BGH Beschluss v. - KZR 39/21

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 19 GWB, § 20 GWB, § 21 Abs 1 GWB, § 1 GWB 2005, § 21 Abs 2 GWB 2005, § 33 GWB 2005, § 287 ZPO, § 544 Abs 9 ZPO

Instanzenzug: Az: 2 U 11/16 Kartvorgehend Az: 16 O 144/15 Kart

Gründe

1A. Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, nimmt die Beklagte auf Ersatz entgangenen Gewinns für die Jahre 2007 bis 2009 wegen einer kartellrechtswidrigen Liefersperre sowie Boykottaufrufen in Anspruch.

2Die Beklagte ist die deutsche Tochtergesellschaft der belgischenR-Gruppe, die Bettwaren, unter anderem Matratzen herstellt. Die Beklagte belieferte ursprünglich eine aus den Gründungsgesellschaftern der Klägerin bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die Matratzen vorwiegend im Onlinehandel vertrieb. Sie brach diese Belieferung im Jahr 2005 endgültig ab. Am kam es zur Gründung der Klägerin. Bestellungen, die die Klägerin im Jahr 2006 tätigte, führte die Beklagte nicht aus. Sie belieferte die Klägerin auch zu keinem anderen Zeitpunkt. Weitere Unternehmen, die die Klägerin zum Zwecke des Bezugs von Matratzen gegründet hatte, belieferte die Beklagte ebenfalls nicht.

3Das Bundeskartellamt verhängte gegen die Beklagte mit Beschluss vom (Az. B1 - 31030-KaLe - 81/11) eine Geldbuße wegen verbotener vertikaler Preisbindung der mit ihr verbundenen Händler in Höhe von 8,2 Mio. €. Der Bußgeldbescheid ist bestandskräftig.

4Die streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche hat die Klägerin zunächst in einem Klageverfahren vor dem Landgericht Dortmund in Form zweier Feststellungsanträge geltend gemacht. Mit dem zuletzt als Antrag 5 gestellten Antrag begehrte sie sinngemäß Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr den Schaden zu ersetzen, der ihr durch Aufforderungen der Beklagten an Hersteller von Bettwaren entstanden ist, die Belieferung der Klägerin einzustellen. Mit dem Antrag 6 begehrte sie Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den durch die Nichtbelieferung in den Jahren 2007 bis 2009 entstandenen Schaden zu ersetzen. Diesen Antrag hat die Klägerin mit Schriftsatz vom zurückgenommen.

5Die Klägerin beruft sich auf Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte aus § 33 GWB in der vom bis zum geltenden Fassung (im Folgenden: GWB a.F.) wegen Verstößen gegen § 21 Abs. 2 GWB a.F., § 1 GWB und Art. 101 AEUV, §§ 19, 20 GWB und § 21 Abs. 1 GWB. Sie hat behauptet, der Grund für die Nichtbelieferung durch die Beklagte sei ihre "fehlende Preisdisziplin" gewesen. Sie begehrt den Ersatz des Schadens, der ihr in den Jahren 2007 bis 2009 infolge Nichtbelieferung durch die Beklagte sowie dadurch entstanden sei, dass sie auf Veranlassung der Beklagten auch von anderen Herstellern nicht mehr beliefert worden sei. Sie hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie Schadensersatz in einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Höhe, mindestens aber in Höhe von 2.600.000 € nebst Zinsen zu zahlen.

6Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

7B. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

8I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

9Ein Schadensersatzanspruch ergebe sich nicht aus § 33 GWB a.F. i.V.m. § 21 Abs. 2 GWB a.F., da Vortrag dazu fehle, dass die Klägerin in der Zeit zwischen 2007 und 2009 überhaupt Bestellungen an die Beklagte gerichtet hat und gegebenenfalls in welchem Umfang eine Lieferpflicht der Beklagten in diesem Zeitraum bestanden haben soll. Ferner habe die Klägerin auch schon nicht vorgetragen, welche Mindestpreise ihr für welche Produkte vorgegeben worden seien, dass sie diese unterschritten und die Beklagte sie daraufhin nicht mehr beliefert habe. Eine endgültige Vergeltungssperre stelle sich überdies nicht als Tathandlung im Sinne des § 21 Abs. 2 GWB dar.

