BGH Urteil v. - 5 StR 194/23

Instanzenzug: Az: 5 StR 194/23 Beschlussvorgehend Az: 543 KLs 18/22nachgehend Az: 5 StR 194/23 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt, seine Unterbringung in der Entziehungsanstalt angeordnet und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich lediglich gegen die Unterbringungsentscheidung; sie hat keinen Erfolg.

I.

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der nicht berufstätige und von Transferleistungen lebende Angeklagte vielfach vorbestraft, auch wegen des Verkaufs von Marihuana. Er konsumierte vor seiner Inhaftierung seit 30 Jahren Cannabis, unter steter Steigerung der Dosis zuletzt täglich um die fünf Gramm. Dabei bevorzugte er Produkte mit einem hohen Gehalt des Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC, über 30 %). Daneben nahm er regelmäßig Kokain zu sich. Sein von Haftaufenthalten, Strukturlosigkeit und Verwahrlosung geprägtes Leben drehte sich zunehmend um die Möglichkeit der Beschaffung von Betäubungsmitteln. Im Jahr 2013 absolvierte der Angeklagte im Rahmen einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG zunächst erfolgreich eine ambulante Drogentherapie, wurde in der Folgezeit aber wieder rückfällig.

3Der Angeklagte verkaufte zwischen dem und dem in zehn Fällen wöchentlich jeweils zwei Kilogramm Cannabisblüten mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 % THC und in einem Fall knapp 5,4 kg Cannabisblüten mit einem Wirkstoffanteil von etwa 810 g THC an eine B.   er Tätergruppierung. Durch diesen Handel wollte er sich eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen. Bei einer Durchsuchung am warf der Angeklagte ein Bündel Geldscheine im Wert von 9.230 Euro aus dem Fenster, zudem fand man in seiner Hosentasche weitere 1.135 Euro. Daneben bewahrte er in seiner Wohnung mehrere Tütchen mit Cannabisblüten, ein Laminiergerät und zwei I-Phones auf.

42. Den Angaben des Angeklagten zu seinem Betäubungsmittelkonsum hat die Strafkammer Glauben geschenkt, weil sie im Einklang mit Durchsuchungsfunden, seinen Vorstrafen, der im Rahmen von § 35 BtMG durchgeführten Therapie und Chatinhalten stünden.

53. Im Einklang mit den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und dies wie folgt begründet: Der langjährig suchtkranke Angeklagte weise einen Hang auf, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Die Taten gründeten mitursächlich auf dem Hang, weil der erwerbslose Angeklagte sie auch zur Finanzierung seiner Sucht begangen habe. Die Taten hätten nicht der Finanzierung eines aufwändigen Lebensstils des Angeklagten gedient, in dessen Kontext sich sein Konsum lediglich einbette, sondern er lebe in beengten und verwahrlosten Verhältnissen mit seiner neunköpfigen Familie. Die Taten wiesen zudem weder einen außergewöhnlich hohen Organisationsgrad noch ein hohes Maß an Vorbereitung und Organisation auf. Ohne Behandlung sei die suchtbedingte Begehung ähnlicher Straftaten zu erwarten. Bei dem therapiewilligen, einsichtigen und motivierten Angeklagten könne eine konkrete Erfolgsaussicht bejaht werden; die Therapiedauer betrage voraussichtlich zwei Jahre.

II.

6Die lediglich zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft (vgl. , NStZ-RR 2016, 113, 114) ist wirksam auf die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beschränkt (vgl. zu den Voraussetzungen , NStZ-RR 2018, 275, 276). Sie hat keinen Erfolg, weil das Landgericht ohne Rechtsfehler angenommen hat, dass die Voraussetzungen des § 64 StGB vorliegen.

71. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt nach § 64 StGB voraus, dass der Angeklagte einen Hang aufweist, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, die abgeurteilte Tat auf den Hang zurückgeht, die hangbedingte Gefahr der Begehung weiterer Straftaten und eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht für die Therapie besteht. All dies hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei festgestellt.

8a) Das Landgericht ist auf tragfähiger Grundlage davon ausgegangen, dass der Angeklagte einen Hang aufweist, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen.

