BSG Urteil v. - B 3 P 2/22 R

Soziale Pflegeversicherung - Vergütung stationärer Pflegeeinrichtungen - Festsetzung von Pflegesätzen und Entgelten im Schiedsverfahren - Untersuchungsgrundsatz - Nachweise zur Plausibilisierung der voraussichtlichen Gestehungskosten - Überzeugungsbildung der Schiedsstelle - eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit

Leitsatz

Inwieweit einer Schiedsstelle im Rahmen ihrer Überzeugungsbildung die von der Einrichtung nach Maßgabe der pflegeversicherungsrechtlichen Anforderungen vorzulegenden Nachweise zur Plausibilisierung der voraussichtlichen Gestehungskosten ausreichen oder nicht ausreichen, unterliegt ihrer gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Einschätzung nach Maßgabe des Untersuchungsgrundsatzes.

Gesetze: § 76 SGB 11, § 82 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 11, § 82 Abs 2 SGB 11, § 84 Abs 2 S 1 SGB 11, § 84 Abs 2 S 4 SGB 11, § 85 Abs 3 S 2 Halbs 1 SGB 11, § 85 Abs 3 S 3 SGB 11, § 85 Abs 3 S 4 SGB 11, § 85 Abs 3 S 5 SGB 11, § 85 Abs 5 S 1 SGB 11, § 85 Abs 6 S 1 SGB 11, § 87 S 3 Halbs 1 SGB 11, § 20 Abs 2 SGB 10

Instanzenzug: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 12/15 P 51/19 KL Urteil

Tatbestand

1Im Streit stehen Darlegungsanforderungen einer stationären Pflegeeinrichtung im Schiedsverfahren über Pflegesätze und Entgelte für die Zeit vom bis .

2Nach erfolglos gebliebenen Vergütungsverhandlungen setzte die beklagte Schiedsstelle die Pflegesätze und Entgelte für das von der klagenden Einrichtungsträgerin betriebene Alten- und Pflegezentrum abweichend von deren Ansätzen fest (Beschluss vom ). Die Klägerin habe die prospektiven Gestehungskosten mit dem Verweis auf nur für einen Monat kurz vor Beginn der neuen Pflegesatzverhandlungen näher aufgeschlüsselte Personalkosten nicht nachvollziehbar und plausibel dargelegt. Offen geblieben sei, wann geltend gemachte Erhöhungen der Mitarbeiterentgelte umgesetzt worden seien. Nicht belegt sei, dass in der Kalkulation eingestellte Leiharbeit übergangsweise erforderlich sei und mit dem kalkulierten Mehrkostenanteil zum Tragen komme, weil sie lediglich für November 2018 nachgewiesen sei. Ableitungen der Kosten für Leitung und Verwaltung, Sachkostensteigerungen sowie Fremddienstleistungen seien nicht nachvollziehbar und plausibel dargelegt, weshalb Gewinnmargen bestehen könnten.

3Das LSG hat den Schiedsspruch aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über den Antrag auf Festsetzung von Pflegesätzen und Entgelten unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden (Urteil vom ). Zwar fehle es an einer plausiblen Darlegung der prospektiven Personal- und Sachkosten. Bezogen auf den Vorvereinbarungszeitraum mangele es an aussagekräftigen und belastbaren Belegen zu tatsächlichen Lohnzahlungen sowie Angaben zur an die Zentralverwaltung erbrachten Umlage, zu den Kosten für Fremdleistungen und den auf Leiharbeitskräften, möglicherweise aber auch auf anderen Sachverhalten beruhenden Betriebsverlusten. Jedoch hätte die Beklagte die von ihr für erforderlich gehaltenen Unterlagen zur Plausibilisierung der Vergütungsforderung konkretisieren und der Klägerin Gelegenheit geben müssen, diese binnen einer angemessenen Frist vorzulegen.

4Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin einen Verstoß insbesondere gegen § 85 Abs 3 SGB XI. Auf der Grundlage des Urteils des erkennenden Senats vom (Verweis auf B 3 P 1/18 R - BSGE 129, 116 = SozR 4-3300 § 85 Nr 5) habe das LSG zu Unrecht in die Plausibilitätsprüfung bereits eine Angemessenheitsprüfung "integriert". Die vom Gesetzgeber geforderte Prospektivität der Pflegesätze stehe dem Ansatz der Schiedsstelle, eine "vertiefende Prüfung der Kostenstruktur" der Klägerin vorzunehmen und ihre Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit für den vorausgegangenen Pflegesatzzeitraum festzustellen, entgegen. Der Streitgegenstand sei auf die strittigen Leasingkosten für Pflegekräfte und die Bemessung eines angemessenen Risikozuschlags beschränkt.

