehen ist, ist zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit er Leistungen für sein Unternehmen im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG und damit für seine unternehmerischen Tätigkeiten zur Erbringung entgeltlicher Leistungen zu verwenden beabsichtigt (vgl. , BStBl II 2012 S. 68). Nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung musste zwingend nach dem objektiven Inhalt der bezogenen Leistung ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung bestehen (vgl. , BStBl II S. 840). Nur mittelbar verfolgte Zwecke waren bisher stets unerheblich (vgl. , BStBl II 2012 S. 61).

3In seinem Folgeurteil zum , Mitteldeutsche Hartstein-Industrie, hat der , BStBl II 2024 S. 146, abweichend von der bisherigen Rechtsprechung und der Verwaltungsauffassung entschieden, dass der Vorsteuerabzug aus einem mittelbar unternehmerisch veranlassten Leistungsbezug zulässig ist, der unentgeltlich an einen Dritten weitergeliefert wird, sowie eine daraus resultierende unentgeltliche Wertabgabe nicht besteuert wird, wenn kein unversteuerter Endverbrauch droht.

4Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt nach dieser Entscheidung Folgendes:

II. Anwendung der Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug bei „mittelbarer“ Veran­lassung

5Mit Urteil vom – XI R 26/20 (XI R 28/17), a. a. O., hat der BFH entschieden, dass einem Unternehmer der Vorsteuerabzug auch dann zustehen kann, wenn er eine Leistung bezieht, um diese an einen Dritten unentgeltlich weiter zu liefern und zugleich die eigene unternehmerische Tätigkeit zu ermöglichen. Dies setzt aber voraus, dass die bezogene Eingangsleistung nicht über das hinausgeht, was erforderlich bzw. unerlässlich ist, um diesen Zweck zu erfüllen, und die Kosten der Eingangsleistung (kalkulatorisch) im Preis der getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind und der Vorteil des Dritten (im Urteilsfall: der Allgemeinheit) allenfalls nebensächlich ist.

6Nur unter diesen Voraussetzungen reicht entgegen der bisherigen Rechtsprechung eine „mittelbare“ Veranlassung für den Vorsteuerabzug aus. Darüber hinaus ist das , a. a. O. weiterhin anzuwenden.

7Außerdem hat der BFH mit o. a. Urteil vom entschieden, dass § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG unionsrechtskonform dahingehend einschränkend auszulegen ist, dass eine Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe nicht erfolgt, wenn kein unversteuerter Endverbrauch droht.

8Für den Vorsteuerabzug aus Erschließungsmaßnahmen ergibt sich durch die v. b. Rechtsprechung kein Änderungsbedarf am BMF-Schreiben zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von Erschließungsmaßnahmen vom , BStBl I S. 621, weil in den dortigen Fällen im Regelfall die unentgeltliche Weitergabe von Leistungen zu einem unversteuerten Endverbrauch führen würde. Nur unter den nunmehr von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen kann bei Erschließungsmaßnahmen, die unter den mit dem Urteilsfall XI R 26/20 (XI R 28/17) vergleichbaren Bedingungen erfolgen, ein Vorsteuerabzug möglich sein.

9Die Genehmigung zum Ausbau z. B. einer Gemeindestraße führt in solchen Fällen nicht zu einem tauschähnlichen Umsatz, da die Ausbaumaßnahme keine Gegenleistung für die Genehmigung darstellt.

III. Änderungen des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses

10Der Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) vom , BStBl I S. 846, der zuletzt durch das III C 2 – S 7200/19/10003 :019 (2023/1237710), BStBl 2024 I S. 212 – geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

  1. In Abschnitt 3.2 wird nach Absatz 3 folgender Absatz 4 angefügt:

    (4) 1Droht kein unversteuerter Endverbrauch, sind § 3 Abs. 1b und 9a UStG unionsrechtskonform dahingehend einschränkend auszulegen, dass eine Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe nicht erfolgt. 2Dieser droht nicht, wenn

    • die Eingangsleistung vor allem für Bedürfnisse des Unternehmers genutzt wird und nicht darüber hinaus geht, was hierfür erforderlich bzw. unerlässlich ist,

    • die Kosten für die Eingangsleistung Bestandteile des Preises der von ihm erbrachten Leistungen sind und

    • der Vorteil des Dritten allenfalls nebensächlich ist,

    vgl. hierzu , BStBl 2024 II S. 146 und Abschnitt 15.2b Abs. 2a. 3Diese Voraussetzungen bestehen beispielsweise in folgenden Fällen nicht (mit der Folge, dass unter den übrigen Voraussetzungen eine unentgeltliche Wertabgabe vorliegt):

    • Bei der unentgeltlichen Abgabe von bürgerlicher Bekleidung an Arbeitnehmer; die unternehmerischen Gründe für die Überlassung wie auch das eigenbetriebliche Interesse des Unternehmers ändern daran nichts, weil der Vorteil des Arbeitnehmers nicht als nebensächlich oder untergeordnet erscheint (vgl. , BStBl II 2023 S. 936).

