BGH Urteil v. - X ZR 123/20

Patentverletzungsverfahren: Erschöpfung der Rechte aus einem Patent durch Inverkehrbringen von Erzeugnissen - CQI-Bericht II

Leitsatz

CQI-Bericht II

1. Im Rechtsstreit über eine Patentverletzung kann von der in Anspruch genommenen Partei grundsätzlich verlangt werden, dass sie auf Vortrag des Gegners zu den technischen Eigenschaften der angegriffenen Ausführungsform konkret erwidert.

2a. Die Frage, ob und inwieweit Rechte aus einem Patent durch das Inverkehrbringen von Erzeugnissen erschöpft sind, ist nach dem Recht des Schutzlands zu beurteilen (Ergänzung zu , GRUR 2022, 1209 Rn. 42 - Bakterienkultivierung).

2b. Ein covenant not to sue führt in der Regel zur Erschöpfung der Rechte im Hinblick auf Erzeugnisse, die auf dieser Grundlage in Verkehr gebracht werden.

2c Für die Frage, ob ein covenant to be sued last zur Erschöpfung führt, ist insbesondere von Bedeutung, ob der Vertragspartner bei dem üblicherweise zu erwartenden Verlauf befürchten muss, von der Patentinhaberin wegen Verletzung des Patents in Anspruch genommen zu werden.

2d Die Zustimmung zum Inverkehrbringen eines Erzeugnisses kann als Zustimmung zum Inverkehrbringen einer damit ausgestatteten größeren Vorrichtung zu werten sein, wenn dies die wirtschaftlich allein sinnvolle Verwendung darstellt.

2e Die Zustimmung zum Inverkehrbringen eines Erzeugnisses kann zur Erschöpfung der Rechte bezüglich einer damit ausgestatteten größeren Vorrichtung führen, wenn alle im Patent definierten Eigenschaften und Funktionen durch das von der Zustimmung gedeckte Erzeugnis verwirklicht werden und den übrigen Bestandteilen der größeren Vorrichtung insoweit keine Bedeutung zukommt.

Gesetze: § 138 Abs 4 ZPO, § 14 PatG

Instanzenzug: Az: 6 U 104/18 Urteilvorgehend LG Mannheim Az: 7 O 165/16 Urteil

Tatbestand

1Die Klägerin ist seit dem im Patentregister als Inhaberin des am angemeldeten, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 294 737 (Klagepatents) eingetragen.

2Das Klagepatent betrifft ein Verfahren zum Empfangen eines Steuerkanalsignals von einer Basisstation sowie ein mobiles Endgerät zur Durchführung dieses Verfahrens. Patentanspruch 1, auf den sieben weitere Ansprüche zurückbezogen sind, schützt ein Verfahren. Patentanspruch 9, auf den sechs weitere Ansprüche zurückbezogen sind, schützt eine Mobilstation und lautet in der Verfahrenssprache:

A mobile terminal comprising

a receiver adapted to receive a control channel signal from a base station, wherein the control channel signal comprises a Modulation and Coding Scheme, MCS, Index, information on resource blocks used for the transmission from the mobile terminal to the base station, and a channel quality information trigger for triggering a transmission of an aperiodic channel quality information report to the base station,

characterized in that the terminal further comprises

a processor adapted to determine whether the channel quality information trigger is set and whether the control channel signal indicates a predetermined value of the MCS Index and indicates a number of resource blocks that is smaller than or equal to a predetermined resource block number, and

a transmitter adapted to transmit the aperiodic channel quality information report to the base station without multiplexing the aperiodic channel quality information report with Uplink Shared Channel data, in case the determining step yields a positive result.

3Die unter anderem von der Beklagten gegen das Klagepatent erhobene Nichtigkeitsklage ist ohne Erfolg geblieben (, GRUR 2022, 546 - CQI-Bericht).

4Die Beklagte vertreibt in Deutschland Mobilfunkgeräte, die sie als kompatibel mit dem Standard "Long Term Evolution" (LTE) bezeichnet. Die Klägerin macht geltend, der Vertrieb dieser Geräte verletze das Klagepatent.

