BGH Urteil v. - IV ZR 117/22

Rückabwicklung eines fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrags nach Widerspruch

Leitsatz

1. Eine Verbraucherinformation ist unvollständig, wenn sie keine Angaben über die Frist, während der ein Antragsteller an den Antrag gebunden sein sollte, enthält. Das Informationsbedürfnis des Versicherungsnehmers entfällt nicht deshalb, weil der Versicherer den Antrag innerhalb der vertraglichen oder gesetzlichen (§ 147 Abs. 2 BGB) Antragsbindungsfrist annimmt (Festhalten an Senatsurteil vom - IV ZR 68/17, VersR 2018, 1113).

2. Die Antragsbindungsfrist in Abschnitt I Nr. 1 Buchst. f) der Anlage Teil D zum VAG a.F. steht in Einklang mit der unionsrechtlichen Regelung des Art. 36 Abs. 3 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Lebensversicherungen.

Gesetze: § 147 Abs 2 BGB, § 812 Abs 1 S 1 BGB, § 5a Abs 1 S 1 VVG vom , § 10a Abs 1 S 1 VAG vom , Art 36 Abs 3 EGRL 83/2002

Instanzenzug: Az: 4 U 229/21vorgehend LG Meiningen Az: (247) 3 O 809/19

Tatbestand

1Der Kläger begehrt von dem beklagten Lebensversicherer die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrags nach Widerspruch.

2Der Versicherungsvertrag wurde aufgrund Antrags des Klägers vom abgeschlossen. Auf dem Antragsformular befand sich folgende Belehrung:

"Mir ist bekannt, dass ich innerhalb einer Frist von 2 Wochen nach Zustellung der Versicherungspolice zurücktreten kann. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn ich den Versicherungsschein erhalten habe."

3Die Beklagte nahm den Antrag des Klägers am mit Übersendung des Versicherungsscheins an.

4Der Kläger zahlte in der Folge die vereinbarten monatlichen Prämien. Auf die jeweiligen Anträge des Klägers änderte die Beklagte im Jahr 2006 das Bezugsrecht und im Jahr 2009/2010 die Anlagestrategie. Einen Zahlungsrückstand im Jahr 2008 glich der Kläger nach einer Mahnung mit Kündigungsandrohung der Beklagten aus. Der Kläger begehrte außerdem Ende des Jahres 2009 eine Reduzierung des monatlichen Beitrags und im November 2010, eine Einmaleinzahlung auf den Vertrag vornehmen zu dürfen. Anfang 2014 erhielt er auf seinen Antrag hin eine Teilauszahlung in Höhe von 14.481,87 €.

5Im Januar 2014 kündigte der Kläger den Vertrag und die Beklagte zahlte ihm einen Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom erklärte der Kläger den Widerspruch gegen das Zustandekommen des Versicherungsvertrages.

6Er meint insbesondere, der Vertrag sei wegen Unvollständigkeit der Verbraucherinformation hinsichtlich der Antragsbindungsfrist nach Abschnitt I Nr. 1 Buchst. f) der Anlage Teil D zum Versicherungsaufsichtsgesetz in der damals gültigen Fassung (im Folgenden: VAG a.F.) nicht im sogenannten Antragsmodell des § 8 VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: VVG a.F.), sondern nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG a.F. abgeschlossen worden. Mangels ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. sei die Widerspruchsfrist nicht in Gang gesetzt worden.