10Der Klägerin stehe der geltend gemachte Schadensersatzanspruch auch nicht aus § 33 GWB a.F. i.V.m. § 1 GWB und Art. 101 AEUV zu, weil eine Liefersperre erst unter den zusätzlichen Voraussetzungen der §§ 19, 20 GWB zu einer Schadensersatzpflicht führen könne. Selbst wenn man dies anders sähe, käme ein Anspruch der Klägerin nicht in Betracht, weil jedenfalls der erforderliche Zusammenhang zwischen der vertikalen Preisbindung und der Liefersperre nicht hinreichend dargetan worden sei.

11Die Klägerin könne ihren Schadensersatzanspruch auch nicht aus §§ 19, 20 GWB herleiten. Eine sortimentsbedingte Abhängigkeit der Klägerin von der Beklagten in Gestalt einer Spitzenstellungs- oder Spitzengruppenabhängigkeit könne mangels ausreichenden Vortrags nicht angenommen werden.

12Ein Schadensersatzanspruch aus § 33 GWB a.F. i.V.m. § 21 Abs. 1 GWB wegen der Nichtbelieferung durch andere Hersteller bestehe ebenfalls nicht. Die Klägerin habe lediglich pauschal Boykottaufrufe der Beklagten gegenüber anderen Herstellern behauptet. Vor diesem Hintergrund wäre eine Beweisaufnahme einer Ausforschung gleichgekommen. Da die Klägerin den entsprechenden Feststellungsantrag vor dem Landgericht Dortmund erstmals am erhoben habe, sei eine Hemmung der dreijährigen Verjährungsfrist nicht mehr in Betracht gekommen.

13II. Diese Begründung hält den Angriffen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht stand. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

141. Soweit das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 33 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GWB a.F. i.V.m. § 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GWB in der vom bis zum geltenden Fassung wegen der Verletzung einer aus einer sortimentsbedingten Abhängigkeit folgenden Belieferungspflicht verneint hat, hat es überhöhte Anforderungen an die Substantiierungslast der Klägerin gestellt und damit deren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.

15a) Nach § 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GWB a.F. darf ein Unternehmen andere Unternehmen in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist, weder unmittelbar noch mittelbar unbillig behindern, soweit von ihm kleine oder mittlere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Weise abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen. Eine sortimentsbedingte Abhängigkeit in Form einer Spitzengruppenabhängigkeit liegt nach der Rechtsprechung des Senats vor, wenn ein Handelsunternehmen eine bestimmte Anzahl allgemein anerkannter Marken aus einer Spitzengruppe im Sortiment benötigt, um wettbewerbsfähig zu sein (vgl. , WuW/E DE-R 481 [juris Rn. 21] m.w.N. - Designer-Polstermöbel). Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der sortimentsbedingten Abhängigkeit trägt die sich hierauf berufende Partei (vgl. BGH, WuW/E DE-R 481 [juris Rn. 21, 24] - Designer-Polstermöbel; Urteil vom - KZR 25/89, WuW/E BGH 2683 [juris Rn. 13] - Zuckerrübenanlieferungsrecht). Sie hat Angaben zum relevanten Markt zu machen, wobei eine sortimentsbedingte Abhängigkeit bereits dann in Betracht kommen kann, wenn ein Handelsunternehmen nach den Erwartungen der Marktgegenseite darauf angewiesen ist, auch nicht austauschbare Waren oder Leistungen (z.B. Produkte höherer und niedrigerer Qualität) im Sortiment zu führen (vgl. , WuW 2018, 142 Rn. 15 - Rimowa). Der Anspruchsteller muss außerdem darlegen, mit welchen Händlern er selbst vergleichbar ist, wie die Spitzengruppe definiert ist, welche Anbieter zu dieser zählen und inwieweit er (auch) von anderen Anbietern aus der Spitzengruppe nicht beliefert wird (vgl. BGH, WuW/E DE-R 481 [juris Rn. 25 bis 31] - Designer-Polstermöbel).

