BGH Beschluss v. - AK 90/23

Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus bei Ahndung der Beihilfe zum Mord und zum versuchten Mord

Gesetze: § 26 StGB, § 27 StGB, § 121 Abs 1 StPO

Instanzenzug: Az: 3 BGs 106/23

Gründe

I.

1Der Angeschuldigte befindet sich seit dem ununterbrochen in Untersuchungshaft aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des ).

2Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe in der Zeit vom 18. auf den in S.       vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat, nämlich einem heimtückisch und mit gemeingefährlichen Mitteln begangenen Mord und versuchten Mord in 20 tateinheitlichen Fällen, aus niedrigen Beweggründen Hilfe geleistet, strafbar gemäß § 211 Abs. 1 und 2, § 212 Abs. 1, §§ 22, 23 Abs. 1, § 27 Abs. 2, § 52 StGB.

3Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat am (3 BGs 188/23) auf einen Haftprüfungsantrag hin beschlossen, dass der Haftbefehl aufrechterhalten und in Vollzug bleibe. Der Generalbundesanwalt hat am wegen des Tatvorwurfs Anklage beim Oberlandesgericht Koblenz erhoben.

II.

4Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

51. Der Angeschuldigte ist der ihm mit dem Haftbefehl zur Last gelegten Tat dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).

6a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines solchen Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

7Der Angeschuldigte war bereits Anfang der 1990er Jahre von nationalsozialistischen Überzeugungen geprägt. Er war Anführer der rechtsextrem ausgerichteten Skinhead-Szene in S.      , zu der auch der anderweitig - nicht rechtskräftig - verurteilte Sc.      und der gesondert verfolgte Sch.    gehörten. Mit diesen beiden suchte er am nach 23:00 Uhr eine Gaststätte in S.      auf und unterhielt sich mit ihnen über die damals gehäuft stattfindenden rechtsextremistischen Anschläge auf Asylbewerberheime. In diesem Zusammenhang äußerte er gegenüber den anderen beiden, „hier müsste auch mal sowas“ brennen oder passieren. Dabei war ihm bewusst und nahm er aufgrund seiner Gesinnung in Kauf, dass er angesichts seiner einflussgebenden Rolle die anderen zu einem Angriff auf eine Flüchtlingsunterkunft vor Ort mit gegebenenfalls tödlichen Folgen für die Bewohner veranlassen könnte.

8Nachdem die drei Gesinnungsgenossen die Gaststätte nach 01:00 Uhr verlassen und sich getrennt hatten, beschaffte sich der gesondert abgeurteilte Sc.     einen Kanister mit Benzin und legte damit gegen 03:30 Uhr aus Fremdenhass einen Brand in einem in der Nähe gelegenen Wohnheim für Asylbewerber. Ihm war klar, dass die Bewohner nicht mit einem Angriff rechneten, er die Ausbreitung der Flammen nicht kontrollieren konnte und so eine unbestimmte Anzahl von Personen in Gefahr brachte. Die entstandene Feuerwalze traf im Flur des Dachgeschosses einen ghanaischen Staatsangehörigen, der Verbrennungen zweiten und dritten Grades am gesamten Körper sowie eine Rauchvergiftung erlitt und noch am selben Tag verstarb. Zwei weitere Personen, die angesichts des Feuers aus dem Fenster gesprungen waren, zogen sich Knochenbrüche zu. Die übrigen 18 Bewohner konnten sich unverletzt über die Feuerleiter sowie Fenster und Balkon in Sicherheit bringen.

9b) Der Angeschuldigte hat sich dahin eingelassen, zwar tonangebend in der Szene gewesen zu sein, aber die ihm vorgeworfene Äußerung nicht getätigt zu haben.