7Mit der Klage verlangt der Kläger Erstattung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge abzüglich der bereits ausgezahlten Beträge, ferner Herausgabe gezogener Nutzungen, insgesamt 9.459,81 € nebst Zinsen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

8Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

9I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger kein bereicherungsrechtlicher Rückabwicklungsanspruch zu. Der Versicherungsvertrag sei im Antragsmodell zustande gekommen. Das Unterbleiben der Mitteilung einer Antragsbindungsfrist sei im Streitfall ausnahmsweise unschädlich gewesen, weil dem Kläger daraus kein Nachteil im Hinblick auf die Wahrnehmung seiner Rechte entstanden sein könne. Eine solche Information hätte im konkreten Fall nicht einem berechtigten Informationsinteresse des Klägers gedient, weil die Beklagte den Versicherungsantrag binnen elf Tagen und damit vor Ablauf der Antragsbindungsfrist des § 147 Abs. 2 BGB angenommen habe. Ein Informationsinteresse des Versicherungsnehmers hinsichtlich der Dauer der Antragsbindungsfrist könne nur für den Fall bestehen, dass sein Vertragsangebot nicht innerhalb der gesetzlichen oder vertraglich vereinbarten Annahmefrist angenommen werde. Nur in diesem Fall ergäben sich für ihn Handlungsoptionen. Die Rücktrittsfrist sei bei Widerspruchserhebung seit Jahren abgelaufen gewesen. Auf die Frage der Verwirkung komme es damit nicht mehr an.

10II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

111. Die Revision, die sich nur gegen die fehlende Angabe der Antragsbindungsfrist in der Verbraucherinformation wendet, ist im geltend gemachten Umfang zulässig. Das Berufungsgericht hat ihre Zulassung wirksam auf die Frage beschränkt, ob die Beklagte gemäß Abschnitt I Nr. 1 Buchst. f) der Anlage Teil D zum VAG a.F. im Rahmen der erteilten Verbraucherinformation Angaben zur Antragsbindungsfrist machen musste. Zwar enthält die Entscheidungsformel des Berufungsurteils keinen Zusatz, der die Zulassung der Revision einschränkt. Die Beschränkung der Revisionszulassung kann sich aber auch aus den Entscheidungsgründen ergeben. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Tenor im Lichte der Entscheidungsgründe auszulegen und deshalb von einer beschränkten Revisionszulassung auszugehen ist, wenn sich die Beschränkung aus den Gründen klar ergibt. Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbstständigen Teil des Streitstoffs stellt (Senatsbeschluss vom - IV ZR 300/20, VersR 2022, 1571 Rn. 15).

12Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Berufungsgericht hat die Zulassung ausschließlich mit einer abweichenden Auffassung einiger Oberlandesgerichte zur Frage der Unbeachtlichkeit des Fehlens der Information zur Antragsbindungsfrist bei Annahme des Angebots vor Ablauf der Antragsbindungsfrist begründet. Damit hat es die Zulassung auf die Voraussetzungen des Abschnitts I Nr. 1 Buchst. f) der Anlage Teil D zum VAG a.F. beschränkt. Diese Frage kann in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig davon beantwortet werden, ob die Rücktrittsbelehrung ordnungsgemäß sowie die Verbraucherinformation hinsichtlich weiterer Angaben vollständig war (vgl. Senatsbeschluss vom - IV ZR 300/20, VersR 2022, 1571 Rn. 15).

132. Ein bereicherungsrechtlicher Rückabwicklungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kann dem Kläger mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.

14a) Der Vertrag ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht nach dem Antragsmodell, sondern nach dem Policenmodell geschlossen worden, weil die Beklagte bei Antragstellung die nach § 10a Abs. 1 Satz 1 VAG a.F. erforderliche Verbraucherinformation wegen des Fehlens der Angaben über die Antragsbindungsfrist nicht vollständig erteilt hat (vgl. , VersR 2018, 1113 Rn. 15, 17; vom - IV ZR 179/14, r+s 2015, 539 Rn. 11). Diese Angaben waren hier nicht ausnahmsweise entbehrlich.

