BGH Urteil v. - X ZR 93/22

Instanzenzug: Az: 22 S 16/22vorgehend Az: 32 C 91/21

Tatbestand

1Die Kläger beanspruchen die Erstattung einer Anzahlung für eine Pauschalreise.

2Die Kläger buchten am bei der Beklagten eine Flugreise mit Hotelaufenthalt für drei Erwachsene und zwei Minderjährige in die Türkei, die vom 30. März bis zum stattfinden und 2.345 Euro kosten sollte. Die Kläger leisteten eine Anzahlung von 821 Euro.

3Im Zeitpunkt der Buchung bestand eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts für die gesamte Türkei. Diese galt bis zum vorgesehenen Beginn der Reise fort.

4Mit Schreiben vom stornierten die Kläger die Reise unter Bezugnahme auf pandemiebedingte Risiken. Die Beklagte behielt eine Stornogebühr in Höhe von 30 % des Reisepreises ein.

5Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 704 Euro verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr zweitinstanzliches Begehren weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

6Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.

7I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

8Der Beklagten stehe ein Entschädigungsanspruch nach § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB zu. Dieser sei nicht gemäß § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen.

9Zwar sei bei der Covid-19-Pandemie grundsätzlich das Vorliegen von unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen am Urlaubsort zu bejahen. Im Streitfall fehle es aber an einer zu erwartenden erheblichen Beeinträchtigung der Reise.

10Bei der hierfür maßgeblichen objektiven Prognose zum Rücktrittszeitpunkt sei zu berücksichtigen, dass die Buchung nach Beginn der Pandemie erfolgt sei. Mit einer solchen Buchung nehme der Reisende absehbare Einschränkungen am Reiseziel in Kauf.

11Im Streitfall hätten die Kläger bewusst das Risiko in Kauf genommen, dass die bereits im Zeitpunkt der Buchung bestehende Reisewarnung bis zum Beginn der Reise fortbestehe. Dies gelte auch dann, wenn die Reisewarnung im Buchungszeitpunkt bis Ende Februar 2021 befristet gewesen sein sollte. Aufgrund der Erfahrungen mit der Pandemie habe die nicht fernliegende Möglichkeit einer Verlängerung über diesen Zeitpunkt hinaus bestanden. Darüber hinaus habe nicht mit einer erhöhten Gesundheitsgefährdung am Reiseziel im Vergleich mit Deutschland gerechnet werden können. Einschränkungen am Zielort wie eine Maskenpflicht oder eingeschränkte Angebote im Hotel stellten keine erhebliche Beeinträchtigung der Pauschalreise dar, die über das im Buchungszeitpunkt erwartbare Maß hinausgingen. Umstände wie Ausgangssperren oder die Schließung touristischer Einrichtungen oder das Reisen auf eigene Gefahr seien bereits bei der Buchung mitten in der so genannten zweiten Welle zu erwarten gewesen.

12II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.

131. Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil die Kläger nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam von dem Pauschalreisevertrag zurückgetreten sind.

142. Zu Recht ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klage dennoch unbegründet ist, weil die Beklagte dem Anspruch auf Erstattung der Anzahlung einen Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB entgegenhalten kann und dieser Anspruch nicht nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB ausgeschlossen ist.

15a) Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Covid-19-Pandemie im Streitfall einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.

16Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand bewertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (vgl. etwa , NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 21).

17Dies gilt auch für den im Streitfall maßgeblichen Reisezeitraum im März und April 2021.

18b) Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass im Streitfall keine erhebliche Beeinträchtigung der Reise zu besorgen war.

19aa) Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass für die Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung besteht, von Bedeutung sein kann, ob die mit der Durchführung verbundenen Risiken bei Buchung der Reise bereits bestanden oder zumindest absehbar waren.

20Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, kann eine erhebliche Beeinträchtigung jedenfalls dann zu verneinen sein, wenn bei Vertragsschluss Umstände vorliegen oder absehbar sind, die der Durchführung der Reise zwar nicht zwingend entgegenstehen, aber doch so gravierend sind, dass nicht jeder Reisende die damit verbundenen Risiken auf sich nehmen möchte. Einem Reisenden, der in einer solchen Situation eine Reise bucht, ist es in der Regel zumutbar, die Reise auch dann anzutreten, wenn die im Zeitpunkt der Buchung bestehenden oder absehbaren Risiken zum Zeitpunkt des Reisebeginns fortbestehen (, Rn. 41).

