NWB Nr. 37 vom Seite 2521

Eine differenzierte Sicht auf steuerliche Zinssätze

Prof. Dr. Hans-Joachim Kanzler | Rechtsanwalt | Mitherausgeber des NWB EStG-Kommentars und des Handbuchs Bilanzsteuerrecht

Das BVerfG nimmt Stellung zum Abzinsungssatz für Pensionsrückstellungen

Mit Kammerbeschluss v.  - 2 BvL 22/17 (NWB QAAAJ-46918) hat das BVerfG die Vorlage des FG Köln aus dem Jahr 2017 als unzulässig verworfen. Das Normenkontrollverfahren betraf die Rechtsfrage, ob § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG in der im Jahr 2015 geltenden Fassung insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, als zur Ermittlung der Pensionsrückstellung ein Rechnungszinsfuß von 6 % anzusetzen ist. Im Ausgangsverfahren hatte die Klägerin, eine GmbH, im Streitjahr (2015) sowohl in der Handels- als auch in der Steuerbilanz Pensionsrückstellungen gebildet. Danach fielen die steuerlichen Wertansätze im Vergleich zu den handelsrechtlichen Werten wegen des unterschiedlichen Rechnungszinsfußes von 6 % zu 3,89 % deutlich geringer aus. Das Finanzgericht hielt den starren Rechnungszinsfuß von 6 % für verfassungswidrig.

Nachdem der Vorlage im Schrifttum auch vor dem Hintergrund einer langanhaltenden Niedrigzinsphase eine gute Erfolgschance eingeräumt und über gesetzgeberische Initiativen nachgedacht worden war, mag der Beschluss nun auch deshalb viele enttäuscht haben, weil das BVerfG eine materiell-rechtliche Prüfung des § 6a EStG vermieden hat. Stattdessen entschieden die Richter, dass die Vorlage nicht den Anforderungen an die Darlegung eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG genüge. Aus den Gründen des Vorlagebeschlusses erschließt sich der Kammer weder, „dass Unternehmen, die Pensionsrückstellungen bilden, mit all jenen Unternehmen vergleichbar sein sollen, die sich an das Realisationsprinzip halten müssen“ (Rz. 48), noch, „dass eine Absenkung des Rechnungszinsfußes und damit die Ermöglichung neuer Steuerstundungseffekte geboten wäre“ (Rz. 81).

Die Lektüre des Kammerbeschlusses und eine Analyse der Gründe legen allerdings nahe, dass das Gericht auch bei einer sachlichen Prüfung des § 6a EStG den Rechnungszinsfuß von 6 % nicht für verfassungswidrig halten würde. Vor dem Hintergrund, dass dem Gesetzgeber ein weiter Typisierungsspielraum eingeräumt ist, gehen die Richter davon aus, dass der Gesetzgeber, indem er auf den Barwert abstellt und für seine Berechnung einen bestimmten Rechnungszinsfuß vorgibt, nur die zeitlich vorgelagerte Berücksichtigung des späteren gewinnmindernden Aufwands beschränkt und damit bestimmt, wann welcher Teil dieses Aufwands geltend gemacht werden kann. Nach dieser aus der Entscheidung zu den Jubiläumsrückstellungen (, BStBl 2009 II S. 685) gewonnenen Erkenntnis, lässt sich der maßgebliche Zeitpunkt der Besteuerung aber nicht mit Hilfe des Maßstabs wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit oder des objektiven Nettoprinzips bestimmen. Schließlich wird auch die Erwartung enttäuscht, die nach dem Vorlagebeschluss ergangene Entscheidung des zur Verfassungswidrigkeit der Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen könne das Ergebnis im Streitfall günstig beeinflussen. Das BVerfG stellt am Schluss der Gründe nur kurz und treffend fest, dass die Entscheidung zu den Nachzahlungszinsen für den Streitfall nicht relevant sei.

Hans-Joachim Kanzler

Fundstelle(n):
NWB 2023 Seite 2521
NWB QAAAJ-47887