BSG Beschluss v. - B 9 SB 18/23 B

Nichtzulassungsbeschwerde - Schwerbehindertenrecht - Merkzeichen G - erhebliche Gehbehinderung - Merkzeichen B - Begleitperson - Berücksichtigung von psychischen Leiden - Auseinandersetzung mit vorhandener Rechtsprechung - Rechtsprechung des BSG zum umfassenden Behinderungsbegriff - Beschwerdebegründung - Behauptung einer nur bedingten Anwendbarkeit der Rechtsprechung auf den konkreten Fall - Erforderlichkeit einer näheren Begründung - Sachverhaltsdarstellung - pauschale Bezugnahme auf das LSG-Urteil nicht ausreichend - Divergenz - Darlegungsanforderungen

Gesetze: § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 229 Abs 1 SGB 9 2018, § 229 Abs 2 SGB 9 2018, § 152 Abs 4 SGB 9 2018, § 2 Abs 1 S 1 SGB 9 2018, § 2 VersMedV, Teil B Nr 3.7 VersMedV, Teil D Nr 1 Buchst d VersMedV, Teil D Nr 1 Buchst f VersMedV, Teil D Nr 2 VersMedV, § 3 Abs 1 Nr 7 SchwbAwV, § 3 Abs 2 SchwbAwV, Art 5 Abs 2 UNBehRÜbk, Art 3 Abs 3 S 2 GG

Instanzenzug: Az: S 23 SB 284 /18 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 5 SB 34/21 Urteil

Gründe

1I. In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit hat das LSG einen Anspruch des Klägers auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und B (Berechtigung für eine ständige Begleitung) verneint.

2Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt und mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, der Rechtsfehlerhaftigkeit des Urteils sowie einer Divergenz begründet.

3II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Der Kläger hat die von ihm geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der danach vorgeschriebenen Weise dargetan.

41. Die Beschwerdebegründung genügt zunächst nicht den Anforderungen aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG, soweit sich der Kläger auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft.

5Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sogenannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB - juris RdNr 14; - juris RdNr 6).

6Diese Anforderungen verfehlt der Kläger schon deshalb, weil er keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert. Es gehört nicht zu den Aufgaben des BSG, aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers selbst eine entsprechende Rechtsfrage herauszuarbeiten und zu formulieren. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (stRspr; zB - juris RdNr 19; - juris RdNr 8).

7Die genannten Anforderungen würden auch dann verfehlt, wenn man in dem Vortrag, die grundlegende Bedeutung der Rechtssache ergebe sich daraus, dass das LSG die psychischen hinter die physischen Leiden zurückstelle und damit gegen die UN-Behindertenrechtskonvention und anerkanntes geltendes Recht verstoße und die grundsätzliche Bedeutung hier in der Gleichstellung von inneren zu äußeren Leiden liege, eine oder mehrere Rechtsfragen nach der Bedeutung psychischer Leiden für die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen G und B erkennen wollte. Selbst dann hätte der Kläger weder die Klärungsbedürftigkeit noch die Klärungsfähigkeit dieser Frage formgerecht dargelegt.

8Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit hätte der Kläger neben der Darstellung der materiell-rechtlichen Regelungen im Einzelnen ausführen müssen, inwiefern die Frage nach der Bedeutung psychischer Leiden in Bezug auf die genannten Merkzeichen vom BSG bisher noch nicht geklärt ist. Hierzu gehört auch die Prüfung, ob sich aus der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung schon ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Problemstellung ergeben. Ist dies aber der Fall, so gilt eine Rechtsfrage als höchstrichterlich geklärt (vgl stRspr; zB - juris RdNr 7 mwN). Daher hätte der Kläger sich ua näher mit dem von ihm selbst angesprochenen - SozR 4-3250 § 69 Nr 21) befassen müssen. Darin hat das BSG ausgeführt, der umfassende Behindertenbegriff iS des § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX gebiete im Lichte des verfassungsrechtlichen als auch des unmittelbar anwendbaren UN-konventionsrechtlichen Diskriminierungsverbots (Art 3 Abs 3 Satz 2 GG; Art 5 Abs 2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen) die Einbeziehung aller körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigungen. Anspruch auf Merkzeichen G habe deshalb auch ein schwerbehinderter Mensch, der nach Prüfung des einzelnen Falles aufgrund anderer Erkrankungen als den in Teil D Nr 1 Buchst d bis f der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung genannten Regelfällen dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion gleichzustellen sei (BSG, aaO, RdNr 21). Dies hat der Kläger jedoch versäumt. Er behauptet zwar, dass dieses Urteil nur bedingt auf seine "Problematik" anzuwenden sei, führt aber nicht aus, warum dies nicht der Fall sein sollte.

