Betreuungssache: Nachträgliche Zulassung der Rechtsbeschwerde auf eine Gegenvorstellung
Leitsatz
Zur nachträglichen Zulassung der Rechtsbeschwerde auf eine Gegenvorstellung.
Gesetze: § 44 FamFG, § 70 Abs 1 FamFG, § 70 Abs 2 FamFG, Art 19 Abs 4 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG
Instanzenzug: LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 8 T 131/22vorgehend AG Nordenham Az: 9 XVII 127/99
Gründe
I.
1Die Betroffene wendet sich gegen die Festsetzung von Aufwendungsersatz aus ihrem Vermögen zugunsten eines für sie tätig gewesenen anwaltlichen Ergänzungsbetreuers.
2Für die 1975 geborene und nach mehreren Hirnblutungen an einer geistigen Behinderung leidende Betroffene ist seit längerer Zeit eine Betreuung eingerichtet. Ihre Schwester M. (Beteiligte zu 1) ist zur Betreuerin und ihre Schwester A. (Beteiligte zu 2) zur Ersatzbetreuerin bestellt. Im November 2019 verstarb der Vater der Betroffenen. In dessen notariellem Testament waren die Betroffene und ihre beiden Schwestern zu gleichen Teilen als Erbinnen eingesetzt; die Betroffene sollte hinsichtlich ihres Erbanteils die Stellung einer befreiten Vorerbin erhalten. Der Sohn der Betreuerin - Neffe der Betroffenen - wurde zum Testamentsvollstrecker mit der Aufgabe der Erbauseinandersetzung bestimmt. Daneben hatte der Erblasser bezüglich des Erbanteils der Betroffenen Dauertestamentsvollstreckung angeordnet und auch insoweit den Sohn der Betreuerin zum Testamentsvollstrecker bestimmt. Dem Dauertestamentsvollstrecker wurde in der letztwilligen Verfügung unter anderem die Auflage erteilt, dass aus dem auf die Betroffene entfallenden Teil des Nachlasses „nicht die Kosten einer rechtlichen Betreuung oder Ergänzungsbetreuung einschließlich der durch die Betreuung verursachten Gerichtskosten beglichen werden“ dürften. Für die Vertretung der Betroffenen in der Nachlassangelegenheit nach ihrem Vater bestellte das Amtsgericht im Juni 2020 den Rechtsanwalt H. (Beteiligter zu 4) zum berufsmäßigen Ergänzungsbetreuer. Nach der Auseinandersetzung des aus einem Grundstück sowie Geld- und Wertpapiervermögen bestehenden Nachlasses zwischen den drei Töchtern des Erblassers wurde die Bestellung des Ergänzungsbetreuers im Oktober 2021 wieder aufgehoben. Der Anteil der Betroffenen am Nachlass betrug rund 51.000 €.
3Das Amtsgericht hat dem Ergänzungsbetreuer auf seinen Vergütungsantrag einen nach anwaltlichem Gebührenrecht berechneten Aufwendungsersatz in Höhe von 2.147,83 € bewilligt und gegen das Vermögen der Betroffenen festgesetzt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das zurückgewiesen. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung die Auffassung vertreten, dass die testamentarische Anordnung, Kosten einer Ergänzungsbetreuung nicht aus dem Nachlass zu begleichen, zwar nicht sittenwidrig und deshalb zu beachten sei. Die Betroffene könne die Betreuervergütung aber aus ihrem sonstigen Vermögen - nämlich einem Kontoguthaben in Höhe von mehr als 4.000 € - bestreiten. Dem stehe nicht entgegen, dass ihr ein Schonvermögen von 5.000 € belassen werden müsse. Denn zum Schonvermögen sei auch das erhebliche Vermögen zu rechnen, welches ihr durch die Erbschaft zugeflossen sei und ihr für die Befriedigung vielfältiger persönlicher Sonderbedürfnisse zur Verfügung stehe. Insoweit liege auch keine Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 SGB XII vor. Auf die Gegenvorstellung der Betroffenen hat das die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Betroffene weiterhin das Ziel, mit ihrem Vermögen nicht für die Vergütung des Ergänzungsbetreuers herangezogen zu werden.
