BGH Beschluss v. - 4 StR 495/22

Strafverurteilung wegen Mordes u.a.: Nachträgliche Gesamtstrafenbildung und Härteausgleich bei Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe und vorangegangener Strafverurteilung im Ausland

Gesetze: § 54 Abs 1 S 1 StGB, § 54 Abs 2 S 2 StGB, § 55 Abs 1 S 1 StGB

Instanzenzug: LG Bochum Az: 7 Ks 60/19 - 2/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Das Landgericht hat – soweit hier von Bedeutung – die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

3a) Der Angeklagte, ein polnischer Staatsangehöriger, ist in Deutschland nicht, in Polen hingegen bereits mehrfach vorbestraft. Zuletzt verurteilte ihn das Amtsgericht Kościan am wegen eines am begangenen Einbruchdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten. Mit – rechtskräftigem – Urteil vom änderte das Bezirksgericht Posnań auf ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft die Entscheidung des Amtsgerichts dahingehend ab, dass es „die Haftzeit der verhängten Freiheitsstrafe um drei Jahre erhöhte“. Das Amtsgericht Kościan bildete aus der vorgenannten Freiheitsstrafe und weiteren gegen den Angeklagten seit 2018 verhängten Strafen am nachträglich eine „Gesamtstrafe“ von sechs Jahren und acht Monaten.

4b) Die hier verfahrensgegenständliche Tat beging der Angeklagte am . An diesem Tag drangen er und ein weiterer Beteiligter in das Wohnhaus des Geschädigten ein, um daraus Wertgegenstände zu entwenden. Als sich der Geschädigte ihnen entgegenstellte, schlugen sie ihn nieder, fesselten ihn und umwickelten seinen Kopf mit Klebeband. Anschließend durchsuchten sie das Haus nach stehlenswerten Gegenständen und verließen schließlich unter Mitnahme mehrerer Sachen des Geschädigten das Haus. Dieser kam – wie vom Angeklagten in Kauf genommen – durch Ersticken zu Tode. Das Landgericht hat die Tat als Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge gewertet und eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt. Die besondere Schwere der Schuld hat es nicht festgestellt.

52. Während die rechtliche Nachprüfung hinsichtlich des Schuldspruchs, der verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe sowie der Entscheidung des Landgerichts, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht anzuordnen, keinen Rechtsfehler ergeben hat, kann das Urteil insoweit, als die Strafkammer einen Härteausgleich nicht erwogen hat, keinen Bestand haben.

6a) Bei der Strafzumessung sind etwaige Härten in den Blick zu nehmen, die durch die zusätzliche Vollstreckung von Strafen drohen, welche von Gerichten anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union verhängt wurden, wenn diesbezüglich in zeitlicher Hinsicht die Voraussetzungen für eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB erfüllt wären (vgl. [jeweils unter Verweis auf Rn. 26] Rn. 4 mwN; Beschluss vom – 1 StR 15/20, BGHSt 65, 5 Rn. 17; Beschluss vom – 1 StR 406/19, BGHSt 65, 1 Rn. 9 ff.; Beschluss vom – 4 StR 599/19; Beschluss vom – 4 StR 256/19; vgl. vor enger ; ebenso weiterhin Sander/Dietsch, NStZ 2022, 449, 454). Derartige Härten werden in vergleichbaren Fällen vorausgegangener Verurteilungen durch deutsche Gerichte nach § 55 StGB durch eine nachträglich zu bildende Gesamtstrafe vermieden, während ausländische Strafen wegen des mit einer Gesamtstrafenbildung verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit grundsätzlich nicht gesamtstrafenfähig sind (vgl. Art. 3 Abs. 3 und 4 des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI sowie , BGHSt 65, 1 Rn. 9 mwN; anders zu einer – hier nicht gegebenen – Ausnahmekonstellation ). Die Mitgliedstaaten müssen jedoch grundsätzlich sicherstellen, dass ihre Gerichte frühere, in anderen Mitgliedstaaten ergangene Verurteilungen in dem Maße berücksichtigen wie im Inland ergangene frühere Verurteilungen und ihnen gleichwertige Rechtswirkungen zuerkennen (Art. 3 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI; Rn. 26; , BGHSt 65, 1 Rn. 11 mwN).