5Die Klägerin beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats erneut zu entscheiden.

6Die Beklagte und die Beigeladene stellen keine Anträge.

Gründe

7Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend hat das LSG entschieden, dass die dem Schiedsspruch der Beklagten zugrunde liegenden Anforderungen an die Plausibilisierung der von der Klägerin geltend gemachten Gestehungskosten nicht zu beanstanden sind.

81. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG, mit dem es die mit Schiedsspruch der Beklagten vom für den Zeitraum vom bis festgesetzten Pflegesätze und Entgelte für das von der Klägerin betriebene Alten- und Pflegezentrum B aufgehoben und die Beklagte zum Erlass eines neuen Schiedsspruchs unter Beachtung seiner Rechtsauffassung verurteilt hat. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision, mit der sie begehrt, dass die Schiedsstelle bei ihrer erneuten Entscheidung statt der Rechtsauffassung des LSG diejenige des erkennenden Senats zugrunde zu legen hat.

92. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Insbesondere ist die Klägerin durch das angegriffene Urteil beschwert, obgleich ihrem Klageantrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs und Verurteilung zur neuen Entscheidung formal entsprochen worden ist. Unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 131 Abs 3 SGG kann sich in den vorliegenden Konstellationen eine Beschwer durch die Entscheidung des LSG daraus ergeben, dass die vom LSG in dem rechtskraftfähigen Inhalt der Entscheidung zugrunde gelegte, der Schiedsstelle vorgegebene Rechtsauffassung nicht mit derjenigen übereinstimmt, die von der Klägerin vertreten wird (vgl etwa - BSGE 119, 43 = SozR 4-2500 § 120 Nr 4, RdNr 17 f; - BSGE 131, 240 = SozR 4-3500 § 77 Nr 4, RdNr 10; Keller in Meyer-Ladwig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, Vor § 143 RdNr 6). Zwar ist das LSG dem Vorbringen der Klägerin gefolgt, soweit diese davon ausgegangen ist, dass es an einem Aufklärungshinweis der Schiedsstelle zur Vorlage weiterer Unterlagen fehlte (vgl hierzu - BSGE 102, 227 = SozR 4-3300 § 85 Nr 1, RdNr 43). Die Klägerin ist aber entgegen der Begründung der angegriffenen Entscheidung weiter der Ansicht, dass die von der Beklagten und nachfolgend vom LSG zugrunde gelegten Anforderungen an die Nachweispflichten sowie die Maßstäbe für die Plausibilisierung der Gestehungskosten nicht mit materiellem Recht übereinstimmen.

103. Rechtsgrundlage des im Streit stehenden Schiedsspruchs in formeller Hinsicht ist § 76 SGB XI (idF des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes vom , BGBl I 874) iVm § 85 Abs 5 Satz 1 SGB XI sowie § 87 Satz 3 Halbsatz 1 SGB XI (idF des Dritten Pflegestärkungsgesetzes - PSG III vom , BGBl I 3191 bzw des Pflege-Versicherungsgesetzes vom , BGBl I 1014), wonach die Schiedsstelle mit der Mehrheit ihrer Mitglieder (§ 76 Abs 3 Satz 4 SGB XI) die Pflegesätze und Entgelte für Unterkunft und Verpflegung ua dann unverzüglich festsetzt, wenn eine Vereinbarung darüber innerhalb von sechs Wochen nach schriftlicher Aufforderung zur Verhandlung nicht zustande gekommen ist.

114. Materiell-rechtliche Grundlage des danach zu treffenden Schiedsspruchs bezogen auf die Vergütung der allgemeinen Pflegeleistungen durch Pflegesätze ist § 82 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und Abs 2 SGB XI (in der zuletzt durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz - PSG II vom , BGBl I 2424 geänderten Fassung) iVm den Bemessungsgrundsätzen des § 84 Abs 2 SGB XI sowie den Darlegungsanforderungen nach § 85 Abs 3 SGB XI (jeweils in der zuletzt durch das PSG III geänderten Fassung).

