BGH Beschluss v. - 5 StR 302/23

Anforderungen an Darlegungen in Unterbringungsentscheidung zur Gefährlichkeit eines paranoid schizophrenen Beschuldigten

Gesetze: § 20 StGB, § 63 S 1 StGB, § 267 StPO

Instanzenzug: Az: 616 KLs 14/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Beschuldigten wegen dreier im Zustand der Schuldunfähigkeit begangener Taten der vorsätzlichen Körperverletzung, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung, in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Seine hiergegen gerichtete, mit der Sachrüge geführte Revision ist überwiegend begründet.

I.

21. Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts leidet der wegen Körperverletzungsdelikten, Bedrohung und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in den Jahren 2019, 2020 und 2021 jeweils zu Geldstrafen verurteilte Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20.0). Infolgedessen erlebe sich der Beschuldigte selbst im Rahmen wahnhafter Episoden als krank, insbesondere fremdbestimmt durch eine oder mehrere kommentierende und teils implizit befehlende, ein bestimmtes Verhalten erwartende Stimmen. Aufgrund psychischer Auffälligkeiten kam es in Deutschland ab April 2018 zu mehrfachen ambulanten und stationären Krankenhausaufenthalten. Die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie wurde erstmals anlässlich von Unterbringungen nach dem Landesgesetz im Jahr 2020 gestellt; sie wurde während späterer Behandlungen bestätigt. Zudem bestand beim Beschuldigten in der jüngeren Vergangenheit ein Hang zum übermäßigen Konsum von Cannabis und Alkohol.

32. Zu den Anlasstaten hat das Landgericht folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

4Als der Beschuldigte am das ihm zum Wohnen zugewiesene Zweibettzimmer seiner Unterkunft betrat, welche er lange Zeit nicht mehr aufgesucht hatte, schlief der Zeuge H.    im Bett des Beschuldigten. In der zutreffenden Annahme, dass sein Mitbewohner, der Zeuge S.  , dies eigenmächtig erlaubt hatte, geriet der Beschuldigte in Wut und beschimpfte den Zeugen S.  . Als der zurückschimpfte und - nicht ausschließbar - den Beschuldigten aufforderte, das Zimmer, welches wegen längerer Abwesenheit nicht mehr das seine sei, zu verlassen, geriet der Beschuldigte noch mehr in Rage. Er verschaffte sich ein etwa 50 cm langes, massives Holzstück, mit dem er dem Zeugen S.   Schläge androhte, das dieser aber dem Beschuldigten entwinden konnte. Daraufhin holte der Beschuldigte ein Schälmesser aus der Gemeinschaftsküche und näherte sich damit dem Zeugen. Anschließend schlug er ihm mit großer Wucht ins Gesicht. Hierbei traf er ihn unterhalb des linken Auges. Ob der Beschuldigte das Messer in der Schlaghand führte, hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht. Er handelte einerseits aus Wut über das Verhalten des Zeugen S.  ; andererseits interpretierte er seine (zutreffende) Wahrnehmung, dass auf dem Tisch eine (wahrscheinlich unechte) Rolex-Uhr lag, paranoid-wahnhaft dahingehend, die Zeugen würden sein Zimmer zur Aufbewahrung von Diebesbeute nutzen (Fall II.1). Etwa vier Monate später griff der Beschuldigte einen ihm fremden Gast einer Bäckerei an. Er versetzte dem an einem Tisch sitzenden Zeugen D.   J.   von hinten abrupt einen wuchtigen Faustschlag gegen das linke Jochbein. Mindestens einen weiteren Schlag in Richtung seines Gesichts konnte der Zeuge mit dem Arm abwehren. Der Beschuldigte handelte, weil eine psychotisch bedingte imaginäre Stimme ihm mitgeteilt hatte, der Zeuge habe ein Mädchen vergewaltigt. Diese deutete der Beschuldigte so, dass er zur Bestrafung des Zeugen berufen sei. Nachdem die Auseinandersetzung durch das Einschreiten einer Bäckereimitarbeiterin und eines Gastes bereits beendet worden war, bedrohte der Beschuldigte den Zeugen vor der Bäckerei mit einem Messer. Hierbei sprach er vor sich hin oder mit nichtexistierenden Personen (Fall II.2). Etwa zehn Monate später beging der Beschuldigte eine weitere Tat (Fall II.3). Gegenüber einem Mitarbeiter der Sozialeinrichtung, in der seine damalige Partnerin mit den gemeinsamen Kindern wohnte, verlangte er vergeblich die Herausgabe des Wohnungsschlüssels seiner Frau. Als sich der Mitarbeiter mit einer Kollegin später vor das Gebäude begab, trat der Beschuldigte an ihn heran und versetzte ihm - nach vorheriger Frage, was der Geschädigte von seiner Frau wolle - unvermittelt einen kräftigen Kopfstoß gegen den Unterkiefer, wobei es ihm darauf ankam, hierdurch dem Geschädigten erhebliche Schmerzen zuzufügen.