16b) Das Berufungsgericht hat in seinem Hinweisbeschluss vom ausgeführt, die Klägerin habe nicht hinreichend dargetan, welche weiteren Unternehmen neben der Beklagten - und vor allem aus welchen Gründen - eine Spitzengruppe bilden sollen. Es fehle an nachvollziehbarem Vortrag dazu, welche konkreten Produkte welcher Hersteller im Sortiment nicht fehlen dürften. Zwar zähle die Klägerin verschiedene Unternehmen auf, es fehle jedoch an Vortrag, warum diese Zuordnung erfolge und aus welchen Gründen andere Unternehmen nicht zur Spitzengruppe zu zählen seien. Die notwendigen Anknüpfungstatsachen seien nicht erkennbar.

17c) Mit diesen Ausführungen hat das Berufungsgericht überhöhte Anforderungen an die Substantiierungslast der Klägerin gestellt und damit deren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.

18aa) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung liegt auch dann vor, wenn das Gericht die Substantiierungsanforderungen offenkundig überspannt und es dadurch versäumt, den Sachvortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VII ZR 166/19, BauR 2020, 1035 Rn. 14; vom - VI ZR 361/21, ZIP 2022, 2572 Rn. 8; vom - VII ZR 271/19, BauR 2023, 692 Rn. 15). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Sachvortrag bereits dann schlüssig, wenn der Anspruchsteller Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in seiner Person entstanden erscheinen zu lassen. Erfüllt das Parteivorbringen diese Anforderungen, so kann der Vortrag weiterer Einzelheiten oder Erklärungen nicht verlangt werden (vgl. , BauR 2017, 306 Rn. 22; BauR 2023, 692 Rn. 15).

19bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann das Vorbringen der Klägerin zu der behaupteten Spitzengruppenabhängigkeit nicht mit der Begründung des Berufungsgerichts als unschlüssig angesehen werden. Die Klägerin hat konkret dargelegt und unter Beweis gestellt, welche Hersteller von Bettwaren ihrer Ansicht nach auf dem deutschen Endverbrauchermarkt für Matratzen führend sind und dass sie auch als Online-Händlerin auf deren Belieferung angewiesen gewesen ist. Sie hat dazu auf ein ökonometrisches Sachverständigengutachten vom (im Folgenden: Parteigutachten) Bezug genommen, den maßgeblichen Inhalt des Parteigutachtens im Schriftsatz vom und in der Beschwerdebegründung vom wiedergegeben und sich diesen zu eigen gemacht. Auf diesen Vortrag hat sie auch in ihrem dem Hinweisbeschluss folgenden Schriftsatz vom Bezug genommen und die Gehörsverletzung damit rechtzeitig gerügt.

20(1) Aus dem vorgelegten Parteigutachten ergibt sich, dass als sachlich betroffener Markt von einem einheitlichen Matratzenmarkt auszugehen und räumlich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland abzustellen sei, wobei Matratzen im stationären Handel, namentlich in Fachgeschäften, Möbelhäusern, Warenhäusern und im Lebensmittelhandel, sowie im Distanzhandel, mithin im Versandhandel und im Online-Einzelhandel, vertrieben würden. Auf diesem Matratzenmarkt seien im Verstoßzeitraum 49,1 % der Umsätze auf die sechs größten Anbieter entfallen. Die führenden fünf Marken hätten 2007 einen Marktanteil von 32,4 % gehabt. Im Matratzeneinzelhandel seien umfangreiche, differenzierte Sortimente üblich gewesen.