12Hiernach sind, wie der Senat in teilweiser Abkehr von früherer Rechtsprechung in nunmehr ständiger Spruchpraxis entschieden hat, Pflegesatzverhandlungen und eventuell nachfolgende Schiedsstellenverfahren grundsätzlich nach einem zweigliedrigen Prüfschema durchzuführen: Grundlage der Verhandlung über Pflegesätze und Entgelte ist zunächst die Abschätzung der voraussichtlichen Kosten der in der Einrichtung erbrachten Leistungen nach § 85 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 und Satz 3 SGB XI (Prognose). Daran schließt sich in einem zweiten Schritt die Prüfung der Leistungsgerechtigkeit nach den im Kern seit Einführung der Pflegeversicherung unveränderten Maßgaben insbesondere von § 84 Abs 2 Satz 1 und 4 SGB XI an, die der Gesetzgeber im Laufe der Zeit im Anschluss an die Rechtsprechung des erkennenden Senats verschiedentlich weiter ausgeformt hat. Maßgebend hierfür sind die Kostenansätze vergleichbarer Leistungen in anderen Einrichtungen (externer Vergleich). Danach sind Pflegesätze dann leistungsgerecht iS von § 84 Abs 2 Satz 1 SGB XI, wenn erstens die voraussichtlichen Gestehungskosten der Einrichtung nachvollziehbar und plausibel dargelegt werden und sie zweitens unter Berücksichtigung einer angemessenen Gewinnchance (vgl hierzu Urteil des Senats vom - B 3 P 6/22 R) in einer angemessenen und nachprüfbaren Relation zu den Sätzen anderer vergleichbarer Einrichtungen stehen. Geltend gemachte Pflegesätze sind dann nicht angemessen, wenn Kostenansätze und erwartete Kostensteigerungen nicht plausibel erklärt werden können oder die begehrten Sätze im Verhältnis zu anderen Pflegeeinrichtungen unangemessen sind (vgl grundlegend - BSGE 102, 227 = SozR 4-3300 § 85 Nr 1, RdNr 18 ff; daran anschließend - BSGE 105, 126 = SozR 4-3300 § 89 Nr 2, RdNr 50 ff; - BSGE 113, 258 = SozR 4-3300 § 85 Nr 4, RdNr 14; zuletzt - BSGE 129, 116 = SozR 4-3300 § 85 Nr 5, RdNr 27). Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Entgelte für Unterkunft und Verpflegung einer Pflegeeinrichtung gelten grundsätzlich dieselben Maßgaben wie bei der Leistungsgerechtigkeit der Pflegesätze (vgl hierzu im Einzelnen Urteil des Senats vom - B 3 P 6/22 R).

135. Aus den gesetzlichen Vorgaben ergibt sich, dass Pflegeeinrichtungen in Verhandlungen und etwaigen Schiedsverfahren die ihrer Vergütungsforderung zugrunde liegenden Kostenansätze nachvollziehbar darlegen und bei Zweifeln weitere Belege dafür beibringen müssen, dass ihre Vergütungsforderung auf einer plausiblen Kalkulation der voraussichtlichen Gestehungskosten beruht.

14Hierzu hat der Gesetzgeber folgende Grundsätze in § 85 Abs 3 SGB XI aufgenommen: Das Pflegeheim hat Art, Inhalt, Umfang und Kosten der Leistungen, für die es eine Vergütung beansprucht, durch Pflegedokumentationen und andere geeignete Nachweise rechtzeitig vor Beginn der Pflegesatzverhandlungen darzulegen (§ 85 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB XI). Soweit dies zur Beurteilung seiner Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit im Einzelfall erforderlich ist, hat das Pflegeheim auf Verlangen einer Vertragspartei zusätzliche Unterlagen vorzulegen und Auskünfte zu erteilen (§ 85 Abs 3 Satz 3 SGB XI). Hierzu gehören auch pflegesatzerhebliche Angaben zum Jahresabschluss entsprechend den Grundsätzen ordnungsgemäßer Pflegebuchführung, zur personellen und sachlichen Ausstattung des Pflegeheims einschließlich der Kosten sowie zur tatsächlichen Stellenbesetzung und Eingruppierung (§ 85 Abs 3 Satz 4 SGB XI). Dabei sind insbesondere die in der Pflegesatzverhandlung geltend gemachten, voraussichtlichen Personalkosten einschließlich entsprechender Erhöhungen im Vergleich zum bisherigen Pflegesatzzeitraum vorzuweisen (§ 85 Abs 3 Satz 5 SGB XI).

