BGH Urteil v. - VII ZR 594/21

Schadensersatz wegen mangelhafter Ingenieurleistungen: Hemmung der Verjährung des Anspruchs aufgrund Zustellung des Mahnbescheids

Leitsatz

1. Die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren hemmt die Verjährung nur, wenn der Schuldner aufgrund der Bezeichnung des Anspruchs im Mahnbescheid erkennen kann, woraus der Gläubiger seinen Anspruch herleitet (Bestätigung von ).

2. Die im Mahnbescheid nicht hinreichende Individualisierung des Anspruchs kann nachgeholt werden. Die Nachholung der Individualisierung hemmt die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB zwar nicht rückwirkend, aber ab dem Zeitpunkt ihrer Vornahme (Bestätigung von ).

3. Für die nachträgliche Individualisierung des Anspruchs im Mahnverfahren ist ebenso wie für die Individualisierung im Mahnbescheid ausschließlich auf den Erkenntnishorizont des Schuldners abzustellen. Dementsprechend ist es ohne Bedeutung, ob die Individualisierung des Anspruchs durch an das Gericht gerichteten Schriftsatz oder außerhalb des Gerichtsverfahrens erfolgt (Bestätigung von ).

Gesetze: § 204 Abs 1 Nr 3 BGB, § 280 Abs 1 BGB, § 634 Nr 4 BGB

Instanzenzug: OLG Bamberg Az: 3 U 392/20vorgehend LG Hof Az: 11 O 98/15

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen mangelhafter Ingenieurleistungen auf Schadensersatz in Anspruch.

2Die Klägerin beauftragte den Beklagten mit Vertrag vom 15. März/ mit Ingenieurleistungen für das Bauvorhaben "Abwasseranlage K.          , BA 16, Bauumfangsänderung". § 2 des Vertrags nimmt Bezug auf die "Allgemeinen Vertragsbestimmungen für Ingenieurleistungen", die unter § 9 die "Haftung und Verjährung" des Beklagten regeln. In § 9 heißt es wie folgt wörtlich:

"9.1 Mängel- und Schadensersatzansprüche des Auftraggebers richten sich nach den gesetzlichen Vorschriften, soweit nachfolgend nichts anderes vereinbart ist.

9.4 Die Ansprüche des Auftraggebers aus diesem Vertrag verjähren in fünf Jahren.

...

Die Verjährung beginnt spätestens mit der Anweisung der Schlusszahlung nach § 7."

3Der Beklagte erstellte insbesondere die Ausschreibungsunterlagen, auf deren Grundlage zunächst die V.                                         GmbH R.        (im Folgenden: V.   ) den Auftrag für Entwässerungs- und Kanalarbeiten sowie zur Schaffung eines Regenüberlaufbeckens erhielt. Nachdem die V.    die Arbeiten eingestellt hatte, beauftragte die Klägerin die H.   F.                    GmbH.

4Nach Abschluss des Bauvorhabens stellte der Beklagte der Klägerin am seine Schlussrechnung, welche diese am bezahlte.

5In der Folgezeit nahm die Klägerin die V.     wegen entstandener Mehrkosten (37.088,26 €) gerichtlich erfolglos in Anspruch. Nach ihrem Vortrag musste sie deshalb der V.    Prozesskosten in Höhe von 8.438,90 € erstatten und entstanden ihr eigene Prozesskosten in Höhe von 21.470,86 €. Sie ist der Auffassung, dass der Beklagte für die entstandenen Mehrkosten und die vorgetragenen Prozesskosten aufkommen müsse, weil er die Ausschreibung der von der V.    zu erbringenden Leistungen fehlerhaft formuliert habe.

6Auf Antrag der Klägerin vom hat das Amtsgericht C.     - Mahngericht - am einen Mahnbescheid erlassen. In dem Mahnbescheid ist der geltend gemachte Anspruch antragsgemäß wie folgt bezeichnet:

"Anspruch aus Ingenieurvertrag vom 66.998,02 €"

7Weiter heißt es: "Der Antragsteller hat erklärt, dass der Anspruch von einer Gegenleistung abhänge, diese aber erbracht sei."