21(2) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht die nicht abschließende Aufzählung der nach Ansicht der Klägerin die Spitzengruppe bildenden Unternehmen einer hinreichenden Konkretisierung des klägerischen Vortrags nicht entgegen. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich ohne Weiteres, dass sie neben der Beklagten beziehungsweise deren Marke S die Unternehmen D GmbH, M GmbH, f-s, M S GmbH und H GmbH zu denjenigen Herstellern von Matratzen rechnet, die aus ihrer Sicht die Spitzengruppe bilden (vgl. Schriftsätze der Klägerin vom , vom und vom ). Im Hinblick auf das Parteigutachten vom kann auch nicht der Auffassung des Berufungsgerichts beigetreten werden, es fehle an den notwendigen Anknüpfungstatsachen.

22(3) Die Klägerin hat ferner dargelegt, dass der Kaufentscheidung des Verbrauchers ein längerer Such- und Testprozess vorausgehe, weshalb im Matratzeneinzelhandel Mehrmarkensortimente vorausgesetzt würden (vgl. Schriftsatz vom ). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ergibt sich aus dem Vortrag der Klägerin zudem, dass sich die Abhängigkeit nicht auf einzelne Produkte, sondern auf führende Hersteller und ihre Marken bezieht (Schriftsatz vom ). Anders als die Vorinstanzen gemeint haben, hat die Klägerin durch Bezugnahme auf das Parteigutachten (dort S. 15) und durch den Hinweis auf die Angebotspalette anderer Internethändler (Schriftsatz vom ) auch schlüssig behauptet, dass nicht nur stationäre Händler, sondern ebenso Online-Händler über ein entsprechendes Warensortiment verfügen müssen, um wettbewerbsfähig zu sein.

23(4) Die Klägerin hat darüber hinaus dargelegt, dass nicht nur die Beklagte, sondern alle Mitglieder der Spitzengruppe die Belieferung der Unternehmensgruppe der Klägerin - jedenfalls ab bestimmten Zeitpunkten - nach Einwirkung durch die Beklagte verweigerten (vgl. Klageschrift vom , und Anlage K 45 sowie den Schriftsatz vom und Berufungsbegründung vom mit Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Vortrag).

24cc) Die dargelegten Umstände genügen, um eine Spitzengruppenabhängigkeit schlüssig darzulegen. Das Berufungsgericht hat sich mit diesem Vorbringen nicht ausreichend auseinandergesetzt, sondern stattdessen überspannte Anforderungen an den Vortrag der Partei gestellt.

252. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt außerdem mit Recht, dass das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 33 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GWB a.F. i.V.m. § 21 Abs. 1 GWB in gehörsverletzender Weise mit der Begründung verneint hat, die Klägerin habe ihre Behauptung eines kausal auf der angeblichen Aufforderung zur Liefersperre beruhenden Schadens nicht ausreichend konkretisiert.

26a) Ein Boykottaufruf im Sinne des § 21 Abs. 1 GWB setzt voraus, dass ein Unternehmen (Verrufer) ein anderes Unternehmen (Adressat des Boykottaufrufs) in der Absicht, bestimmte Unternehmen (Verrufene) zu behindern, zu einer Liefer- oder Bezugssperre auffordert (, WuW/E BGH 2603, 2605 [juris Rn. 12] - Neugeborenentransporte; vom - KZR 18/98, WuW/E DE-R 395 [juris Rn. 23] - Beteiligungsverbot für Schilderpräger). Dabei ist unter einer Aufforderung zu einer Liefer- oder Bezugssperre jeder Versuch zu verstehen, einen anderen Unternehmer dahin zu beeinflussen, dass er bestimmte Liefer- oder Leistungsbeziehungen nicht eingeht oder nicht aufrechterhält (vgl. , WuW/E DE-R 352 [juris Rn. 46] - Kartenlesegerät; vom - KZR 15/98, WuW/E DE-R 487 [juris Rn. 25] - Zahnersatz aus Manila).

