BGH Beschluss v. - 2 StR 200/23

Instanzenzug: Az: 8821 Js 40488/21 - 9 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 45 tatmehrheitlichen Fällen, davon in 32 Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ unter Einbeziehung von Strafen aus vorangegangenen Entscheidungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten, sowie zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Daneben hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der verhängten Strafen in Höhe von einem Jahr und sechs Monaten angeordnet; zudem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Nach den Feststellungen bezog der Angeklagte im Zeitraum Dezember 2019 bis September 2020 von dem gesondert Verfolgten F.    regelmäßig Marihuana und Kokain. Dem lag die Vereinbarung zugrunde, dass der gesondert Verfolgte F.    Rauschgift in den Niederlanden (Marihuana) und in K.   (Kokain) ankaufte und anschließend in eine gemeinsam mit dem Angeklagten als Betäubungsmittelversteck genutzte Wohnung in K.   verbrachte, zu der dieser mit einem eigenen Schlüssel jederzeit Zugang hatte und nach Bedarf Betäubungsmittel auf Kommission ankaufen und entnehmen konnte. Auf diese Weise erhielt der Angeklagte monatlich jeweils mindestens 2,5 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 Prozent THC, welches er anschließend vollständig verkaufte (Fälle II.1 bis II.10 der Urteilsgründe). Außerdem entnahm er alle zehn Tage 100 g Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 70 Prozent Kokainhydrochlorid aus der Wohnung, von dem er jeweils die Hälfte verkaufte, die andere Hälfte selbst konsumierte (Fälle II.11 bis II.39 der Urteilsgründe).

3Im Zeitraum vom bis zum bezog der Angeklagte von dem gesondert Verfolgten A.   bei fünf Gelegenheiten (Fälle II.40 bis II.44 der Urteilsgründe) jeweils diverse Betäubungsmittel im Kilogrammbereich auf Kommission, wobei er diese bei zwei Gelegenheiten vollständig und bei weiteren drei Gelegenheiten teilweise verkaufte und im Übrigen selbst konsumierte. Dabei drängte A.   den Angeklagten immer wieder, „ausstehende Schulden zu bezahlen und zu diesem Zweck weitere Betäubungsmittel auf Kommission durch ihn zu beziehen.“

4Zuletzt legte der Angeklagte nach der Verhaftung des gesondert Verfolgten A.  spätestens ab dem eine Indoor-Cannabisplantage an und verfügte hieraus am über zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmtes Marihuana mit einem Nettogewicht von 2,085 Kilogramm und einem durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von 7,1 Prozent (Fall II.45 der Urteilsgründe).

II.

51. Die konkurrenzrechtliche Bewertung in den Fällen II.1 bis II.39 der Urteilsgründe als jeweils gesonderte, zueinander in Tatmehrheit stehende Taten wird von den bislang getroffenen Feststellungen nicht zweifelsfrei getragen.

6a) Zwar führt grundsätzlich weder das wiederholte Auffüllen eines Betäubungsmittelvorrats zu einer Verklammerung der Erwerbsakte zu einer Bewertungseinheit (vgl. Senat, Beschlüsse vom – 2 StR 287/18, NStZ 2020, 227; vom – 2 StR 277/12, NStZ 2013, 48) noch verbindet allein der gleichzeitige Besitz mehrerer Drogenmengen die hierauf bezogenen Handlungen zu einer Tat des Handeltreibens (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 619/07, NStZ 2008, 470; BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 88/18, NStZ 2020, 42; vom – 1 StR 300/19, Rn. 10 mwN). Eine Bewertungseinheit kommt allerdings dann in Betracht, wenn die Betäubungsmittel aus verschiedenen Erwerbsvorgängen zu einem einheitlichen Verkaufsvorrat vereint werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 133/22, Rn. 5; vom – 4 StR 455/21, Rn. 6; kritisch und den Begriff des „Verkaufsvorrats“ einschränkend Patzak, NStZ 2023, 17, 21).

7Zudem stehen mehrere Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zueinander in Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB, wenn ihre tatbestandlichen Ausführungshandlungen sich (teilweise) überschneiden. Da das Vorhalten einer Handelsmenge zum Vertrieb als Teilakt des Handeltreibens anzusehen ist (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 290/20, Rn. 2; , Rn. 5), kann der gleichzeitige Besitz zweier für den Verkauf bestimmter Vorräte dann Tateinheit in diesem Sinne begründen, wenn die Art und Weise der Besitzausübung über eine bloße Gleichzeitigkeit hinausgeht und die Wertung rechtfertigt, dass – etwa wegen eines engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs (vgl. , Rn. 6) – die tatsächliche Ausübung des Besitzes über die eine Menge zugleich die Ausübung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die andere darstellt (vgl. Senat, Beschlüsse vom – 2 StR 290/20, Rn. 2; vom – 2 StR 287/18, NStZ 2020, 227, 228; BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 408/22; vom – 3 StR 88/18, NStZ 2020, 42, 43).

