BGH Beschluss v. - 4 StR 116/22

Notwendige Feststellungen bei Verurteilung wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens; Absehen von der Maßregelanordnung

Gesetze: § 64 StGB, § 315d Abs 1 Nr 2 StGB, § 35 BtMG

Instanzenzug: Az: 35 KLs 24/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen und wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt und Führerscheinmaßnahmen verhängt.

2Hiergegen richtet sich die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten, die den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg erzielt.

31. Der Schuldspruch wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB) hat keinen Bestand. Die Feststellungen zeigen nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit auf, dass der Angeklagte den Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklicht hat.

4a) Nach den Feststellungen mietete der Angeklagte am einen PKW Aston Martin und befuhr mit diesem PKW am das Stadtgebiet von D.       im Bereich der S.   straße. Als sich neben seiner Fahrspur in gleicher Fahrtrichtung und auf gleicher Höhe ein unbekannt gebliebener Kraftfahrzeugführer in einem hochmotorisierten schwarzen Mercedes befand, bremsten beide Fahrer ohne ersichtlichen Grund ihre Fahrzeuge bis zum Stillstand ab, gaben sich durch „Hupen“ ein Signal und starteten „das nicht erlaubte Autorennen in der Innenstadt“; sie beschleunigten die von ihnen geführten Fahrzeuge erheblich, denn „es kam ihnen darauf an, sich mit dem jeweils anderen Fahrer zu ˌmessenˈ“. In dieser Weise verfuhren der Angeklagte und der Mercedesfahrer insgesamt drei Mal. Weiterhin wurde das Fahrzeug des Angeklagten im Bereich der E.     Straße mit einer Geschwindigkeit von 138 km/h gemessen.

5b) Damit ist nicht eindeutig festgestellt, dass nach den Vorstellungen des Angeklagten ein Rennen über eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerhebliche Wegstrecke gefahren werden sollte.

6aa) Ein Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB ist ein Wettbewerb zwischen wenigstens zwei Kraftfahrzeugführern, bei dem es zumindest auch darum geht, mit dem Kraftfahrzeug über eine nicht unerhebliche Wegstrecke eine höhere Geschwindigkeit als der andere oder die anderen teilnehmenden Kraftfahrzeugführer zu erreichen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Teilnehmer zueinander in Bezug auf die Höchstgeschwindigkeit, die höchste Durchschnittsgeschwindigkeit oder die schnellste Beschleunigung in Konkurrenz treten. Die besondere Gefährlichkeit von Kraftfahrzeugrennen in all diesen Konstellationen liegt darin, dass es zwischen den konkurrierenden Kraftfahrzeugführern zu einem Kräftemessen im Sinne eines Übertreffenwollens gerade in Bezug auf die gefahrene Geschwindigkeit kommt. Gerade diese Verknüpfung trägt die Gefahr in sich, dass dabei die Fahr- und Verkehrssicherheit außer Acht gelassen, der Verlust von Kontrolle in Kauf genommen und die Aufmerksamkeit auf das Verhalten des Konkurrenten gerichtet wird (vgl. ‒ 4 StR 224/20 Rn. 12; Urteil vom ‒ 4 StR 511/20 Rn. 19, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).

7bb) Die erforderliche Rennabsicht ist nicht hinreichend klar festgestellt. Insoweit hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:

„Die Feststellungen der Kammer belegen nicht, dass es bei dem Wettbewerb des Angeklagten mit dem unbekannt gebliebenen Fahrzeugführer (zumindest auch) darum ging, mit dem Kraftfahrzeug über eine nicht unerhebliche Wegstrecke eine höhere Geschwindigkeit als der andere teilnehmende Kraftfahrzeugführer zu erreichen.

Insbesondere stellt das Landgericht nicht fest, über welche Strecke und Entfernung der (Beschleunigungs-)Wettbewerb ausgetragen wurde sowie welche Geschwindigkeiten – abseits der Geschwindigkeitsmessung – dabei erreicht wurden. Ob die Rennsituation im Zeitpunkt der Messung noch fortbestanden hat, lässt sich den Feststellungen ebenfalls nicht entnehmen.“

8Diesen Ausführungen kann sich der Senat nicht verschließen. Zwar liegt nach den Feststellungen und der umgangssprachlichen Wendung, der Angeklagte habe den Mercedesfahrer „abziehen“ wollen, eine Rennabsicht nicht fern; dass diese sich aber ‒ wie von § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB gefordert ‒ nach der Vorstellung des Angeklagten auf eine nicht unerhebliche Wegstrecke beziehen sollte, lässt sich den Feststellungen nicht zweifelsfrei entnehmen.

92. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall 9 der Anklage zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe sowie des Maßregelausspruchs nach sich, der auch für sich genommen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.

10a) Die im Tenor des angegriffenen Urteils angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Einziehung des Führerscheins können schon deshalb nicht bestehen bleiben, weil Feststellungen fehlen, dass der in der Vergangenheit mehrfach wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilte und bis zum April 2019 nicht über eine Fahrerlaubnis verfügende Angeklagte inzwischen eine Fahrerlaubnis erworben hat.

11b) Der Maßregelausspruch kann auch nicht bestehen bleiben, soweit das Landgericht ohne jede Erörterung von einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB abgesehen hat.

12aa) Zwar hat der Angeklagte durch Verteidigerschriftsatz vom erklärt, die Nichtanordnung der Maßregel gemäß § 64 StGB von seinem Rechtsmittelangriff auszunehmen. Diese Revisionsbeschränkung ist jedoch unwirksam, weil die Revision sich mit der Sachrüge gegen den gesamten Schuldspruch wendet und dieser unter den hier gegebenen Umständen nicht losgelöst von der Maßregelfrage geprüft werden kann (vgl. ‒ 2 StR 139/11, StV 2012, 72).

13bb) Die unterbliebene Maßregelanordnung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die tatgerichtlichen Feststellungen zum Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB sind widersprüchlich. Das Landgericht hat einerseits das Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ausdrücklich verneint und andererseits festgestellt, dass der Angeklagte die verfahrensgegenständlichen Taten aufgrund einer „Betäubungsmittelabhängigkeit“ begangen hat. Die Feststellung einer zu Beschaffungsdelikten führenden physischen oder jedenfalls psychischen Betäubungsmittelabhängigkeit trägt jedoch regelmäßig die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB, ohne dass es auf den Grad oder die Ausprägung der Abhängigkeit im Einzelnen ankommt (vgl. ‒ 4 StR 80/19 Rn. 12; Beschluss vom ‒ 1 StR 456/13 Rn. 7).

14c) Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird daher ‒ unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (vgl. § 246a StPO) ‒ die Frage der Maßregelanordnung insgesamt neu zu prüfen und dabei auch zu beachten haben, dass § 64 StGB gegenüber einer Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG Vorrang hat (vgl. ‒ 3 StR 195/20 Rn. 5; Beschluss vom ‒ 2 StR 210/20, StV 2021, 362, 363; Beschluss vom ‒ 4 StR 229/10, NStZ-RR 2010, 319, 320). Ein „Wahlrecht“ des Angeklagten besteht insoweit nicht (vgl. ‒ 1 StR 646/16 Rn. 11).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:190722B4STR116.22.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-29106