Sortenschutzverletzung: Zumutbarkeit der konkreten Erwiderung auf Vortrag des Gegners zur Erzeugung der Sortenbestandteile oder des Ernteguts; Ausschluss der Rechte in Bezug auf das Erntegut; hinreichende Gelegenheit zur Geltendmachung des Rechts im Zusammenhang mit den zur Erzeugung von Erntegut eingesetzten Sortenbestandteilen - Erntegut
Leitsatz
Erntegut
1. Im Rechtsstreit um eine Sortenschutzverletzung kann von der in Anspruch genommenen Partei - ebenso wie in einem Rechtsstreit um eine Patentverletzung (dazu , GRUR 2023, 474 - CQI-Bericht II) - grundsätzlich verlangt werden, dass sie im Rahmen des Zumutbaren auf Vortrag des Gegners zur Erzeugung der Sortenbestandteile oder des Ernteguts konkret erwidert.
2a. Rechte in Bezug auf Erntegut sind nach Art. 13 Abs. 3 GemSortV nicht schon dann ausgeschlossen, wenn der Berechtigte die rechtliche Möglichkeit hatte, sein Recht im Zusammenhang mit den Sortenschutzbestandteilen geltend zu machen. Vielmehr ist erforderlich, dass der Berechtigte auch tatsächlich über hinreichende Möglichkeiten verfügt hat, sein Recht in Bezug auf die zur Gewinnung des Ernteguts eingesetzten Sortenbestandteile geltend zu machen.
2b. Eine hinreichende Gelegenheit, das Recht im Zusammenhang mit den zur Erzeugung von Erntegut eingesetzten Sortenbestandteilen geltend zu machen, setzt voraus, dass der Berechtigte schon im Vorfeld sicherstellen kann, dass Benutzungshandlungen in Bezug auf diese Sortenbestandteile nur mit seiner Zustimmung erfolgen.
Gesetze: § 138 Abs 4 ZPO, Art 13 Abs 2 EGV 2100/94, Art 13 Abs 3 EGV 2100/94, Art 94 EGV 2100/94, Art 14 PflZSchÜbk
Instanzenzug: Az: I-15 U 38/21 Urteilvorgehend Az: 4c O 32/20 Urteilnachgehend Az: X ZR 70/22 Beschluss
Tatbestand
1Die Klägerin nimmt die Beklagte im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft für eine Vielzahl von Rechtsinhabern, die zu ihren Gesellschaftern gehören, wegen Sortenschutzverletzung in Anspruch.
2Für die in den Klageanträgen bezeichneten Getreidesorten (im Folgenden: Klagesorten) besteht oder bestand Sortenschutz gemäß der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl. L 227 S. 1, im Folgenden: GemSortV oder Verordnung).
3Die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden vereinfachend: die Beklagte) veräußerte Erntegut, das sie in den Wirtschaftsjahren 2013/2014 bis 2017/2018 von drei verschiedenen Landwirten als Konsumware erworben hatte. Die Landwirte hatten das Erntegut aus Vermehrungsmaterial erzeugt, welches sie von drei weiteren Landwirten bezogen hatten.
4Im Juni 2019 überprüfte die Klägerin die Betriebe der Lieferanten und Vorlieferanten der Beklagten auf die Einhaltung der sortenschutzrechtlichen Vorschriften. Im Anschluss daran gaben die überprüften Unternehmen gegenüber der Klägerin strafbewehrte Unterlassungserklärungen ab. Eine Abmahnung der Beklagten blieb erfolglos.
5Das Landgericht hat der Beklagten antragsgemäß verboten, ohne Zustimmung der (in der Entscheidungsformel jeweils namentlich benannten) Berechtigten Erntegut der Klagesorten anzubieten, zu verkaufen, sonst in den Verkehr zu bringen oder zu einem dieser Zwecke aufzubewahren, wenn zur Erzeugung Sortenbestandteile ohne Zustimmung der Berechtigten verwendet wurden und diese keine Gelegenheit hatten, ihre Sortenschutzrechte hinsichtlich der Verwendung dieser Sortenbestandteile geltend zu machen. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
6Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte den Antrag auf Klageabweisung weiter. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Gründe
7Die zulässige Revision ist nicht begründet.