10Der dringende Tatverdacht beruht hinsichtlich der örtlichen rechtsradikalen Szene zur Tatzeit auf mehreren Zeugenaussagen und wird vom Angeschuldigten, der vor seiner Festnahme wiederholt als Zeuge vernommen worden ist, in wesentlichen Punkten bestätigt. Zu dem Treffen in der Nacht des Brandanschlags hat der zu der Dreiergruppe gehörende Sch.    in mehreren Aussagen bekundet, dass der Angeschuldigte in der Gaststätte gesagt habe, in S.      müsse auch mal etwas passieren. Nach der derzeit gebotenen vorläufigen Würdigung sind die Angaben ausreichend tragfähig, eine dringende Verdachtslage zu begründen. Eine abschließende Beurteilung der Glaubhaftigkeit bleibt einer etwaigen Hauptverhandlung vorbehalten. Die Mitteilung des Beschuldigten Sch.     am Ende einer Vernehmung, dass bei ihm unter Dauerbelastung „do oben nix“ mehr klappe, ändert daran nichts. Es ist schon nicht ersichtlich, dass er unter einer solchen Belastung gestanden hat, als er erstmals von sich aus über die dem Angeschuldigten zur Last gelegten Worte berichtet hat. Überdies handelt es sich bei dem Hinweis auf gewisse Einschränkungen augenscheinlich um eine eher pauschale Entschuldigung für mangelnde Konzentrationsfähigkeit nach einer mehrstündigen Vernehmung. Durchgreifende Einschränkungen der Erinnerungs- oder Wiedergabefähigkeit sind dem nicht zu entnehmen, zumal unter Berücksichtigung des Umfangs und des Inhalts seiner Aussagen im Übrigen. Jedenfalls tragen die Angaben des Zeugen beziehungsweise Beschuldigten, anders als von der Verteidigung nahegelegt, einen dringenden Tatverdacht, ohne dass es zuvor der Einholung eines aussagepsychologischen oder psychiatrischen Gutachtens bedarf.

11Dem dringenden Tatverdacht steht ferner nicht entgegen, dass der bei dem Treffen vor dem Brandanschlag ebenfalls anwesende Sc.     die dem Angeschuldigten vorgeworfene Äußerung bestritten hat. Denn es liegt angesichts der sich aus der gegenwärtigen Beweislage ergebenden Umstände nicht fern, dass er sich hierdurch bemüht hat, den Angeschuldigten zu Unrecht zu entlasten.

12Dass der gesondert verfolgte Sc.       hochwahrscheinlich den durch eine Vielzahl von Beweismitteln belegten Brandanschlag verübte, beruht auf der Aussage einer Zeugin, der zufolge er ihr gegenüber die Tat eingeräumt habe. Dies fügt sich in weitere Erkenntnisse ein, etwa zu seinem Verhalten nach dem Anschlag. Schließlich hat er in der gegen ihn geführten Hauptverhandlung einerseits seine Beteiligung an der Brandlegung eingeräumt, andererseits als eigentlichen Täter den anderweitig verfolgten Sch.    benannt. Nach vorläufiger Würdigung kommt der vorrangig diesen belastenden Einlassung unter anderem mit Blick auf die Aussageentwicklung seit dem Jahr 1991 keine besondere Überzeugungskraft zu.

13Die sich nach der Beweislage ergebenden äußeren Umstände ermöglichen den Rückschluss auf die innere Tatseite. Zudem sprechen sie dafür, dass die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Äußerung für den vermutlichen Haupttäter sowie sein Handeln von besonderer Bedeutung war. Ob sich die nachdrücklichen Worte nach dem Zusammenhang sowohl objektiv als auch subjektiv bereits auf den späteren Tatort und eine zeitnahe Ausführung bezogen oder eher allgemeinen Charakter hatten, bedarf für die Frage der Haftfortdauer keiner abschließenden Beurteilung.

14Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zur gegenwärtigen Beweislage wird auf die Ausführungen im Haftbefehl und das in der Anklageschrift dargelegte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen Bezug genommen.

15c) In rechtlicher Hinsicht hat sich der Angeschuldigte demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest wegen Beihilfe zum Mord und zum versuchten Mord in 20 tateinheitlichen Fällen strafbar gemacht (§§ 211, 22, 23, 27, 52 StGB).

