Online-Nachricht - Freitag, 29.12.2023

Verfahrensrecht | Höhe der Aussetzungszinsen verfassungsgemäß (FG)

Die Höhe der Aussetzungszinsen nach §§ 237, 238 AO von monatlich 0,5 % ist verfassungsgemäß (; Revision zugelassen).

Sachverhalt: Der Kläger erzielte in den Streitjahren 2012 bis 2015 gewerbliche Einkünfte. Wegen formeller Buchführungsmängel wurden die erklärten Umsätze zunächst jeweils um 50.000 € erhöht. Der Kläger legte gegen die Umsatzsteueränderungsbescheide für 2012 und 2013 Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Das Finanzamt gewährte die Aussetzung der Vollziehung mit Verfügung vom vom Fälligkeitstag an () i.H. von jeweils 9.500 €. Auch gegen die Umsatzsteueränderungsbescheide 2014 und 2015 legte der Kläger Einspruch ein und beantragte deren Aussetzung der Vollziehung. Das Finanzamt gewährte diese mit Verfügung vom vom Fälligkeitstag an () i.H. von 9.831,17 € (2014) und 9.819,20 € (2015). Die Aussetzung der Vollziehung war jeweils befristet bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung. Das Finanzamt wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidungen vom (für 2012 und 2013) und vom (für 2014 und 2015) als unbegründet zurück. Hiergegen erhob der Kläger Klage. Diese hatte teilweise Erfolg. Die Zuschätzungen wurden jeweils um 20.000 € für 2012 und 2013 sowie um 25.000 € für 2014 und 2015 gemindert und die Umsatzsteuerfestsetzungen 2012 bis 2015 entsprechend geändert. Sodann setzte das beklagte Finanzamt Aussetzungszinsen zur Umsatzsteuer 2012 bis 2015 fest. Hiergegen erhob der Kläger nach erfolglosem Einspruch Klage.

Das FG wies die Klage ab:

  • Zu Recht geht das Finanzamt von einem Beginn des Zinslaufs für die Umsatzsteuer für 2012 und 2013 am und für die Umsatzsteuer für 2014 und 2015 am aus. Ist nämlich - wie hier - die Vollziehung erst nach dem Eingang des Rechtsbehelfs ausgesetzt worden, so beginnt die Verzinsung mit dem Tag, an dem die Wirkung der Aussetzung der Vollziehung beginnt. Da das Finanzamt die Vollziehung rückwirkend ab dem jeweiligen Fälligkeitstag der Umsatzsteuer ausgesetzt hat, sind die in den Bescheiden vom bzw. genannten Fälligkeitstermine mit dem (Umsatzsteuer für 2012 und 2013) sowie den (Umsatzsteuer für 2014 und 2015) für den Beginn des Zinslaufs maßgeblich.

  • Der Zinslauf endet für die Umsatzsteuer 2012 und 2013 am und für die Umsatzsteuer 2014 und 2015 am . Maßgeblich für die Entstehung des Zinsanspruchs im Sinne von § 237 Abs. 1 AO ist nicht der tatsächliche Vollzug des entsprechenden Bescheides, sondern die Tatsache, dass hinsichtlich des geschuldeten Steuerbetrages Aussetzung der Vollziehung gewährt wurde (sog. Tatbestandswirkung der Aussetzung der Vollziehung).

  • Nach den Verfügungen vom und endet die gewährte Aussetzung der Vollziehung jeweils einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung. Da die Einspruchsentscheidungen am (Umsatzsteuer für 2012 und 2013) und (Umsatzsteuer für 2014 und 2015) ergangen sind, gelten diese nach der Dreitagesfiktion nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am bzw. am als bekanntgegeben. Die Aussetzung der Vollziehung endet damit jeweils einen Monat später am bzw. . Dass das Finanzamt das Ende der Aussetzung der Vollziehung für die Umsatzsteuer 2014 und 2015 bereits am als beendet ansieht, verkürzt den Zinszeitraum. Dies wirkt sich im vorliegenden Verfahren aber zugunsten des Klägers aus, da der Zinszeitraum dadurch um einen Monat vermindert wird.

  • Auch die Zinsberechnung mit 18 bzw. 23 vollen Zinsmonaten, der jeweils ermittelte zu verzinsende Betrag und die Anwendung des Zinssatzes nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO sind nicht zu beanstanden.

  • Insbesondere ist die monatliche Zinshöhe der Aussetzungszinsen i.H. von 0,5 Prozent verfassungsgemäß. Das BVerfG hat seine Unvereinbarkeitserklärung hinsichtlich der Zinshöhe ausdrücklich auf die sog. Vollverzinsung nach § 233a AO beschränkt und eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auf andere Verzinsungstatbestände - vorliegend 237 AO - ausdrücklich abgelehnt.

  • Im Gegensatz zur Vollverzinsung ist den anderen Verzinsungstatbeständen der AO nicht nur gemeinsam, dass sie lediglich Verzinsungen für bestimmte, konkret umschriebene Liquiditätsvorteile der Steuerpflichtigen vorsehen und eine Verzinsung in der Regel erst nach Fälligkeit erfolgt, sondern vor allem auch, dass die Verwirklichung des Zinstatbestands und damit die Entstehung von Zinsen grundsätzlich auf einen Antrag der Steuerpflichtigen zurückzuführen ist oder jedenfalls von ihnen bewusst in Kauf genommen wird. Steuerpflichtige haben daher - anders als bei der Vollverzinsung - grundsätzlich die Wahl, ob sie den Zinstatbestand verwirklichen und den in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten Zinssatz hinnehmen oder ob sie die Steuerschuld tilgen und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu zinsgünstigeren Konditionen beschaffen.

  • Der Zinsanspruch ist auch nicht verwirkt. Die Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens, die vorliegend durchaus in einem angemessenen Verhältnis zur Komplexität des Streitfalles gestanden hat, ist kein Grund, eine Verwirkung des Zinsanspruchs anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige so wie vorliegend durch die spätere Zahlung der geschuldeten Steuern tatsächlich einen Zinsvorteil erlangt.

Hinweis:

Die Revision wurde im Hinblick auf das beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen VIII R 9/23 anhängige Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Aussetzungszinsen zugelassen.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Newsletter 2/2023 v. (il)

Fundstelle(n):
RAAAJ-55819