Instanzenzug: LG Hildesheim Az: 12 KLs 18 Js 10534/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet und eine Anrechnungsentscheidung für erlittene Auslieferungshaft getroffen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2Die Entscheidung des Landgerichts, von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Es ist zu besorgen, dass die Strafkammer einen falschen Prüfungsmaßstab angewendet hat.
Der Angeklagte hatte befragt zu seinem Betäubungsmittelkonsum angegeben, seit dem Jahr 2018 täglich Marihuana konsumiert zu haben. Kurz vor den verfahrensgegenständlichen Taten habe er seinen Konsum wegen der Trennung von seiner damaligen Freundin gesteigert. Gelegentlich sei es zur Einnahme von Kokain gekommen (UA S. 3). Trotz dieser grundsätzlich nicht in Zweifel gezogenen Angaben des Angeklagten hat die sachverständig beratene Strafkammer einen Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen (§ 64 Satz 1 StGB), nicht als gegeben angesehen. Begründet hat sie ihre Entscheidung mit der nicht sicher feststellbaren Abhängigkeit (UA S. 54).
Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 Satz 1 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss (vgl. Senat, Beschlüsse vom – 6 StR 103/23 Rn. 3; vom – 6 StR 468/22 Rn. 3 f.; vom – 6 StR 28/20 Rn. 12; BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 416/22 Rn. 7; vom – 1 StR 587/16 Rn. 9). (…)
Darüber hinaus ist es für das Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs nicht – wie die Strafkammer irrig annimmt (UA S. 55) – erforderlich, dass der Hang eine ‚erkennbare Rolle‘ bei der Begehung der Betäubungsmittelstraftaten gespielt hat. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (vgl. Senat, Beschluss vom – 6 StR 468/22 Rn. 3 f.; Rn. 27; Beschluss vom – 3 StR 299/18, NStZ 2019, 265, 266; MüKo-StGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 64 Rn. 40). Ein solcher Zusammenhang ist typischerweise gegeben, wenn die Straftat unmittelbar und mittelbar der Beschaffung von Drogen für den Eigenkonsum gedient hat oder dazu dienen sollte (vgl. Senat, Beschluss vom – 6 StR 113/21, NStZ-RR 2021, 244, 245). Das war vorliegend der Fall. Die in die Hauptverhandlung eingeführten EncroChat-Daten belegen, dass der Angeklagte das von ihm erworbene Marihuana auch selbst konsumierte (UA S. 46: ‚Ich rauche davon jetzt ein volcano‘).
Da auch das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, bedarf die Frage der Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB – wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) – einer neuen tatrichterlichen Entscheidung. (…)
Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Es ist auszuschließen, dass das Landgericht bei einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine mildere Strafe erkannt hätte.“
3Dem schließt sich der Senat an.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:120723B6STR263.23.0
Fundstelle(n):
XAAAJ-45893