Strafverurteilung wegen besonders schwerer Brandstiftung: Schuldfähigkeitsprüfung bei bipolarer Störung
Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 306 StGB, §§ 306ff StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Heilbronn Az: 14 KLs 16 Js 37362/21
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen besonders schwerer Brandstiftung in vier tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hat das Landgericht abgelehnt. Die gegen ihre Verurteilung gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten führt überwiegend zur Aufhebung des Urteils (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts breitete die Angeklagte in der Nacht vom auf den in ihrer neu bezogenen Wohnung in B. verschiedene Geschirrhandtücher und mehrlagig gefaltetes Küchenpapier auf dem Cerankochfeld in der Küche aus, um darauf ihr gespültes Geschirr zum Trocknen abzustellen. Sodann schaltete sie gegen 0.30 Uhr in Kenntnis der auf dem Kochfeld befindlichen, leicht brennbaren Gegenstände die linke hintere Herdplatte auf der Stufe fünf oder sechs bei einer elektrischen Leistung von etwa 500 bis 600 Watt mit dem Drehschalter an, um ein Feuer zu entfachen; dabei nahm sie billigend in Kauf, dass hierbei das gesamte Gebäude in Brand und mehrere Personen in die Gefahr des Todes geraten könnten. Alsbald entwickelte sich ein vom Herd ausgehender Brand in der Küche, der unter rascher Ausbreitung bei starker thermischer Energie die gesamte Küche erfasste. Dies veranlasste die Angeklagte dazu, barfuß und nur in einem Nachthemd bekleidet ihre Wohnung zu verlassen, wobei sich zu diesem Zeitpunkt der Brand von der Küche auf das angrenzende Bad und den Wohn- und Essbereich sowie weiter in den Flur und das Treppenhaus des Gebäudes ausgebreitet hatte. Zum Zeitpunkt der Brandlegung hielten sich – wie die Angeklagte wusste – Bewohner in den weiteren Wohnungen in dem Gebäude auf.
3Die Angeklagte trat gegen 1.02 Uhr aus dem Wohngebäude, lief in verschiedene Richtungen auf und ab und passierte auch den Eingangsbereich des Anwesens zunächst tatenlos, als sie bereits die Flammen aus dem Fenster schlagen sah. Nachdem ein Bewohner den Brand wahrgenommen hatte, entschloss sich die Angeklagte zeitgleich nach reiflicher Überlegung zum Anwesen zurückzukehren, um alle Bewohner zu warnen. Die herbeigerufene Feuerwehr konnte nicht verhindern, dass wesentliche Teile des Gebäudes zerstört wurden; es entstand ein Sachschaden von mindestens 300.000 Euro.
4b) Das Landgericht hat keine tragfähigen Anhaltspunkte für Beeinträchtigungen der Unrechtseinsichts- oder Steuerungsfähigkeit der Angeklagten bei der Tat gesehen. Im Rahmen der Strafzumessung hat es aber zu ihren Gunsten eine erhebliche Verminderung ihrer Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Tat infolge der Erkrankung an einer bipolaren affektiven Störung nicht ausgeschlossen und deshalb den Strafrahmen des § 306b Abs. 2 StGB nach §§ 21, 49 StGB verschoben. Da eine verminderte Schuldfähigkeit der Angeklagten aber nicht sicher festgestellt werden könne, hat das Landgericht eine Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB abgelehnt.
52. Das Urteil hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung im Wesentlichen nicht stand. Gegen die Prüfung der Schuldfähigkeit der Angeklagten durch das Landgericht bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
6a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit eines Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfordert grundsätzlich eine mehrstufige Prüfung (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 491/22 Rn. 7; vom – 4 StR 366/22 Rn. 5 und vom ‒ 4 StR 175/20 Rn. 7; jeweils mwN). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass beim Täter eine psychische Störung zu diagnostizieren ist, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist das Tatgericht für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen, um anschließend – nach gesichertem psychiatrischen Befund – die Rechtsfragen einer aufgehobenen Einsichtsfähigkeit bzw. einer aufgehobenen oder zumindest erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit zu prüfen.