5Das Landgericht hat die Beklagte zu Auskunft und Rechnungslegung verurteilt und deren Schadensersatzpflicht festgestellt. Die weitergehende, auf Unterlassung, Vernichtung und Rückruf gerichtete Klage hat es abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht den Klageanträgen vollständig stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat es zurückgewiesen.

6Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision strebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage an.

Gründe

7Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

9Die angegriffenen Geräte machten von der Lehre des Anspruchs 9 des Klagepatents Gebrauch. Sie arbeiteten nach dem LTE-Standard. Dieser lege fest, dass die Information über die zugewiesenen Ressourcenblöcke (NPRB) nicht unmittelbar übertragen werde. Die Zahl der Ressourcenblöcke könne vielmehr aus einem von der Basisstation übermittelten Ressourcen-Indikationswert (Resource Information Value, RIV) mithilfe einer im Standard niedergelegten Formel errechnet werden. Dies reiche zur Verwirklichung der Merkmale von Patentanspruch 9 aus. Die Beklagte habe den hierfür relevanten Vortrag der Klägerin nicht bestritten. Der Patentanspruch schließe es entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht aus, dass andere Ereignisse ebenfalls als Befehl zur Versendung eines CQI-Berichts ohne Multiplexen verstanden würden.

10Die Beklagte könne sich nicht mit Erfolg auf Erschöpfung berufen. Die Verträge, die die Klägerin mit verschiedenen Herstellern von Chipsätzen geschlossen habe, hinderten sie nicht daran, die mit der Klage verfolgten Ansprüche geltend zu machen. In den Verträgen mit den beiden Herstellern der in den angegriffenen Mobilgeräten verwendeten Chipsätze habe sich die Klägerin verpflichtet, die Chipsatzhersteller erst nach allen Dritten in Anspruch zu nehmen, die wegen Verletzungshandlungen angegangen werden könnten. Schon eine Vereinbarung, den Vertragspartner nicht wegen Patentverletzung in Anspruch zu nehmen (covenant not to sue) könne nicht als Zustimmung zum Inverkehrbringen patentgeschützter Erzeugnisse eingeordnet werden. Erst recht gelte dies für eine Vereinbarung des hier in Rede stehenden Inhalts (covenant to be sued last), durch die eine Klage gegen den Vertragspartner nicht ausgeschlossen, sondern nur aufgeschoben werde.

11Der Durchsetzung der Ansprüche aus dem Klagepatent stehe schließlich auch das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV nicht entgegen.

12II. Diese Entscheidung hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

131. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Beklagte durch Anbieten und Inverkehrbringen der angegriffenen Geräte, die den Vorgaben des Standards LTE entsprechen, von der technischen Lehre nach Anspruch 9 des Klagepatents Gebrauch macht.

14a) Das Klagepatent befasst sich mit der Signalisierung von Steuersignalen in einem Mobilfunksystem.

15aa) In einem solchen System werden zwischen dem mobilen Endgerät und der Basisstation über eine Luftschnittstelle Nutz- und Anwenderdaten (user data) und Steuersignale (control signals) ausgetauscht. Mittels der Steuersignale kann die Mobilstation um die Zuweisung von Ressourcen bitten und die Basisstation solche Ressourcen zuweisen. Wie die Klagepatentschrift schildert, wird zumindest ein Teil der Ressourcen den verschiedenen Endgeräten dynamisch zugewiesen.

16Die Qualität und Geschwindigkeit der Übertragung hängen unter anderem von der Codierrate und der Modulation ab. Die Basisstation informiert die Mobilstation darüber, welche Codierung und welche Modulation jeweils zu wählen ist, indem sie ihr über ein Steuersignal ein Modulations-Codierungs-Schema (modulation and coding scheme, MCS) mitteilt. Dafür kann ein MCS-Index verwendet werden, dessen Werte jeweils für eine bestimmte Kombination aus Modulation und Codierung stehen.

17Für die Auswahl des Modulations-Codierungs-Schemas ist die Kanalgüte (channel quality) von Bedeutung. Ist diese hoch, können die Anforderungen an die Codierrate gesenkt und der Grad der Modulierung erhöht werden. Das Endgerät teilt der Basisstation die von ihm ermittelte Kanalgüte in der Form eines Kanalgüteinformationsberichts (channel quality indication report, CQI-Bericht) mit. Ein CQI-Bericht kann etwa über den gemeinsamen physikalischen Uplink-Kanal (Physical Uplink Shared Channel, PUSCH) übermittelt werden. Diese Meldung kann periodisch oder aperiodisch erfolgen. Das Klagepatent befasst sich mit dem aperiodischen CQI-Bericht.

