BGH Urteil v. - IV ZR 152/22

Instanzenzug: Az: 20 U 125/21vorgehend Az: 41 O 47/21

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung.

2Der Kläger hält eine Krankenversicherung bei der Beklagten, in der Paul Simon B   , Felix Anton B    und Lukas B   mitversichert sind. Dem Versicherungsvertrag liegen für die B      Tarife Allgemeine Versicherungsbedingungen (im Folgenden: AVB) zugrunde, die folgende Regelung enthalten:

"§ 19 Kann sich nach Abschluss des Vertrages der Beitrag, ein Selbstbehalt oder ein vereinbarter Risikozuschlag ändern?

1. Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Versicherungsleistungen z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleichen wir zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung bei den Versicherungsleistungen für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit von uns überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst; bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. Ergibt die Gegenüberstellung bei der Sterbewahrscheinlichkeit eine Abweichung von mehr als 5 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit überprüft und mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. […]

2. Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch uns und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist."

3Die Beklagte teilte dem Kläger unter anderem folgende Beitragserhöhungen mit:

- zum im Tarif T    um 4,17 €

- zum im Tarif B      K           um 10,87 €

- zum im Tarif B       K           um 110,27 €, im Tarif T     um 6,77 € und im Tarif R   um 11,03 €

- zum im Tarif G   um 5,70 €, im Tarif T    um 4,03 €, im Tarif B      K           um 57,07 € sowie für Paul Simon B   , Felix Anton B   und Lukas B   jeweils im Tarif B       Krankenhaus     um je 0,16 €.

4Im Schreiben vom Februar 2017, in dem die Beitragserhöhungen zum mitgeteilt wurden und dem u.a. ein Nachtrag zum Versicherungsschein und ein Informationsblatt beigefügt waren, hieß es:

"[…]

Warum ändert sich Ihr Beitrag?

Der wichtigste Grund sind die gestiegenen Gesundheitskosten. Diagnose- und Therapiemethoden entwickeln sich immer weiter. Diese haben ihren Preis. Doch sie helfen Ihnen, schneller gesund zu werden. Bei vielen chronischen Erkrankungen erhöhen sie die Lebensqualität.

[…]

Im Jahresvergleich sind im Tarif B       K        die Versicherungsleistungen besonders stark gestiegen. Dies gilt vor allem für den stationären Bereich. Auch im ambulanten Bereich registrierten wir eine erhöhte Inanspruchnahme. Hier sind vor allem die Arznei- und Verbandmittel betroffen. Im zahnärztlichen Bereich stiegen besonders die Leistungen für Kieferorthopädie. Die ausgezahlten Leistungen lagen deutlich über denen des Vorjahres. Vor allem deshalb müssen wir die Beiträge anpassen.

[…]

Den Beitrag für Ihre Krankentagegeldversicherung müssen wir auch anpassen. Denn langwierige Krankheitsfälle nehmen zu. Dies ist gerade bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen und bei Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems der Fall. Längere Arbeitsunfähigkeiten sind die Folge. Dadurch steigen die Ausgaben für Versicherungen, die einen Verdienstausfall abdecken.

Weitere Gründe für die Beitragsanpassung entnehmen Sie bitte der Beilage 'Ein Praxisbeispiel der [Versicherer]'.

[…]"

5Soweit für die Revision noch von Interesse, hat der Kläger mit seiner Klage die Rückzahlung der auf die genannten sowie weitere Erhöhungen entfallenden Prämienanteile in Höhe von zuletzt 15.679,20 € nebst Zinsen sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte die Nutzungen, die sie aus den auf die Beitragserhöhungen gezahlten Prämienanteilen gezogen hat, herauszugeben und zu verzinsen hat. Außerdem hat er die Feststellung beantragt, dass die Beitragserhöhungen unwirksam sind und er nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist.

6Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 7.268,82 € nebst Zinsen ab dem verurteilt. Weiter hat es festgestellt, dass die oben genannten Beitragserhöhungen bis zum unwirksam sind und der Kläger bis dahin nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist. Außerdem hat es festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie bis zum aus den Prämienanteilen gezogen hat, die der Kläger ab dem auf die Beitragserhöhungen gezahlt hat. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers haben keinen Erfolg gehabt.

7Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung mit Ausnahme der Feststellung der Unwirksamkeit und fehlenden Zahlungsverpflichtung hinsichtlich der Beitragsanpassungen zum und zum für den Zeitraum bis zum , der Feststellung der Pflicht zur Herausgabe der aus den auf diese Beitragsanpassungen gezahlten Prämienanteilen gezogenen Nutzungen und der Verurteilung zur Zahlung von 396,72 € nebst Zinsen weiter.

Gründe

8Die Revision hat teilweise Erfolg. Sie führt zur teilweisen Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

9I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die Beitragserhöhungen zum , und aus formellen Gründen unwirksam seien. Die Beitragserhöhung im Tarif B      K            zum stelle sich dagegen jedenfalls aus materiellen Gründen als unwirksam dar. Da die Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen bei dieser Beitragsanpassung über 5 %, aber unter dem gesetzlichen Schwellenwert von 10 % liege, wäre diese nur dann wirksam, wenn sie auf der Grundlage der Allgemeinen Versicherungsbedingungen hätte erfolgen können. Die Unwirksamkeit der Beitragsanpassungsklausel ergebe sich daraus, dass nach den gesetzlichen Vorschriften eine Beitragsanpassung nur zulässig sei, wenn die Veränderung nicht nur vorübergehender Art sei. Unabhängig davon räume die Klausel bei einer Abweichung im Bereich zwischen "mehr als 5 %" und bis zu 10 % dem Versicherer ein Ermessen in Bezug auf die Überprüfung und Anpassung der Beiträge ein, was der geltenden gesetzlichen Regelung widerspreche und die Vertragspartner der Beklagten im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteilige. Die unwirksamen Beitragserhöhungen seien durch die Angaben in der Klageerwiderung zum geheilt worden. Aus der Unwirksamkeit der Erhöhungen folge die Verpflichtung zur Rückzahlung der darauf gezahlten Beiträge sowie zur Herausgabe der hieraus gezogenen Nutzungen im zugesprochenen Umfang.

10II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nur teilweise stand.

111. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die von der Beklagten mitgeteilten Gründe für die Prämienerhöhungen zum die Voraussetzungen einer nach § 203 Abs. 5 VVG erforderlichen Mitteilung (vgl. dazu Senatsurteil vom - IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56 Rn. 26) nicht erfüllten; diese Erhöhungen konnten daher auch keine neue Rechtsgrundlage für den Prämienanspruch in seiner Gesamthöhe in den Tarifen, in denen zuvor bereits unwirksame Erhöhungen erfolgt waren, bilden. Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG erfordert die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat (vgl. Senatsurteil vom aaO). Entgegen der Ansicht der Revision ist in diesem Sinne auch entscheidend, ob eine Veränderung der erforderlichen gegenüber den kalkulierten Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeiten die in § 155 Abs. 3 und 4 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) oder in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelten Schwellenwerte überschreitet oder nicht (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 29). Ob die Mitteilung einer Prämienanpassung den gesetzlichen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügt, hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden (Senatsurteil vom aaO Rn. 38).

12Revisionsrechtlich relevante Fehler liegen auf dieser Grundlage nicht vor. Nach der rechtsfehlerfreien Beurteilung des Berufungsgerichts ergab sich aus der Mitteilung nicht, dass eine Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen über dem geltenden Schwellenwert die Beitragserhöhung ausgelöst hat. Es ist rechtlich auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Erwähnung steigender Ausgaben oder gestiegener Gesundheitskosten als Grund der Beitragserhöhung nicht als eine solche Mitteilung verstand. Entgegen der Ansicht der Revision genügt auch die Darstellung der Voraussetzungen einer Beitragsanpassung in dem jeweils beigefügten Informationsblatt nicht als Begründung, da sie sich nicht auf die konkreten Prämienerhöhungen für die Tarife des Klägers bezieht.

132. Das Berufungsgericht hat demgegenüber zu Unrecht die Prämienerhöhung im Tarif B      K           zum mit der Begründung für unwirksam gehalten, dass es für diese an einer wirksamen Prämienanpassungsklausel fehle.

