BSG Beschluss v. - B 8 SO 36/22 BH

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage - Vorliegen gefestigter Rechtsprechung des BSG

Gesetze: § 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG

Instanzenzug: Az: S 13 SO 1282/20 Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 2 SO 3281/20 Beschlussvorgehend Az: B 8 SO 96/20 B Beschlussvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 2 SO 811/22 ZVW Beschluss

Gründe

1I. Im Streit ist die Gewährung höherer Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozial-hilfe - (SGB XII), wegen eines erhöhten Regelbedarfs aufgrund von Kosten für Bekleidung, Bettwäsche, Pflege- und Reinigungsmittel sowie wegen eines Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung für das Jahr 2017.

2Der Beklagte gewährte dem Kläger für das Jahr 2017 Grundsicherungsleistungen in Höhe von mindestens 975,94 Euro unter Zugrundelegung eines Regelbedarfs in Höhe von 409 Euro abzgl 33,31 Euro Kürzung für Haushaltsenergie, Kosten der Unterkunft (KdU) in Höhe von 363,00 Euro, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 237,25 Euro zzgl einer zusätzlichen Heizkostenpauschale von 301,00 Euro im Februar, im März von 221,00 Euro sowie ab April von 261,00 Euro und im Oktober zusätzlichen Abfallgebühren in Höhe von 79,25 Euro (Bescheide vom , und ). Der Widerspruch war nicht erfolgreich. Ein erhöhter Regelbedarf aufgrund von Kosten für Bekleidung, Bettwäsche, Pflege- und Reinigungsmittel sei ebenso wenig wie ein Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung nachgewiesen. Die Kürzung der Regelbedarfsstufe um die Energiepauschale sei rechtens und aufgrund einer rechtmäßigen Kostensenkungsaufforderung seien die tatsächlichen Kosten der Unterkunft nicht zu berücksichtigen (Widerspruchsbescheid vom ).

3Die Klage, mit der der Kläger unter anderem die Anerkennung eines Anspruchs auf kostenaufwändige Bekleidung begehrt, sowie die Berufung blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts <SG> Ulm vom ; Beschluss des Landessozialgerichts <LSG> Baden-Württemberg vom ). Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat das BSG den Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen, weil das LSG vor Ablauf der von ihm gesetzten Anhörungsfrist entschieden und damit § 153 Abs 4 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt hat (Senatsbeschluss vom - B 8 SO 96/20 B -).

4In der erneuten Entscheidung hat das LSG die Berufung zurückgewiesen (Beschluss vom ). Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, dass das angefochtene Urteil des SG sowie die angegriffenen Bescheide des Beklagten rechtmäßig seien und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzten. Das LSG könne gemäß § 153 Abs 4 SGG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich halte. Diese Voraussetzungen seien hier gegeben. Im Übrigen schließe es sich den Entscheidungsgründen des SG nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage uneingeschränkt an und sehe gemäß § 153 Abs 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

5Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG beim Bundessozialgericht (BSG) sinngemäß Beschwerde eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt.

6II. Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig er-scheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung <ZPO>); daran fehlt es hier. Denn es ist nicht ersichtlich, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter die Beschwerde erfolgreich begründen könnte. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre insoweit nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Die Revision darf danach nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), die Entscheidung von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

7Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Unabhängig davon, dass der Kläger in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde begrenzt auf die Anerkennung eines Mehrbedarfs, liegt im Zusammenhang mit den in der Berufungsentscheidung behandelten Fragen auf Berücksichtigung höherer Bedarfe für Unterkunft und Heizung (§ 42a Abs 1 iVm § 35 SGB XII) und der Bestimmung der abstrakten Angemessenheitsgrenze eine gefestigte Rechtsprechung des BSG vor.Zur Ermittlung der abstrakt angemessenen Wohnungsgröße für Einpersonenhaushalte ist nach der ständigen Rechtsprechung der für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zuständigen Senate des BSG auf die Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau und die entsprechenden landesrechtlichen Wohnraumförderungsbestimmungen abzustellen (vgl etwa - juris RdNr 18 mwN; - SozR 4-4200 § 22 Nr 59 mwN, die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, ). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung für den Bereich des SGB XII angeschlossen, auch wenn § 35 SGB XII im Wortlaut abweicht (vgl - SozR 4-3500 § 29 Nr 1 RdNr 14 mwN; BH - juris RdNr 6; BH - juris RdNr 6). Das LSG hat die vom BSG aufgestellten Maßstäbe berücksichtigt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt.