18Die Basisstation kann einen aperiodischen CQI-Bericht durch ein entsprechendes Steuersignal (CQI-Trigger) über den physikalischen Downlink-Steuerkanal (Physical Downlink Command Channel, PDCCH) anfordern. Dies soll mit möglichst geringem Aufwand geschehen (Abs. 44). Wie die Klagepatentschrift ausführt, wird der aperiodische CQI-Bericht normalerweise im Multiplex, also zusammen mit Anwenderdaten übertragen (Abs. 41), es sei denn, der Datenpuffer (data buffer) des mobilen Endgeräts ist leer. Hierdurch steigt das Risiko eines Übertragungsfehlers.

19bb) Vor diesem Hintergrund besteht das technische Problem darin, die Anforderung eines aperiodischen CQI-Berichts mit geringem Signalisierungsaufwand zu ermöglichen und das Risiko eines Fehlers bei der Übertragung eines solchen Berichts zu verringern.

20cc) Zur Lösung dieser Aufgabe sieht Patentanspruch 9 ein mobiles Endgerät vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:

22dd) Bei den in den Merkmalen 9.1.2 und 9.2.3 angesprochenen Ressourcenblöcken handelt es sich der Beschreibung des Klagepatents zufolge um die kleinsten Einheiten der zur Übertragung von Daten über die Luftschnittstelle verfügbaren Ressourcen.

23Die Basisstation weist den Endgeräten je nach den vorhandenen Kapazitäten und den jeweils herrschenden Bedingungen eine bestimmte Anzahl solcher Blöcke zu. Das Endgerät prüft, ob das Steuerkanalsignal einen CQI-Trigger und einen bestimmten Wert für den MCS-Index enthält und ob die mitgeteilte Anzahl von Ressourcenblocks kleiner oder gleich ist wie ein vorbestimmter Vergleichswert. Führt diese Prüfung zu einem positiven Ergebnis, versteht das Endgerät dies als Anweisung, einen aperiodischen CQI-Bericht zu übertragen, und zwar unabhängig davon, ob der Datenpuffer des Endgeräts leer ist, und ohne Multiplexen mit Uplink-Shared-Channel-Daten.

24b) Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass die angegriffenen Geräte sämtliche Merkmale von Patentanspruch 9 verwirklichen.

25aa) Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass die Beklagte den Vortrag der Klägerin zur Funktionsweise der angegriffenen Geräte nicht wirksam mit Nichtwissen bestreiten kann.

26(1) Nach § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung sind.

27Bei juristischen Personen sind insoweit die Handlungen und Wahrnehmungen ihrer gesetzlichen Vertreter maßgeblich. Darüber hinaus hat eine Partei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Obliegenheit, sich die für ein qualifiziertes Bestreiten erforderlichen Informationen zu verschaffen, soweit es sich um Vorgänge im Bereich von Personen handelt, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind (vgl. nur , NJW-RR 2019, 747 Rn. 34; Urteil vom - I ZR 238/98, GRUR 2002, 190, 191 - DIE PROFIS; Urteil vom - VIII ZR 46/89, BGHZ 109, 205, 209).

28(2) Danach reicht es grundsätzlich nicht aus, wenn eine Partei, die ein als patentverletzend angegriffenes Erzeugnis anbietet oder in Verkehr bringt, konkretes Vorbringen der Gegenseite zu dessen technischen Eigenschaften mit Nichtwissen bestreitet.