8b) Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, dass die Strafkammer diese Grundsätze hinreichend in den Blick genommen hat, obgleich hierzu Anhaltspunkte bestanden. So haben der Angeklagte und der gesondert verfolgte F.     die aus unterschiedlichen Erwerbsvorgängen stammenden Drogen sukzessive an einem Lagerort zusammengeführt und übten nach ihrem praktizierten Geschäftsmodell, wonach jeder uneingeschränkt und nach Bedarf – mithin theoretisch auch unter Ausschluss des jeweils anderen bis hin zur Verfügung über die gesamte Menge – zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs auf das gesamte Rauschgift zugreifen konnte, den (Mit)Besitz über die jeweiligen Gesamtmengen aus (vgl. auch OLG Stuttgart, NStZ 2002, 154; vgl. zur Abgrenzung zur bloßen freien Zugänglichkeit BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 247/20, NStZ 2021, 52; vom – 5 StR 592/92, Rn. 6). Ein solcher Besitz an den Gesamtmengen kann, auch wenn nur nach Bedarf Teilmengen entnommen werden, für die Annahme einer Teilidentität in den tatbestandlichen Ausführungshandlungen genügen, sofern die Betäubungsmittel vollständig zum gewinnbringenden Weiterverkauf gedacht waren und zu diesem Zweck (gemeinsam) vorgehalten wurden.

9Nach den Urteilsgründen bleibt indes offen, ob die nach und nach hinzuerworbenen Rauschmittel gegebenenfalls ganz oder teilweise in einer Art und Weise mit möglicherweise verbliebenen Resten aus einer vorherigen Lieferung aufbewahrt wurden, die die Wertung rechtfertigen würde, der Angeklagte habe unterschiedliche Rauschmittelmengen und -arten aus getrennten Erwerbsgeschäften nicht lediglich unabhängig voneinander gleichzeitig besessen, sondern gemeinsam über verschiedene Betäubungsmittelmengen die tatsächliche Verfügungsgewalt ausgeübt. Die Einlassung des Angeklagten, in der zu Bunkerzwecken genutzten Wohnung sei „stets“ Kokain vorrätig gewesen, legt dies zumindest nahe.

10Zudem wird das Landgericht in den Blick zu nehmen haben, ob die unterschiedlichen Betäubungsmittel etwa deshalb zu einem einheitlichen Verkaufsvorrat zusammengeführt wurden, um diese – zumindest teilweise – gemeinsam zu veräußern (vgl. Patzak, NStZ 2023, 17, 21).

112. Ebensowenig wird die konkurrenzrechtliche Bewertung in den Fällen II.40 bis II.44 der Urteilsgründe als jeweils gesonderte, zueinander in Tatmehrheit stehende Taten von den bislang getroffenen Feststellungen zweifelsfrei getragen.

12Das Landgericht hat nicht erkennbar bedacht, dass die Bezahlung einer zuvor „auf Kommission“ erhaltenen Betäubungsmittelmenge aus Anlass der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung die beiden Umsatzgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit verbindet (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 448/18; vom – GSSt 4/17, BGHSt 63, 1, 10). Obwohl es sich bei sämtlichen den Fällen II.40 bis II.44 der Urteilsgründe zugrundeliegenden Taten ausweislich der getroffenen Feststellungen um Kommissionsgeschäfte handelte, hat das Landgericht keine Feststellungen zu den konkreten Zahlungs- und Liefermodalitäten getroffen. Der Senat kann bereits deshalb nicht prüfen, ob das Landgericht die Konkurrenzen zutreffend bewertet hat.

13Inwieweit die Betäubungsmittelgeschäfte auch dem Zweck dienten, ausstehende Schulden des Angeklagten aus weiteren Betäubungsmittelgeschäften bei und mit dem gesondert Verfolgten A.  zu bezahlen, wird ebenfalls nicht näher aufgelöst. So fehlt es an konkreten Feststellungen zu etwaigen Verknüpfungen zwischen den Betäubungsmittelgeschäften und daraus aufgelaufenen Schulden. Ob der Senat sich uneingeschränkt der Rechtsprechung anschließen würde, wonach Tateinheit durch Teilidentität schon dann anzunehmen sei, wenn Betäubungsmittel verkauft werden, um damit Schulden aus früheren Handelsgeschäften zu tilgen, weil das frühere und das der Schuldentilgung dienende Handelsgeschäft dann funktionell miteinander verknüpft sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 641/19; vom – 3 StR 340/14, Rn. 5 – hier noch Annahme einer „tatbestandlichen Bewertungseinheit“ –; vgl. auch ; kritisch Patzak, Konkurrenzverhältnisse bei unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (2021), S. 294), bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

