BGH Beschluss v. - 4 StR 98/23

Bemessung der Jugendstrafe unter Berücksichtigung von Strafmilderungsgründen

Gesetze: § 17 Abs 2 JGG, § 23 Abs 2 StGB, § 49 Abs 1 StGB, § 315b Abs 1 StGB, § 315b Abs 3 Alt 2 StGB

Instanzenzug: LG Lüneburg Az: 50 KLs 2/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten L.    wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und schwerer Körperverletzung zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Angeklagte M.   hat es unter Freisprechung im Übrigen wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr „in der Absicht, einen Unglücksfall herbeizuführen“, zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Hiergegen richten sich die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten. Das Rechtsmittel der Angeklagten M.   erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen ebenso wie die Revision des Angeklagten L.    unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2Während die Nachprüfung des Urteils auf die Revisionsrechtfertigungen hinsichtlich der Schuldsprüche und des den Angeklagten L.    betreffenden Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat, kann die gegen die Angeklagte M.   verhängte Jugendstrafe nicht bestehen bleiben.

31. Die Bemessung der Jugendstrafe von zwei Jahren ist in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft.

4a) Das Landgericht hat bei der – im Ansatz zutreffenden (vgl. ) – Prüfung, ob sich die Tat, wäre sie nach allgemeinem Strafrecht zu beurteilen, als minder schwerer Fall „i.S.d. § 315 Abs. 4 StGB“ (richtig: § 315b Abs. 3 Alt. 2 StGB) darstellen würde, die (hypothetische) Anwendung des fakultativen vertypten Strafmilderungsgrundes des Versuchs mit unzureichender Begründung abgelehnt. Es hat eine Strafrahmenverschiebung nach § 23 Abs. 2 StGB in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB allein deshalb für nicht geboten gehalten, weil die unterbliebene „Vollendung der Tat vor allem der zufälligen Entdeckung des Angeklagten L.   durch den Nebenkläger zu verdanken“ sei.

5Diese Begründung lässt die bei der Strafrahmenwahl erforderliche Gesamtschau aller Tatumstände und der Persönlichkeit der Angeklagten vermissen (vgl. nur Rn. 16 mwN). Überdies ist die Erwägung, dass das Ausbleiben des tatbestandsmäßigen Erfolges dem Zufall geschuldet gewesen sei, auch für sich genommen rechtlich bedenklich. Die Versuchsmilderung kann dem Täter nicht mit der Begründung verweigert werden, dass er die weitere Tatausführung nicht freiwillig aufgegeben hat (vgl. , NStZ 2011, 337 mwN; zu § 44 StGB aF , NJW 1962, 355 f.). Soweit sich die Jugendkammer auf eine große Vollendungsnähe des Versuchs bezogen haben sollte, wäre dies nicht von den Feststellungen getragen. Denn der als Mittäter der Angeklagten M.   handelnde Angeklagte L.   wurde von dem Nebenkläger bereits entdeckt, als er am späten Abend die Bremsschläuche an dessen Fahrzeug durchtrennte, welches der Nebenkläger nach der Vorstellung der Angeklagten M.   erst am Folgetag wieder nutzen sollte. Die Tat des § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB war danach zwar bereits in das Versuchsstadium gelangt (vgl. zum unmittelbaren Ansetzen bei tatplangemäß erforderlicher Opfermitwirkung , BGHR StGB § 22 Ansetzen 28; Urteil vom – 1 StR 635/96, NStZ 1998, 294, 295; Urteil vom – 1 StR 234/97, BGHSt 43, 177, 180 ff.). Der Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges, der konkreten Gefahr im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB, stand im Zeitpunkt des Fehlschlags des Versuchs aber nicht nahe bevor.

6b) Ebenfalls nicht frei von Rechtsfehlern sind die Ausführungen des Landgerichts zu dem Maß des bei der Angeklagten M.   bestehenden Erziehungsbedarfs, auf deren Grundlage es die Jugendstrafe mit zwei Jahren bemessen und die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung abgelehnt hat. Die Jugendkammer hat unter anderem das in der Hauptverhandlung an den Tag gelegte Verhalten der Angeklagten bewertet, welches im Urteil dahingehend beschrieben wird, dass sie „konstant desinteressiert und gelangweilt dreingeschaut und keine Miene verzogen“ habe. Dies zeige, dass sie sich nicht mit ihrer Tat auseinandergesetzt habe. Sonstige Anhaltspunkte, die für ein Aufarbeiten der Tat sprächen, habe die Angeklagte weder dargelegt noch hätten sie festgestellt werden können. Damit hat das Landgericht das nonverbale Aussageverhalten der die Tatbegehung bestreitenden Angeklagten und letztlich ein zulässiges Verteidigungsverhalten als den Erziehungsbedarf erhöhend bewertet. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil auch im Jugendstrafrecht zulässiges Verteidigungsverhalten nicht zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden darf (vgl. Rn. 8 mwN; vgl. zur Aussetzungsentscheidung auch Radtke/Scholze in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 21 JGG Rn. 29 mwN).

72. Die Rechtsfolgenentscheidung betreffend die Angeklagte M.   beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern (§ 337 StPO). Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Rechtsanwendung zu einem geringeren Strafmaß gelangt wäre oder die Vollstreckung der verhängten Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt hätte. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die zugehörigen Feststellungen können hingegen bestehen bleiben, weil sie von den Wertungsfehlern nicht betroffen werden (§ 353 Abs. 2 StPO).

83. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:020823B4STR98.23.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-49296