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BGH Beschluss v. - 2 StR 164/23

Belehrung des Angeklagten über Entfall der Bindungswirkung an getroffene Verständigung nach Aussetzung der Hauptverhandlung

Gesetze: § 243 Abs 4 S 1 StPO, § 257c Abs 5 StPO

Instanzenzug: Az: 9 KLs 8801 Js 45353/20

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer [Menge] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt“ und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Rüge der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren beziehungsweise einer Verletzung der § 257c Abs. 5 StPO entsprechenden Belehrungspflicht Erfolg.

21. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

3Zur Vorbereitung der Hauptverhandlung fand am ein Erörterungstermin statt, an dem die verhandlungsleitende Richterin der Strafkammer, die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und einer der beiden Verteidiger des Angeklagten teilnahmen. Nach Erörterung des Verfahrensgegenstandes und des Hinweises der Richterin, dass weder die Frage einer möglichen Unterbringung nach § 64 StGB noch diejenige der Einziehung Gegenstand einer Verständigung sein könnten, kündigte der anwesende Verteidiger an, dass nach Rücksprache mit dem Angeklagten und dem weiteren Verteidiger eine geständige Einlassung im Sinne der Anklage geplant sei. Nach weiterer Erörterung erklärte die Staatsanwältin, dass nach aktueller Aktenlage keine Anhaltspunkte für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ersichtlich seien und nur unter der Prämisse einer umfassenden geständigen Einlassung ein Strafrahmen zwischen sechs Jahren und neun Monaten und sieben Jahren und sechs Monaten denkbar sei. Die Richterin teilte mit, dies stelle aus ihrer Sicht den denkbar untersten Rand einer tat- und schuldangemessenen Strafe dar. Der Verteidiger erklärte, dass gleichwohl weiterhin eine geständige Einlassung geplant sei, und er sich zeitnah wegen der Fortführung der Verständigungsgespräche melden werde.

4In der am erstmals begonnenen Hauptverhandlung wurde ein Vermerk über das Verständigungsgespräch vom verlesen, selbiges protokolliert und der Inhalt des Vermerks durch eine Bezugnahme auf die Fundstelle in den Akten im Hauptverhandlungsprotokoll dokumentiert. Anschließend kam es zu einer Verständigung, in deren Folge sich der Angeklagte vollumfänglich geständig zur Sache einließ. Diese Hauptverhandlung musste später ausgesetzt werden.

5In der am neuerlich begonnenen Hauptverhandlung führte die Vorsitzende nach Verlesung der Anklageschrift und der Feststellung zur Zulassung derselben aus, dass am (gemeint 2022) ein Erörterungstermin im Hinblick auf eine Verständigung stattgefunden habe. Das Erörterungsprotokoll vom wurde neuerlich verlesen und selbiges im Hauptverhandlungsprotokoll unter Bezugnahme auf die Fundstelle in den Akten dokumentiert. Danach wies sie den Angeklagten darauf hin, dass es ihm freistehe, sich zur Anklage zu äußern oder nicht auszusagen. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit zu dem verlesenen Erörterungsprotokoll Stellung zu nehmen, wovon sowohl die Vertreterin der Staatsanwaltschaft wie auch die Verteidigung Gebrauch machten. Nach Beratung unterbreitete die Strafkammer den Verfahrensbeteiligten anschließend einen Verständigungsvorschlag dahingehend, dass die Strafkammer für den Fall eines umfassenden Geständnisses im Sinne der Anklage der Verurteilung einen Strafrahmen von sechs Jahren und neun Monaten bis sieben Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe zugrunde legen werde.

6Nachdem der Angeklagte gemäß § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden war, stimmten alle Verfahrensbeteiligten dem Verständigungsvorschlag zu. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung ließ sich der Angeklagte geständig zur Sache ein.

72. Die Rüge hat mit der Angriffsrichtung einer Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren beziehungsweise einer Belehrungspflicht entsprechend § 257c Abs. 5 StPO Erfolg.

8a) Die Rüge ist zulässig erhoben. Sie genügt dem Vortragserfordernis des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

9aa) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts bedurfte es hierfür nicht der Vorlage des Protokolls der ausgesetzten Hauptverhandlung. Insoweit reicht das ‒ im Übrigen unwidersprochene ‒ Vorbringen der Revision, dass sich der Angeklagte im Zuge der ausgesetzten Hauptverhandlung in Folge der Verständigung geständig eingelassen hat.

10bb) Es ist hier auch unschädlich, dass die Revision nicht vorträgt, ob der Angeklagte in der ausgesetzten Hauptverhandlung vor der Verständigung ordnungsgemäß nach § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden war, mithin nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine Pflicht zur Belehrung über die Unverwertbarkeit des Geständnisses bestand (vgl. hierzu ‒ 5 StR 484/20, BGHSt 66, 37, 45 ff.). Denn die Revision stellt dar, dass der Angeklagte weder auf die entfallene Bindungswirkung noch auf die Unverwertbarkeit seines Geständnisses hingewiesen worden ist.