27b) Das Berufungsgericht hat in seinem Hinweisbeschluss ausgeführt, bei der behaupteten Einflussnahme auf Verantwortliche der F GmbH & Co. KG sowie der B GmbH durch die Beklagte fehle es schon an ausreichenden Angaben zur Entstehung eines kausal darauf zurückzuführenden Schadens. Die Herstellerin F habe erst über zwei Jahre nach der behaupteten Einflussnahme den Liefervertrag gekündigt. Die Herstellerin B solle nach einer Einflussnahme Anfang 2009 die Belieferung ab Oktober 2009 eingestellt haben. Unter Berücksichtigung dieses zeitlichen Ablaufs hätte es weiteren Vortrags bedurft. Im Übrigen habe die Klägerin die Einflussnahme nur pauschal behauptet. Soweit sie sich darauf berufe, der Zeuge V, der ehemalige Geschäftsführer der Beklagten, und weitere Mitarbeiter der Beklagten hätten 2006 und in den Folgejahren mit allen wesentlichen Wettbewerbern Kontakt aufgenommen und sie zur Nichtbelieferung der Klägerin gedrängt, habe sie diesen Vortrag nicht konkretisiert. Die beantragte Beweisaufnahme käme vor diesem Hintergrund einer Ausforschung gleich.

28c) Das Berufungsgericht hat auch insoweit die Anforderungen an die Substantiierung des klägerischen Vortrags überspannt und wesentliche Elemente des Vorbringens der Klägerin in einer den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzenden Weise übergangen.

29aa) Der erst- und zweitinstanzliche Vortrag der Klägerin enthält genügend Angaben, um das Merkmal der Aufforderung zu einer Liefersperre auszufüllen. Die Klägerin hat vorgetragen, die Beklagte habe alle anderen führenden Hersteller von Bettwaren zur Nichtbelieferung der Klägerin gedrängt. Diesen Vortrag hat sie unter Beweis durch zahlreiche konkret benannte Zeugen gestellt (vgl. Klageschrift vom sowie Schriftsätze vom und ). Außerdem hat sie dargelegt und unter Beweis gestellt, dass der Zeuge V, in einem persönlichen Gespräch mit ihrem Geschäftsführer, eingeräumt habe, dass die Beklagte andere Hersteller zur Nichtbelieferung der Klägerin gedrängt habe (vgl. Schriftsätze vom und ). Der Klägerin kann nicht entgegengehalten werden, sie habe die Boykottaufrufe lediglich pauschal behauptet. Weitergehender Vortrag zu Ort und Zeit der jeweiligen Gespräche kann von ihr nicht verlangt werden, weil ihre Verantwortlichen bei den behaupteten Gesprächen zwischen der Beklagten und Dritten nicht zugegen waren und daher keine Kenntnisse aus eigener Wahrnehmung beisteuern können. Die Klägerin hat hinreichend konkret vorgetragen, dass die Einflussnahme alle führenden Hersteller betraf und dass sie diese Behauptung unter anderem auf Äußerungen des Zeugen V stützt. Von einem Vortrag "ins Blaue hinein" kann bei dieser Sachlage nicht ausgegangen werden. Das Berufungsgericht hätte daher den Beweisantritten, insbesondere dem Antrag auf Vernehmung des Zeugen V, nachgehen müssen.

30bb) Die Klägerin hat ferner dargelegt und unter Beweis gestellt, dass die Nichtbelieferung durch die anderen Hersteller ihre Ursache in den behaupteten Boykottaufrufen der Beklagten hatte (vgl. Schriftsätze vom und ). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann auch die Ursächlichkeit der angeblichen Boykottaufrufe für die erst längere Zeit später erfolgten Liefereinstellungen durch die Hersteller F und B nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Der Zeitablauf macht die Kausalitätsbehauptung nicht unschlüssig, sondern lediglich weniger wahrscheinlich. Ob sie zutrifft, ist eine Frage der Würdigung der angebotenen Beweismittel. Die Nichtberücksichtigung der Beweisangebote, die darauf beruht, dass das Gericht dem unter Beweis gestellten Vorbringen wegen seiner bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimisst, stellt sich als vorweggenommene Beweiswürdigung dar, die das Gebot des rechtlichen Gehörs verletzt (vgl. , NJW 2022, 2935 Rn. 11).