8I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung (GRUR 2022, 1586) im Wesentlichen wie folgt begründet:
9Die Beklagte habe die Sortenschutzrechte an den Klagesorten verletzt, indem sie in den in Rede stehenden Wirtschaftsjahren Erntegut ohne Zustimmung der Sortenschutzinhaber oder ausschließlich Nutzungsberechtigten (im Folgenden: Berechtigte) zum Verkauf angeboten und verkauft habe.
10Nach den bindenden Feststellungen des Landgerichts sei es zwischen den Parteien unstreitig gewesen, dass es sich bei dem an die Beklagte verkauften Erntegut um solches der Klagesorten handele. Das Bestreiten mit Nichtwissen erstmals in zweiter Instanz müsse nach § 531 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt bleiben. Darüber hinaus sei ein Bestreiten mit Nichtwissen nach § 138 Abs. 4 ZPO unzulässig. Die Beklagte treffe insoweit eine Erkundigungspflicht. Dasselbe gelte hinsichtlich der Frage, ob die Lieferanten das Erntegut ohne Zustimmung der Berechtigten aus nicht lizenziertem Saatgut erzeugt hätten.
11Eine Zustimmung der Berechtigten zum Anbieten und Verkauf des Erntegutes durch die Beklagte sei unstreitig nicht erteilt worden.
12Bei Handlungen in Bezug auf Erntegut sei eine Zustimmung nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. c oder d GemSortV durch den Sortenschutzinhaber nur dann erforderlich, wenn die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 3 GemSortV erfüllt seien. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall gegeben. Maßgeblich sei, ob der Sortenschutzinhaber zum Zeitpunkt der unerlaubten Verwendung der Sortenschutzbestandteile hinreichend Gelegenheit gehabt habe, die Handlung zu gestatten oder zu verbieten. Daran fehle es im Streitfall, weil die Berechtigten keine Kenntnis vom Einsatz der Sortenbestandteile zur Erzeugung von Erntegut gehabt hätten.
13Ohne rechtliche Bedeutung bleibe somit, dass die von der Klägerin vertretenen Berechtigten von den auf den vorangehenden Stufen agierenden Landwirten bereits Vergütungs- bzw. Schadensersatzleistungen erhalten hätten. Allein in der Geltendmachung und Entgegennahme von Schadensersatz wegen einer Verletzung eines gewerblichen Schutzrechts sei keine Genehmigung der Verletzungshandlung zu sehen.
14II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.
15Die Klägerin kann gemäß Art. 94 Abs. 1 Buchst. a GemSortV von der Beklagten die Unterlassung der beanstandeten Handlungen verlangen.
161. Die Beklagte hat Erntegut zum Verkauf angeboten, verkauft und für diese Zwecke aufbewahrt und damit Handlungen im Sinne von Art. 13 Abs. 2 Buchst. c, d und g GemSortV vorgenommen.
172. Gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Lieferanten der Beklagten für die Erzeugung des Ernteguts geschützte Sortenbestandteile verwendet haben, wendet sich die Revision nicht.
183. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Lieferanten und Vorlieferanten das von der Beklagten veräußerte Erntegut ohne Zustimmung der Berechtigten aus Saatgut der Klagesorten erzeugt haben.
19a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war die Beklagte allerdings nicht schon durch § 531 Abs. 2 ZPO gehindert, den diesbezüglichen Vortrag der Klägerin mit Nichtwissen zu bestreiten.