5Die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten war zu allen Tatzeitpunkten aufgrund der akut exazerbierten paranoiden Schizophrenie vollständig aufgehoben. Die Krankheit führte zu Wahnvorstellungen und damit einhergehenden Fehlbewertungen, die sich als affektive Entgleisungen des paranoid-psychotischen Grundzustands des Beschuldigten darstellten, weshalb er jeweils im Sinne von § 20 StGB schuldunfähig war.

II.

6Die Unterbringungsentscheidung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

71. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat(en) auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln; sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. , NStZ-RR 2021, 71 f.; Urteil vom - 2 StR 484/20, NStZ-RR 2021, 275 f. mwN).

82. Diesen Anforderungen genügen die Urteilsgründe nicht.

9Während der Einfluss der Erkrankung des Beschuldigten auf die Tatbegehung in den Fällen II.2 und 3 der Urteilsgründe und die sichere Schuldunfähigkeit bei diesen Anlasstaten tragfähig belegt ist, fehlt es daran für die Tat im Fall II.1 der Urteilsgründe.

10Ob jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat (§ 63 Satz 1 StGB), ist eine Rechtsfrage, die einer konkretisierenden und widerspruchsfreien Darlegung bedarf, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Täters in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat, und woraus sich ergibt, dass die Anlasstat auf diesen Zustand zurückzuführen ist (BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 532/22, NStZ-RR 2023, 136 ff.; vom - 4 StR 366/22, NStZ-RR 2023, 72; vom - 2 StR 83/20, NStZ-RR 2021, 69). Dem wird das Landgericht nicht gerecht.

11Es hat insoweit lediglich auf die Einschätzung des Sachverständigen verwiesen. Danach ergebe sich eine wahnhafte Realitätsverkennung des Beschuldigten daraus, dass er in einem paranoid-angespannten Grundzustand in Phantasien über die sein Zimmer missbrauchenden Diebe abgeglitten sei und er „spontan“ diese wahnbedingte Vorstellung mit normal-psychologisch erklärbarer Wut über die unberechtigte Gebrauchsanmaßung seines Bettes vermischt habe, so dass er zur Einsicht in das Unrecht seines Handelns nicht mehr in der Lage gewesen sei. Diese Einschätzung widerspricht der Einlassung des Beschuldigten und ist nicht weiter beweiswürdigend unterlegt. So hat das Landgericht schon nicht auszuschließen vermocht, dass eine vom Zeugen H.   auf dem Tisch der Unterkunft abgelegte „(wahrscheinlich nachgemachte, unechte)“ Rolex-Uhr nicht „tatsächlich gestohlen gewesen sein könnte“. Der Beschuldigte hat sich dahingehend eingelassen, dass er nicht „den Gedanken gehabt“ habe, die (vermeintlichen) „Diebe bestrafen zu wollen, die sein Zimmer missbrauchten“. Er könne wahnhaftes Erleben und reale Wahrnehmungen gut auseinanderhalten. Obwohl er an diesem Tag „krank gewesen“ sei, sei das von ihm Berichtete „tatsächlich real“ gewesen. Beim Eintreffen der Polizei habe er versucht, den Beamten zu erklären, dass die Zeugen S.    und H.    Diebe seien. Die Polizeibeamten hätten aber nicht zugehört.

12Mit dieser Einlassung hätte sich das Landgericht beweiswürdigend auseinandersetzen müssen, zumal sie indiziell durch die Angaben der Polizeibeamten bestätigt worden ist. Diese gaben „sprachliche Schwierigkeiten“ als Ursache der nur unzureichenden Aufnahme des Sachverhalts an, nicht etwa, was zu erwarten gewesen wäre, den psychotischen Zustand des Beschuldigten (so im Fall II.2) oder, dass er „verbal nicht lenkbar erschien“ (wie im Fall II.3). Zudem befolgte der Beschuldigte die Bitte der Polizeibeamten, die Unterkunft zwecks Vermeidung erneuter Eskalation zunächst zu verlassen und woanders unterzukommen, was ebenfalls indiziell gegen eine psychotisch determinierte Realitätsverkennung sprechen könnte. Anders als in den Fällen II.2 und 3 haben die vernommenen Zeugen auch kein dies belegendes Verhalten des Beschuldigten beschrieben. Damit lässt sich eine auf die festgestellte Erkrankung zurückzuführende wahnbedingte Beeinträchtigung auch nicht ohne weiteres aus dem festgestellten Tatgeschehen herleiten, welches nach Motivation und Tatbild normalpsychologisch erklärbar sein könnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 43/20; vom - 2 StR 372/21).