29Wer ein Erzeugnis anbietet oder in Verkehr bringt, darf sich der Verantwortung für eine darin liegende Rechtsverletzung nicht dadurch entziehen, dass er Eigenschaften und Funktionsweise des Erzeugnisses nicht zur Kenntnis nimmt. Wenn eine solche Partei nicht selbst über die relevanten Informationen verfügt, ist sie im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren gehalten, sich diese Informationen von Dritten zu verschaffen, etwa durch Nachfrage bei Herstellern und Lieferanten oder durch eigene Untersuchungen. Im Verletzungsrechtsstreit kann von der in Anspruch genommenen Partei deshalb grundsätzlich verlangt werden, dass sie auf Vortrag des Gegners zu den technischen Eigenschaften der angegriffenen Ausführungsform konkret erwidert (, juris Rn. 166; Urteil vom - 2 U 6/13, juris Rn. 75 ff.; Urteil vom - 2 U 54/04, juris Rn. 144; LG Mannheim, Urteil vom - 2 O 142/08, InstGE 12, 136, juris Rn. 214; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 15. Aufl., Kapitel B Rn. 10; Cepl/Voß/Nielen, Prozesskommentar Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 3. Aufl., § 138 ZPO Rn. 36; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 19. Aufl., § 138 Rn. 17).

30Entgegen der Auffassung der Revision ergeben sich daraus keine überzogenen Anforderungen für den Verletzungsbeklagten. Ein Unternehmen muss schon vor Aufnahme des Vertriebs eines technischen Erzeugnisses prüfen, ob dieses in den Schutzbereich fremder technischer Schutzrechte fällt (, BGHZ 208, 182 Rn. 114 ff. - Glasfasern II). Bei Erfüllung dieser Verpflichtung ist es regelmäßig in der Lage, auf Vortrag zu den Eigenschaften des Erzeugnisses in der gebotenen Weise zu erwidern. Kommt es dieser Verpflichtung nicht nach, darf dies nicht zu Lasten der Gegenseite gehen.

31(3) Im Streitfall hat die Beklagte das Vorbringen zur Berechnung der Anzahl an zugewiesenen Ressourcenblöcken anhand des Ressourcen-Indikationswerts (RIV) lediglich mit Nichtwissen bestritten. Dieses Bestreiten ist aus den oben dargelegten Gründen unbeachtlich.

32Die Revision bezieht sich auf Vorbringen der Beklagten, wonach eine Berechnung der Anzahl der Ressourcenblöcke aus dem RIV mathematisch nicht ohne weiteres möglich sei und die Klägerin ihren Vortrag zur Berechnung von NPRB aus RIV nicht hinreichend belegt habe.

33Dieser Vortrag enthält keine inhaltliche Stellungnahme zu dem konkreten Vorbringen der Klägerin. Er erschöpft sich darin, den Vortrag der Klägerin in Zweifel zu ziehen, zeigt aber nicht auf, aus welchen konkreten Umständen sich Zweifel ergeben könnten.

34Entgegen der Auffassung der Revision ist es der Beklagten aus den oben dargelegten Gründen zumutbar, sich nähere Kenntnisse über die Funktionsweise der in den angegriffenen Geräten verbauten Chips und zu den im LTE-Standard enthaltenen Festlegungen zu verschaffen, wenn sie dem Vortrag der Klägerin entgegentreten will. Dass sie und die mit ihr verbundenen Unternehmen an der Entwicklung dieses Standards nicht beteiligt waren, steht dem nicht entgegen. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass die Beklagte Geräte vertreibt, die unstreitig dem Standard entsprechen.

35bb) Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die angegriffenen Geräte seien im Sinne von Merkmal 9.2.3 in der Lage zu bestimmen, ob die übermittelte Anzahl von Ressourcenblöcken kleiner oder gleich als ein vorbestimmter Wert ist.

36Das Berufungsgericht hat im Einzelnen dargelegt, dass die technische Spezifikation TS 136.213 (v.8.8.0) des European Telecommunication Standards Institute (ETSI) eine Anweisung an die Mobilstation vorsieht, eine entsprechende Prüfung vorzunehmen. Die Revision zeigt insoweit keine Rechtsfehler auf.

37cc) Entgegen der Auffassung der Revision steht es der Verwirklichung von Merkmal 9.3 nicht entgegen, dass die angegriffenen Geräte einen CQI-Bericht ohne Multiplexen nicht nur unter den in Merkmalsgruppe 9.2 definierten Voraussetzungen senden, sondern auch in anderen Situationen, etwa dann, wenn der entsprechende Speicher keine Anwenderdaten enthält oder wenn die zugewiesenen Ressourcen so knapp sind, dass sie nur für den CQI-Bericht genügen.