20Im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils wird das betreffende Vorbringen zwar an einer Stelle als unstreitig dargestellt. Aus der Darstellung des Beklagtenvorbringens geht jedoch hervor, dass die Beklagte das in Rede stehende Vorbringen schon in erster Instanz mit Nichtwissen bestritten hat. Diese Ausführungen nehmen an der in § 314 ZPO normierten Beweiskraft des Tatbestands teil. Das Berufungsgericht durfte das Bestreiten mit Nichtwissen deshalb nicht als neues Verteidigungsmittel ansehen.
21b) Zu Recht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, dass die Beklagte den Vortrag der Klägerin nicht wirksam mit Nichtwissen bestreiten kann.
22aa) Nach § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung sind.
23Bei juristischen Personen sind insoweit die Handlungen und Wahrnehmungen ihrer gesetzlichen Vertreter maßgeblich. Darüber hinaus hat eine Partei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Obliegenheit, sich die für ein qualifiziertes Bestreiten erforderlichen Informationen zu verschaffen, soweit es sich um Vorgänge im Bereich von Personen handelt, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind (vgl. nur , BGHZ 109, 205, 209; Urteil vom - I ZR 3/09, GRUR 2010, 1107, 1108 - JOOP!; Urteil vom - X ZR 123/20, GRUR 2023, 474 Rn. 27 - CQI-Bericht II).
24bb) Danach reicht es grundsätzlich nicht aus, wenn eine Partei, die als sortenschutzverletzend angegriffene Sortenbestandteile oder Erntegut anbietet oder in Verkehr bringt, konkretes Vorbringen der Gegenseite zur maßgeblichen Sorte und zur Erzeugung mit Nichtwissen bestreitet. Dasselbe gilt hinsichtlich der fehlenden Zustimmung der Sortenschutzinhaber.
25(1) Wer ein Erzeugnis anbietet oder in Verkehr bringt, darf sich der Verantwortung für eine darin liegende Rechtsverletzung nicht dadurch entziehen, dass er die Rechtsverletzung nicht zur Kenntnis nimmt. Wenn eine solche Partei nicht selbst über die relevanten Informationen verfügt, ist sie im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren gehalten, sich diese Informationen von Dritten zu verschaffen, etwa durch Nachfrage bei den Lieferanten.
26Eine Prüfpflicht besteht nach der Rechtsprechung des Senats jedenfalls für diejenigen Händler von Erntegut, die ein Erzeugnis beziehen, ohne sich bei ihren Lieferanten zu vergewissern, dass die notwendige Überprüfung von diesem oder einem früheren Glied in der Vertriebskette mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt worden ist (, GRUR 2006, 575, Rn. 28 - Melanie).
27Im Rechtsstreit um eine Sortenschutzverletzung kann von der in Anspruch genommenen Partei deshalb - ebenso wie in einem Rechtsstreit um eine Patentverletzung (dazu , GRUR 2023, 474 - CQI-Bericht II) - grundsätzlich verlangt werden, dass sie im Rahmen des Zumutbaren auf Vortrag des Gegners zur Erzeugung der Sortenbestandteile oder des Ernteguts konkret erwidert.
28(2) Entgegen der Auffassung der Revision ergeben sich daraus keine unzumutbaren Anforderungen für den in Anspruch Genommenen.
29Die Obliegenheit, auf substantiierten Vortrag konkret zu erwidern, steht in Einklang mit den materiellen Prüfpflichten, denen ein Händler unterliegt. Diese sind zum wirksamen Schutz bestehender Sortenschutzrechte erforderlich. Sie sind auch zumutbar, weil es in der Regel zumindest ein Glied in der Lieferkette gibt, das über die maßgeblichen Kenntnisse verfügt, und ein Abnehmer gegebenenfalls keine prozessualen Vorteile daraus ziehen darf, dass er aus obskurer Quelle bezogen hat.
30(3) Art. 13 Abs. 3 GemSortV steht einer Obliegenheit zur Erkundigung entgegen der Auffassung der Revision nicht entgegen.