9Für einen Hang genügt nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Ein jahrelanger täglicher Konsum von Betäubungsmitteln legt die Annahme eines Hangs regelmäßig nahe ( mwN). Die Feststellung einer zu Beschaffungsdelikten führenden physischen oder jedenfalls psychischen Betäubungsmittelabhängigkeit trägt regelmäßig die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB, ohne dass es auf den Grad oder die Ausprägung der Abhängigkeit im Einzelnen ankommt (vgl. mwN).

10Nach diesen Maßstäben ist die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte weise einen Hang zu übermäßigem Betäubungsmittelkonsum auf, nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung festgestellt, dass der wegen Betäubungsmitteldelikten mehrfach vorbestrafte und therapieerfahrene Angeklagte seit 30 Jahren mit zunehmender Intensität Rauschmittel zu sich nimmt, zuletzt täglich etwa 5 g Cannabis-Produkte mit hohem THC-Gehalt und Kokain. Zu Recht ist es demnach der Einschätzung der psychiatrischen Sachverständigen gefolgt, der Angeklagte sei langjährig suchtkrank. Schon die mit sachverständiger Hilfe getroffene Feststellung einer Drogenabhängigkeit legt die Annahme eines Hangs nahe (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 264/19; vom – 6 StR 90/21).

11Entgegen der Auffassung der Revision war insoweit weder eine vertieftere Darstellung der Gutachteninhalte noch ein Eingehen auf die womöglich suchtmittelfreie Zeit der Inhaftierung in hiesiger Sache erforderlich (vgl. mwN). Das Landgericht hat sich bei seiner Beweiswürdigung nicht nur auf unbelegte Angaben des Angeklagten verlassen, sondern diese durch die Vorverurteilungen, die Zurückstellung nach § 35 BtMG, aktuelle Durchsuchungsergebnisse und Chatinhalte über den eigenen Konsum bestätigt gesehen.

12b) Auch die Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen den verfahrensgegenständlichen Taten und dem Hang weist keinen Rechtsfehler auf.

13Ein solcher Zusammenhang ist bereits dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat. Typisch für Taten mit einem derartigen Symptomcharakter sind Delikte, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen (vgl. mwN; vgl. demgegenüber die ab dem geltende engere Fassung des § 64 StGB, BGBl. 2023 I, Nr. 203).

14Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts hat der nur über geringe legale Einnahmen verfügende Angeklagte die verfahrensgegenständlichen Taten nicht nur zur Finanzierung des allgemeinen Lebensbedarfs, sondern auch begangen, um seinen teuren täglichen Drogenkonsum zu finanzieren. In diesem Zusammenhang hat die Strafkammer auch im Blick gehabt, dass ein hoher Organisationsgrad eines über längere Zeit in erheblicher Größenordnung betriebenen Betäubungsmittelhandels gegen die ursächliche Verknüpfung zwischen Hang und Taten sprechen kann (vgl. , NStZ-RR 2023, 172, 173 mwN), das Vorliegen dieser Voraussetzungen aber aufgrund einer nachvollziehbaren und erschöpfenden Würdigung verneint.

15c) Die Schlussfolgerung des Tatgerichts, dass vom Angeklagten angesichts der verfahrensgegenständlichen Taten und seiner einschlägigen Vorstrafen die Gefahr weiterer hangbedingter Straftaten ausgeht, ist ebenfalls rechtsfehlerfrei.

16d) Das Landgericht hat schließlich auch auf tragfähiger Grundlage die hinreichend konkrete Erfolgsaussicht einer Suchtbehandlung bejaht. Hierbei konnte es sich auf die Einschätzung der psychiatrischen Sachverständigen stützen, dass der therapiewillige und motivierte Angeklagte über ausreichende intellektuelle Ressourcen verfügt, um für therapeutische Maßnahmen erreichbar zu sein. Zudem hat die Strafkammer eingestellt, dass der Angeklagte in der Vergangenheit jedenfalls zeitweise erfolgreich eine Entwöhnungstherapie im Rahmen von § 35 BtMG durchgestanden hat. Dass er nach der Therapie rückfällig geworden ist, durfte demgegenüber im Hinblick auf den Charakter der Sucht nicht überbewertet werden (, NStZ-RR 2017, 107). Weitere Ausführungen hierzu waren aus Rechtsgründen nicht erforderlich.

172. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Da das erfolglose Rechtsmittel lediglich zugunsten des Angeklagten eingelegt worden ist, hat dieser seine notwendigen Auslagen selbst zu tragen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 473 Rn. 16; LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 473 Rn. 20).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:160823U5STR194.23.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-47633