38Die vom Berufungsgericht zugrunde gelegte Auslegung, wonach Patentanspruch 9 solche Übermittlungsvorgänge nicht ausschließt, steht in Einklang mit dem im Nichtigkeitsverfahren vom Senat entwickelten Verständnis des Patents (, GRUR 2022, 546 Rn. 33 ff. - CQI-Bericht). Die Revision zeigt keine Gesichtspunkte auf, die zu einer abweichenden Beurteilung führen.

392. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine Erschöpfung der Rechte aus dem Klagepatent jedoch nicht verneint werden.

40a) Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, ist die Frage, welche Wirkungen sich aus vertraglichen Absprachen eines Patentinhabers mit Dritten ergeben, nach dem Recht des Schutzlands zu beurteilen, im Streitfall also nach deutschem Recht (, GRUR 2022, 1209 Rn. 42 - Bakterienkultivierung; Busse/Keukenschrijver/McGuire, PatG, 9. Aufl., § 15 Rn. 17).

41Entsprechendes gilt für die Frage, ob und inwieweit Rechte aus einem Patent durch das Inverkehrbringen von Erzeugnissen erschöpft sind. Auch insoweit geht es um die Schutzwirkungen, die das Patent gegenüber Dritten zeitigt.

42b) Die vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen tragen nicht die Schlussfolgerung, dass ein covenant to be sued last nicht zur Erschöpfung im Hinblick auf Erzeugnisse führt, die auf der Grundlage einer solchen Vereinbarung in Verkehr gebracht worden sind.

43aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts führt ein covenant not to sue in der Regel zur Erschöpfung der Rechte im Hinblick auf Erzeugnisse, die auf dieser Grundlage in Verkehr gebracht werden.

44(1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Ausschließlichkeitsrecht aus einem Erzeugnispatent hinsichtlich solcher Exemplare des geschützten Erzeugnisses erschöpft, die vom Patentinhaber oder mit seiner Zustimmung durch einen Dritten in Verkehr gebracht worden sind. Die rechtmäßigen Erwerber wie auch diesen nachfolgende Dritterwerber sind befugt, diese Erzeugnisse bestimmungsgemäß zu gebrauchen, an Dritte zu veräußern oder zu einem dieser Zwecke Dritten anzubieten (, GRUR 2023, 47 Rn. 41 - Scheibenbremse II; Urteil vom - X ZR 55/16, BGHZ 216, 300 Rn. 35 - Trommeleinheit).

45Hat der Patentinhaber die mit dem Ausschließlichkeitsrecht verbundenen Befugnisse ausgeübt, indem er oder mit seiner Zustimmung ein Dritter den patentgeschützten Gegenstand in den Verkehr gebracht hat, besteht nach Sinn und Zweck des Patentrechts kein Anlass mehr, ihm darüber hinaus Einwirkungsmöglichkeiten auf das weitere Schicksal des geschützten Gegenstands zu geben. Über diesen Gegenstand zu verfügen, ist nunmehr Sache des Erwerbers, der den Gegenstand im Verhältnis zum Patentinhaber rechtmäßig erworben hat (, GRUR 1997, 116, 117 - Prospekthalter; Urteil vom - X ZR 61/98, BGHZ 143, 268, 271 = GRUR 2000, 299 - Karate).

46(2) Bei Erzeugnissen, die durch Dritte in Verkehr gebracht werden, setzt der Eintritt der Erschöpfungswirkung nicht zwingend voraus, dass dem Dritten eine wirksame Lizenz erteilt worden ist. Die Erschöpfung ist vielmehr auch in dieser Konstellation zwingende gesetzliche Folge eines Inverkehrbringens des unter den Patentschutz fallenden Gegenstands mit Zustimmung des Patentinhabers.

47Deshalb haben Beschränkungen, die ein Patentinhaber in einem Lizenzvertrag hinsichtlich der Befugnis zur Benutzung von Erzeugnissen vereinbart, die aufgrund der Lizenz in Verkehr gebracht werden, grundsätzlich keinen Einfluss auf den Eintritt der Erschöpfungswirkungen (, GRUR 1959, 232, 234 - Förderrinne).