31Art. 13 Abs. 3 GemSortV nimmt den Vertrieb von Erntegut nicht vollständig von der Haftung für Sortenschutzverletzungen aus. Auch ein Erwerber von Erntegut muss folglich die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass es einer Zustimmung des Berechtigten bedarf. Deshalb ist er gehalten, in der oben genannten Weise sicherzustellen, dass die Voraussetzungen für das Anbieten und Verkaufen der Ware erfüllt sind.
32cc) Im Streitfall durfte die Beklagte das Vorbringen der Klägerin danach nicht mit Nichtwissen bestreiten.
33Die Revision zeigt keinen Vortrag der Beklagten auf, aus dem sich ergibt, dass sich diese in der gebotenen Weise nach der Herkunft des ihr gelieferten Ernteguts erkundigt hat. Schon deshalb ist es der Beklagten verwehrt, den diesbezüglichen Vortrag der Klägerin mit Nichtwissen zu bestreiten.
34Ob die Beklagte darüber hinaus gehalten ist, die angelieferte Ware selbst zu untersuchen, und welche Bemühungen hierbei im Einzelnen zumutbar sein können, bedarf vor diesem Hintergrund keiner Entscheidung. Selbst wenn unter bestimmten Voraussetzungen eine Untersuchungspflicht bestehen sollte, enthebt dies nicht davon, sich bei den Lieferanten danach zu erkundigen, ob die notwendige Überprüfung auf eine mögliche Verletzung von Sortenschutzrechten von einem früheren Glied in der Vertriebskette mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt worden ist.
35c) Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht angenommen, dass im Zeitpunkt der Handlungen der Beklagten in Bezug auf das Erntegut mangels Kenntnis der Berechtigten keine vorherige Zustimmung vorgelegen hat.
36aa) Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht eine Zustimmung der Berechtigten nicht darin gesehen, dass die Klägerin die Lieferanten und Vorlieferanten der Beklagten erfolgreich auf Vergütung und Schadensersatz in Anspruch genommen hat.
37(1) In der Geltendmachung und Entgegennahme von Schadensersatz ist keine vorherige Zustimmung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GemSortV zu sehen.
38Der in Art. 94 Abs. 2 GemSortV vorgesehene Anspruch auf Schadensersatz entsteht, wenn eine der in Art. 13 Abs. 3 der Verordnung aufgeführten Handlungen ohne Zustimmung des Berechtigten vorgenommen wird (, GRUR 2020, 176 Rn. 41 - Club de Variedades Vegetales Protegidas/Adolfo Juan Martínez Sanchís). Dieser Anspruch dient dem Ausgleich des durch die Verletzungshandlung entstandenen Schadens. Seine Erfüllung führt nicht dazu, dass die unerlaubte Handlung nachträglich legitimiert wird (ebenso zu Markenrechtsverletzungen , GRUR 2009, 856 Rn. 64-65 - Tripp-Trapp-Stuhl).
39(2) Nichts anderes gilt für die Geltendmachung und Entgegennahme einer Vergütung nach Art. 94 Abs. 1 GemSortV.
40Der Anspruch auf Vergütung dient ebenfalls der Kompensation für begangene Verletzungshandlungen. Seine Erfüllung vermag deshalb ebenfalls nicht dazu zu führen, dass die unerlaubte Handlung nachträglich als rechtmäßig anzusehen ist.
41bb) Sonstiges Vorbringen, aus dem sich eine Zustimmung der Berechtigten ergeben könnte, zeigt die Revision nicht auf.
424. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Berechtigten im Streitfall keine hinreichende Gelegenheit hatten, ihre Rechte im Zusammenhang mit den Sortenbestandteilen geltend zu machen.