143. Die aufgezeigten Rechtsfehler bedingen die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen II.1 bis II.44 der Urteilsgründe und in dessen Folge den Wegfall der diesbezüglichen Einzelstrafen, der beiden Gesamtfreiheitsstrafen und der sich aus den Einkünften aus den Betäubungsmittelverkäufen in den Fällen II.1 bis II.44 der Urteilsgründe zusammensetzenden Einziehungsentscheidung. Zudem hat die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB), die sich maßgeblich auf die Fälle II.1 bis II.44 der Urteilsgründe stützt, keinen Bestand, ebenso die Anordnung des Vorwegvollzugs. Um dem neuen Tatgericht eine insgesamt widerspruchsfreie Tatsachenfeststellung zu ermöglichen, hebt der Senat alle bisherigen Feststellungen zu den Fällen II.1 bis II.44 der Urteilsgründe auf (§ 353 Abs. 2 StPO).

154. Für das weitere Verfahren merkt der Senat folgendes an:

16a) Sollte der neue Tatrichter zu dem Ergebnis gelangen, dass die Fälle II.1 bis II.39 der Urteilsgründe eine Bewertungseinheit bilden oder ganz oder teilweise zueinander in Tateinheit stehen, gilt für die Festsetzung der neuen Einzelstrafen, dass die Höhe der bisherigen Einzelstrafen überschritten werden darf. Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) steht dem nicht entgegen; die Summe aus den neu zu bestimmenden Einzelstrafen und der verbleibenden Einzelstrafe (Fall II.45 der Urteilsgründe) sowie die neue Gesamtstrafe (vgl. zu dieser weiter einschränkend sogleich) dürfen aber nicht höher sein als bisher (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 101/22; BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 364/20; vom – 1 StR 313/02, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 12).

17b) Dem kommt keine Zäsurwirkung zu, da die letzte dort abgeurteilte Tat auf den datiert, dieses auf die Entscheidung des zurückzuprojizieren und damit gesamtstrafenrechtlich „verbraucht“ ist (vgl. , NStZ-RR 2017, 74). Da der hier relevante Tatzeitraum erst im Dezember 2019 beginnt, wird das neue Tatgericht nur eine einzige Gesamtstrafe zu bilden haben. Diese darf wegen des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) nur so hoch bemessen werden, dass sie zusammen mit der zu Unrecht aufgelösten weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten aus dem die im angefochtenen Urteil ausgesprochenen Gesamtfreiheitsstrafen von insgesamt sieben Jahren – mithin sechs Jahre und sechs Monate – nicht übersteigt (vgl. Senat, Beschlüsse vom – 2 StR 636/13; vom – 2 StR 513/90, NJW 1991, 1763; ; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 358 Rn. 29).

18c) Soweit das Landgericht die Voraussetzungen des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG mit der Erwägung verneint hat, dass „neue, mit Taten des Angeklagten im Zusammenhang stehende Taten“ nicht aufgedeckt werden konnten, ist dies so nicht nachzuvollziehen. Der neue Tatrichter wird zu beachten haben, dass Angaben eines Angeklagten, die möglicherweise Grundlage der Annahme eines Aufklärungserfolges im Sinne der genannten Vorschrift sein können, in nachvollziehbarer Weise darzulegen sind, um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob ein Aufklärungserfolg zutreffend angenommen oder abgelehnt wurde (vgl. , Rn. 8; Beschluss vom – 1 StR 131/13). Zudem wird zu erwägen sein, dass die Voraussetzungen für eine fakultative Strafmilderung gemäß § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG auch dann vorliegen können, wenn ein Angeklagter – wie hier – seine Lieferanten (vgl. , Rn. 6) und/oder Abnehmer (vgl. Senat, Beschluss vom – 2 StR 3/14, NStZ 2014, 465; BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 451/14; vom – 4 StR 479/95, NStZ-RR 1996, 181; Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, BtMG, 10. Aufl., § 31 Rn. 38) benennt. Einem Aufklärungserfolg im Sinne dieser Vorschrift kann auch dann noch wesentliches Gewicht für die Aufklärung der Tat eines anderen Beteiligten zukommen, wenn hierdurch wichtige Tatsachen oder Beweise kundgetan werden oder den bereits vorhandenen Erkenntnissen eine sicherere Grundlage verschafft wird (vgl. mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:170823B2STR200.23.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-49894