133. Da das Landgericht seine Gefährlichkeitsprognose auch auf die Tat im Fall II.1 der Urteilsgründe gestützt hat, kann diese schon deswegen keinen Bestand haben. Die die Prognose begründenden Ausführungen weisen aber noch in anderer Hinsicht Rechtsfehler auf.

14a) Das Landgericht hat im Anschluss an den Sachverständigen zur Begründung seiner Gefährlichkeitsprognose ausgeführt, es sei damit zu rechnen, dass der Beschuldigte infolge seiner paranoiden Schizophrenie weitere erhebliche Taten begehen werde. An der durch die Anlasstaten zu Tage getretenen Gefährlichkeit des Beschuldigten betreffend die Begehung wahnhaft bedingter Gewaltdelikte auch mit Einwirkungen gegen den Kopf der Opfer habe sich nichts geändert. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte bei den verfahrensgegenständlichen Taten schon zweifach wegen Körperverletzung, in den Jahren 2018 und 2020, vorbestraft war. Der letzten Verurteilung vom lägen ebenfalls in zwei Fällen Gewaltdelikte mit Einwirkungen jeweils gegen den Kopf der dadurch verletzten Personen zu Grunde. Dies bestätige ein sich in den verfahrensgegenständlichen Taten zeigendes Muster, wonach der Beschuldigte im Zustand exazerbierter Schizophrenie zu derartigen Gewaltdelikten tendiere. „Dabei komme es nicht darauf an, ob er bei den früheren Taten - wie das Amtsgericht Hamburg-Altona im Urteil vom anscheinend angenommen habe - bei den Tatbegehungen im Jahr 2020 schuldfähig war oder ob dessen Einsichtsfähigkeit auch damals ebenfalls aufgehoben war“, was die diesbezüglichen Angaben des Beschuldigten nahelegten.

15b) Diese Begründung des Landgerichts steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der die im Urteil zu früheren Taten getroffenen Feststellungen, auf die das Tatgericht seine Gefährlichkeitsprognose ebenfalls stützt, belegen müssen, dass auch diese Taten auf der Erkrankung des Täters beruhten (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 6 StR 146/23, NStZ-RR 2023, 201 f.; vom - 1 StR 176/20 Rn. 17; vom - 4 StR 24/19, NStZ-RR 2020, 9 f.; vgl. dagegen noch Beschluss vom - 1 StR 445/16, StV 2017, 585, 587: „regelmäßig“). Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob er dem uneingeschränkt folgen könnte oder ob sich nicht auch aus nicht von der Störung beeinflusster Delinquenz individuell bedeutsame Bedingungsfaktoren für die Gefährlichkeit ergeben können, zu denen die Störung noch hinzutritt. Denn das Landgericht ist von einer sicheren Beeinflussung durch die Erkrankung ausgegangen, hat diese aber nicht tragfähig beweiswürdigend unterlegt. Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, dass eine entsprechende Feststellung im Widerspruch zu den bestandskräftigen Feststellungen des Amtsgerichts stehen würde, das den Beschuldigten bei diesen Taten für schuldfähig gehalten hat. Die Feststellungen könnten auf der Grundlage der oben angegebenen Rechtsprechung auch im Hinblick darauf, dass der Beschuldigte „selbst im Rahmen der Hauptverhandlung angegeben“ habe, die Taten „unter dem bestimmenden Einfluss der tatzeitig exazerbierten paranoiden Schizophrenie“ begangen zu haben, unterlaufen werden. Dies würde aber dazu führen, dass etwaige für die Gefahrenprognose relevante Umstände unberücksichtigt bleiben müssten, was ebenfalls gegen das Erfordernis eines strikten symptomatischen Zusammenhangs der Vordelinquenz spricht.

164. Die Feststellungen zu Fall II.1 der Urteilsgründe und die Anordnung der Maßregel können daher nicht bestehen bleiben. Das Revisionsgericht kann die Frage, ob allein die erheblichen rechtswidrigen Taten in den Fällen II.2 und 3 der Urteilsgründe eine positive Gefährlichkeitsprognose tragen, nicht beantworten. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:150823B5STR302.23.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-50592