43a) Rechte in Bezug auf Erntegut sind nach Art. 13 Abs. 3 GemSortV nicht schon dann ausgeschlossen, wenn der Berechtigte die rechtliche Möglichkeit hatte, sein Recht im Zusammenhang mit den Sortenschutzbestandteilen geltend zu machen. Vielmehr ist erforderlich, dass der Berechtigte auch tatsächlich über hinreichende Möglichkeiten verfügt hat, sein Recht in Bezug auf die zur Gewinnung des Ernteguts eingesetzten Sortenbestandteile geltend zu machen.
44aa) Für dieses Verständnis spricht der Wortlaut von Art. 13 Abs. 3 GemSortV.
45Nach Art. 13 Abs. 2 GemSortV bedürfen die dort aufgeführten Handlungen der Zustimmung des Sortenschutzinhabers. Art. 13 Abs. 3 GemSortV sieht für Erntegut, das gewonnen wurde, indem Sortenbestandteile ohne Zustimmung verwendet wurden, als zusätzliche Voraussetzung vor, dass der Inhaber nicht hinreichend Gelegenheit hatte, sein Recht im Zusammenhang mit den genannten Sortenbestandteilen geltend zu machen.
46Nach Art. 13 Abs. 3 GemSortV genügt es mithin nicht, wenn dem Inhaber in Bezug auf die zur Erzeugung des Ernteguts eingesetzten Sortenbestandteile ein Sortenschutzrecht zusteht. Er muss vielmehr Gelegenheit gehabt haben, dieses Recht geltend zu machen.
47bb) Dieses Verständnis steht in Einklang mit Art. 14 Art. 2 des Internationalen Übereinkommens zum Schutz von Pflanzenzüchtungen in der Fassung vom (BGBl. 1998 II S. 259, im Folgenden: UPOV-Übereinkommen).
48(1) Nach Erwägungsgrund 29 berücksichtigt die Verordnung die bestehenden internationalen Abkommen, insbesondere das UPOV-Übereinkommen. Dessen Bestimmungen sind zur Auslegung der Verordnung heranzuziehen (, GRUR 2020, 176 Rn. 35 - Club de Variedades Vegetales Protegidas/Adolfo Juan Martínez Sanchís).
49(2) Gemäß Art. 14 Art. 2 des UPOV-Übereinkommens bedürfen Handlungen in Bezug auf Erntegut, das durch ungenehmigte Benutzung von Vermehrungsmaterial der geschützten Sorte erzeugt wurde, der Zustimmung des Züchters, es sei denn, der Züchter hatte angemessene Gelegenheit, sein Recht mit Bezug auf das genannte Vermehrungsmaterial auszuüben.
50Wie der Wortlaut von Art. 13 Abs. 3 GemSortV knüpft damit auch der Wortlaut von Art. 14 Abs. 2 des UPOV-Übereinkommens nicht nur daran an, ob dem Züchter ein Recht in Bezug auf das zur Erzeugung des Ernteguts eingesetzte Vermehrungsmaterial zugestanden hat. Vielmehr ist auch nach dem Übereinkommen erforderlich, dass die Möglichkeit bestanden hat, dieses Recht auszuüben.
51(3) Die Entstehungsgeschichte von Art. 14 Abs. 2 des UPOV-Übereinkommens bestätigt dieses Verständnis.
52Der Ausgangsvorschlag zu Art. 14 des Übereinkommens sah in einer mit eckigen Klammern markierten Passage ein Zustimmungserfordernis nur für den Fall vor, dass der Züchter keine rechtliche Möglichkeit hatte, sein Recht mit Bezug auf das Vermehrungsmaterial auszuüben (Aufzeichnungen über die diplomatische Konferenz zur Revision des internationalen Übereinkommens zum Schutz von Pflanzenzüchtungen, Genf 1991, UPOV-Veröffentlichung Nr. 346(G) 1992, S. 30). Auf der Konferenz wurde die Frage, ob diese Passage in das Übereinkommen übernommen werden soll, eingehend diskutiert (aaO S. 323 ff.). Der Vorschlag, die Passage freizustellen, wurde mit dreizehn zu vier Stimmen abgelehnt (aaO S. 327).