7b) Auf welche Weise dies geschieht, ist unionsrechtlich nicht vorgegeben ( PPU Rn. 79; s.a. Rn. 19 ff.; Beschluss vom – 3 StR 461/21 Rn. 10 ff.). Es gelten daher dieselben Grundsätze wie bei einer an sich gesamtstrafenfähigen, aus zufälligen Gründen aber nicht mehr berücksichtigungsfähigen inländischen Vorstrafe. Hiernach ist die konkrete Ausgestaltung des Härteausgleichs im Fall der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe davon abhängig, ob die besondere Schwere der Schuld vom Tatgericht festgestellt worden ist. Hat das Tatgericht die besondere Schwere der Schuld verneint, kann die Kompensation nicht anders als im Wege der so genannten Vollstreckungslösung, nämlich durch Anrechnung des als vollstreckt geltenden Teils der Strafe auf die Mindestverbüßungsdauer im Sinne des § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB, erfolgen (, BGHSt 55, 1 Rn. 6; Beschluss vom – 5 StR 433/09, BGHSt 54, 259 Rn. 6; vgl. auch ; Beschluss vom – 5 StR 293/08, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15). Es handelt sich in diesem Fall zwangsläufig um einen dem Tatrichter überantworteten Akt der Strafzumessung. Eine Verlagerung der Kompensation auf das Vollstreckungsverfahren, namentlich auf die bei festgestellter besonderer Schuldschwere durch das Vollstreckungsgericht zu treffende Entscheidung über die Verlängerung der Mindestverbüßungsdauer (vgl. zu Fällen der festgestellten besonderen Schuldschwere , NStZ-RR 2018, 320 Rn. 26; Beschluss vom – 4 StR 358/08, BGHR StGB § 57a Abs. 1 Schuldschwere 26; zur Berücksichtigung einer EU-ausländischen Vorstrafe auch , BGHSt 65, 1 Rn. 12 ff.), scheidet hier aus.

8c) Nach diesen Maßgaben hat das Landgericht es im vorliegenden Fall rechtsfehlerhaft unterlassen, über einen Härteausgleich zu entscheiden.

9aa) Wäre die dem angefochtenen Urteil vorausgegangene Verurteilung des Angeklagten in Polen vom durch ein deutsches Gericht erfolgt, hätten die Voraussetzungen für eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB vorgelegen. Dass die zugrundeliegende Einzelstrafe wegen der Tat vom in einer polnischen „Gesamtstrafe“ aufgegangen ist, welche angesichts der zäsurbildenden Wirkung einer weiteren (polnischen) Verurteilung nach hiesigen Grundsätzen zur nachträglichen Gesamtstrafe nicht hätte gebildet werden können, lässt die Notwendigkeit eines Härteausgleichs nicht entfallen. Eine ausgleichspflichtige Härte lässt sich schon deshalb nicht ausschließen, weil die dem Angeklagten mit dem polnischen Urteil vom auferlegte Freiheitsstrafe bei einer Gesamtstrafenbildung nach deutscher Rechtslage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 StGB) vollständig in der hiesigen lebenslangen Freiheitsstrafe aufgegangen wäre.

10bb) Ein Fall, in dem ohne den die Unanwendbarkeit des § 55 StGB begründenden Umstand die Feststellung der besonderen Schuldschwere auf der Hand gelegen hätte und deshalb ein ausgleichspflichtiger Nachteil zu verneinen ist (vgl. zu solcher Konstellation , BGHSt 55, 1 Rn. 8 f.; Beschluss vom – 5 StR 184/09; Beschluss vom – 5 StR 293/08, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15), liegt nicht vor. Das Landgericht hat der aus der nicht möglichen Gesamtstrafenbildung resultierenden Härte auch nicht bereits in anderer Weise Rechnung getragen (vgl. zu einem solchen Fall , NStZ-RR 2020, 122). Insbesondere hat es diese bei seiner Entscheidung, die besondere Schwere der Schuld zu verneinen, nicht erörtert, sondern ausschließlich andere Strafmilderungsgründe herangezogen.

11d) Ob eine Entscheidung über einen Härteausgleich dann entbehrlich gewesen wäre, wenn sicher zu erwarten wäre, dass die vom Landgericht verhängte lebenslange Freiheitsstrafe in Polen vollstreckt und in dem zu diesem Zweck dort zu führenden Verfahren zum Erlass eines Gesamturteils der Nachteil – unter Beachtung des Art. 8 Abs. 2 bis 4 des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI – ausgeglichen werden könnte (vgl. zu dem polnischen Verfahren zum Erlass eines Gesamturteils , NJW 2021, 3107 mit Schlussantrag des Generalanwalts de la Tour vom , BeckRS 2020, 26217), kann dahinstehen. Denn auch dies ist hier nicht der Fall. Ausweislich der Urteilsgründe ist es vielmehr nur „sehr wahrscheinlich, dass die Republik Polen die Vollstreckung der hiesigen Strafe übernehmen wird“. Eine Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe in Deutschland kann daher auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden.

123. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen sind von dem Wertungsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende, zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:120723B4STR495.22.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-47736