    • Bei Zuwendungen an Betriebsangehörige im Rahmen einer Betriebsveranstaltung, wenn diese ausschließlich dem privaten Bedarf der Betriebsangehörigen dienen und über Aufmerksamkeiten hinausgehen (vgl. , BStBl II S. 1023).

  2. Abschnitt 3.3 Abs. 16 wird wie folgt gefasst:

    „(16) Ein Set – bestehend aus Blutzuckermessgerät, Stechhilfe und Teststreifen –, das über Ärzte, Schulungszentren für Diabetiker und sonstige Laboreinrichtungen unentgeltlich an die Patienten abgegeben wird, ist kein Warenmuster im Sinne des § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG (vgl. , BStBl II 2013 S. 412); vgl. aber zur Besteuerung einer Wertabgabe und zum Vorsteuerabzug Abschnitt 3.2 Abs. 4 sowie Abschnitt 15.2b Abs. 2a.“

  3. Abschnitt 15.2b wird wie folgt geändert:

    1. Absatz 2 Satz 3 wird wie folgt gefasst:

      3Zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung muss nach dem objektiven Inhalt der bezogenen Leistung ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang bestehen (vgl. , BStBl II S. 840); nur mittelbar verfolgte Zwecke sind unerheblich (vgl. , BStBl II 2012 S. 61), sofern die Voraussetzungen nach Absatz 2a nicht erfüllt sind.

    2. Nach Absatz 2 wird folgender Absatz 2a angefügt:

      (2a) 1Bezieht ein Unternehmer eine Leistung, um diese an einen Dritten unentgeltlich weiter zu leisten und zugleich die eigene unternehmerische Tätigkeit zu ermöglichen, steht ihm der Vorsteuerabzug zu, wenn die bezogene Eingangsleistung nicht über das hinausgeht, was erforderlich bzw. unerlässlich ist, um diesen Zweck zu erfüllen, und die Kosten für die Eingangsleistung Bestandteil des Preises der von ihm erbrachten Leistungen sind und der Vorteil des Dritten allenfalls nebensächlich ist. 2Nur insoweit reicht eine mittelbare Veranlassung für den Vorsteuerabzug aus (vgl. , BStBl II 2024 S. 146). 3Der Bezug einer Leistung ist insbesondere dann erforderlich bzw. unerlässlich, wenn der Unternehmer seine wirtschaftliche Tätigkeit ohne Ausführung dieses Leistungsbezugs nicht ausüben oder fortführen könnte. 4Ein solcher Leistungsbezug ist nicht schon deswegen erforderlich bzw. unerlässlich, weil dieser sich allein aus der Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung (wie z. B. einer behördlichen Auflage) begründet. 5Geht der Leistungsbezug über das hinaus, was erforderlich bzw. unerlässlich war, liegt ein Leistungsbezug für das Unternehmen insoweit nicht vor und ein Vorsteuerabzug ist entsprechend ausgeschlossen; es besteht dann auch kein Zuordnungswahlrecht nach Abschnitt 15.2c Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b. 6Eine in Fällen des Satzes 5 ggf. erforderliche Aufteilung ist in analoger Anwendung des Abschnitts 15.17 vorzunehmen. 7Der Vorteil des Dritten ist insbesondere dann allenfalls nebensächlich, wenn die Weiterleistung der Leistung nicht den Bedürfnissen dieses Dritten dient oder wenn der Vorteil dieses Dritten gegenüber dem Bedarf des Unternehmers nur nebensächlich ist.

      Beispiel 1:

      1Unternehmer U möchte einen Steinbruch unternehmerisch ausbeuten. 2Der Betrieb des Steinbruchs wird von der zuständigen Behörde nur unter der Auflage genehmigt, dass die Erschließung des Steinbruchs über eine öffentliche Gemeindestraße erfolgt. 3U verpflichtet sich, die Kosten für den Ausbau der Straße zu tragen. 4Die hierfür von U bezogenen Leistungen werden nur zu dem für die Nutzung durch den Schwerlastverkehr erforderlichen Ausbau der Straße genutzt und gehen nicht darüber hinaus. 5Die Kosten für den Straßenausbau gehen kalkulatorisch in den Verkaufspreis der abgebauten Steine ein. 6Durch Abnahme der Bauleistung durch die Gemeinde wird die Straße kostenlos an diese übertragen. 7Die (öffentliche) Straße wird in der Folge hauptsächlich von dem Schwerlastverkehr im Zusammenhang mit dem Steinbruch genutzt, daneben erfolgt nur eine geringe Nutzung durch die Allgemeinheit (Pkw-Verkehr).

