BGH Beschluss v. - VIa ZR 507/21

Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 8 U 273/20vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 8 O 1901/20nachgehend Az: VIa ZR 507/21 Beschluss

Gründe

I.

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der behaupteten Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen auf Schadensersatz in Anspruch.

2Die Klägerin kaufte im Mai 2015 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten VW Beetle 2,0 l TDI als Neuwagen zum Preis von 22.640,96 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Euro 6) ausgestattet. Es ist nicht von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes betroffen. Die Klägerin behauptet, der Motor des Fahrzeugs sei aufgrund des Einbaus von unzulässigen Abschalteinrichtungen manipuliert, um auf dem Prüfstand günstige Emissionswerte zu erreichen.

3Mit ihrer im August 2020 erhobenen Klage hat die Klägerin zuletzt mit dem Hauptantrag die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation ihres Fahrzeugs durch die Beklagte resultierten. Hilfsweise hat die Klägerin ihren Feststellungsantrag näher spezifiziert. "Hilfshilfsweise" hat sie beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 22.650 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie abzüglich einer von der Beklagten darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs zu verurteilen und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr Schadensersatz zu zahlen für weitere Schäden, die daraus resultierten, dass die Beklagte in dem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut und ein nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes On-Board-Diagnosesystem eingesetzt habe. Zudem hat sie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten begehrt. In der mündlichen Verhandlung erster Instanz am hat die Klägerin den Kilometerstand des Fahrzeugs mit 70.564 km angegeben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung, mit der die Klägerin ihre Klageanträge in der zuletzt gestellten Form weiterverfolgt hat, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, mit der sie ankündigt, nach Zulassung der Revision ihre Berufungsanträge weiterverfolgen zu wollen. Die Beklagte hat im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren die Nutzungsvorteile der Klägerin auf der Grundlage einer Fahrleistung von 70.564 km und einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 400.000 km auf mindestens 3.995,69 € beziffert.

II.

4Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) übersteigt 20.000 € nicht.

51. Ausgangspunkt für die Bemessung der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer ist die formelle Beschwer der Klägerin durch den Zurückweisungsbeschluss, die sich danach bestimmt, in welchem Umfang die angefochtene Entscheidung von ihren Anträgen abweicht (vgl. , BGHZ 140, 335, 338 ff.; Urteil vom - VI ZR 1173/20, VersR 2022, 394 Rn. 10; Beschluss vom - VIa ZR 1123/22, juris Rn. 4). Maßgeblich für die formelle Beschwer der Klägerin ist in erster Linie der Zahlungshilfsantrag, weil er mit dem Feststellungshauptantrag wirtschaftlich identisch ist, aber keinem für die Feststellungsklage üblichen Abschlag von 20% unterliegt. Der Wert des Feststellungshauptantrags ist in jedem Fall geringer als der des Zahlungshilfsantrags (vgl. VIa ZR 205/21, juris Rn. 7). Mit dem Feststellungshauptantrag hat die Klägerin sich die Entscheidung offengehalten, ob sie endgültig - wie mit dem Zahlungshilfsantrag - die Rückabwicklung des Kaufvertrags über das Fahrzeug verlangen oder kleinen Schadensersatz geltend machen werde. Soweit die Klägerin großen Schadensersatz geltend machen will, geht ihr wirtschaftliches Interesse nicht über ihr mit dem Zahlungshilfsantrag verfolgtes Begehren hinaus. Das Interesse an der Geltendmachung des kleinen Schadensersatzes ist jedenfalls nicht höher zu bewerten (vgl. aaO, mwN).

62. Für das Erreichen der Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist die sich aus dem Zurückweisungsbeschluss ergebende formelle Beschwer indessen nicht abschließend maßgeblich. Es kommt vielmehr auf den Wert des Beschwerdegegenstands für das beabsichtigte Revisionsverfahren an, der sich nach dem Interesse der Klägerin an der Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts bemisst (vgl. , NJW 2002, 2720; Beschluss vom - IV ZR 20/21, juris Rn. 3 und 7; Beschluss vom - VIa ZR 1123/22, juris Rn. 9). Er beläuft sich betreffend den Zahlungshilfsantrag auf lediglich 18.654,31 €.

7Denn die Klägerin hat ihr Zahlungsbegehren in Höhe von 22.650 € ausdrücklich dahin eingeschränkt, sie wünsche eine Verurteilung "abzüglich einer von der Beklagten darzulegenden Nutzungsentschädigung" für die Nutzung des von der Klägerin erworbenen Fahrzeugs. Sie hat damit zum Ausdruck gebracht, dass sie einen entsprechenden Abzug anerkenne und der Beklagten die Bestimmung der Höhe dieses Abzugs überlasse (vgl. VIa ZR 205/21, juris Rn. 9). Die Beklagte hat einen Nutzungsvorteil in Höhe von mindestens 3.995,69 € behauptet, mit dem der von der Klägerin genannte Zahlungsbetrag von 22.650 € zu verrechnen ist (, NJW 2022, 194 Rn. 22). Dass die Beklagte von der ihr von der Klägerin eingeräumten Möglichkeit, die Nutzungsvorteile zu beziffern, erst im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren Gebrauch gemacht hat, ändert an der Maßgeblichkeit des von der Beklagten mitgeteilten und durchaus zugunsten der Klägerin im Rahmen üblicher Berechnungsmethoden (hier der linearen Berechnungsmethode bei einer geschätzten Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 400.000 km) bleibenden Werts nichts. Die Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO muss als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde noch im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel erreicht sein (vgl. VIa ZR 660/22, juris Rn. 6 mwN), kann damit aber in Fällen wie dem vorliegenden durch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren eingetretene Umstände noch beeinflusst werden.

83. Der weiter "hilfshilfsweise" gestellte Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weiterer Schäden ist mangels konkreten anderweitigen Vortrags unter Berücksichtigung eines 20%igen Abzugs mit allenfalls 1.000 € zu berücksichtigen (vgl. VIa ZR 205/21, juris Rn. 13 mwN). In der Addition liegt die Beschwer somit bei höchstens 19.654,31 €.

94. Der Antrag der Klägerin auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten erhöht den Wert nicht. Denn der Feststellung des Annahmeverzugs im Falle einer Verurteilung Zug um Zug kommt ein eigener wirtschaftlicher Wert nicht zu. Die Frage des Annahmeverzugs ist nur ein rechtlich unselbständiges Element der umstrittenen Leistungsverpflichtung und deshalb mit dieser wirtschaftlich identisch (vgl. , NJW-RR 2020, 1517 Rn. 7 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:080823BVIAZR507.21.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-48022