11b) Die Verfahrensrüge ist auch begründet.

12aa) In Folge der Aussetzung der Hauptverhandlung ist die Bindungswirkung der getroffenen Verständigung entfallen (vgl. ‒ 5 StR 484/20, aaO, S. 41; KK-StPO/Moldenhauer/Wenzke, 9. Aufl., § 257c Rn. 42d bis 42e). Dies zieht die Unverwertbarkeit des im Vertrauen auf ihren Bestand abgegebenen Geständnisses des Angeklagten in der neuen Hauptverhandlung nach sich (vgl. ‒ 5 StR 484/20, aaO, S. 42 ff.).

13bb) Der Senat kann offenlassen, ob der Angeklagte qualifiziert über die Unverwertbarkeit seiner vormaligen verständigungsbasierten Einlassung zu informieren war (vgl. ‒ 1 StR 153/19, NStZ 2019, 483; BeckOK StPO/Eschelbach, 48. Ed., § 257c Rn. 30a; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 257c Rn. 30b; SSW-StPO/Ignor/Wegner, 5. Aufl., § 257c Rn. 124; Kudlich, NJW 2021, 2445; Ventzke, NStZ 2021, 572, 574) oder ob es in diesem Fall ausreicht, wenn der Angeklagte lediglich über den Wegfall der Bindungswirkung der getroffenen Verständigung informiert wird, sofern er in der ausgesetzten Hauptverhandlung vor der dortigen Verständigung ordnungsgemäß nach § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden war (vgl. ‒ 5 StR 484/20, BGHSt 66, 37, 45 ff.; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, aaO), denn es fehlt bereits an dem Hinweis an den Angeklagten durch das Gericht, dass die Bindungswirkung an die getroffene Verständigung durch die erfolgte Aussetzung entfallen war.

14c) Das Geständnis des Angeklagten und damit das Urteil beruhen auf dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann die Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis nicht ausnahmsweise ausschließen.

15aa) Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten auf der Grundlage der Verständigung eingeräumt. Hierauf hat die Strafkammer die Verurteilung gestützt.

16bb) Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dem Angeklagten die Voraussetzungen für den Wegfall der Bindungswirkung bei Abgabe des Geständnisses bekannt waren (vgl. ‒ 2 BvR 2628/10, BVerfGE 133, 168 ff. Rn. 99 und 127; Senat, Beschluss vom ‒ 2 StR 383/20, juris Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom ‒ 6 StR 528/21, juris Rn. 5; vom ‒ 5 StR 73/17, juris Rn. 6), sind nicht erkennbar. Dass der Angeklagte angesichts des wiederholt verlesenen Vermerks über das Erörterungsgespräch vom und der erneuten Verständigungsgespräche in der Hauptverhandlung vom ‒ wie der Generalbundesanwalt meint ‒ hinreichend informiert war, dass die Verständigung in dem ausgesetzten Verfahren in der neu begonnenen Hauptverhandlung keine Bindungswirkung mehr entfaltete, kann der Senat nicht zweifelsfrei annehmen. Der Neubeginn der Hauptverhandlung brachte es mit sich, dass alle Verfahrensschritte wiederholt werden mussten, ohne dass dies aus Sicht des Angeklagten den Rückschluss erlaubte, dass damit deren materielle Wirksamkeit entfallen war. Allein die Wiederholung der Verständigung konnte daher seine autonome Entscheidung über eine Zustimmung zu einer neuerlichen Verständigung und sein anschließendes Geständnis nicht sichern.

173. Im Hinblick auf die gegebenenfalls neu zu treffende Einziehungsentscheidung verweist der Senat zunächst auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts. Angesichts des erklärten Verzichts des Angeklagten auf verschiedene Vermögensgegenstände wird das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht festzustellen haben, ob und gegebenenfalls wie die Staatsanwaltschaft als maßgeblicher Erklärungsempfängerin auf das Übereignungsangebot des Angeklagten reagiert hat (vgl. hierzu ‒ 5 StR 560/18, juris Rn. 6 ff.). Es ist denkbar, dass sie die angebotene Leistung an Erfüllungs statt (§ 364 Abs. 1 BGB) oder erfüllungshalber angenommen hat. Die unterschiedlichen Rechtswirkungen einer solchen Willenserklärung können den gegebenenfalls bei der Einziehungsentscheidung gemäß § 73e Abs. 1 StGB zu berücksichtigenden Abzugsbetrag beeinflussen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:170823B2STR164.23.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-50734