BGH Beschluss v. - 6 StR 186/23

Instanzenzug: Az: 22 KLs 10/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, führt jedoch zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.

3a) Nach den Urteilsfeststellungen beging der seit der „fünften oder sechsten Klasse“ und zur Tatzeit „regelmäßig“ Betäubungsmittel konsumierende sowie mit diesen seit mehreren Jahren auch Handel treibende Angeklagte die Taten, um seinen eigenen Drogenkonsum zu finanzieren. Die Jugendkammer hat seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) gleichwohl mangels eines Hangs, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, abgelehnt. Gegenüber der Jugendgerichtshilfe habe der Angeklagte insbesondere angegeben, dass es ihm „ohne den Betäubungsmittelkonsum gut gehe“; Anhaltspunkte für eine Abhängigkeitserkrankung, etwa Entzugserscheinungen, seien nicht ersichtlich.

4b) Diesen Erwägungen liegt ein rechtsfehlerhaftes Verständnis des Landgerichts vom Begriff des Hanges im Sinne des § 64 StGB zugrunde.

5aa) Für einen Hang genügt nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 28/20, StV 2021, 248; vom – 5 StR 416/22, StV 2023, 236, jeweils mwN). Ein Hang im Sinne des § 64 StGB kommt insbesondere bei Beschaffungskriminalität in Betracht (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 103/15; vom – 1 StR 481/18; vom – 1 StR 582/18, jeweils mwN).

6bb) Diesem Maßstab werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Bereits der festgestellte jahrelange und frühzeitig aufgenommene Konsum von Betäubungsmitteln, der erkennbar „zu einer kontinuierlichen Negativentwicklung“ bei fehlender Ausbildung und Erwerbstätigkeit geführt hat, legt die Annahme eines Hangs des Angeklagten nahe (vgl. LK-StGB/Cirener, 13. Aufl., § 64 Rn. 61 ff. mwN). Dem steht nicht entgegen, dass der Angeklagte während der vollstreckten Untersuchungshaft ohne ausgeprägte Entzugserscheinungen abstinent leben konnte (vgl. Rn. 12; Beschlüsse vom – 1 StR 582/18; vom – 5 StR 416/22, StV 2023, 236). Soweit das Landgericht darauf abstellt, dass der vom Angeklagten betriebene Betäubungsmittelhandel „zwar der Finanzierung des eigenen Konsums diente“, im Umfang aber über diesen hinausging, wird nicht hinreichend in Bedacht genommen, dass schon die Tatbegehung zur Finanzierung des Eigenkonsums für eine soziale Gefährdung und Gefährlichkeit sprechen könnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 93/19 Rn. 9, NStZ-RR 2020, 37; vom – 1 StR 582/18).

72. Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss – nunmehr unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – über die Frage einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (vgl. , BGHSt 37, 5). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen.

83. Darüber hinaus war auch die Jugendstrafe aufzuheben. Es ist nicht auszuschließen, dass das neue Tatgericht für den Fall der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 5 Abs. 3 JGG von der zusätzlichen Verhängung einer Jugendstrafe absieht (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 549/96, BGHR JGG § 5 Abs. 3 Absehen 2; vom – 3 StR 30/08) oder eine niedrigere Strafe verhängt.

94. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, weil es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:260723B6STR186.23.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-47739