9Schließlich hat der Kläger auch die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Fragestellung schon wegen einer fehlenden Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts nicht dargelegt. Nur mit einem Satz wird überhaupt der Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits gekennzeichnet. Insbesondere zeigt der Kläger nicht auf, welche der von ihm in der Beschwerdebegründung vorgetragenen Tatsachen vom LSG im angegriffenen Urteil festgestellt worden sind. Nur letztere können aber einer Entscheidung des BSG in der angestrebten Revision zugrunde gelegt werden. Ohne die Angabe der vom LSG festgestellten Tatsachen ist der Senat jedoch nicht in der Lage - wie erforderlich - allein aufgrund der Beschwerdebegründung die Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsfrage zu beurteilen (vgl stRspr; zB - juris RdNr 12; - juris RdNr 13, jeweils mwN).

10Der Kläger kann die ihm obliegende Sachverhaltsdarstellung auch nicht durch eine pauschale Bezugnahme auf das angegriffene Urteil oder "den bisherigen Vortrag nebst Beweisantritten" ersetzen. Das gesetzliche Erfordernis, bereits die Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BSG durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 Satz 1 SGG) begründen zu lassen, soll das Revisionsgericht entlasten und im wohlverstandenen Interesse aller die sorgfältige Vorbereitung des Verfahrens gewährleisten ( - juris RdNr 7; - SozR 3-1500 § 166 Nr 4 - juris RdNr 3 f). Diesem Ziel wird mit der bloßen Wiederholung des Vortrags aus den instanzgerichtlichen Verfahren ebenso wenig genügt, wie mit einer - nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässigen - Bezugnahme auf Schriftsätze, die in den Vorinstanzen eingereicht worden sind (stRspr; zB - juris RdNr 13 mwN). Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich den maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder der angegriffenen Entscheidung herauszusuchen (stRspr; zB - juris RdNr 5 mwN).

112. Den Zulassungsgrund der Divergenz hat der Kläger ebenfalls nicht formgerecht bezeichnet.

12Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze aus der Berufungsentscheidung und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen (stRspr; zB - juris RdNr 6). Zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl - juris RdNr 9; - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21; B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht infrage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge). Denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl - juris RdNr 16; - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 - juris RdNr 13).

13Der Kläger rügt zwar eine Abweichung des LSG von zwei Urteilen des BSG ( - SozR 4-3250 § 69 Nr 21 und B 9/9a SB 7/06 R - SozR 4-3250 § 146 Nr 1), jedoch benennt er keine Rechtssätze aus diesen Urteilen und auch keinen Rechtssatz aus dem Berufungsurteil, mit dem das LSG von den Rechtssätzen des BSG abgewichen sein könnte. Vielmehr rügt er, das LSG habe sich nicht mit der doppelten Kausalität zwischen Behinderung, beeinträchtigter Bewegungsfähigkeit und dem eingeschränkten Gehvermögen auseinandergesetzt. Insbesondere verbleibe es bei einer völlig unzutreffenden und vor allem unzureichenden Begründung sowie einer Subsumtion, die nicht zu der notwendigen Begründung des Berufungsurteils ausreichen könne. Damit rügt der Kläger aber keine Abweichung im Grundsätzlichen, sondern allein die unzutreffende Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht im Einzelfall. Mit diesem Vorbringen kann jedoch die Divergenzrüge - wie vorstehend aufgezeigt - nicht zulässig begründet werden. Vielmehr geht sein diesbezüglicher Vortrag nicht über eine unbeachtliche Subsumtionsrüge hinaus.

143. Dass der Kläger die Entscheidung des LSG inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB - juris RdNr 10; - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).

15Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

164. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:221123BB9SB1823B0

Fundstelle(n):
EAAAJ-56710