BGH Beschluss v. - VIa ZB 8/23

Instanzenzug: OLG Celle Az: 7 U 279/22vorgehend LG Stade Az: 4 O 154/21

Gründe

I.

1Die Klägerin kaufte im August 2016 von einer Händlerin ein Wohnmobil Fiat Malibu Carthago. Die italienische Zulassungsbehörde erteilte die EG-Typgenehmigung für die Schadstoffklasse Euro 6. Die Klägerin hat behauptet, das Fahrzeug verfüge über unzulässige Abschalteinrichtungen, die auf dem Prüfstand uneingeschränkt funktionierten, im realen Fahrbetrieb jedoch ausgeschaltet seien. Sie hat die Beklagte auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs in Anspruch genommen sowie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und den Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt.

2Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe nicht im Sinne von § 826 BGB sittenwidrig gehandelt. Für das Fahrzeug der Klägerin liege eine wirksame EG-Typgenehmigung der zuständigen italienischen Genehmigungsbehörde vor, aufgrund deren Tatbestandswirkung die Zivilgerichte von der Rechtmäßigkeit der vorhandenen Abschalteinrichtungen auszugehen hätten. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beklagte die EG-Typgenehmigung durch Täuschung der italienischen Behörde erschlichen haben könnte und deshalb mit einer Aufhebung der EG-Typgenehmigung oder einer Betriebsuntersagung zu rechnen sei. Da die italienische Genehmigungsbehörde nach der Information durch deutsche Behörden über die beanstandeten Abschalteinrichtungen keine Maßnahmen zur Nachrüstung der Fahrzeuge angeordnet habe, sei vielmehr davon auszugehen, dass sie die in Rede stehenden Abschalteinrichtungen weiterhin für zulässig halte. Die Beklagte habe der Klägerin zudem keinen Schaden zugefügt, weil die Aufhebung der EG-Typgenehmigung oder die Anordnung sonstiger Maßnahmen nicht zu befürchten und das Fahrzeug daher für die Klägerin uneingeschränkt nutzbar sei. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheide von vornherein aus, weil die Bestimmungen der EG-FGV nicht den Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckten.

3Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht durch den angegriffenen Beschluss nach vorausgegangenen Hinweisen als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

41. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip).

52. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Unrecht mangels einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung als unzulässig verworfen.

6a) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Berufungsbegründung genüge nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 oder 3 ZPO, weil sie nicht auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sei. Die Klägerin habe darin ersichtlich Textbausteine zum Komplex "Dieselabgasproblematik" verwendet, die vereinzelt einen thematischen Bezug zu den Ausführungen im angefochtenen Urteil aufwiesen, aber diese inhaltlich unzutreffend referierten und nicht auf die tragenden Gründe konkret eingingen. Die Berufungsbegründung setze sich nicht mit der tragenden Erwägung des Landgerichts auseinander, die erteilte EG-Typgenehmigung sei wirksam und binde die Zivilgerichte, die deshalb an einer Überprüfung und Bewertung der behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen gehindert seien. Die Wiederholung der erstinstanzlich geäußerten Rechtsauffassung, eine wirksame EG-Typgenehmigung liege mangels Offenlegung der behaupteten Abschalteinrichtungen gegenüber der Genehmigungsbehörde nicht vor, greife die Argumentation des Landgerichts nicht an, weil dieses wegen der seiner Ansicht nach fehlenden eigenen Prüfungsbefugnis Feststellungen zum Vorhandensein der in Rede stehenden Funktionen unterlassen habe. Zudem habe die Klägerin zu einer Täuschung des KBA und einer Prüfung der Motortypen in Clustern durch das KBA vorgetragen, während tatsächlich die italienische Typgenehmigungsbehörde zuständig sei und die Cluster-Prüfung des KBA deutsche Fahrzeughersteller betreffe.

7b) Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

8aa) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.

9Diese Anforderungen sind gewahrt, wenn die Berufungsbegründung erkennen lässt, aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, und zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit die Umstände mitteilt, die das Urteil aus seiner Sicht in Frage stellen. Besondere formale Anforderungen an diesbezügliche Darlegungen des Berufungsklägers bestehen zwar nicht. Für die Zulässigkeit der Berufung ist es auch ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen (, juris Rn. 6; Beschluss vom - VI ZB 4/20, NJW-RR 2022, 998 Rn. 6; Beschluss vom - VIa ZR 1273/22, juris Rn. 5). Ebenso unzureichend ist die Verwendung von Textbausteinen, die ein anderes Verfahren betreffen und nicht auf die tragende Begründung des Erstgerichts eingehen (vgl. , NJW-RR 2020, 1187 Rn. 11; Beschluss vom , aaO). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig ( aaO, Rn. 10; Beschluss vom - VIa ZB 19/22, juris Rn. 8).