II.
4Die Rechtsbeschwerde ist mangels wirksamer Zulassung nach § 70 Abs. 1 FamFG nicht statthaft und damit unzulässig.
51. Nach § 70 Abs. 1 FamFG ist gegen einen Beschluss die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn das Beschwerdegericht sie in dem angefochtenen Beschluss ausdrücklich zugelassen hat, sei es in der Beschlussformel oder in den Gründen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 445/10 - FamRZ 2011, 1728 Rn. 15).
6Diese Voraussetzung liegt nicht vor, da der Beschluss vom keinen Ausspruch der Zulassung der Rechtsbeschwerde enthält. Der Beschluss des Beschwerdegerichts vom stellt auch keine Berichtigung seines Beschlusses vom dar. Eine Berichtigung des Ausgangsbeschlusses nach § 42 Abs. 1 FamFG kommt im vorliegenden Fall offensichtlich nicht in Betracht, weil keine - für Dritte ohne weiteres erkennbare - Umstände ersichtlich sind, welche hier die Annahme rechtfertigen könnten, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht beschlossen und nur versehentlich nicht im Ausgangsbeschluss ausgesprochen war.
72. Die vom Beschwerdegericht mit Beschluss vom nachträglich isoliert ausgesprochene Zulassung der Rechtsbeschwerde bindet den Senat entgegen § 70 Abs. 2 Satz 2 FamFG nicht. Die nachträgliche Zulassung ist unwirksam, weil sie verfahrensrechtlich nicht ausgesprochen werden durfte (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 634/17 - FamRZ 2018, 936 Rn. 7 mwN).
8a) Eine in der Beschwerdeentscheidung unterbliebene Zulassung der Rechtsbeschwerde kann nicht durch einen Ergänzungsbeschluss nach § 43 Abs. 1 FamFG nachgeholt werden. Schweigt das Beschwerdegericht in seinem Ausgangsbeschluss - wie hier - zur Frage der Zulassung, ist die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen, und zwar auch dann nicht, wenn das Beschwerdegericht die Möglichkeit der Zulassung gar nicht bedacht haben sollte (vgl. - FamRZ 2020, 2016 Rn. 11 mwN). Eine nachträgliche Zulassung holt dann keine unterbliebene Entscheidung nach, sondern sie widerspricht der bereits getroffenen Entscheidung und ändert diese ab (Senatsbeschluss vom - XII ZB 7/14 - FamRZ 2014, 1620 Rn. 12 mwN).
9b) Allerdings kann das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde nachträglich auf die von einem Verfahrensbeteiligten ordnungsgemäß angebrachte Anhörungsrüge (§ 44 FamFG) für das Rechtsbeschwerdegericht bindend zulassen, wenn bei der vorangegangenen Entscheidung, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen, ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör dieses Beteiligten vorgelegen hat. So liegt der Fall hier aber nicht.
10aa) Die Anhörungsrüge räumt dem Gericht keine umfassende Abhilfemöglichkeit ein, sondern dient allein der Behebung von Verstößen gegen die grundgesetzliche Garantie des rechtlichen Gehörs. Die unterbliebene Zulassung der Rechtsbeschwerde kann für sich genommen den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzen. Die nachträgliche Zulassung der Rechtsbeschwerde auf die Anhörungsrüge eines Beteiligten gemäß § 44 FamFG kommt deshalb nur dann ausnahmsweise in Betracht, wenn das Beschwerdegericht bei seiner ursprünglichen Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde auf die Zulassungsentscheidung bezogenen Vortrag der Beteiligten verfahrensfehlerhaft übergangen hat oder wenn das Beschwerdeverfahren aufgrund eines Gehörsverstoßes gemäß § 44 Abs. 5 FamFG fortgesetzt wird und sich erst aus dem anschließend gewährten rechtlichen Gehör ein Grund für die Zulassung ergibt (vgl. zu § 321 a ZPO: - NJW-RR 2020, 1190 Rn. 14 mwN und Urteil vom - VI ZR 137/22 - NJW 2023, 1718 Rn. 23 mwN).