31cc) Entgegen der Beschwerdeerwiderung hat die Klägerin die überspannten Substantiierungsanforderungen des Berufungsgerichts bereits in dem auf den Hinweisbeschluss vom folgenden Schriftsatz vom gerügt.

323. Die Gehörsverletzungen sind auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre, wenn es das übergangene Vorbringen berücksichtigt und die von der Klägerin angebotenen Beweise erhoben hätte.

33a) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat es die Klägerin nicht versäumt, den durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen Schaden schlüssig darzulegen und unter Beweis zu stellen.

34aa) Die Klägerin macht entgangenen Gewinn aufgrund der Liefersperre geltend. Sie kann sich dabei nicht auf eigene Bestellungen bei der Beklagten oder bei anderen Herstellern berufen, die nicht ausgeführt wurden. Nach ihrem Vortrag hat sie in dem fraglichen Zeitraum zwischen 2007 bis 2009 selbst keine Bestellungen aufgegeben, weil die Beklagte und andere Hersteller ohnehin nicht bereit waren, sie zu beliefern. Als Schaden macht sie daher den entgangenen Gewinn aus stornierten Bestellungen ihrer Kunden geltend. Ebenso beruft sie sich auf Stornierungen der Kunden ihrer Schwestergesellschaften, die sie nach ihrem Vortrag nur gegründet hat, um die Liefersperre zu umgehen. Die Stornierungen bei den Schwestergesellschaften bilden nach ihrem Vortrag daher Absatzmöglichkeiten ab, die sie ohne die Liefersperre selbst gehabt hätte. Die Stornovorgänge nebst Preisen hat sie umfassend aufgelistet (Anlage K62). Ferner macht sie den entgangenen Gewinn aus der Nichteröffnung bzw. Schließung von zwei Ladengeschäften geltend. Sie hat auf Basis eines Schadensgutachtens einen Mindestschaden geschätzt und einen unbezifferten Leistungsantrag gestellt.

35bb) Steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch dem Grunde nach fest und bedarf es lediglich der Bestimmung seiner Höhe, kommt dem Geschädigten die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zugute. Dabei genügt eine erhebliche, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit. Zwar ist es Sache des Anspruchstellers, diejenigen Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die seine Vorstellungen zur Schadenshöhe rechtfertigen sollen. Enthält der diesbezügliche Vortrag Lücken oder Unklarheiten, so ist es in der Regel jedoch nicht gerechtfertigt, dem jedenfalls in irgendeiner Höhe Geschädigten jeden Ersatz zu versagen. Der Tatrichter muss vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen beurteilen, ob nach § 287 ZPO nicht wenigstens die Schätzung eines Mindestschadens möglich ist, und darf sie erst dann gänzlich unterlassen, wenn sie mangels jeglicher konkreter Anhaltspunkte völlig in der Luft hinge und daher willkürlich wäre (st. Rspr.; vgl. , WuW 2021, 642 Rn. 29 - wilhelm.tel).

36cc) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe können die vorgetragenen Kundenstornierungen eine ausreichende Grundlage für die Schadensschätzung bieten. Erforderlichenfalls ist der angebotene Sachverständigenbeweis zu erheben. Es ist anzunehmen, dass die Klägerin im Umfang der bei ihr eingegangenen Bestellungen der Beklagten oder anderen Herstellern entsprechende Aufträge erteilt hätte. Ein kausaler Zusammenhang zwischen den Stornierungen und der behaupteten Liefersperre liegt damit nicht fern. Der Schaden aus der behaupteten umfassenden Liefersperre ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht auf diejenigen Produkte beschränkt, die nach den Feststellungen des Bundeskartellamts im Bußgeldbescheid Gegenstand der vertikalen Preisbindung waren.

37b) Die geltend gemachten Schadensersatzansprüche sind entgegen der Hilfsbegründung des Berufungsgerichts auch nicht gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB verjährt.

38aa) Der Schadensersatzanspruch aus § 33 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GWB a.F. unterlag der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB von drei Jahren (vgl. Emmerich in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 33 GWB Rn. 77). Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die Verjährung begann daher frühestens mit Ablauf des .

