BGH Urteil v. - VIa ZR 340/22

Schadensersatzanspruch gegen Fahrzeughersteller im Dieselskandal: Anforderungen an Verschulden des Herstellers

Leitsatz

Für eine Haftung des Fahrzeugherstellers wegen eines Verstoßes gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gegenüber dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs müssen der objektive und der subjektive Tatbestand der Pflichtverletzung - hier: beim Inverkehrbringen des Fahrzeugs - zeitlich zusammenfallen. Für die Frage, ob dem Fahrzeughersteller ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, kommt es insoweit nur zusätzlich noch auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses an.

Gesetze: § 823 Abs 2 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 13 U 427/19vorgehend LG Darmstadt Az: 10 O 290/18

Tatbestand

1Der Kläger, der am einen von der Beklagten hergestellten und mit einem Dieselmotor der Baureihe N47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüsteten gebrauchten BMW X1 20d xDrive erwarb, nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch. Er macht geltend, das Fahrzeug verfüge über mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen.

2Die auf Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

Gründe

3Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Deliktische Ansprüche des Klägers seien zu verneinen, weil die Beklagte den Kläger nicht sittenwidrig geschädigt habe. Der Kläger habe für seine Behauptung, in seinem Fahrzeug sei eine unzulässige Abschaltlogik verbaut worden, keine greifbaren Anhaltspunkte aufgezeigt. Die Applikation einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems sei nicht mit der Verwendung einer Prüfstanderkennungssoftware zu vergleichen. Eine Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten durch den Einbau des Thermofensters hätte sich nur dann ergeben, wenn zu dem - hier unterstellten - Verstoß gegen Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 weitere Umstände hinzugetreten wären, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Daran fehle es.

6Der Kläger könne seinen Schadensersatzanspruch auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Dem stehe bereits entgegen, dass die Regelungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kein Schutzgesetz darstellten.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV in der maßgeblichen Fassung (vgl. VIa ZR 374/22, WM 2023, 2194 Rn. 9 ff.) aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO.

12Insbesondere kann der Senat entgegen den Einwänden der Revisionserwiderung auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und nach Maßgabe des Senatsurteils vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 59 ff.) ein Verschulden der Beklagten nicht ausschließen. Zwar müssen der objektive und der subjektive Tatbestand einer Pflichtverletzung zeitlich zusammenfallen (vgl. , BGHZ 171, 46 Rn. 8) und kommt es für die Frage, ob der Beklagten ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, insoweit nur zusätzlich noch auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an ( aaO, Rn. 61; Urteil vom - VIa ZR 1511/22, juris Rn. 12 f.). Dass zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs, wie die Revisionserwiderung geltend macht, keine Zweifel an der Zulässigkeit von Thermofenstern bestanden hätten, sondern erst durch die spätere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union begründet worden seien, ließe - selbst wenn der Einwand der Revisionserwiderung zuträfe - das Verschulden indessen nicht entfallen. Dass sich ein Hersteller nicht ohne weiteres und gestützt auf eine zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger verbreitete Auffassung von der Zulässigkeit bestimmter Abschalteinrichtungen entlasten kann, hat der Senat entschieden und näher dargelegt ( aaO, Rn. 69; zu den Anforderungen an die Darlegung eines unvermeidbaren Verbotsirrtums außerdem VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064 Rn. 13 ff.). Dass ein Differenzschaden durch vom Kläger gezogene Vorteile vollständig aufgezehrt sei, ergeben die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht.

13Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:111223UVIAZR340.22.0

Fundstelle(n):
WM 2024 S. 225 Nr. 5
HAAAJ-57331