BGH Urteil v. - VIa ZR 674/21

Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 6 U 159/21vorgehend LG Aurich Az: 5 O 778/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger kaufte im Jahr 2015 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten Neuwagen, der mit einem - ebenfalls von der Beklagten hergestellten - Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. In dem Motor sind ein Thermofenster und eine Fahrkurvenerkennung implementiert. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) untersuchte Motoren der Baureihe EA 288, veranlasste aber - in Kenntnis auch der Fahrkurvenerkennung - keinen Rückruf des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs.

3Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) und die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten an den Rechtsschutzversicherer nebst Prozesszinsen (Berufungsantrag zu 3) begehrt und den Rechtsstreit hinsichtlich des Zahlungsantrags zu 1 im Hinblick auf dessen Reduzierung wegen weiterer Fahrzeugnutzung einseitig für erledigt erklärt.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter.

Gründe

5Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

6Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

7Der Anspruch aus § 826 BGB scheitere bereits daran, dass das Fahrzeug des Klägers von der Beklagten nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet worden sei. Der Kläger stütze seine Rechtsauffassung, die Beklagte habe in dem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen installiert, allein auf die von dem KBA im Rahmen seiner Untersuchungen überprüften Funktionen zur Erkennung des Prüfstands sowie insbesondere auf das Thermofenster. Diese Funktionen seien aber nach den maßgeblichen Feststellungen des KBA als der zuständigen Fachbehörde keine unzulässigen Abschalteinrichtungen. An diese Bewertung seien die Zivilgerichte wegen der Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung gebunden. Unter diesen Umständen könne dem Kläger im Übrigen auch kein Schaden entstanden sein, denn es habe keine Gefahr des Widerrufs der Zulassung des Fahrzeugs bestanden und eine solche Gefahr bestehe auch in Zukunft nicht.

8Schließlich komme es auch nicht darauf an, ob die vom Kläger gerügten Motorfunktionen wie etwa das vorhandene Thermofenster europarechtlich als unzulässige Abschalteinrichtungen anzusehen seien. Denn das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung begründe für sich genommen noch nicht einen Anspruch wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung. Es müssten vielmehr weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für einen Hersteller handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Solche Umstände seien hier weder vorgetragen noch ersichtlich.

9Einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV hat das Berufungsgericht nicht geprüft.

II.

10Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand. Im Ergebnis ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht zwar eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint (unter 1.). Das Berufungsgericht hat es jedoch rechtsfehlerhaft unterlassen, eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu prüfen (unter 2.).

111. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB abgelehnt.

12a) Allerdings kann die Tatbestandswirkung einer EG-Typgenehmigung einem Anspruch des Klägers auf Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB nicht entgegengehalten werden ( VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 10 bis 17, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ). Mit dieser Begründung hätte das Berufungsgericht daher nicht von der Berücksichtigung von Vortrag des Klägers zu seiner sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung absehen dürfen. Auch kann ein Schadenseintritt nicht deshalb geleugnet werden, weil es bisher noch nicht zu Einschränkungen der Nutzbarkeit gekommen ist und weil das KBA Motoren der Baureihe EA 288 zwar geprüft, aber bisher von der Veranlassung eines Rückrufs oder von anderen einschränkenden Maßnahmen abgesehen hat ( aaO, Rn. 42).

13b) Das Berufungsgericht hat jedoch selbständig tragend in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (, NJW 2021, 3721 Rn. 16; Urteil vom - III ZR 263/20, WM 2022, 1074 Rn. 20; Urteil vom - VII ZR 260/20, juris Rn. 24; Beschluss vom - VII ZR 126/21, juris Rn. 14; Beschluss vom - VIa ZR 334/21, juris Rn. 19) darauf abgestellt, die Annahme von Sittenwidrigkeit setze jedenfalls voraus, dass die Beklagte bzw. die für sie verantwortlich handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung von Motorfunktionen in dem Bewusstsein handelten, unzulässige Abschalteinrichtungen zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Ein solches Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen hat das Berufungsgericht auf der Grundlage seiner Feststellung rechtsfehlerfrei verneint, die Beklagte habe die implementierten Funktionen für zulässig erachtet. Zugleich hat es einen zutreffenden rechtlichen Maßstab angewandt, indem es angenommen hat, bei den vom Kläger gerügten Funktionen handele es sich nicht um evident unzulässige Abschalteinrichtungen (vgl. aaO), weil sie auf dem Prüfstand kein besseres Emissionsverhalten bewirkten als unter denselben Bedingungen im sonstigen Fahrbetrieb (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 48).

14Die Verfahrensrüge der Revision, das Berufungsgericht habe übersehen, dass der Kläger eine zur Begründung der Sittenwidrigkeit genügende Prüfstandbezogenheit der Abschalteinrichtung mit Auswirkung auf die Einhaltung der Grenzwerte unter Beweisantritt behauptet habe (vgl. , NJW 2021, 3721 Rn. 19; Beschluss vom - VII ZR 602/21, juris Rn. 15; Beschluss vom - VII ZR 767/21, juris Rn. 10, jeweils mwN), hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

152. Das Berufungsgericht hat jedoch übersehen, dass dem Kläger gegen die Beklagte Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen eines fahrlässigen Verhaltens zustehen können. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32). Danach kann dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Dagegen hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

16Die angefochtene Entscheidung ist gemäß § 562 ZPO aufzuheben, weil sie sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

17Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:091023UVIAZR674.21.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-52583