Zäsurwirkung bei Gesamtstrafenbildung aus Einzelstrafen für nachfolgende Taten
Gesetze: § 55 Abs 1 S 2 StGB, § 411 Abs 1 S 2 StPO, § 411 Abs 1 S 3 StPO
Instanzenzug: Az: 8 KLs 104 Js 125878/20
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Unterschlagung, Betrugs in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten, Computerbetrugs in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten in zwei Fällen, Computerbetrugs in zwei Fällen, Computerbetrugs in 34 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit versuchtem Computerbetrug in 57 tateinheitlichen Fällen und mit Fälschung beweiserheblicher Daten, Computerbetrugs in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten sowie Betrugs in vier Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts B. vom ( ) und nach Auflösung der Gesamtgeldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom ( ) unter Einbeziehung der Einzelstrafen für die Taten vom und vom zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Wegen Betrugs in sechs Fällen hat es ihn außerdem unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom für die Taten vom , und zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Daneben hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er – ohne weitere Ausführungen – die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
32. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des angefochtenen Urteils hat Rechtsfehler im Schuldspruch, in den Einzelstrafaussprüchen sowie in der Einziehungsentscheidung nicht ergeben.
43. Hingegen hält der Gesamtstrafenausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten mit dem – nicht erledigten – Strafbefehl des Amtsgerichts B. vom eine Zäsurwirkung angenommen, die einer Gesamtstrafenbildung mit den Einzelstrafen für die zeitlich nachfolgenden Taten sowohl aus dem – ebenfalls nicht erledigten – Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom als auch aus dem angefochtenen Urteil (Fälle unter Ziffer II. 14. bis 18. der Urteilsgründe) entgegenstehe. Dies erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Denn der Senat kann anhand der schriftlichen Urteilsgründe nicht ausschließen, dass sich das Landgericht an der Bildung einer einheitlichen Gesamtstrafe zu Unrecht gehindert gesehen hat.
5Zäsurwirkung entfaltet gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten. Bei einem Strafbefehl ist für die Zäsurwirkung daher grundsätzlich der Zeitpunkt des Erlasses maßgeblich. Dies gilt jedoch nicht, wenn nach einem Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl ein Urteil nach Tatsachenverhandlung oder ein Beschluss nach § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO ergeht; dann ist auf den Tag einer solchen Entscheidung abzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 561/19, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 2 Sachentscheidung 2 Rn. 7-12 und vom – 1 StR 535/19, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 2 Zäsurwirkung 4 Rn. 13-18; je mwN). Der Strafbefehl des Amtsgerichts B. vom ist erst am rechtskräftig geworden, was auf die Einlegung eines Rechtsmittels hindeutet. Dazu verhält sich das Urteil jedoch nicht. Den Urteilsfeststellungen lässt sich nicht entnehmen, ob das Strafbefehlsverfahren durch eine anschließende Sachentscheidung beendet worden ist. Sollte eine solche nach dem (Zeitpunkt der letzten Tat unter Ziffer II. 18. der Urteilsgründe) tatsächlich ergangen sein, wäre eine einheitliche Gesamtstrafe zu bilden gewesen. Obschon das Landgericht das mit der Bildung zweier gesonderter Gesamtfreiheitsstrafen verbundene Gesamtstrafübel ausdrücklich bedacht hat, kann der Senat nicht ausschließen, dass der Angeklagte hierdurch beschwert ist. Die Sache bedarf deshalb im Hinblick auf die Gesamtstrafenbildung neuer Verhandlung und Entscheidung; hierzu hebt der Senat vorsorglich die zugehörigen Feststellungen auf (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 139/23 und vom – 1 StR 381/22 Rn. 5 f.).
6Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung (§§ 55, 53 StGB), durch die ein Angeklagter nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden soll, wird das Tatgericht in der neuen Verhandlung nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der früheren tatrichterlichen Verhandlung – hier also dem – zu beurteilen haben (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 5; Beschlüsse vom – 2 StR 37/21 Rn. 4; vom – 1 StR 136/17, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 2 Zäsurwirkung 3 Rn. 3 und vom – 3 StR 188/11 Rn. 5). Eine Erledigung der Geldstrafe nach Verkündung des ersten Urteils stünde ihrer Einbeziehung daher nicht entgegen, obwohl der dadurch bedingte Wegfall der Zäsurwirkung dem Angeklagten an sich günstig wäre (vgl. Rn. 5 f.).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:280623B1STR180.23.0
Fundstelle(n):
MAAAJ-45528