53Der Vorschlag, die Ausübung des Züchterrechts mit Bezug auf Erntegut davon abhängig zu machen, dass es unmöglich gewesen ist, das Recht mit Bezug auf Vermehrungsmaterial auszuüben, wurde hingegen mit zehn zu acht Stimmen angenommen (aaO S. 330). Eine Arbeitsgruppe erstellte daraufhin einstimmig einen neuen Vorschlag (aaO S. 149), der im weiteren Verlauf vom Plenum angenommen wurde (aaO S. 423). Dieser Vorschlag stimmt in der hier interessierenden Passage mit Art. 14 Abs. 2 des Übereinkommens wörtlich und mit Art. 13 Abs. 3 GemSortV der Sache nach überein.
54Dem ist einerseits zu entnehmen, dass der Berechtigte nach Art. 14 Abs. 2 des UPOV-Übereinkommens nicht die freie Wahl haben soll, auf welcher Stufe er eine Lizenz gewährt, sondern eine Lizenzierung grundsätzlich so früh wie möglich erfolgen soll (so ausdrücklich auch die Diskussionsbeiträge aaO S. 328 f., Rn. 922 (Schweden), Rn. 926 (Dänemark), Rn. 927 (Irland), Rn. 928 (AIPH), Rn. 929 (Argentinien), Rn. 930 (Österreich), Rn. 932 (IHK)). Dem Züchter sollte nach den Diskussionsbeiträgen kein Wahlrecht zustehen, in welchem Stadium er eine Lizenz gewährt. Nur in Ausnahmefällen soll der Züchter, der seine Vergütung nicht im richtigen Stadium habe erheben können, diese im nächsten Stadium der wirtschaftlichen Kette des Sortenwesens geltend machen können.
55Andererseits ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte, dass nicht nur rechtliche, sondern auch tatsächliche Möglichkeiten relevant sind, die bis zu dem Zeitpunkt vorlagen, zu dem die Zustimmung in Bezug auf das Vermehrungsmaterial spätestens erforderlich ist.
56b) Eine hinreichende Gelegenheit, das Recht im Zusammenhang mit den zur Erzeugung von Erntegut eingesetzten Sortenbestandteilen geltend zu machen, setzt voraus, dass der Berechtigte schon im Vorfeld sicherstellen kann, dass Benutzungshandlungen in Bezug auf diese Sortenbestandteile nur mit seiner Zustimmung erfolgen.
57aa) Nach Art. 13 Abs. 3 GemSortV genügt es nicht, dass der Berechtigte Ansprüche geltend machen kann, die sich aus der unbefugten Benutzung von Sortenbestandteilen ergeben. Vielmehr muss die Möglichkeit bestehen, das Recht auszuüben, das ihm in Bezug auf die Sortenbestandteile zusteht.
58(1) Dieses Recht besteht gemäß Art. 13 Abs. 1 GemSortV in der alleinigen Befugnis, die in Art. 13 Abs. 2 GemSortV aufgeführten Handlungen vorzunehmen.
59Folglich ist gemäß Art. 13 Abs. 3 GemSortV maßgeblich, ob der Berechtigte die Möglichkeit hatte, das in Art. 13 Abs. 2 GemSortV normierte Zustimmungserfordernis geltend zu machen.
60(2) Diese Möglichkeit muss bereits vor der Vornahme der jeweils zustimmungsbedürftigen Handlung bestehen.
61Nach Art. 13 Abs. 2 GemSortV ist eine vorherige Zustimmung des Berechtigten erforderlich (, GRUR 2020, 176 Rn. 43 und 47 - Club de Variedades Vegetales Protegidas/Adolfo Juan Martínez Sanchís). Zur Ausübung des Sortenschutzrechts gehört es deshalb, die Vornahme solcher Handlungen von einer vorherigen Zustimmung abhängig zu machen.