8Ebenso liegt gefestigte Rechtsprechung zu den Voraussetzungen für die Anerkennung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung vor ( - SozR 4-4200 § 21 Nr 15 RdNr 15; B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 und B 14/11b AS 3/07 R; vgl zur Laktoseintoleranz auch - juris RdNr 24).

9Nach dem Vorstehenden ist auch nicht erkennbar, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte.

10Der angefochtene Beschluss des LSG ist nicht unter Verletzung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG), was als absoluter Revisionsgrund von Amts wegen zu beachten wäre (vgl - für BSGE und SozR 4 vorgesehen RdNr 17; - juris RdNr 16), ergangen. Gesetzlicher Richter für die Entscheidung von Verfahren vor dem LSG ist grundsätzlich ein Senat in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern (§ 33 Abs 1 Satz 1 SGG). Hiervon macht ua § 153 Abs 4 SGG (eingeführt durch Art 8 Nr 6 Buchst d nach Maßgabe des Art 14 Abs 3 des Gesetzes vom , BGBl I 50 mit Wirkung vom - Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege) eine Ausnahme. Danach kann das LSG nach seinem Ermessen außer in den Fällen des § 105 Abs 2 Satz 1 SGG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Hiervon hat das Gebrauch gemacht. Nähere inhaltliche Anforderungen an die Entscheidung durch Beschluss formuliert das Gesetz nicht. Vielmehr überantwortet es die Entscheidung ohne ehrenamtliche Richter durch Beschluss dem Senat als berufsrichterliches Kollegium. Der Beschluss ergeht ohne ehrenamtliche Richter (§ 12 Abs 1 Satz 2 SGG). Die Berufung richtete sich nicht gegen einen Gerichtsbescheid und das LSG hielt eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich. Es ist nicht erkennbar, dass bei der Ermessensentscheidung des LSG unzutreffende Annahmen zugrunde gelegen haben, insbesondere dass es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich gehalten hätte. Das LSG hat den Kläger vor der Entscheidung durch Beschluss auch angehört (Bl 8 ff LSG-Akte).

11Nach Aktenlage liegt auch kein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) vor. Dies gilt auch für die Rüge, das LSG habe seiner Sachaufklärungspflicht nicht genügt und damit den Untersuchungsgrundsatz (§ 103 SGG) verletzt. Eine Revision kann aber nicht auf eine Verletzung von §§ 109 SGG und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 2. Halbsatz SGG). Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) durch das LSG könnte nur erfolgreich geltend gemacht werden, wenn sich der Vortrag auf einen Beweisantrag im Berufungsverfahren bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein solcher Sachverhalt ist nicht ersichtlich. In der mündlichen Verhandlung hat der anwaltlich vertretene Kläger lediglich hilfsweise beantragt, "ein Gutachten zu seinem Bedarf für kostenaufwändige Bekleidung, Pflegemittel, Bettwäsche, Reinigungsmittel und Schuhwerk einzuholen". Damit benennt er weder Beweisthema noch das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme. Das SG hatte bereits umfangreich zum entscheidungserheblichen Gesundheitszustand des Klägers ermittelt. Umso vollständiger und präziser hätte daher der anwaltlich vertretene Kläger in einem prozessordnungsgemäßen Beweisantrag angeben müssen, zu welchen für die Entscheidung erheblichen Tatsachen aufgrund welchen Beweismittels noch welche neuen Beweisergebnisse zu erwarten waren, um das LSG vor einer Verletzung seiner Amtsermittlungsplicht zu warnen und von der Notwendigkeit einer weiteren Beweisaufnahme zu überzeugen. Bei der von dem Kläger gewählten Formulierung handelt es sich demgegenüber lediglich um eine Beweisanregung; die Warnfunktion eines Beweisantrags kann sie nicht erfüllen (vgl - juris RdNr 14).

12Mit der Ablehnung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

13Die eingelegte Beschwerde entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften. Der Kläger muss sich vor dem BSG gemäß § 73 Abs 4 SGG durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Er kann eine Prozesshandlung selbst nicht rechtswirksam vornehmen, folglich auch nicht selbst Beschwerde einlegen. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Auch hierauf hat das LSG in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses ausdrücklich hingewiesen.

14Die Entscheidung ergeht nach § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 3 SGG ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter.

15Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.Bieresborn                Luik               Scholz

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2022:260922BB8SO3622BH0

Fundstelle(n):
EAAAJ-51960