BGH Beschluss v. - 2 StR 124/23

Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionseinlegungsfrist: Fehlerhafte Übersendung der Revisionsschrift via beA und notwendiger Inhalt des Wiedereinsetzungsantrages; Beginn der Frist für die Revisionsbegründung

Gesetze: § 44 S 1 StPO, § 45 Abs 1 S 1 StPO, § 45 Abs 2 StPO, § 341 Abs 1 StPO, § 349 Abs 1 StPO

Instanzenzug: Az: 103 KLs 3/22nachgehend Az: 2 StR 124/23 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen vorsätzlicher Brandstiftung und Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Der Angeklagten war auf ihren Antrag und ihre Kosten Wiedereinsetzung in die Frist vor Ablauf zur Einlegung der Revision zu gewähren.

21. Der Wiedereinsetzungsantrag der Angeklagten vom ist zulässig und begründet.

3a) Dem Antrag liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4Gegen das in ihrer Anwesenheit am verkündete Urteil hat die Angeklagte durch Schriftsatz ihres Verteidigers vom Revision eingelegt. Der Schriftsatz trägt den Aufdruck „per beA“, ist dem Landgericht jedoch am ohne qualifizierte Signatur über das elek-tronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) zugegangen. Auf Anordnung des Vorsitzenden sind die schriftlichen Urteilsgründe dem Verteidiger am zugestellt worden. Dieser hat das Rechtsmittel mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet, die Revisionsbegründung signiert und unter Verwendung seines besonderen Anwaltspostfachs dem Landgericht übersandt.

5Nachdem der Generalbundesanwalt mit Zuschrift vom , die durch die Geschäftsstelle des Bundesgerichtshofs am zur Versendung an den Verteidiger in den Geschäftsgang gegeben worden ist, die Verwerfung der Revision als unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO) beantragt hatte, weil die Revisionseinlegung nicht den Formerfordernissen des § 32a Abs. 3 StPO genüge, hat der Verteidiger für die Angeklagte mit Schriftsatz vom , der − signiert und auf sicherem Übermittlungsweg aus seinem besonderen Anwaltspostfach − am gleichen Tag beim Landgericht eingegangen ist, Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Revision beantragt, neuerlich Revision eingelegt und diese noch einmal begründet.

6Zum Wiedereinsetzungsgrund ist unter eidesstattlicher Versicherung des Sachverhalts durch den Verteidiger ausgeführt, dass er als Verteidiger den Revisionseinlegungsschriftsatz unterschrieben habe, dieser aber versehentlich durch eine Mitarbeiterin mit deren Mitarbeiterkarte dem Gericht übersandt worden sei. Er habe als Verteidiger am Abend die als Papierakte vorliegenden Postausgänge kontrolliert und lediglich den Ausdruck aus dem System „beA“ in der Akte gesehen. Daraus habe er fälschlich den Rückschluss gezogen, er selbst habe den zuvor von ihm unterzeichneten Schriftsatz versandt.

7Der Generalbundesanwalt hat beantragt, den Antrag der Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision als unzulässig zu verwerfen, da sich dieser nicht zu dem Zeitpunkt des Wegfalles des Hindernisses verhalte. Es sei weder vorgetragen noch nach der Aktenlage offensichtlich, dass dies erst durch Übersendung seiner Zuschrift auf Verwerfung der Revision als unzulässig geschehen sei.

8Mit weiterem Schriftsatz vom hat der Verteidiger den Vortrag zum Wiedereinsetzungsantrag dahingehend ergänzt, dass die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom am in seiner Kanzlei eingegangen und ihm erst zu diesem Zeitpunkt der Fehler offenbar geworden sei.

9b) Der Angeklagten ist auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in die - aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom versäumte - Frist zur Einlegung der Revision (§ 341 Abs. 1 StPO) zu gewähren.

10aa) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhält derjenige, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Innerhalb der Antragsfrist von einer Woche ist zudem die versäumte Handlung nachzuholen (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO). Binnen gleicher Frist muss der Antragsteller, sofern sich die Wahrung derselben nicht offensichtlich aus den Akten ergibt, auch Ausführungen zu dem Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen. Die hierzu erforderlichen Angaben sind ebenso wie ihre Glaubhaftmachung Zulässigkeitsvoraussetzungen (vgl. , NStZ-RR 2015, 145 mwN). Maßgeblich hierfür ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Angeklagten; dies gilt auch dann, wenn der Verteidiger eigenes Verschulden geltend macht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 422/20, NStZ-RR 2021, 112 mwN; vom - 3 StR 344/16, BeckRS 2016, 21447 mwN). Nach Ablauf der Wochenfrist kann der Vortrag nur noch ergänzt oder verdeutlicht werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 444/16, juris Rn. 5; vom - 1 StR 135/15, juris Rn. 4).

11bb) Hieran gemessen ist das Wiedereinsetzungsgesuch der Angeklagten zulässig.

12(1) Der Senat kann dem Vortrag des Verteidigers im Schriftsatz vom zu dem dort glaubhaft gemachten Wiedereinsetzungsgrund noch hinreichend deutlich die implizierte Angabe entnehmen, dass der Verteidiger seinen Übersendungsfehler bei der Revisionseinlegung erst durch die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom bemerkte. Angesichts seiner dargestellten fehlerhaften Kontrolle der Übermittlung am und dem Aufdruck „beA“ auf der Revisionseinlegungsschrift ist nicht erkennbar, wie der Verteidiger jenseits der Zuschrift des Generalbundesanwalts auf den Übersendungsfehler aufmerksam geworden sein könnte. Der gleichwohl fehlende Vortrag zur Kenntnisnahme durch die Angeklagte ist hier ausnahmsweise unschädlich. Weder die dargestellte Sachlage noch der Akteninhalt bieten irgendeinen Anhalt, wie die Angeklagte vor ihrem Verteidiger Kenntnis von der unzureichenden Übermittlung der Revisionseinlegungsschrift durch dessen Büro erlangt haben könnte.

13(2) Der Wiedereinsetzungsantrag wahrt die Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO. Nach der Aktenlage hat die Geschäftsstelle des Bundesgerichtshofs die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom am zur postalischen Übersendung an den Verteidiger in den Geschäftsgang gegeben, so dass ein Zugang beim Verteidiger, ungeachtet dessen nach Ablauf der Wochenfrist eingegangenen weiteren Vortrags (vgl. hierzu , juris, Rn. 5), vor dem ausgeschlossen ist. Die Wochenfrist ist damit durch den am eingereichten Schriftsatz, durch den der Verteidiger auch die versäumte Handlung formwirksam nachgeholt hat, gewahrt.

14cc) Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch begründet. Die Angeklagte trifft an der fehlerhaften Übersendung der Rechtsmitteleinlegungsschrift durch ihren Verteidiger kein Verschulden (§ 44 Satz 1 StPO). Dessen Verschulden wird ihr nicht zugerechnet (vgl. , juris Rn. 5).

152. Da das Landgericht bereits ein vollständiges Urteil abgefasst hat und dieses zudem wirksam zugestellt worden ist, bedarf es keiner Rückgabe der Akten an das Landgericht zur Ergänzung der Urteilsgründe oder dessen Zustellung. Mit der Zustellung dieses Beschlusses beginnt die Frist zur Begründung der Revision (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 431/22, juris Rn. 2; , juris Rn. 2 mwN; vgl. auch Senat, Beschluss vom - 2 StR 751/80, BGHSt 30, 335, 338).

163. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 7 StPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:010823B2STR124.23.0

Fundstelle(n):
WAAAJ-48656