48(3) Vor diesem Hintergrund führt eine Vereinbarung, in der sich der Patentinhaber verpflichtet, aus dem Patent keine Ansprüche gegen den Vertragspartner geltend zu machen, grundsätzlich zur Erschöpfung in Bezug auf Erzeugnisse, die aufgrund dieser Vereinbarung in Verkehr gebracht werden.

49(a) In diesem Zusammenhang ist grundsätzlich unerheblich, ob eine solche Vereinbarung nach deutschem Recht oder nach dem für die schuldrechtlichen Wirkungen maßgeblichen Vertragsstatut als Lizenzvertrag zu qualifizieren ist. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass der Patentinhaber hinreichend deutlich zu erkennen gibt, dass er gegenüber seinem Vertragspartner keine Rechte aus dem Patent geltend machen wird.

50Mit einer wirksamen Verpflichtung dieses Inhalts bringt der Patentinhaber in einer für den Eintritt der Erschöpfungswirkung ausreichenden Weise zum Ausdruck, dass er seine Rechte in Bezug auf Vertriebshandlungen des Vertragspartners vollständig ausgeübt hat, dessen Erzeugnisse also mit seiner Zustimmung in den Verkehr gelangen (vgl. dazu auch Hauck, ZGE 2013, 203, 218; Busse/Keukenschrijver/McGuire, PatG, 9. Aufl., § 15 Rn. 123).

51(b) Liegen diese Voraussetzungen vor, ist ein gleichwohl erklärter Vorbehalt, Abnehmer des Vertragspartners wegen Verletzung des Patents in Anspruch zu nehmen, im Verhältnis zu Dritten grundsätzlich ohne Bedeutung.

52Wie oben dargelegt wurde, hat die Erschöpfung zur Folge, dass der Patentinhaber seine durch das Patent vermittelten Möglichkeiten zur Einwirkung auf das weitere Schicksal des geschützten Gegenstands verliert. Diese Rechtsfolge kann durch Vertrag nicht im Verhältnis zu Dritten ausgeschlossen werden.

53Ein Vertrag, in dem der Patentinhaber erklärt, keine Rechte aus dem Patent geltend zu machen, sich die Geltendmachung solcher Rechte aber ausdrücklich vorbehält, kann im Einzelfall allerdings dahin auszulegen sein, dass der Patentinhaber seine Rechte gerade nicht aufgeben will.

54Angesichts der Bedeutung ihrer Wirkung muss die Zustimmung auf eine Weise geäußert werden, die einen Willen zum Verzicht auf das Recht, Dritten zu verbieten, von der technischen Lehre des Patents Gebrauch zu machen, mit Bestimmtheit erkennen lässt (zum Markenrecht u.a., GRUR Int. 2002, 147 Rn. 45 - Zino Davidoff; , GRUR 2011, 820 Rn. 21 - Kuchenbesteck-Set). Ein Nichteinschreiten gegen patentverletzende Handlungen oder deren bloß stillschweigende Duldung genügen nicht (, GRUR 1976, 579, 581 - Tylosin). Deshalb ist stets sorgfältig zu prüfen, ob eine Vereinbarung eine solche Zustimmung enthält. Dies ist eine Frage der Vertragsauslegung, die grundsätzlich dem Tatrichter obliegt.

55Lässt eine Vereinbarung aber hinreichend deutlich erkennen, dass der Patentinhaber sich verpflichtet, keine auf das Patent gestützten Einwände gegen das Inverkehrbringen von Erzeugnissen durch seinen Vertragspartner zu erheben, reicht dies in der Regel aus, um eine zur Erschöpfung führende Zustimmung zu bejahen. Eine Erklärung dieses Inhalts ist nach dem Verständnis des Senats mit einem covenant not to sue typischerweise verbunden. Ein Vorbehalt von Rechten gegenüber Dritten stellt dann lediglich einen untauglichen Versuch dar, die Reichweite der Erschöpfung zu beschränken.

56bb) Damit ist der vom Berufungsgericht gezogenen Schlussfolgerung, ein covenant to be sued last könne erst recht keine Erschöpfung bewirken, die Grundlage entzogen.

57Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung stellen die Ausführungen des Berufungsgerichts zu den Wirkungen eines covenant not to sue kein obiter dictum dar. Wie die Revision zu Recht geltend macht, bilden diese Überlegungen vielmehr die tragende Grundlage für die Annahme des Berufungsgerichts, ein covenant to be sued last könne ebenfalls nicht zur Erschöpfung führen.