15Gesetzlich ausdrücklich vorgegeben ist damit, dass für die Prüfung der Plausibilität von Pflegesätzen und Entgelten im Einzelfall auch auf in der Vergangenheit tatsächlich angefallene Kosten abgestellt werden kann. Die Verpflichtung der Einrichtung nach § 85 Abs 3 Satz 5 SGB XI, die in der Pflegesatzverhandlung geltend gemachten, voraussichtlichen Personalkosten einschließlich entsprechender Erhöhungen im Vergleich zum bisherigen Pflegesatzzeitraum vorzuweisen, greift unter den Voraussetzungen des § 85 Abs 3 Satz 3 SGB XI, also soweit dies im Einzelfall zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit erforderlich ist. Bereits zuvor hatte der Senat den in § 85 Abs 3 Satz 2 bis 4 SGB XI enthaltenen Verpflichtungen des Pflegeheims entnommen, dass bei Zweifeln über die voraussichtlichen künftigen Gestehungskosten die Nachweispflicht der Einrichtung im Einzelfall bis zum Nachweis der in der Vergangenheit angefallenen Kosten reichen und die Pflegeeinrichtung im Zweifelsfall zu einer weitgehenden Offenlegung ihrer betriebswirtschaftlichen Berechnungsgrundlagen verpflichtet sein kann (vgl - BSGE 102, 227 = SozR 4-3300 § 85 Nr 1, RdNr 26, 39). Hieran anknüpfend wollte der Gesetzgeber mit der Anfügung von § 85 Abs 3 Satz 5 SGB XI durch das PSG III die Vorlagepflichten der Einrichtung bezogen sowohl auf den zurückliegenden Zeitraum der bisherigen Vereinbarung als auch für den künftigen Zeitraum vorgesehene Erhöhungen bzw Lohnsteigerungen betonen (vgl BT-Drucks 18/10510 S 115 f).

16Da es keine detaillierten Festlegungen des Gesetzgebers dazu gibt, welche Unterlagen in Vergütungsverhandlungen von den Einrichtungsbetreibern verlangt werden können bzw von diesen vorgelegt werden müssen, hat die Schiedsstelle bei ihrer Bewertung, welche (ggf weiteren) Unterlagen und Nachweise sie benötigt, einen weiten Spielraum. Diesen kann die Schiedsstelle durch eigene Wertungen und eine Auswahlentscheidung ausfüllen, ohne von vornherein auf diejenigen Unterlagen beschränkt zu sein, die im Zusammenhang mit den Verhandlungen der Vertragspartner iS von § 85 Abs 3 Satz 3 SGB XI "auf Verlangen einer Vertragspartei" vorzulegen sind (vgl - BSGE 102, 227 = SozR 4-3300 § 85 Nr 1, RdNr 13).

176. Im Schiedsverfahren über Pflegevergütungen nach dem SGB XI hat sich die Schiedsstelle nach der Rechtsprechung des Senats im Rahmen ihrer Letztverantwortung für die von ihr festzusetzenden Pflegesätze und Entgelte (vgl - BSGE 129, 116 = SozR 4-3300 § 85 Nr 5, RdNr 34: Gesamtverantwortung) grundsätzlich von allen Umständen (selbst) zu überzeugen, die für deren Leistungsgerechtigkeit und Angemessenheit bedeutsam sind (§ 20 Abs 2 SGB X). Nicht zuletzt wegen der Bindungswirkung für die weder an Vertragsverhandlungen noch an Schiedsverfahren beteiligten Pflegeversicherten erfordert das von der Schiedsstelle die eigene Überzeugung, dass die festgesetzten Pflegesätze und Entgelte auch im Vergleich mit den Ansätzen anderer vergleichbarer Einrichtungen als leistungsgerecht bzw angemessen anzusehen sind und auf zutreffend ermittelten voraussichtlichen Gestehungskosten beruhen, die den Grundsätzen wirtschaftlicher Betriebsführung entsprechen und der Pflegeeinrichtung erlauben, ihren Versorgungsauftrag zu erfüllen. Deshalb tritt die Verantwortung der Schiedsstelle für das Ergebnis ihrer Entscheidung nicht deshalb oder in dem Maße zurück, weil oder soweit die Vertragspartner selbst vor Anrufung der Schiedsstelle in einzelnen Fragen Verständigungen erzielt haben; daran hält der Senat fest (vgl - BSGE 129, 116 = SozR 4-3300 § 85 Nr 5, RdNr 34). Insofern unterscheidet sich das Verfahren hier von anderen Schiedsverfahren nach dem SGB.