62Art. 13 Abs. 3 GemSortV macht das Zustimmungserfordernis für Erntegut zwar davon abhängig, dass der Inhaber nicht hinreichend Gelegenheit hatte, sein Recht im Zusammenhang mit den zur Erzeugung des Ernteguts eingesetzten Sortenbestandteilen geltend zu machen. Der Grundsatz, dass eine Handlung gegebenenfalls der vorherigen Zustimmung des Berechtigten bedarf, bleibt davon aber unberührt.
63(3) Die bloße Möglichkeit zur Ausübung der in Art. 94 GemSortV für den Fall einer Verletzung vorgesehenen Ansprüche genügt demgegenüber nicht.
64Diese Ansprüche ermöglichen es dem Berechtigten, sein Recht durchzusetzen, indem er weitere Verletzungshandlungen verhindern und für begangene Verletzungshandlungen angemessene Vergütung und im Verschuldensfall Schadensersatz verlangen kann. Das Sortenschutzrecht erschöpft sich jedoch nicht in diesen Ansprüchen. Vielmehr besteht es in der in Art. 13 Abs. 1 und 2 GemSortV charakterisierten ausschließlichen Befugnis. Auch hinsichtlich dieser Befugnis muss dem Berechtigten nach Art. 13 Abs. 3 GemSortV eine hinreichende Ausübungsmöglichkeit zur Verfügung stehen.
65bb) Dies steht in Einklang mit Art. 14 des UPOV-Übereinkommens.
66Nach Art. 14 Abs. 2 des UPOV-Übereinkommens ist maßgeblich, ob der Züchter angemessene Gelegenheit hatte, sein Recht mit Bezug auf das zur Erzeugung des Ernteguts eingesetzte Vermehrungsmaterial auszuüben.
67Auch diese Vorschrift stellt mithin nicht auf die Möglichkeit zur Geltendmachung von Ansprüchen im Falle einer bereits begangenen Verletzungshandlung ab, sondern auf die Möglichkeit zur Geltendmachung des Züchterrechts. Dies ist nach Art. 1 Nr. v das im Übereinkommen vorgesehene Recht. Dieses ist in Art. 14 Abs. 1 des Übereinkommens - ebenso wie in Art. 13 Abs. 2 GemSortV - dahin definiert, dass die dort aufgeführten Handlungen der Zustimmung des Züchters bedürfen. Ansprüche für den Fall einer Verletzung sieht das Übereinkommen ohnehin nicht vor. Deren Ausgestaltung ist den Mitgliedstaaten überlassen.
68cc) Diese Auslegung steht in Einklang mit dem Zweck der genannten Vorschriften.
69Die Einschränkung in Art. 13 Abs. 3 GemSortV und Art. 14 Abs. 2 des UPOV-Übereinkommens hat zur Folge, dass der Berechtigte bei der Erzeugung von Erntegut durch geschützte Sortenbestandteile nicht frei wählen kann, auf welcher Stufe der Verwertungskette er sein Recht geltend macht. Eine Beschränkung der Geltendmachung auf eine bestimmte Stufe setzt aber voraus, dass das Recht in dieser Stufe grundsätzlich uneingeschränkt ausgeübt werden kann. Dies setzt voraus, dass der Berechtigte nicht nur Ansprüche aufgrund einer bereits begangenen Verletzung geltend machen, sondern sein Recht schon im Vorfeld einer der Zustimmung bedürftigen Handlung ausüben kann.
70dd) Aus den Erwägungsgründen der Verordnung ergibt sich keine abweichende Beurteilung.
71Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geht aus Erwägungsgründen 5, 14 und 20 der Verordnung hervor, dass die von der Union eingeführte Regelung Züchtern, die neue Sorten entwickeln, Schutz gewähren soll, um im öffentlichen Interesse die Züchtung und Entwicklung neuer Sorten zu fördern. Dieser Schutz darf aber nicht über das zur Förderung dieser Tätigkeit notwendige Maß hinausgehen. Andernfalls würde der Schutz des öffentlichen Interesses an der Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung, der Versorgung des Marktes mit Pflanzenmaterial oder das eigentliche Ziel, die ständige Züchtung besserer Sorten, beeinträchtigt (, GRUR 2020, 176 Rn. 32 - Club de Variedades Vegetales Protegidas/Adolfo Juan Martínez Sanchís).
72Der danach erforderlichen Abwägung zwischen den betroffenen privaten und öffentlichen Interessen trägt Art. 13 Abs. 3 GemSortV im Zusammenhang mit der Erzeugung von Erntegut unter Verwendung von geschützten Sortenbestandteilen dadurch Rechnung, dass der Berechtigte nicht frei auswählen kann, auf welcher Stufe der Verwertungskette er seine Rechte ausübt. Wie bereits oben dargelegt wurde, wird der in Art. 13 Abs. 2 GemSortV normierte Grundsatz, dass jede in den Schutzbereich fallende Handlung der vorherigen Zustimmung bedarf, dadurch nicht eingeschränkt. Eine Beschränkung von Rechten in Bezug auf Erntegut ist deshalb auch mit Blick auf die betroffenen Interessen nur insoweit gerechtfertigt, als der Berechtigte sein Recht in Bezug auf die zur Erzeugung eingesetzten Sortenbestandteile ausüben konnte.
73ee) Der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Berechtigte nach unbefugten Benutzungshandlungen in Bezug auf das Erntegut befugt ist, die beteiligten Verletzer auf Vergütung und Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, kommt in diesem Zusammenhang keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
74Art. 13 Abs. 3 GemSortV regelt lediglich die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Handlung in Bezug auf Erntegut der (vorherigen) Zustimmung bedarf, eine ohne Zustimmung vorgenommene Handlung mithin rechtswidrig ist. Die Folgen einer rechtswidrigen Handlung und damit auch die Frage, wen der Berechtigte auf Schadensersatz in Anspruch nehmen darf, ergeben sich demgegenüber aus Art. 94 ff. GemSortV.
75Die zuletzt genannte Frage stellt sich im Streitfall nicht. Die Klägerin nimmt die Beklagte lediglich auf Unterlassung weiterer Verletzungshandlungen in Anspruch.
76c) Im Streitfall hatten die Berechtigten danach keine hinreichende Gelegenheit, ihr Recht in Bezug auf die zur Erzeugung des Ernteguts eingesetzten Sortenbestandteile geltend zu machen.
77Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hatten die Berechtigten keine Kenntnis von den unbefugten Handlungen in Bezug auf das zur Erzeugung des Ernteguts eingesetzte Vermehrungsmaterial.
78Damit fehlte es im Zeitpunkt der maßgeblichen Benutzungshandlungen an einer hinreichenden Gelegenheit der Berechtigten, ihre Rechte in Bezug auf das Vermehrungsgut geltend zu machen.
79III. Für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV besteht kein Anlass.
80Wie oben aufgezeigt wurde, hat der Gerichtshof bereits geklärt, dass Art. 13 Abs. 2 GemSortV eine vorherige Zustimmung erfordert. Vor diesem Hintergrund bleibt kein Raum für vernünftige Zweifel ("acte clair", vgl. dazu 283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 16 - C.I.L.F.I.T.), dass eine hinreichende Möglichkeit zur Ausübung des Rechts in Bezug auf zur Erzeugung von Erntegut eingesetzte Sortenbestandteile voraussetzt, dass der Berechtigte in der Lage ist, die Vornahme der auf solche Sortenschutzbestandteile bezogenen Handlungen von einer vorherigen Zustimmung abhängig zu machen.
81IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstelle(n):
ZAAAJ-55890