7Diese Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Täters in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; ‒ 2 StR 257/21 Rn. 15; Beschlüsse vom ‒ 4 StR 81/21 Rn. 8; vom ‒ 2 StR 533/19 Rn. 7 und vom ‒ 4 StR 48/20 Rn. 7; jeweils mwN). Beurteilungsgrundlage ist das konkrete Tatgeschehen, wobei neben der Art und Weise der Tatausführung auch die Vorgeschichte, der Anlass der Tat, die Motivlage und das Verhalten nach der Tat von Bedeutung sein können ( ‒ 4 StR 48/20 Rn. 7 mwN). Das Tatgericht hat in Fällen, in denen es – wie hier – dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, grundsätzlich dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 491/22 Rn. 7; vom – 4 StR 636/19 Rn. 6 und vom – 1 StR 28/20 Rn. 3; jeweils mwN).
8b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
9aa) Aufgrund der Feststellungen zu einer bipolaren affektiven Störung und zu einer ähnlich gelagerten Vortat hat sich die eingehende Prüfung aufgedrängt, warum sich die überdauernde Störung nicht auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit bei der Brandstiftung ausgewirkt haben soll.
10Eine bipolare affektive Störung kann als endogene Psychose grundsätzlich – unabhängig vom Schweregrad – das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB erfüllen ( Rn. 7). Die Feststellungen des Landgerichts zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten (UA S. 6-10) zeigen dabei auf, dass diese Erkrankung bei der Angeklagten mit einer langjährigen Krankheitsgeschichte und durchgängiger psychiatrischer Behandlung seit 2011 mit einer Vielzahl von stationären Klinikaufenthalten entsprechend schwer ausgeprägt war. Wegen wahnhaften Erlebens wurde die Angeklagte psychiatrisch untergebracht. Nach März 2019 brach die Angeklagte – entgegen der ärztlichen Empfehlungen – weitere Behandlungen der bipolaren affektiven Störung eigenständig ab und nahm die Medikamente nicht mehr ein.
11Nachdem die Angeklagte in der Vergangenheit unter dem Einfluss ihrer Krankheit sowohl eigen- als auch fremdaggressiv gewesen war und sie bereits in der Nacht vom auf den einen vergleichbaren Brand durch brennende Kerzen in ihrer damaligen Wohnung mit einem Sachschaden von 20.000 Euro gelegt hatte, liegt ein Beruhen des Verhaltens auf der Krankheit bei der verfahrensgegenständlichen Tat nahe. Gleichwohl wird in den Urteilsgründen nicht weiter erläutert, ob sich das bei der Angeklagten festgestellte Störungsbild auf deren Umgang mit Feuer ausgewirkt hat. Eine nähere Auseinandersetzung und Darstellung war hierzu schon deshalb angezeigt, weil sonst kein Motiv für das Inbrandsetzen der Wohnung unter Billigung der Gefährdung Dritter vom Landgericht festgestellt werden konnte. Soweit sich im Rahmen der Urteilsgründe überhaupt Ausführungen zur Schuldfähigkeit der Angeklagten finden, beschränken sich diese – obwohl das Landgericht sachverständig beraten war – auf die Wiedergabe der Schlussfolgerungen des Sachverständigen, ohne aber dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen wiederzugeben.
12bb) Im Übrigen sind die Ausführungen des Landgerichts insoweit widersprüchlich. So heißt es zunächst, dass „keine Anhaltspunkte für die Beeinträchtigung der Unrechtseinsicht oder Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Tat zu erkennen“ sind. An anderer Stelle wird aber ausgeführt, dass sich die Angeklagte nach der Brandlegung weinerlich, ängstlich, verwirrt, unruhig und aufgeregt verhielt, was „entweder für eine leichte depressive Episode mit Agitiertheit oder eine gemischte Episode sprechen“ (UA S. 37) könne.
13cc) Die Urteilsgründe lassen somit insgesamt nicht erkennen, aufgrund welcher Umstände das sachverständig beratene Landgericht zu dem Schluss gekommen ist, die Angeklagte sei trotz bestehender psychischer Erkrankung noch zu normgerechtem Verhalten uneingeschränkt in der Lage gewesen. Daher haben sowohl der Schuldspruch als auch die Nichtanordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO) mit den jeweils zugehörigen Feststellungen keinen Bestand. Allein die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben unberührt (§ 353 Abs. 2 StPO).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:290823B1STR178.23.0
Fundstelle(n):
EAAAJ-53045