15aa) Die gesetzliche Vorgabe an den Versicherer, dem (späteren) Versicherungsnehmer Angaben über die Frist mitzuteilen, während der Letzterer an seinen Antrag gebunden sein soll, steht in Einklang mit der unionsrechtlichen Regelung des Art. 36 Abs. 3 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Lebensversicherungen (ABl. EG 2002 L 345 S. 1). Danach kann der Mitgliedstaat von den Versicherungsunternehmen nur dann die Vorlage von Angaben zusätzlich zu den in Anhang III der Richtlinie 2002/83/EG genannten Auskünften verlangen, wenn diese für das tatsächliche Verständnis der wesentlichen Bestandteile der Versicherungspolice durch den Versicherungsnehmer notwendig und - nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - klar und genau genug sind, um dieses Ziel zu erreichen und insbesondere den Versicherungsunternehmen ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit zu bieten (vgl. , EU:C:2015:286 = VersR 2015, 702 Rn. 21; vom - C-386/00, EU:C:2002:136 = VersR 2002, 1011 Rn. 24 zu Art. 31 Abs. 3 Dritte Richtlinie Lebensversicherung).

16Diese Voraussetzungen erfüllt die Vorgabe aus Abschnitt I Nr. 1 Buchst. f) der Anlage Teil D zum VAG a.F. Die nach dieser Norm dem Antragsteller vom Versicherer zu erteilende Angabe zur Dauer seiner Gebundenheit an einen gestellten Antrag auf Abschluss eines Versicherungsvertrags betrifft ein wesentliches Merkmal des ihm angebotenen Versicherungsprodukts (vgl. , EU:C:2015:286 = VersR 2015, 702 Rn. 27), nämlich das Zustandekommen des Vertrags überhaupt. Die geforderte Angabe zur Antragsbindungsfrist ist hinreichend klar und eindeutig; sie erfasst insbesondere auch die mangels vertraglicher Vereinbarung geltende gesetzliche Antragsbindungsfrist des § 147 Abs. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 68/17, VersR 2018, 1113 Rn. 18 f.). Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist insoweit nicht veranlasst.

17bb) Wie der Senat bereits mit Urteil vom (IV ZR 68/17, VersR 2018, 1113) entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist eine Verbraucherinformation unvollständig, wenn sie keine Angaben über die Frist, während der der Antragsteller an den Antrag gebunden sein sollte, enthielt. Anderes gilt nur dann, wenn eine nach Abschnitt I der Anlage Teil D zum VAG a.F. vorgeschriebene Einzelinformation im konkreten Fall nicht einem berechtigten Informationsbedürfnis des Versicherungsnehmers diente. Ein solcher Ausnahmefall liegt jedoch bei einem (beabsichtigten) Vertragsschluss im Antragsmodell nicht vor. An der Information über die Antragsbindungsfrist bestand für den Antragsteller in diesem Fall vielmehr ein berechtigtes Interesse (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 16-19; vgl. auch Senatsurteil vom - IV ZR 8/19, VersR 2020, 208 Rn. 27). Sie verdeutlichte ihm den zeitlichen Rahmen, in dem der Vertrag durch Annahme seines Antrags seitens des Versicherers zustande kommen konnte. Der Antragsteller konnte dann abschätzen, ab wann er nicht mehr mit einer Annahme rechnen durfte und gegebenenfalls auf Produkte anderer Anbieter ausweichen musste (Senatsurteil vom aaO Rn. 19). Die Angabe des Zeitraums, in dem der Antragsteller an seinen Versicherungsantrag gebunden ist, war für ihn gerade auch während der andauernden Bindung von Bedeutung. In diesem Zeitraum brauchte er sich nicht um den Abschluss anderweitiger vergleichbarer Verträge zu bemühen, wenn er eine mehrfache Bindung vermeiden wollte, weil er davon ausgehen musste, dass sein Antrag seitens des Versicherers noch angenommen würde. Daher musste ihm auch die gesetzliche Frist des § 147 Abs. 2 BGB, innerhalb derer er den Eingang der Antwort des Versicherers unter regelmäßigen Umständen erwarten durfte, vor Augen geführt werden (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 19).

18Über diese Antragsbindungsfrist hat die Beklagte den Kläger hier bei Antragstellung unstreitig nicht informiert.