58Das Berufungsgericht hat insoweit gerade nicht zwischen den beiden genannten Vertragstypen unterschieden, sondern beiden dieselbe Wirkung beigemessen. Auf dieser Grundlage kann auch bei einem covenant not to sue die Erschöpfungswirkung nicht verneint werden.

59c) Die angefochtene Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend (§ 561 ZPO).

60aa) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin mit den beiden Herstellern der Chipsätze, mit denen die angegriffenen Mobilgeräte ausgestattet sind, jeweils einen Vertrag geschlossen, in dem sie sich verpflichtet hat, Ansprüche wegen Verletzung der vom Vertrag erfassten Schutzrechte gegenüber diesen Herstellern nur für den Fall geltend zu machen, dass sie zuvor alle in Betracht kommenden Dritten in Anspruch genommen hat.

61Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob das Klagepatent von der mit den beiden Chipherstellern getroffenen Vereinbarung erfasst wird.

62Für die revisionsrechtliche Prüfung ist daher zu unterstellen, dass sich die Vereinbarung auch auf das Klagepatent bezieht.

63bb) Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen zu zeitlichen Beschränkungen der getroffenen Vereinbarungen getroffen.

64Für die revisionsrechtliche Beurteilung ist deshalb davon auszugehen, dass die Vereinbarung alle mit der Klage angegriffenen Benutzungshandlungen erfasst.

65cc) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann eine Erschöpfungswirkung nicht deshalb verneint werden, weil die Chiphersteller, mit denen die Klägerin die Verträge geschlossen hat, keine Mobilfunkgeräte vertreiben, sondern lediglich Komponenten dafür.

66(1) Allerdings ist die Erschöpfungswirkung grundsätzlich auf dasjenige Erzeugnis beschränkt, das mit Billigung des Schutzrechtsinhabers in Verkehr gebracht worden ist. Sie erstreckt sich nicht ohne weiteres auf Vorrichtungen, die ein solches Erzeugnis als eine von mehreren Komponenten enthalten.

67(2) Eine abweichende Beurteilung kann sich im Streitfall jedoch aus dem - mangels abweichender Feststellungen für die Revisionsinstanz als zutreffend zu unterstellenden - Vortrag der Beklagten ergeben, dass die wirtschaftlich allein sinnvolle Verwendung der in Rede stehenden Chipsätze in deren Einbau in mobile Endgeräte besteht.

68(a) Dieser Umstand könnte dazu führen, dass eine Zustimmung der Klägerin zum Vertrieb der Chipsätze als konkludente Zustimmung zum Vertrieb von damit ausgestatteten Mobilfunkgeräten auszulegen ist.

69Dafür könnte insbesondere sprechen, dass die Zustimmung der Klägerin für deren Vertragspartner möglicherweise weitgehend sinnlos wäre, wenn sie die Chipsätze zwar vertreiben könnten, ihre Abnehmer aber darauf hinweisen müssten, dass diese nicht ihrer einzigen wirtschaftlich sinnvollen Verwendung zugeführt werden dürfen. Eine abweichende Beurteilung könnte naheliegen, wenn die Chiphersteller gegenüber ihren Abnehmern die Haftung diesbezüglich ausgeschlossen haben.

70(b) Selbst wenn die Verträge mit den Chipherstellern dahin auszulegen sind, dass die Klägerin einem Einbau der Chipsätze in Mobilfunkgeräte nicht zustimmt, kommt eine Erschöpfung in Betracht, sofern die technischen Wirkungen des Klagepatents im Wesentlichen durch die Chipsätze herbeigeführt werden und allen übrigen Bestandteilen der Mobilfunkgeräte insoweit keine ausschlaggebende Bedeutung beikommt.

