BGH Beschluss v. - 4 StR 132/23

Verbotenes Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge: Voraussetzungen des bedingten Gefährdungsvorsatzes

Gesetze: § 18 StGB, § 315d Abs 1 Nr 3 StGB, § 315d Abs 2 StGB, § 315d Abs 5 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Neuruppin Az: 11 Ks 12/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und mit fahrlässiger Körperverletzung sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, eine Sperre für deren Wiedererteilung angeordnet, den Führerschein des Angeklagten eingezogen und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Verfahrensrüge ist nicht näher ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Soweit die Ausführungen in der Revisionsbegründung zu dem Inhalt einer im Urteil beweiswürdigend herangezogenen Zeugenaussage als Rüge einer Verletzung des § 261 StPO (Inbegriffsrüge) zu verstehen sein sollten, stünde ihrem Erfolg im Übrigen das Verbot der Rekonstruktion des Inhalts der tatrichterlichen Hauptverhandlung entgegen (vgl. Rn. 9 mwN; Beschluss vom – 5 StR 183/18 mwN).

32. Der Schuldspruch hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung teilweise nicht stand. Während die Verurteilung wegen des tatmehrheitlich verwirklichten unerlaubten Entfernens vom Unfallort nicht zu beanstanden ist, kann der Schuldspruch wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge nicht bestehen bleiben. Zwar hat das Landgericht zutreffend angenommen, dass der Angeklagte den Grundtatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB sowie in objektiver Hinsicht auch die Qualifikationstatbestände des § 315d Abs. 2 und 5 StGB verwirklicht hat. Jedoch ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht, dass er auch mit dem nach § 315d Abs. 2 StGB erforderlichen (bedingten) Gefährdungsvorsatz handelte.

4a) Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte, nachdem er auf einer Feier alkoholische Getränke konsumiert hatte, mit einem hochmotorisierten Pkw Mercedes AMG eine Landstraße. Um seinem Beifahrer das Leistungsvermögen des Fahrzeugs zu demonstrieren, fuhr er mit weit überhöhter Geschwindigkeit. Bei Annäherung an eine Kurve bremste er kurz ab und gab dann aus „nicht näher aufklärbaren Gründen, am ehesten als Folge eines alkoholbedingten Verlustes seines Koordinationsvermögens“ bereits kurz vor Einfahrt in die Kurve erneut Vollgas. Dies hatte zur Folge, dass das Fahrzeug trotz seines sehr leistungsstarken Fahrwerks bei der Kurvendurchfahrt nicht mehr in der Fahrspur gehalten werden konnte. Es geriet in die Gegenspur, wo es mit zwei entgegenkommenden Fahrzeugen kollidierte. Während am ersten dieser Fahrzeuge nur Sachschaden entstand, wurden zwei der Insassen des zweiten getötet und die beiden anderen verletzt.

5Zur inneren Tatseite des § 315d Abs. 2 StGB hat das Landgericht ausgeführt, dass die konkrete Gefährdung von Leib oder Leben anderer Menschen, nämlich der bei der Kurvendurchfahrt im Gegenverkehr befindlichen Personen, vom Vorsatz des Angeklagten umfasst gewesen sei. Dieser habe gewusst, „dass seine für die Kurvendurchfahrt gewählte Geschwindigkeit so nah an der Grenze des mit dem Mercedes Möglichen lag, dass sonst nichts mehr ‚dazwischenkommen‘ durfte, wenn es nicht zum Unfall kommen sollte“, wenn er auch „darauf vertraute, dass die Gefährdung sich nicht realisieren würde“. Ein vorsätzliches Tötungsdelikt hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht und zur Begründung ausgeführt, dass die „festgestellte Überzeugung des Angeklagten, dass er mit dem Mercedes in der Lage sein würde, die Kurve auch mit der angestrebten überhöhten Geschwindigkeit zu durchfahren“, die Annahme ausschließe, „er habe sich mit der konkreten Möglichkeit eines Unfalls und der davon für andere Verkehrsteilnehmer ausgehenden Todesgefahr abgefunden und sie in Kauf genommen oder gar derlei beabsichtigt“.

6b) Damit hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 315d Abs. 2 StGB in subjektiver Hinsicht nicht festgestellt. Der insoweit erforderliche (mindestens) bedingte Gefährdungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter über die allgemeine Gefährlichkeit des Kraftfahrzeugrennens hinaus auch die Umstände kennt, die den in Rede stehenden Gefahrerfolg im Sinne eines Beinaheunfalls als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen, und er sich mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage zumindest abfindet (, NZV 2023, 361 Rn. 28 mwN). Das hiernach erforderliche voluntative Vorsatzelement, nämlich das Erfordernis, dass sich der Täter mit dem Eintritt der konkreten Gefährdung abgefunden haben muss, hat das Landgericht indes gerade verneint, indem es festgestellt hat, dass der Angeklagte überzeugt gewesen sei, zur Kurvendurchfahrt in der Lage zu sein, und darauf vertraut habe, dass die Gefährdung etwa entgegenkommender Verkehrsteilnehmer sich nicht realisieren werde. Damit fehlt es zugleich am Vorsatz des Angeklagten hinsichtlich der auch insoweit an § 315d Abs. 2 StGB anknüpfenden und nur im Übrigen § 18 StGB unterfallenden Erfolgsqualifikation des § 315d Abs. 5 StGB (vgl. , BGHSt 66, 27 Rn. 20; MüKo-StGB/Pegel, 4. Aufl., § 315d Rn. 38 mwN).