      8Die Errichtung der Straße ist Voraussetzung für den Betrieb des Steinbruchs. 9Die Arbeiten für die Errichtung der Straße gehen nicht über das hinaus, was erforderlich war, um den Steinbruch zu betreiben. 10Die Kosten für die Baumaßnahmen gehen in die zum Vorsteuerabzug berechtigenden Ausgangsumsätze des U ein. 11Aufgrund der hauptsächlichen Nutzung der Straße für den Schwerlastverkehr des U ist der Nutzen für die Gemeinde (in Form der nur geringen Pkw-Nutzung durch die Allgemeinheit) nur nebensächlich. 12U ist daher zum Vorsteuerabzug aus den im Zusammenhang mit dem Straßenausbau bezogenen Leistungen berechtigt. 13Eine Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe des U an die Gemeinde erfolgt unter den genannten Umständen nicht (vgl. , a. a. O.).

      Beispiel 2:

      1Ein Industriebetrieb wird über eine zum Schwerlastverkehr grundsätzlich geeignete Straße beliefert. 2Durch die Besucher eines nah gelegenen Naherholungsgebiets wird der Lkw-Verkehr so erheblich beeinträchtigt, dass die Produktionsabläufe grundlegend gestört werden. 3Der Industriebetrieb hat von der Gemeinde auf Antrag die Genehmigung erhalten, auf eigene Kosten die Straße so zu verbreitern, dass ein reibungsloser Lkw-Verkehr wieder möglich ist. 4Um die Unfallgefahr durch das hohe Radfahreraufkommen zu minimieren, baut der Unternehmer freiwillig einen zusätzlichen Fahrradweg. 5Aufgrund einer Auflage in der Genehmigung führt der Unternehmer dazu Maßnahmen zur Begrünung durch, um den Charakter des Naherholungsgebiets zu erhalten. 6Alle Maßnahmen werden ausschließlich auf Grundstücken der Gemeinde durchgeführt bzw. betreffen die dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße.

      7Die Verbreiterung der Straße ist für die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit des Industriebetriebes erforderlich, da erst hierdurch wieder ein ungestörter Betriebsablauf möglich ist. 8Darüber hinaus ist der Vorteil der Gemeinde nur nebensächlich, da bereits eine für den öffentlichen Verkehr nutzbare Straße vorhanden ist. 9Daher erfolgt der Bezug dieser Leistung für das Unternehmen des Industriebetriebes, wodurch insoweit ein Vorsteuerabzug möglich ist. 10Die Aufwendungen für den Fahrradweg dienen der Verkehrssicherheit und verbessern weiter den Verkehrsfluss. 11Allerdings ist eine Nutzung der ausgebauten Straße durch die Lkw auch ohne den Fahrradweg möglich. 12Daneben ist der Vorteil für die Gemeinde bzw. die Allgemeinheit nicht nur nebensächlich, indem die Radfahrer mit dem Fahrradweg nun einen eigenen, bislang nicht vorhandenen Verkehrsstreifen nutzen können. 13Damit erfolgt dieser Leistungsbezug nicht für das Unternehmen und ein Vorsteuerabzug ist insoweit unzulässig. 14Die Begrünungsmaßnahmen sind für die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht erforderlich. 15Selbst die gemeindliche Auflage zur Vornahme entsprechender Maßnahmen führt nicht dazu, dass diese für die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit unerlässlich werden. 16Daneben ist der Vorteil für die Gemeinde bzw. die Allgemeinheit aus der Begrünung nicht nur nebensächlich, sondern dient unmittelbar ihren Bedürfnissen. 17Damit erfolgt dieser Leistungsbezug nicht für das Unternehmen und ein Vorsteuerabzug ist insoweit unzulässig. 18Wurden die einzelnen Leistungen oder Leistungsbestandteile nicht gesondert abgerechnet, ist eine Aufteilung der Vorsteuerbeträge in analoger Anwendung des Abschnitts 15.17 vorzunehmen. 19Hinsichtlich der eigentlichen Straßenverbreiterung ergibt sich keine unentgeltliche Wertabgabe, da der Leistungsbezug für den Industriebetrieb erforderlich bzw. unerlässlich ist, um seine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben zu können, und der Vorteil der Gemeinde hier allenfalls nebensächlich ist, da bereits eine nutzbare Straße vorhanden ist. 20Hinsichtlich des Fahrradweges und der Begrünung ergibt sich ebenfalls keine unentgeltliche Wertabgabe, da insoweit schon keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug bestanden hat.

Anwendungsregelung

11Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden.

12Die Regelungen im BStBl I S. 621, sind weiter anzuwenden, soweit oben keine abweichenden Regelungen getroffen werden.

BMF v. - III C 2 - S 7109/19/10004 :001

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Fundstelle(n):
BStBl 2024 I Seite 213
SAAAJ-57725