71Eine solche Wirkung kommt allerdings nicht schon dann in Betracht, wenn der Einbau in Mobilfunkgeräte die einzige wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit zur Verwendung der Chipsätze darstellt. Erforderlich ist vielmehr, dass sich die Zustimmung des Patentinhabers der Sache nach auf das Inverkehrbringen der Gesamtvorrichtung bezieht. Die Zustimmung zum Inverkehrbringen einzelner Bestandteile kann dem allenfalls dann gleichstehen, wenn diese Bestandteile alle im Patent vorgesehenen Funktionen erfüllen. Im Streitfall könnte dies anzunehmen sein, wenn alle in Patentanspruch 9 definierten Eigenschaften und Funktionen durch die von der Vereinbarung mit den Chipherstellern gedeckten Chipsätze verwirklicht werden und den übrigen Bestandteilen der angegriffenen Mobilfunkgeräte insoweit keine Bedeutung zukommt.

72d) Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

73aa) Das Berufungsgericht hat bislang keine Feststellungen zum konkreten Inhalt der Vereinbarungen zwischen der Klägerin und den Chipherstellern getroffen. Dies wird nachzuholen sein.

74bb) Auf der Grundlage dieser Feststellungen wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob die Verträge das Klagepatent erfassen.

75cc) Sollte der Vertrag für das Klagepatent von Bedeutung sein, wird sich das Berufungsgericht mit der Frage zu befassen haben, ob die Klägerin gegenüber ihren Vertragspartnern zum Ausdruck gebracht hat, dass sie gegenüber diesen keine Rechte aus dem Klagepatent geltend machen wird.

76Für die Beurteilung dieser Frage wird nicht allein auf theoretisch denkbare Verläufe abzustellen sein. Im Vordergrund wird vielmehr die Frage stehen müssen, ob die Vertragspartner bei dem üblicherweise zu erwartenden Verlauf befürchten müssen, von der Klägerin wegen Verletzung des Klagepatents in Anspruch genommen zu werden. Sollte diese Frage zu verneinen sein, kann eine Erschöpfung nicht allein deshalb verneint werden, weil sich die Klägerin ein Vorgehen gegen Abnehmer ihrer Vertragspartner vorbehalten wollte. Wie bereits oben dargelegt wurde, sind derartige vertragliche Einschränkungen der Erschöpfungswirkungen im Verhältnis zu Dritten unbeachtlich.

77dd) Sollte das Berufungsgericht danach eine Zustimmung der Klägerin zu Vertriebshandlungen der Chiphersteller bejahen, wird es ferner zu prüfen haben, ob sich diese Zustimmung auch auf den Vertrieb von Mobilfunkgeräten bezieht oder ob die Zustimmung zum Vertrieb der Chipsätze auch in Bezug auf damit ausgestattete Mobilfunkgeräte zur Erschöpfung führt, weil alle in Patentanspruch 9 vorgesehenen Eigenschaften und Funktionen durch die von der Vereinbarung mit den Chipherstellern gedeckten Chipsätze verwirklicht werden und den übrigen Bestandteilen der angegriffenen Mobilfunkgeräte insoweit keine Bedeutung zukommt.

78ee) Sollte das Berufungsgericht eine zur Erschöpfung führende Zustimmung bejahen, wird es schließlich zu prüfen haben, ob sich diese Zustimmung auf alle Vertriebshandlungen der Chiphersteller bezieht oder ob sie gegenständlich oder zeitlich beschränkt ist. Sollte die Zustimmung nur mit Wirkung von einem bestimmten Stichtag an erteilt worden sein, wird ergänzend zu klären sein, ob sich die Klägerin damit Ansprüche auf Schadensersatz, Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf im Hinblick auf vor dem Stichtag in Verkehr gebrachte Erzeugnisse vorbehalten wollte. Ein Unterlassungsanspruch kann aus solchen Handlungen gegebenenfalls nicht mehr hergeleitet werden, weil künftige Vertriebshandlungen von der Zustimmung gedeckt sind.

79ff) Soweit sich die Ansprüche auf Unterlassung, Vernichtung und Rückruf aus den Vertriebswegen danach als begründet erweisen, wird das Berufungsgericht im Lichte der ergänzten Feststellungen nochmals die Berechtigung der kartellrechtlichen Einwendungen der Beklagten nach den hierzu vom Bundesgerichtshof entwickelten Maßgaben (, BGHZ 225, 269 - FRAND-Einwand I; Urteil vom - KZR 35/17, BGHZ 227, 305 - FRAND-Einwand II) zu prüfen haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:240123UXZR123.20.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-34768