187. Inwieweit einer Schiedsstelle im Rahmen ihrer Überzeugungsbildung die von der Einrichtung nach Maßgabe der pflegeversicherungsrechtlichen Anforderungen vorzulegenden Nachweise zur Plausibilisierung der voraussichtlichen Gestehungskosten ausreichen oder nicht ausreichen, unterliegt ihrer gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Einschätzung nach Maßgabe des Untersuchungsgrundsatzes.

19a) Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats für das SGB XI und der weiteren Senate des BSG für andere Gebiete des Sozialrechts ist bei der gerichtlichen Prüfung von Schiedsstellenentscheidungen von einer eingeschränkten Kontrolldichte auszugehen. Der Schiedsspruch stellt seiner Natur nach einen Interessenausgleich durch ein sachnahes und un-abhängiges Gremium dar. Insbesondere mit der paritätischen Zusammensetzung, dem Mehr-heitsprinzip und der fachlichen Weisungsfreiheit (§ 76 Abs 3 SGB XI) will der Gesetzgeber die Fähigkeit dieses Spruchkörpers zur vermittelnden Zusammenführung unterschiedlicher Interes-sen und zu einer Entscheidungsfindung nutzen, die nicht immer die einzig sachlich vertretbare ist und häufig Kompromisscharakter aufweist. Gleichwohl haben die Schiedsstellen eine umfassende Aufklärungspflicht und dürfen Aufklärungsermittlungen auf beiden Seiten durchführen. Sie müssen aber das Beschleunigungsgebot beachten (§ 85 Abs 5 Satz 1 SGB XI) und sollten Auflagen zur Sachverhaltsklärung möglichst schon mit der Ladung zum Schiedstermin verbinden. Die Möglichkeit zum Erlass von Beweislastentscheidungen ist nicht ausgeschlossen, falls eine der Schiedsparteien den gemachten Auflagen nicht oder nicht rechtzeitig nachkommt, in der Praxis aber durch den Umstand beschränkt, dass ein Schiedsspruch auch unmittelbare Wirkung für die am Verfahren nicht direkt beteiligten Heimbewohner besitzt (§ 85 Abs 6 Satz 1 SGB XI) und diese nicht "Opfer" von Beweislastentscheidungen werden dürfen (stRspr; vgl zum SGB XI nur - BSGE 102, 227 = SozR 4-3300 § 85 Nr 1, RdNr 41; - BSGE 122, 248 = SozR 4-3300 § 76 Nr 1, RdNr 29 mwN).

20b) Es entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass das Zustandekommen des Vertrags oder ggf einzelner Vertragsbestandteile letztlich - notfalls unter Einschaltung der Schiedsstelle - von den Beteiligten erzwungen werden kann. Bei den von der Schiedsstelle getroffenen Regelungen handelt es sich daher nicht - auch nicht mittelbar - um vertragsautonome Entscheidungen der Beteiligten, sondern um Akte staatlicher Rechtsetzung, weshalb der Schiedsspruch der Schiedsstelle nach § 76 SGB XI auch als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist. Deshalb ist hier der Amtsermittlungsgrundsatz sachnäher als der Beibringungsgrundsatz (eingehend - BSGE 122, 248 = SozR 4-3300 § 76 Nr 1, RdNr 44; - BSGE 129, 116 = SozR 4-3300 § 85 Nr 5, RdNr 33 f; zuvor ebenso - BSGE 102, 227 = SozR 4-3300 § 85 Nr 1, RdNr 41).