19cc) Dieses Informationsbedürfnis entfällt weder deshalb, weil der Versicherer den Antrag in der Folge binnen der - vertraglich vereinbarten oder, wie hier, der gesetzlichen (§ 147 Abs. 2 BGB) - Antragsbindungsfrist annimmt, noch bleibt es dadurch - wie das Berufungsgericht meint - vergleichbar mit den Rechtsfolgen einer nicht eingetretenen Bedingung aus (vgl. OLG Frankfurt VersR 2023, 834 [juris Rn. 71 f.]; NJW-RR 2022, 1199 Rn. 40-42; OLG Rostock, Urteil vom - 4 U 51/21, juris Rn. 99 f.).

20Die streitgegenständliche Verbraucherinformation war unvollständig, weil sie keine Angaben über die Frist, während der ein Antragsteller an den Antrag gebunden sein sollte, enthielt. Die vom Berufungsgericht angeführten Umstände zur Entbehrlichkeit der Fristangabe betreffen ausschließlich die Auswirkungen auf den konkreten Fall. Für die Frage der Ordnungsgemäßheit der Widerspruchsbelehrung kommt es auf derartige Kausalitätserwägungen aber nicht an (vgl. , r+s 2017, 130 Rn. 12 m.w.N.; vom - IV ZR 201/14, juris Rn. 12). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts folgt etwas anderes auch nicht aus dem Senatsurteil vom (IV ZR 68/17, VersR 2018, 1113 Rn. 16; vgl. insoweit auch OLG Frankfurt VersR 2023, 834 [juris Rn. 72]; OLG Rostock, Urteil vom - 4 U 51/21, juris Rn. 100; OLG Rostock VuR 2021, 278 [juris Rn. 7]). Soweit der Senat dort ausgeführt hat, dass das Fehlen einer einzelnen Information in der Verbraucherinformation ausnahmsweise nicht zur Anwendung des Policenmodells führt, wenn die Einzelinformation im konkreten Fall nicht einem berechtigten Informationsbedürfnis des Versicherungsnehmers diente (aaO Rn. 15-17), bezieht sich das zu hinterfragende Informationsbedürfnis nicht auf den individuellen Einzelfall des konkreten Versicherungsnehmers, sondern auf Zweck und Zielrichtung der fehlenden Einzelinformation.

21dd) Die Geltendmachung des Widerspruchsrechts des Klägers wegen der fehlenden Angabe über die Antragsbindungsfrist mit der Folge, dass ein Vertragsschluss im Antragsmodell ausscheidet, ist auch nicht rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB).

22(1) Diese Einwendung steht der Ausübung des Widerspruchsrechts zwar entgegen, wenn mit dem Widerspruchsrecht eine bloß formal bestehende Rechtsposition ohne schutzwürdiges Eigeninteresse des Versicherungsnehmers ausgenutzt wird (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 32/20, VersR 2021, 437 Rn. 17). Diese Voraussetzungen liegen aber, wie sich mangels Besonderheiten des Einzelfalls bereits aus den Ausführungen zum Informationsinteresse des Versicherungsnehmers an der Angabe der Antragsbindungsfrist bei Abschluss des Versicherungsvertrages im Antragsmodell ergibt, nicht vor.

23(2) Ein die Ausübung des Widerspruchsrechts hindernder Rechtsmissbrauch liegt auch nicht nach den Grundsätzen vor, die der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom (Rust-Hackner u.a., C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, EU:C:2019:1123 = NJW 2020, 667) zur Fehlerhaftigkeit der Belehrung über das Vertragslösungsrecht aufgestellt hat und denen der Senat folgt (Urteil vom - IV ZR 353/21, r+s 2023, 298 Rn. 14). Danach wäre es unverhältnismäßig, es dem Versicherungsnehmer zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen, wenn ihm durch die fehlerhafte Belehrung nicht die Möglichkeit genommen wurde, sein Rücktritts- bzw. Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben ( aaO Rn. 79; Senatsurteil vom aaO Rn. 14).