39bb) Die Erhebung der Feststellungsklage mit Schriftsatz vom vor dem Landgericht Dortmund hemmte die bis zum laufende Verjährung der im Jahr 2007 entstandenen Ersatzansprüche bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der erklärten Klagerücknahme, § 204 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB. Die erneute Klageerhebung vor dem Landgericht Berlin, die nunmehr in Form eines unbezifferten Leistungsantrags erfolgte, führte zu einer weiteren Hemmung. Die fortgesetzte Hemmung durch erneute Klageerhebung nach Klagerücknahme ist grundsätzlich möglich (vgl. VIa ZR 184/22, WM 2022, 2240 Rn. 15). Der Hemmung steht es auch nicht entgegen, wenn die vor dem Landgericht Dortmund verfolgten Feststellungsanträge wegen des Vorrangs der Leistungsklage unzulässig waren (vgl. , BGHZ 39, 287, 291 [juris Rn. 19]; vom - III ZR 56/10, NJW 2011, 2193 Rn. 13).

40cc) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wurde die Verjährung auch im Hinblick auf den Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für den Schaden aufgrund des Boykottaufrufs durch die Klageerhebung in dem Rechtsstreit vor dem Landgericht Dortmund mit Schriftsatz vom gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt. Der dortige Antrag 2 umfasste die geltend gemachten Schäden aus der Nichtbelieferung der Klägerin durch andere Hersteller. Entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts ist dieser Feststellungsantrag nicht erstmals am gestellt worden. Aus dem Tatbestand des ergibt sich, dass in der mündlichen Verhandlung vom lediglich eine Antragsumstellung dahingehend erfolgt ist, dass der schriftsätzlich zunächst als Antrag zu 2 angekündigte Feststellungsantrag nunmehr als Antrag 5 gestellt worden ist. Eine weitere Hemmung erfolgte durch die Erhebung der Klage im hiesigen Rechtsstreit mit Klageschrift vom (zugestellt am ) in noch unverjährter Zeit, nämlich noch während des laufenden Berufungsverfahrens zum oben genannten Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. In diesem Verfahren ist die Berufung bezüglich des fraglichen Feststellungsantrags erst mit Schriftsatz vom zurückgenommen worden (vgl. VI-U (Kart) 46/13 [juris Rn. 4]).

41C. Der Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts ist daher gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Entscheidung und Verhandlung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit erledigt sich die Rüge, es habe anstelle des zuständigen Kartellsenats der 2. Zivilsenat des Kammergerichts entschieden, wobei insoweit nur ein offensichtliches Schreibversehen vorlag.

42D. Für den weiteren Verfahrensgang weist der Senat auf folgende Gesichtspunkte hin:

43Soweit Schäden durch die Nichtbelieferung seitens der Beklagten in Rede stehen, kommt auch ein Anspruch aus § 33 Abs. 1 Satz 1 GWB a.F. i.V.m. Art. 81 EGV (jetzt: Art. 101 AEUV) und § 1 GWB in Betracht.

44I. Zu Unrecht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, die Klägerin könne von der vom Bundeskartellamt in seinem Beschluss vom festgestellten vertikalen Preisbindung nicht betroffen sein, weil sie ohnehin nicht beliefert wurde und auch keinen Anspruch auf Belieferung nach §§ 19, 20 GWB gehabt habe.

451. Für die Betroffenheit im Sinne des § 33 GWB kommt es nur darauf an, ob dem Anspruchsgegner ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten anzulasten ist, das - vermittelt durch den Abschluss von Umsatzgeschäften oder in anderer Weise - geeignet ist, einen Schaden des Anspruchstellers mittelbar oder unmittelbar zu begründen (, BGHZ 224, 281 Rn. 25 - Schienenkartell II). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann jedermann Ersatz des Schadens verlangen, soweit nur zwischen dem Schaden und dem nach Art. 101 AEUV verbotenen Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang besteht (, EuZW 2006, 529Rn. 61, 90 - Manfredi; vom - C-724/17, WuW 2019, 253Rn. 26 - Skanska). Anspruchsberechtigt sind daher Personen, auf deren Vermögensposition sich die Kartellabsprache wirtschaftlich nachteilig in Form eines verursachten Schadens ausgewirkt hat (vgl. , WuW 2020, 83 Rn. 30 bis 34 - Otis).