16aa) Hilfeleistung im Sinne des § 27 StGB ist - bei Erfolgsdelikten - grundsätzlich jede Handlung, welche die Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert; dass sie für den Eintritt dieses Erfolges in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Weise kausal wird, ist nicht erforderlich. Beihilfe kann schon im Vorbereitungsstadium der Tat geleistet werden, selbst zu einem Zeitpunkt, in dem der Haupttäter zur Tatbegehung noch nicht entschlossen ist. Sie kommt auch in der Form sogenannter psychischer Beihilfe in Betracht, indem der Haupttäter ausdrücklich oder auch nur konkludent in seinem Willen zur Tatbegehung, sei es auch schon in seinem Tatentschluss, bestärkt wird (st. Rspr.; s. etwa , BGHSt 61, 252 Rn. 17 mwN). Die Annahme allein psychischer Beihilfe bedarf genauer Feststellungen, insbesondere zur objektiv fördernden Funktion sowie zur entsprechenden Willensrichtung des Gehilfen sowie gegebenenfalls zu einer konkludenten Verständigung zwischen Haupttäter und diesem (, juris Rn. 27 mwN).

17Die Anforderungen an den Vorsatz sind bei der Beihilfe geringer als bei der Anstiftung. Der Gehilfenvorsatz muss die Unterstützungshandlung umfassen und sich auf die Vollendung einer vorsätzlich begangenen Haupttat richten, wobei es genügt, dass der Gehilfe die wesentlichen Merkmale der Haupttat, insbesondere ihre Unrechts- und Angriffsrichtung erkennt (, wistra 2015, 148 Rn. 33 mwN; vgl. auch , juris Rn. 10 mwN).

18bb) Daran gemessen begründet die Beweislage einen dringenden Verdacht, dass sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand der Beihilfe zum Mord sowie zum versuchten Mord in 20 tateinheitlichen Fällen erfüllt sind und sich der Angeschuldigte dementsprechend strafbar gemacht hat.

19Die mutmaßliche Haupttat ist nach gegenwärtigem Sachstand als - heimtückisch, aus niedrigen Beweggründen und mit gemeingefährlichen Mitteln begangener - Mord in Tateinheit mit versuchtem Mord in 20 tateinheitlichen Fällen gemäß §§ 211, 22, 23, 52 StGB zu werten (vgl. , juris Rn. 18). Zudem besteht der Verdacht, dass die Äußerungen des Angeschuldigten die Tat des gesondert Verfolgten förderten und der - selbst aus niedrigen Beweggründen handelnde - Angeschuldigte darum wusste.

20Angesichts seiner leitenden Bedeutung für die „rechte Szene“, seines individuellen Einflusses auf den gesondert Verfolgten und der durch vergleichbare Straftaten aufgeheizten Stimmung liegt nahe, dass er den mutmaßlichen Haupttäter mit seiner eher pauschal gehaltenen Aufforderung in seinem Handeln bestärkte, wenn er nicht sogar einen maßgeblichen Tatimpuls setzte und der Täter ohne die zustimmende Äußerung die Tat nicht begangen hätte.

21In subjektiver Hinsicht war dem Angeschuldigten - ausgehend von der bisherigen Verdachtslage - seine einflussgebende Rolle auf den gesondert Verfolgten ebenso wie der Gesprächskontext seiner Worte bekannt. Da sich diese dahin verstehen lassen, dass ein von Ausländern bewohntes Gebäude in der Umgebung aus fremdenfeindlicher Gesinnung in Brand gesetzt werden sollte und dabei naheliegend Menschen zu Tode kommen könnten, sind Unrechtsgehalt und Angriffsrichtung in wesentlichen Zügen ersichtlich.

22cc) Einer Ahndung der Beihilfe zum Mord und zum versuchten Mord steht gemäß § 78 Abs. 2 StGB keine Verfolgungsverjährung entgegen (vgl. , BGHR StPO § 1 Überleitungsvertrag 1; Beschluss vom - StB 6/21 u.a., NJW 2022, 795 Rn. 9).