24Ob diese für die Widerspruchsbelehrung geltenden Grundsätze auf fehlende oder fehlerhafte Angaben im Rahmen der Verbraucherinformation übertragbar sind, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn es handelt sich bei der fehlenden Information über die Antragsbindungsfrist jedenfalls nicht um einen nur geringfügigen Mangel (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 353/21, r+s 2023, 298 Rn. 14-16). Der Gesetzgeber hielt die Aufnahme der zuvor in geschäftsplanmäßigen Erklärungen vorgesehenen Antragsbindungsfristen in das Gesetz für geboten, "zumal die Vorschrift des § 10a nach § 110a auch für Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten und Vertragsstaaten gelten soll, bei denen die Möglichkeit entfällt, im Erlaubnisverfahren eine geschäftsplanmäßige Erklärung zu verlangen" (BT-Drucks. 12/6959 S. 99 re. Sp.), bevorzugte mithin sogar eine aufsichtsrechtliche Genehmigung von Regelungen zur Antragsbindungsfrist, was für ein über die Schwelle der Geringfügigkeit hinausgehendes Gewicht der diesbezüglichen Information spricht. Zudem hat die Information jedenfalls während der Dauer der Bindungsfrist mehr als geringfügige Bedeutung für den Versicherungsnehmer, da er so erkennen kann, dass er zunächst davon absehen sollte, weitere Dispositionen zu treffen, will er eine mehrfache (vorläufige) Bindung vermeiden.

25b) Da der Versicherungsvertrag mangels vollständiger Verbraucherinformation im Policenmodell abgeschlossen wurde, hätte die Beklagte den Kläger über das ihm gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. zustehende Widerspruchsrecht ordnungsgemäß belehren müssen (§ 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.). Eine wirksame Widerspruchsbelehrung hat die Beklagte nicht erteilt. Selbst wenn die Rücktrittsbelehrungen, die sie dem Kläger übergeben hat, als Widerspruchsbelehrungen ausgelegt würden, fehlte es dort jedenfalls an der Angabe der bei einem Widerspruch zu wahrenden Form, hier der Textform (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 13 ff.). Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung führt dazu, dass das Widerspruchsrecht nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fortbestand. Das ergibt sich aus der richtlinienkonformen Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17 f.).

26III. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung sowie zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), weil sich dieses - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - mit dem Einwand der Beklagten, der Kläger könne sein Widerspruchsrecht nach Treu und Glauben wegen besonders gravierender Umstände des Einzelfalls (vgl. , VersR 2023, 1151 Rn. 9; vom - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 21 m.w.N.; st. Rspr.) nicht mehr ausüben, noch nicht befasst hat und gegebenenfalls auch die Höhe des Anspruchs noch klären müsste.

27Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zum Einwand von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist im Streitfall auch angesichts der neueren Entscheidungen des Gerichtshofs (Urteile vom , A u.a. [Unit-Linked-Versicherungsverträge], C-143/20 und C-213/20, EU:C:2022:118 = NJW 2022, 1513; vom , Volkswagen Bank u.a., C-33/20, C-155/20 und C-187/20, EU:C:2021:736 = NJW 2022, 40; vom , Rust-Hackner u.a., C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, EU:C:2019:1123 = NJW 2020, 667) und des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom (VersR 2022, 1252) schon mangels abschließender Entscheidung des Senats nicht veranlasst (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 25). Mit Urteil vom (IV ZR 268/21, VersR 2023, 1151) hat der Senat in diesem Zusammenhang zudem entschieden und im Einzelnen begründet, dass auch unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union daran festzuhalten ist, dass die Geltendmachung des Widerspruchsrechts gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung ausnahmsweise Treu und Glauben (§ 242 BGB) widersprechen und damit unzulässig sein kann, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind, und zu diesem Einwand eine Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht geboten ist (Senatsurteil vom aaO Rn. 9, 13 ff.).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:291123UIVZR117.22.0

Fundstelle(n):
WM 2024 S. 124 Nr. 3
JAAAJ-56503