462. Das Berufungsgericht hat übersehen, dass eine Preisbindung nur funktionieren kann, wenn sie lückenlos ist und nicht durch Außenstehende unterlaufen wird. Die zwischen einem Hersteller und seinen Händlern vereinbarte Preisbindung wird daher mit hoher Wahrscheinlichkeit zugleich die Absprache beinhalten, dass der Hersteller solche Händler nicht beliefern wird, die keine Bindung eingehen wollen und sich nicht an die vorgegebenen Preise halten. Darauf beruft sich vorliegend die Klägerin. Die vom Bundeskartellamt festgestellte Preisbindung ist damit durchaus geeignet, einen Schaden der Klägerin durch die Nichtbelieferung der Beklagten zu begründen.

47II. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann auch der kausale Zusammenhang zwischen der vertikalen Preisbindung und dem geltend gemachten Schaden durch die Nichtbelieferung nicht verneint werden.

481. Wie ausgeführt, kann eine Preisbindung nur bei gedanklicher und praktischer Lückenlosigkeit wirksam ins Werk gesetzt werden. Für eine mit der Preisbindung einhergehende Liefersperre ungebundener Händler spricht damit zwar - wie das Berufungsgericht zu Recht ausführt - nicht der Beweis des ersten Anscheins; dafür fehlt es an der notwendigen Typizität des Geschehensablaufs. Es streitet aber eine auf der hohen Wahrscheinlichkeit eines solchen Geschehens beruhende tatsächliche Vermutung - im Sinne eines Erfahrungssatzes - dafür, dass die Preisbindungsvereinbarung der Grund dafür ist, wenn der Hersteller nach ihrem Abschluss einen preisaggressiven Außenseiter nicht beliefert. Diese Beweiserleichterung trägt dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz Rechnung. Die volle Wirksamkeit von Art. 101 AEUV (Art. 81 EGV a.F.) setzt voraus, dass jedermann Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihm durch gegen diese Bestimmung verstoßende Absprachen entsteht. Bei der Anwendung der einzelstaatlichen Regelungen über Voraussetzungen und Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs muss dafür Sorge getragen werden, dass die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht übermäßig erschwert wird (EuGH, EuZW 2006, 529 Rn. 89 bis 91 - Manfredi; , WuW 2019, 91 Rn. 56 - Schienenkartell I).

492. Ob sich die Klägerin im Streitfall auf eine solche tatsächliche Vermutung berufen kann, hängt noch von weiteren Feststellungen ab. Es kommt darauf an, ob schon aus zeitlichen Gründen ausgeschlossen ist, dass die Liefersperre Folge der von der Beklagten mit anderen Händlern abgesprochenen Preisbindung sein kann. Das könnte der Fall sein, wenn die Beklagte die Liefersperre gegen die Klägerin schon vor den vom Bundeskartellamt festgestellten Absprachen verhängt und dann unabhängig von diesen Absprachen aufrechterhalten hätte. Die Liefersperre bestand nach dem Vortrag der Klägerin - zunächst gegenüber ihrer Vorgängergesellschaft - seit August 2005. Vereinbarungen von Mindestverkaufspreisen sollen nach dem Beschluss des Bundeskartellamts zwischen Juli 2005 und Dezember 2009 bestanden haben. Selbst wenn sich die Beklagte zunächst schon einseitig zur Nichtbelieferung der Vorgängergesellschaft der Klägerin entschlossen haben sollte, könnte zudem die Übertragung der Liefersperre auf die Klägerin und deren Aufrechterhaltung dieser gegenüber auf der Preisbindungsvereinbarung mit den Händlern beruhen. Den Parteien wird Gelegenheit zu geben sein, hierzu ergänzend vorzutragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:120923BKZR39.21.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-51935