7c) Die Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB unterliegt schon wegen des tateinheitlichen Zusammentreffens der Aufhebung. Im Übrigen gilt hinsichtlich des erforderlichen Gefährdungsvorsatzes das oben Gesagte entsprechend (vgl. , NStZ 2023, 108 Rn. 14).

83. Der Senat hebt die Feststellungen zur subjektiven Seite des Tatgeschehens bis zu dem Unfall insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Die übrigen Feststellungen werden von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

94. Die Aufhebung der Verurteilung wegen der Unfallfahrt entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage. Die Maßregel nach § 69 StGB kann hingegen bestehen bleiben. Da die Strafkammer rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB festgestellt hat, schließt der Senat aus, dass sie dem Angeklagten nicht bereits wegen der von der Teilaufhebung nicht betroffenen Straftat des unerlaubten Entfernens vom Unfallort die Fahrerlaubnis entzogen und seinen Führerschein eingezogen hätte. Demgegenüber hat das Landgericht für die Bemessung der Dauer der Sperrfrist (§ 69a StGB) auf drei Jahre unter anderem die „Massivität der Verkehrsverstöße“ berücksichtigt, weshalb ein Beruhen dieser Anordnung auf dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht sicher auszuschließen und die Anordnung der Sperrfrist daher mit aufzuheben ist.

105. Hinsichtlich des Adhäsionsausspruchs, der trotz der Aufhebung des Schuldspruchs bestehen bleiben kann (vgl. Rn. 12), berichtigt der Senat die Urteilsformel in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO. Das Landgericht wollte ausweislich der Urteilsgründe ein Grundurteil im Sinne des § 406 Abs. 1 Satz 2 StPO über den Schmerzensgeldanspruch erlassen und hat dieses offenbar versehentlich wie ein Feststellungsurteil tenoriert. Im Übrigen ist der Ausspruch, mit dem das Landgericht den Adhäsionsanträgen nur teilweise stattgegeben hat, dahin zu ergänzen, dass von der Entscheidung über die weiter gehenden Anträge abgesehen wird (§ 406 Abs. 1 Satz 3 StPO).

116. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:

12a) Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, zum objektiven Tatbestand der Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1 a) StGB gegebenenfalls den erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen der Alkoholisierung und dem Gefährdungserfolg, d.h. dem Unfall, sicher festzustellen und zu belegen (vgl. , NStZ 2023, 232; Beschluss vom – 4 StR 560/19, NStZ-RR 2020, 121 mwN). Die bisherige Feststellung, wonach der Angeklagte den Fahrfehler einer erneuten Beschleunigung noch vor dem Kurveneingang „am ehesten“ infolge seiner Alkoholisierung beging, genügt hierfür nicht. Zudem wird zu erwägen sein, ob der Angeklagte gegebenenfalls auch den Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB verwirklicht hat, was nach den Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen in Betracht kommt.

13b) Auch die bisherigen Strafzumessungserwägungen begegnen rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat dem Angeklagten hinsichtlich der für die Unfallfahrt verhängten Einzelstrafe bei der Strafrahmenwahl wie auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne strafschärfend angelastet, dass das „Zusammenkommen der extremen (und hemmungslos ausgenutzten) Leistungsfähigkeit des bei der Tat benutzten Fahrzeugs mit den ohnehin unfallträchtigen Gegebenheiten auf der für die Fahrt ausgewählten Strecke“ eine „derart brisante Verkehrssituation“ geschaffen habe, „dass ihre bewusste Herbeiführung und Inkaufnahme in der Tat zwar die Inkaufnahme der Möglichkeit auch eines Unfalls mit Todesfolge noch nicht beinhaltete, ihr aber erschreckend nahekam“. Diese Erwägung ist unklar und lässt besorgen, dass das Landgericht die Verwirklichung der Qualifikationstatbestände des § 315d Abs. 2 und 5 StGB entgegen § 46 Abs. 3 StGB strafschärfend verwertet hat.

14Soweit die Strafkammer eine Freiheitsstrafe im oberen Bereich des Strafrahmens auch aus generalpräventiven Gründen für erforderlich gehalten hat, weist der Senat schließlich auf die Anforderungen hin, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an die Berücksichtigung generalpräventiver Gesichtspunkte zu stellen sind (; Urteil vom – 3 StR 204/20 Rn. 37 ff. [insoweit in NStZ 2021, 626 nicht abgedruckt]).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:130923B4STR132.23.0

Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 24 Nr. 46
NAAAJ-51114