8Der Mahnbescheid ist dem Beklagten am zugestellt worden. Am haben die anwaltlichen Vertreter der Klägerin dem Beklagten ihren Schriftsatz vom zugestellt. In diesem wird der Beklagte unter Darlegung des Sachverhalts zur Zahlung von 66.998,02 € bis zum aufgefordert. Darüber hinaus heißt es dort: "Ein Mahnbescheid über die Gesamtsumme von 66.998,02 € zzgl. Zinsen … wird Ihnen demnächst vom Amtsgericht C.    , Zentralem Mahngericht in B.     , zugehen. Mit diesem Mahnbescheid werden die hier beschriebenen Ansprüche geltend gemacht."

9Der Beklagte hat gegen den Mahnbescheid unter dem Widerspruch erhoben. Die Klägerin hat ihren Anspruch mit Schriftsatz vom begründet, nachdem der Haftpflichtversicherer des Beklagten erstmals mit Schreiben vom und letztmals bis zum auf die Einrede der Verjährung verzichtete, soweit eine Verjährung nicht bereits eingetreten sei. Der Beklagte hat sich gegen den Anspruch unter anderem mit der Einrede der Verjährung verteidigt.

10Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da der Anspruch der Klägerin verjährt sei. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Gründe

11Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

12Auf das Schuldverhältnis zwischen den Parteien ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung anzuwenden, die für ab dem und bis zum geschlossene Verträge gilt, Art. 229 § 5 Satz 1, § 39 EGBGB.

I.

13Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

14Nach Ziff. 9.4 der Allgemeinen Bestimmungen für Ingenieurleistungen, die Vertragsgegenstand geworden seien, habe die Verjährungsfrist für den mit der Klage geltend gemachten Anspruch mit der Anweisung der Schlusszahlung () begonnen, so dass mit Ablauf des Verjährung eingetreten sei.

15Eine Hemmung der Verjährung durch den Antrag auf Erlass des Mahnbescheids () sei nicht erfolgt. Durch die höchstrichterliche Rechtsprechung sei geklärt, dass der Mahnantrag und der auf seiner Grundlage ergangene Mahnbescheid den geltend gemachten prozessualen Anspruch nach § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO individualisieren müssten. Fehle es hieran, trete keine Hemmung der Verjährung durch den antragsgemäß erlassenen Mahnbescheid ein. Von einer hinreichenden Individualisierung sei auszugehen, wenn der Anspruch durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt werden könne, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein könne und dem Schuldner die Beurteilung ermögliche, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen wolle. Hieran gemessen sei der Anspruch im Mahnbescheid vom nicht hinreichend individualisiert.

16Die Klägerin beschränke sich in ihrem Mahnbescheidsantrag auf die bloße Angabe des Vertrags. Dieser Vertrag sei durch die Schlussrechnung vom abgewickelt gewesen. Die Klägerin habe zudem vor Beantragung des Mahnbescheids nicht zur Zahlung von Schadensersatz aufgefordert. Für den Beklagten sei es deshalb im Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids unklar gewesen, warum er in Anspruch genommen worden sei.

17Das Schreiben vom ändere an dieser Rechtslage nichts. Denn dieses Schreiben sei dem Beklagten erst nach Zustellung des Mahnbescheids zugegangen und die für die Verjährungshemmung notwendige Individualisierung könne nicht mehr nachgeholt werden.

II.

18Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann die Klage nicht wegen Verjährung abgewiesen werden.

191. Allerdings geht das Berufungsgericht der Sache nach in rechtlich nicht zu beanstandender Weise davon aus, dass die Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz wegen einer mangelhaften Erfüllung des Ingenieurvertrags vom 15. März/ geltend macht, der sich aus § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB ergeben könnte und in Auslegung der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien beginnend mit der Schlusszahlung vom in fünf Jahren und deshalb mit Ablauf des grundsätzlich verjährte. Das lässt Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision nicht beanstandet.

202. Rechtsfehlerhaft ist aber die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Verjährung des Anspruchs nicht aufgrund der Zustellung des Mahnbescheids am in Verbindung mit dem am dem Beklagten zugestellten Schreiben der anwaltlichen Vertreter der Klägerin vom gehemmt wurde.