23dd) Da gegenwärtig zumindest ein Verdacht auf eine die Haftfortdauer tragende Beihilfehandlung des Angeschuldigten gegeben ist, bedarf derzeit keiner Vertiefung, ob überdies zureichende Anhaltspunkte für die schwerere Beteiligungsform der Anstiftung vorliegen (vgl. zum Rangverhältnis , NStZ 1994, 29, 30). Eine solche Anstiftung muss sich auf eine konkret-individualisierte Tat beziehen. Welche zur Tatindividualisierung tauglichen Merkmale jeweils erforderlich sind, entzieht sich dabei einer abstrakt-generellen Bestimmung und kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls entschieden werden (s. , NStZ-RR 2021, 273, 274; vgl. zur Konkretisierung auch , BGHSt 34, 63, 64 ff.; Beschlüsse vom - 1 StR 586/19, juris Rn. 7 mwN; vom - 2 StR 362/16, juris).

242. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des Haftbefehls ergeben sich aus § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a, § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG. Der spezifische staatsgefährdende Charakter folgt aus der Tatmotivation, die der Ablehnung des freiheitlich demokratischen Staats- und Gesellschaftssystems der Bundesrepublik mit seiner Gewährleistung des Ausschlusses jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft gegenüber Minderheiten entspringt. Die besondere Bedeutung der nach dem derzeitigen Ermittlungsstand aus einer rechtsextremistischen, ausländerfeindlichen Gesinnung heraus begangenen Tat ergibt sich daraus, dass diese geeignet war und ist, gerade bei ausländischen Mitbürgern und weiteren in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Minderheiten ein Klima der Angst vor willkürlichen und gewaltsamen Angriffen zu schaffen; außerdem besteht die Gefahr einer Signalwirkung solcher Taten für mögliche Nachahmungstäter (s. in Bezug auf die Haupttat bereits , juris Rn. 19 mwN).

253. Es besteht weiterhin aus den im Haftbefehl näher dargelegten Erwägungen jedenfalls der Haftgrund der Schwerkriminalität nach § 112 Abs. 3 StPO, auch bei dessen gebotener restriktiver Auslegung (s. , juris Rn. 30 f.). Insofern kann insbesondere die zwar nicht mit bestimmten Tatsachen belegbare, aber nach den Umständen des Falls doch nicht auszuschließende Flucht- oder Verdunkelungsgefahr genügen (vgl. , juris Rn. 12 mwN).

26Eine Fluchtgefahr kommt bereits angesichts der erheblichen Straferwartung in Betracht. Hinzu tritt, dass der Angeschuldigte angesichts seiner jahrzehntelangen Einbindung in die rechtsextreme Szene bei einem etwaigen Untertauchen voraussichtlich mit Unterstützung rechnen kann. Vor diesem Hintergrund sind die fluchthemmenden Gesichtspunkte wie seine Berufstätigkeit und Mitgliedschaft im Betriebsrat, die Nutzung einer Eigentumswohnung und eine längere Partnerschaft nicht von solchem Gewicht, dass sie das Risiko ausschließen, er werde sich dem weiteren Verfahren entziehen.

27Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO erreicht werden, die bei dem Haftgrund der Schwerkriminalität ebenfalls zu erwägen sind (s. , NStZ-RR 2022, 351, 353 mwN).

284. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer.

29Eine wesentliche Grundlage der Ermittlungen ist das gegen den gesondert Verfolgten Sc.     gerichtete Verfahren. Die gegen diesen geführte Hauptverhandlung ist am mit dessen bislang nicht rechtskräftiger Verurteilung zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten wegen Mordes sowie weiterer Delikte beendet worden. Es sind die sich aus der Hauptverhandlung ergebenden Erkenntnisse mit den bereits zuvor vorliegenden Ermittlungsergebnissen abzugleichen und die bei der Verhaftung des Angeschuldigten sichergestellten Datenträger auszuwerten gewesen, unter anderem mit hunderttausenden Bilddateien. Der Generalbundesanwalt hat zur Beschleunigung die Anklage bereits erhoben, bevor die Auswertung sämtlicher Medien abgeschlossen gewesen ist. Nach Eingang der Anklage beim Oberlandesgericht hat der Vorsitzende des mit der Sache befassten Senats das Verfahren ebenfalls zügig gefördert und die Erklärungsfrist zur Anklage auf Antrag des Verteidigers bis zum verlängert.

305. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Schäfer                    Hohoff                    Anstötz

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:131223BAK90.23.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-56254