21c) Allerdings ändert das nichts daran, dass das Schiedsstellenverfahren seiner gesetzlichen Konzeption nach als Streitschlichtungsregulativ in einem grundsätzlich auf eine vertragliche Vergütungsbestimmung ausgerichteten System angelegt ist. Der Schiedsstelle ist deshalb keine Preisregulierungsfunktion zugewiesen (vgl dagegen das Erfordernis der behördlichen Zustimmung zur gesonderten Berechnung betriebsnotwendiger Investitionsaufwendungen nach § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XI), sondern die Klärung derjenigen Streitpunkte, über die die Vertragspartner keine Einigung erzielen konnten. Über den Streitstoff und den deshalb ggf weiter zu ermittelnden Sachverhalt bestimmen deshalb im Wesentlichen die Vertragspartner selbst mit ihrem Vorbringen. Dabei werden die Kostenträger auch nach Einleitung des Schiedsverfahrens nicht frei aus ihrer Treuhänderstellung im Verhältnis zu den Versicherten (vgl nur - BSGE 87, 199 = SozR 3-3300 § 85 Nr 1, juris RdNr 17) und den daraus sich ergebenden Rechtspflichten bei der Überprüfung der von Einrichtungsseite getroffenen Angaben und vorgelegten Unterlagen ( - BSGE 102, 227 = SozR 4-3300 § 85 Nr 1, RdNr 39). Daher ist das Schiedsverfahren in besonderem Maße von den Mitwirkungspflichten der Beteiligten geprägt, weshalb die Schiedsstelle in Ermangelung eines Verwaltungsunterbaus und im Hinblick auf ihre Stellung und Funktion ihrer Amtsermittlungspflicht regelmäßig genügt, wenn sie solche Angaben und Unterlagen von den Vertragspartnern anfordert, denen sie im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums Bedeutung beimessen möchte oder denen nach der Rechtslage für die Schiedsstellenentscheidung Bedeutung beizumessen ist ( - BSGE 122, 248 = SozR 4-3300 § 76 Nr 1, RdNr 45).

22In gleicher Weise wie die Schiedsstelle bei der abschließenden Bewertung von weiteren Ermittlungen absehen kann, wenn sie am Vorbringen einer Pflegeeinrichtung weder selbst Zweifel haben muss noch auf solche substantiiert hingewiesen wird (vgl hierzu näher Urteil des Senats vom - B 3 P 6/22 R -), ist es gerichtlich ebenfalls nicht zu beanstanden, wenn eine Schiedsstelle von einer Einrichtung weitergehende Nachweise gestützt auf Gründe fordert, die nicht als Ermessensfehlgebrauch anzusehen sind, also insbesondere die aufgezeigten gesetzlichen Vorgaben beachten.

238. Gemessen an diesen Maßstäben ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, dass die Festlegungen der Schiedsstelle zu den Nachweispflichten der Klägerin nicht ermessensfehlerhaft sind.

24Für die Nachvollziehbarkeit und Plausibilität der von der Schiedsstelle zu beurteilenden Kostenstruktur der Pflegeeinrichtung reicht die Vorlage einer reinen Kostenkalkulation ohne weitere Angaben in aller Regel nicht aus; diese ist vielmehr hinreichend zu belegen und muss tatsächlich nachvollziehbar sein. Dass die Aufforderung der Beklagten angesichts eines über die Lohnsteigerungsrate hinausreichenden Vergütungsbegehrens der Klägerin zur Vorlage weiterer Unterlagen insbesondere im Hinblick auf den anteiligen Kostenansatz für zwei Leiharbeitskräfte für den gesamten Vereinbarungszeitraum und zur Klärung offen gebliebener Fragen zum Zeitpunkt von Gehaltsanhebungen als ermessensmissbräuchlich anzusehen wäre, vermag der Senat auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens hiernach nicht zu erkennen.

25Ermessensfehlerfrei durfte die Schiedsstelle weiter davon ausgehen, dass auch die angesetzten Kosten für die zentrale Verwaltung mit einer entsprechenden Umlage und diejenigen im Bereich von Fremddienstleistungen auf den Vorvereinbarungszeitraum bezogene Nachweispflichten begründen konnten. Auch dies betrifft die Nachvollziehbarkeit und Plausibilität der Gestehungskosten vor dem Hintergrund der erheblichen Steigerung der angesetzten Vergütungen, nicht jedoch den externen Vergleich.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:190423UB3P222R0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 10 Nr. 16
VAAAJ-49932