21a) aa) Nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB hemmt die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren die Verjährung. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der auch das Berufungsgericht ausgeht, setzt die Hemmung der Verjährung voraus, dass der im Mahnbescheid bezeichnete Anspruch durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen unterschieden und abgegrenzt werden kann. Der im Mahnbescheid bezeichnete Anspruch muss deshalb einerseits Grundlage eines Vollstreckungstitels sein können und andererseits dem Schuldner die Beurteilung ermöglichen, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will oder nicht. Damit der Schuldner beurteilen kann, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will oder nicht, muss er im Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids erkennen können, woraus der Gläubiger seinen Anspruch herleitet. Wann dieser Anforderung genüge getan ist, kann nicht allgemein und abstrakt festgelegt werden; vielmehr hängen Art und Umfang der erforderlichen Angaben im Einzelfall von dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis und der Art des Anspruchs ab ( Rn. 19 m.w.N., BauR 2020, 1679 = NZBau 2020, 573). Maßgeblich für diese Individualisierung der Forderung im Mahnbescheid ist ausschließlich der Erkenntnishorizont des Schuldners ( Rn. 27 m.w.N., BauR 2022, 1683 = NZBau 2022, 589).

22bb) Des Weiteren entspricht es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die im Mahnbescheid nicht hinreichende Individualisierung des Anspruchs des Schuldners nachgeholt werden kann. Die Nachholung der Individualisierung hemmt die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB zwar nicht rückwirkend, aber ab dem Zeitpunkt ihrer Vornahme. War zu diesem Zeitpunkt der mit dem Mahnbescheid geltend gemachte Anspruch noch nicht verjährt, wird mit der Nachholung der Individualisierung während des Mahnverfahrens die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt. Für die nachträgliche Individualisierung des Anspruchs im Mahnverfahren ist deshalb ebenso wie für die Individualisierung im Mahnbescheid ausschließlich auf den Erkenntnishorizont des Schuldners abzustellen. Dementsprechend ist es ohne Bedeutung, ob die Individualisierung des Anspruchs durch an das Gericht gerichteten Schriftsatz oder außerhalb des Gerichtsverfahrens erfolgt ( Rn. 28, BauR 2022, 1683 = NZBau 2022, 589).

23Soweit die Revisionserwiderung meint, diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei zu überprüfen, und zwar insbesondere deshalb, weil die Bestimmung des Streitgegenstandes, der den Umfang der materiellen Rechtskraft eines Vollstreckungstitels definiere, nicht durch ein außergerichtliches Schreiben erfolgen könne, ist dem nicht zu folgen. Wie ausgeführt setzt die für die Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB notwendige Kennzeichnung des Anspruchs neben dessen Individualisierung aus dem Erkenntnishorizont des Schuldners zusätzlich voraus, dass der Anspruch objektiv Grundlage eines Vollstreckungstitels sein kann. Nur letztere Voraussetzung dient der Festlegung des Streitgegenstands.

24b) Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht zu Unrecht eine Individualisierung des im Mahnbescheid bezeichneten Anspruchs in unverjährter Zeit verneint. Spätestens mit der Zustellung des Schreibens der anwaltlichen Vertreter der Klägerin vom am konnte der Beklagte erkennen, woraus die Klägerin den im Mahnbescheid bezeichneten Anspruch herleitete.

25Soweit das Berufungsgericht unter Hinweis auf das Versäumnisurteil des Rn. 34, 36, MDR 2020, 297) meint, die Individualisierung könne generell nicht mehr verjährungshemmend nachgeholt werden, ist das unzutreffend. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat an der genannten Stelle im Rahmen eines Hinweises zum weiteren Verfahren ("Segelanweisung") auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Bezug genommen, dass die Individualisierung und damit die Hemmung der Verjährung nicht rückwirkend nachgeholt werden kann, da der Gläubiger dem Schuldner in nicht verjährter Zeit seinen Rechtsverfolgungswillen so klar machen muss, dass dieser sich darauf einrichten kann, auch nach Ablauf der (ursprünglichen) Verjährungszeit in Anspruch genommen zu werden ( Rn. 17 f., BGHZ 206, 41; Urteil vom - II ZR 281/14 Rn. 16, NJW 2016, 1083). Diese Begründung ermöglicht gerade die Nachholung der Individualisierung in - wie hier - unverjährter Zeit, indem dem Schuldner der Rechtsverfolgungswille des Gläubigers rechtzeitig verdeutlicht wird.

III.

26Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann daher keinen Bestand haben und ist aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da diese nicht zur Endentscheidung reif ist. Die Sache ist deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:070623UVIIZR594.21.0

Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 10 Nr. 35
NJW 2023 S. 2773 Nr. 38
WM 2023 S. 2234 Nr. 48
JAAAJ-45795