10Dabei ist stets zu beachten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weitergehen, als es durch ihren Zweck geboten ist. Die Vorschrift des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO soll den Berufungsführer dazu anhalten, die angegriffene Entscheidung nicht nur im Ergebnis, sondern in der konkreten Begründung zu überprüfen und im Einzelnen darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchen Gründen er das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Damit dient das Begründungserfordernis der Verfahrenskonzentration (, WM 2023, 816 Rn. 14; Beschluss vom - VIII ZB 21/21, NJW-RR 2022, 449 Rn. 13 ff.; Beschluss vom - VIa ZB 2/21, juris Rn. 8).

11bb) Daran gemessen genügt die Berufungsbegründung der Klägerin noch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO. Sie greift das die Ablehnung eines Schadensersatzanspruchs jedenfalls aus § 826 BGB tragende Argument des Landgerichts, wegen der Tatbestandswirkung der von der italienischen Zulassungsbehörde erteilten EG-Typgenehmigung sei von der Zulässigkeit vorhandener Abschalteinrichtungen auszugehen, hinreichend an.

12(1) Die Klägerin hat in der Berufungsbegründung die Annahme des Berufungsgerichts, das Fahrzeug verfüge über eine wirksame EG-Typgenehmigung der italienischen Zulassungsbehörde, als rechtsfehlerhaft bezeichnet und die Wirksamkeit der EG-Typgenehmigung bestritten. Hierzu hat sie angeführt, der Antrag der Beklagten sei nicht genehmigungsfähig gewesen, weil diese im Rahmen des EG-Typgenehmigungsverfahrens unstreitig gegenüber dem KBA weder das Vorhandensein noch die Funktionsweise der streitgegenständlichen Abschalteinrichtungen offengelegt habe. Habe der Hersteller in seinen der Genehmigungsbehörde vorgelegten Antragsunterlagen die eingebaute Abschalteinrichtung nicht beschrieben, sei sie von der Gestattungswirkung der EG-Typgenehmigung nicht erfasst bzw. könne sich der Hersteller insoweit nicht auf eine wirksame EG-Typgenehmigung berufen und bringe er das Fahrzeug daher außerhalb der EG-Typgenehmigung in Verkehr. Da die EG-Typgenehmigung wegen der unvollständigen Angaben im Genehmigungsverfahren rechtswidrig bzw. nicht wirksam sei, drohe im Ergebnis die Stilllegung des Fahrzeugs.

13(2) Durch diese Ausführungen ist die Klägerin der Annahme des Landgerichts entgegengetreten, die als unzulässige Abschalteinrichtungen beanstandeten technischen Einrichtungen seien der Zulassungsbehörde im EG-Typgenehmigungsverfahren bekannt gewesen. Davon ausgehend hat die Klägerin erkennbar die von der Beurteilung des Landgerichts abweichende Rechtsansicht vertreten, die der Zulassungsbehörde verschwiegenen Funktionen seien von einer etwaigen Tatbestandswirkung der anhand der Antragsunterlagen erteilten EG-Typgenehmigung nicht erfasst mit der Folge, dass die Zivilgerichte den Einbau der von der Klägerin dargelegten unzulässigen Abschalteinrichtungen zu berücksichtigen hätten. Diese Einwendungen sind geeignet, der zumindest für einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB relevanten Erwägung des Landgerichts die Grundlage zu entziehen, im Zivilprozess sei ohne weiteres von der Rechtmäßigkeit der vorhandenen Abschalteinrichtungen auszugehen.

14(3) Einer hinreichenden Beanstandung des erstinstanzlichen Urteils steht nicht entgegen, dass die Klägerin nicht die italienische Zulassungsbehörde, sondern fälschlich das KBA als EG-Typgenehmigungsbehörde bezeichnet und in der Berufungsbegründung mehrfach nicht auf den Streitfall zugeschnittene, sondern andere Fälle betreffende Textbausteine verwendet hat. Trotz dieser Mängel lässt die Berufungsbegründung hinreichend erkennen, aus welchen Gründen die Klägerin die landgerichtliche Annahme für unrichtig hält, der im Streitfall bestehenden EG-Typgenehmigung komme eine die Zulässigkeit der beanstandeten Abschalteinrichtungen verbindlich feststellende Tatbestandswirkung zu.

15cc) Die vorstehenden Erwägungen gelten gleichermaßen für die Anträge auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und auf Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, weil das Landgericht deren Abweisung ausschließlich mit dem Nichtbestehen der Hauptforderung begründet hat (vgl. VIa ZB 5/21, juris Rn. 18 mwN).

III.

16Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache zur Entscheidung über die Begründetheit der Berufung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO), weil sich die Entscheidung des Berufungsgerichts auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 577 Abs. 3 ZPO). Die Klägerin hat gegen die weiteren tragenden Erwägungen des Berufungsgerichts, mit denen es einen deliktischen Schadensersatzanspruch der Klägerin verneint hat, in der Berufungsbegründung ebenfalls hinreichende Angriffe erhoben (vgl. dazu VIa ZB 4/21, NJW-RR 2022, 642 Rn. 14; Beschluss vom - VI ZB 4/20, VersR 2023, 475 Rn. 11). Von einer näheren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:240723BVIAZB8.23.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-47099