21bb) Vor diesem Hintergrund ist die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass die im Streitfall vorliegenden Umstände nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB geführt haben, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

22(1) Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Reisewarnung des Auswärtigen Amts zwar Indizwirkung zukommt, diese Wirkung aber abgeschwächt ist, wenn eine solche Warnung bereits bei Abschluss des Reisevertrags besteht.

23Wie der Senat bereits entschieden hat, ist es dem Reisenden unter den genannten Voraussetzungen in der Regel zumutbar, die Reise auch dann anzutreten, wenn die Reisewarnung bei Reisebeginn weiterhin oder wieder besteht und die Risikolage sich nicht wesentlich verändert hat (, Rn. 41).

24(2) Die mit der Reise verbundenen Gesundheitsrisiken waren nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts im vorgesehenen Reisezeitraum nicht wesentlich höher, als dies bereits bei Buchung der Reise absehbar war.

25Angesichts dessen ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass den Klägern die Reise trotz der Reisewarnung und der dieser zugrunde liegenden Risiken zumutbar war, rechtlich nicht zu beanstanden.

26Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt dem Umstand, dass die Gesundheitsrisiken in Deutschland im Reisezeitraum ähnlich hoch waren, zwar grundsätzlich keine Bedeutung zu (, NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rn. 25; Beschluss vom - X ZR 80/21, RRa 2023, 72 Rn. 21; Urteil vom - X ZR 78/22, NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 40). Das angefochtene Urteil wird insoweit aber durch die rechtsfehlerfreie Erwägung getragen, dass sich die Gesundheitsrisiken am Zielort im Zeitraum zwischen Buchung und Reisebeginn nicht wesentlich verändert haben.

27Den Vortrag der Beklagten, im Zeitraum zwischen Buchung und Reisebeginn hätten sich die Infektionszahlen in der Türkei erhöht, hat das Berufungsgericht zu Recht als unerheblich angesehen, weil er sich nicht auf das Zielgebiet der Reise bezieht und weil ihm nicht zu entnehmen ist, dass es sich um eine signifikante Erhöhung handelt. Angesichts dessen ist auch insoweit unerheblich, dass das Berufungsgericht zusätzlich einen Vergleich mit den Infektionszahlen in Deutschland angestellt hat.

28(3) Entgegen der Auffassung der Revision ist eine wesentliche Veränderung nicht darin zu sehen, dass die bei Buchung der Reise bestehende Reisewarnung bis Ende Februar 2021 befristet war und erst später verlängert worden ist.

29Die Befristung rechtfertigte nicht die Erwartung, dass es ab März 2021 keine Reisewarnung mehr geben würde. Vielmehr war damit zu rechnen, dass die Warnung verlängert wird, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht wesentlich ändern.

30(4) Weitere Einschränkungen wie die Maskenpflicht, eingeschränkte Angebote im Hotel, Ausgangssperren sowie die Schließung touristischer Einrichtungen hat das Berufungsgericht vor dem aufgezeigten Hintergrund zu Recht ebenfalls nicht als erhebliche Beeinträchtigungen der Reise angesehen.

31Solche Einschränkungen waren nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Zeitpunkt der Buchung absehbar. Dies trägt die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass sie zumutbar waren.

323. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Höhe des Entschädigungsanspruchs greift die Revision nicht an. Rechtsfehler sind insoweit nicht ersichtlich.

33III. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ist nicht veranlasst.

34Wie der Senat bereits entschieden hat, ist die in der Literatur umstrittene und dem Gerichtshof von mehreren Gerichten vorgelegte Frage, ob Umstände, die beim Abschluss des Reisevertrages bereits vorlagen oder absehbar waren, als unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände angesehen werden können, für die Entscheidung des Streitfalls nicht von Bedeutung (, Rn. 53 ff.).

35Die Beurteilung der nach Auffassung des Senats relevanten Frage, ob diese Umstände im Streitfall zu der Beurteilung führen, dass die Durchführung der Reise erheblich beeinträchtigt war, obliegt im Wesentlichen dem Tatrichter. Ungeklärte Fragen des Unionsrechts, die für diese Würdigung von Bedeutung sein könnten, sind nicht ersichtlich.

36IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:141123UXZR93.22.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-54390