BGH Beschluss v. - StB 52/23

Gründe

I.

1Der Angeklagte wurde am vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tag (3 BGs 149/20), seit dem aufgrund des an diesem Tag verkündeten Haftbefehls des (5 - 2 StE 7/20). Gegenstand des aktuell vollzogenen Haftbefehls ist neben der dem Angeklagten zur Last liegenden tateinheitlichen Zuwiderhandlung gegen ein Waffenbesitzverbot der Vorwurf, er habe im Februar 2020 eine Vereinigung gegründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord oder Totschlag zu begehen, und sich mitgliedschaftlich an dieser Vereinigung beteiligt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 52 Abs. 1 StGB).

2Mit Beschlüssen vom (AK 26/20), vom (AK 45/20) und vom (AK 19/21 u.a.) hat der Senat im besonderen Haftprüfungsverfahren jeweils die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Der Generalbundesanwalt hat am Anklage gegen den Angeklagten und elf Mitangeklagte erhoben. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens dauert die Hauptverhandlung seit dem an.

3Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom hat der Angeklagte das Oberlandesgericht darum ersucht, es „möge den Haftbefehl vom nunmehr aufheben“; die Begründung des dringenden Tatverdachts sei „nach der bisherigen Beweisaufnahme … nicht mehr haltbar“. Auf Nachfrage hat der Verteidiger das Begehren in der Hauptverhandlung dahin präzisiert, es handele sich um eine Haftbeschwerde. Daraufhin hat das Oberlandesgericht die Nichtabhilfe beschlossen und die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

II.

4Die nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§§ 300, 306 Abs. 1 StPO) Beschwerde des Angeklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

51. Gegen ihn besteht weiterhin der im angefochtenen Haftbefehl bezeichnete dringende Tatverdacht. Soweit er der Auffassung ist, dass die Beweisaufnahme diesen nicht bestätigt habe, ist dem das Oberlandesgericht in seiner Nichtabhilfeentscheidung entgegengetreten. Darin hat es die bisher erhobenen Beweise im Einzelnen dargestellt und nachvollziehbar dahin gewürdigt, dass sie den dringenden Tatverdacht hinsichtlich aller drei angeklagten Delikte tragen. Mit dem Beschwerdevorbringen hat es sich auseinandergesetzt und erläutert, dass und warum es die darin vorgenommene Wertung nicht teilt.

6Dies ist nach den rechtlichen Maßstäben, die für die im Haftbeschwerdeverfahren vorzunehmende Überprüfung des dringenden Tatverdachts während laufender Hauptverhandlung gelten (st. Rspr.; vgl. etwa , BGHR StPO § 112 Tatverdacht 5 Rn. 16 f. mwN), nicht zu beanstanden.

72. Die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Schwerkriminalität bestehen fort.

8a) Der Haftgrund der Fluchtgefahr liegt vor, weil die Würdigung sämtlicher Umstände es weiterhin wahrscheinlicher macht, dass sich der Angeklagte dem Verfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung stellen werde (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).

9aa) Von der konkreten Straferwartung geht noch immer ein erheblicher Fluchtanreiz aus. Das Oberlandesgericht hat hierzu in der Nichtabhilfeentscheidung ausgeführt, die etwa drei Jahre und fünf Monate andauernde Inhaftierung des Angeklagten bewege sich im Fall einer Verurteilung im Bereich von zwei Dritteln der zu erwartenden Freiheitsstrafe; es ergebe sich voraussichtlich eine weitere Haftzeit von über einem Jahr. Diese Beurteilung ist plausibel. Unter zutreffender Zugrundelegung des Strafrahmens des § 129a Abs. 1 StGB, der sich auf Freiheitsstrafe zwischen einem und zehn Jahren bemisst, hat der Staatsschutzsenat dabei die Schwere der mit großer Wahrscheinlichkeit geplanten Anschläge, die in Aussicht genommenen Tatbeiträge des Angeklagten sowie seine hochwahrscheinlichen rassistischen und fremdenfeindlichen Beweggründe in den Blick genommen (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB; vgl. dazu BT-Drucks. 18/3007 S. 14 ff.; , BGHR StGB § 60 Absehen, fehlerhaft 1 Rn. 13/14 mwN; vom - 3 StR 246/22, juris Rn. 26). Nach allem hat der Angeklagte mit einer zu vollstreckenden weiteren Haftzeit von Gewicht zu rechnen.

10Gegen die Wertung des Oberlandesgerichts, es sei nicht zu erwarten, dass die Vollstreckung des hypothetisch noch zu verbüßenden Strafrests zur Bewährung ausgesetzt werden könnte, ist ebenfalls nichts einzuwenden (zum insoweit bestehenden Beurteilungsspielraum des Gerichts der Hauptverhandlung vgl. , NStZ-RR 2022, 209, 210). Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass sich der Angeklagte von seiner rassistischen und der Reichsbürgerideologie nahestehenden Einstellung gelöst hat. Sein Vorbringen, er sei der „Mensch      , Mann aus dem Hause        “ und „arbeite am Thema Entnazifizierung“, ist hierfür gerade kein Beleg.

11bb) Dem erheblichen Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthemmenden Faktoren gegenüber. Wie das Oberlandesgericht in seiner Nichtabhilfeentscheidung zutreffend dargelegt hat, bestand die Beziehung des Angeklagten zur Zeugin S.                  bereits im Tatzeitraum. Sie dürfte ihn angesichts der in der Tat hochwahrscheinlich zum Ausdruck kommenden Gesinnung nicht von einer Flucht abhalten. Hinzu kommen die hohen Steuerschulden des Angeklagten und seine mit dem Verdachtsgrad des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO bestehende (vgl. , juris Rn. 11) langjährige Einbindung in die rechtsextremistische Szene, die ihm ein Untertauchen ohne Weiteres ermöglichen würde.

12b) Die Fortdauer der Untersuchungshaft kann bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) unverändert ebenso - mit dem Oberlandesgericht - auf den Haftgrund der Schwerkriminalität gestützt werden. Denn die zu würdigenden Umstände begründen erst recht die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Angeklagten vereitelt werden könnte.

13c) Der Zweck der Untersuchungshaft kann nach wie vor nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO).

143. Der Vollzug der Untersuchungshaft steht noch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO; zu den hierfür nach st. Rspr. geltenden Maßstäben s. etwa , NStZ-RR 2022, 209, 210 mwN). Insoweit wird auf die zuletzt gegen Mitangeklagte ergangenen Senatsbeschlüsse (vom - StB 4/23, juris Rn. 18 ff.; vom - StB 26/23, juris Rn. 18 ff.; vom - StB 36/23, juris Rn. 17) verwiesen. Die dort dargelegten Gründe gelten auch für diesen Beschwerdeführer, dessen hypothetisch noch zu verbüßender Strafrest nach der nicht zu beanstandenden Beurteilung des Oberlandesgerichts etwa ein gutes Jahr beträgt.

Schäfer                    Berg                    Erbguth

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:100823BSTB52.23.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-47367