14a) Entgegen der Ansicht der Revision handelte es sich bei dieser Neufestsetzung des Beitrags um eine Prämienanpassung im Versicherungsverhältnis des Klägers, die an die dafür geltenden gesetzlichen und vertraglichen Voraussetzungen gebunden ist. Die dagegen gerichtete Rüge, das Berufungsgericht habe verkannt, dass der Kläger erst zum in diesen Tarif gewechselt sei, was die Beklagte in der Klageerwiderung vorgetragen habe, ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Erhöhung zum im Versicherungsverhältnis des Klägers stattfand. Es hat in seinem Urteil auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen, in dem es heißt, dass die Beklagte "in den von dem Kläger abgeschlossenen Tarifen die folgenden streitgegenständlichen Änderungen" vornahm, gefolgt unter anderem von der Erhöhung vom im Tarif B      K           . Dabei handelt es sich um aus dem Berufungsurteil ersichtliches (unstreitiges) Parteivorbringen im Sinne von § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Dieses "aus dem Berufungsurteil ersichtliche Parteivorbringen" - zu dem auch der in Bezug genommene Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils gehört - erbringt nach § 314 ZPO Beweis für das mündliche Parteivorbringen in der Berufungsinstanz (, NJW-RR 2007, 1434 Rn. 11). Dieser Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll, nicht jedoch durch den Inhalt der Schriftsätze entkräftet werden ( aaO m.w.N.). Dabei ist es ohne Bedeutung, dass das Landgericht im Tatbestand seines Urteils auch auf die Schriftsätze der Parteien Bezug genommen hat; selbst bei einem Widerspruch zwischen ausdrücklichen tatbestandlichen Feststellungen und in Bezug genommenem Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze geht der Tatbestand vor (vgl. aaO).

15Die Rüge einer Verletzung des § 286 ZPO durch das Übergehen erstinstanzlichen Vortrags in der Berufungsinstanz setzt im Übrigen voraus, dass der Berufungskläger den erstinstanzlichen Streitstoff dem Berufungsgericht vorgetragen oder das erstinstanzliche Urteil in diesem Punkt wegen des Übergehens seines Vortrags angegriffen hat (vgl. , NJW 2016, 3100 Rn. 13 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Die Beklagte hat vielmehr in ihrer Berufungsbegründung hinsichtlich dieser Beitragserhöhung nur vorgetragen, dass sie formell und materiell wirksam erfolgt sei, und die Feststellung des Landgerichts, dass es sich um eine Prämienanpassung in einem bestehenden Tarif des Klägers handelte, nicht in Frage gestellt.

16b) Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom (IV ZR 253/20, VersR 2022, 1078) entschieden und im Einzelnen begründet hat, stehen die - insoweit den hier zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen vergleichbaren - Regelungen in § 8b MB/KK 2009 zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung einer Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. Zwar ist § 8b Abs. 2 MB/KK 2009, der inhaltlich § 19 Abs. 2 AVB entspricht, unwirksam, aber dies lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 - und ebenso von Absatz 1 der hier zugrundeliegenden Klausel - unberührt (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 31 ff.).

17c) Der Senat hat außerdem mit Urteil vom (IV ZR 347/22, r+s 2023, 721) entschieden und im Einzelnen begründet, dass eine Prämienanpassungsklausel, - wie hier § 19 Abs. 1 AVB - nach welcher der Versicherer die Beiträge bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als fünf Prozent überprüfen und anpassen kann, aber nicht muss, nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG abweicht und diesen auch nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 16, 20).

18III. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben, soweit darin die Unwirksamkeit und die Nichtzahlungspflicht des Klägers für die Prämienerhöhung im Tarif B       K            zum festgestellt worden ist. Mit der formellen Rechtmäßigkeit dieser materiell wirksamen Prämienerhöhung hat sich das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - noch nicht befasst. Neben der Feststellung der diesbezüglichen Pflicht zur Nutzungsherausgabe ist auch die auf diese Erhöhungen entfallende Zahlungsverurteilung nebst Zinsen, d.h. die über einen Betrag von 6.812,28 € (7.268,82 € ./. 456,54 € - vgl. Berechnung S. 21 des Urteils des Landgerichts) hinausgehende Verurteilung aufzuheben. In diesem Umfang ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:251023UIVZR152.22.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-53135