11bb) Die Betroffene hat ihren Schriftsatz vom selbst als Gegenvorstellung bezeichnet und darin nicht - wie es § 44 Abs. 2 Satz 4 FamFG voraussetzen würde - dargelegt, dass das Beschwerdegericht das rechtliche Gehör der Betroffenen in entscheidungserheblicher Weise verletzt hätte. Vielmehr hat die Betroffene in ihrer Eingabe grundsätzliche Bedeutung für die Beantwortung der Rechtsfrage reklamiert, ob der Einsatz von Eigengeld des Betreuten unterhalb des Schonbetrages von 5.000 € für die Zahlung der Betreuervergütung verlangt werden kann, wenn wegen einer durch die Dauertestamentsvollstreckung geschützten Erbschaft weiteres Vermögen aufseiten des Betreuten vorhanden sei. Insoweit stellt die Gegenvorstellung der Betroffenen - wie dies auch in der Einleitung des Schriftsatzes vom ausdrücklich klargestellt wird - nicht auf die Verletzung rechtlichen Gehörs, sondern (allein) darauf ab, dass das Beschwerdegericht durch die unterbliebene Zulassung der Rechtsbeschwerde den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sache in objektiv willkürlicher Weise verneint und dadurch unter Verletzung von Art. 101 Abs. 1, 19 Abs. 4 GG den Instanzenzug verkürzt habe.
12c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde konnte das Beschwerdegericht die wirksame Zulassung der Rechtsbeschwerde auch nicht in analoger Anwendung von § 44 FamFG auf die Gegenvorstellung der Betroffenen aussprechen.
13aa) Allerdings hat der Bundesgerichtshof - auch der Senat - in mehreren Entscheidungen die auf eine Gegenvorstellung hin ausgesprochene Zulassung der Rechtsbeschwerde in analoger Anwendung von § 321 a ZPO bzw. § 44 FamFG unter der Voraussetzung gebilligt, dass die Zulassung zuvor willkürlich unterblieben ist, und hat dies aus dem Anspruch des Rechtsmittelführers auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hergeleitet (BGH Beschlüsse vom - IV ZB 26/12 - NJW-RR 2013, 256 Rn. 6 mwN; - NJW-RR 2007, 1654 Rn. 3 mwN; Senatsbeschluss vom - XII ZB 634/17 - FamRZ 2018, 936 Rn. 8 mwN).
14bb) Demgegenüber ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in jüngerer Zeit darauf hingewiesen worden, dass es gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Rechtsmittelklarheit verstößt, wenn die Rechtsprechung - wie bei der Gegenvorstellung - außerordentliche Rechtsbehelfe außerhalb des geschriebenen Rechts schaffe, um tatsächliche oder vermeintliche Lücken im bisherigen Rechtsschutzsystem zu schließen. Für die nachträgliche Zulassung der Rechtsbeschwerde auf eine Gegenvorstellung könne grundsätzlich nichts anderes gelten, wenn das Beschwerdegericht nach den Bestimmungen der jeweiligen Verfahrensordnung einer Innenbindung an seine Entscheidung unterliegt und deshalb seine getroffene Entscheidung ohne eine besondere gesetzliche Grundlage im Verfahrensrecht nicht mehr ändern darf (vgl. BGHZ 220, 90 = ZIP 2018, 2229 Rn. 13 ff.; - FamRZ 2020, 2016 Rn. 10).
15cc) Ob der Senat hiernach an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält und ob die unterlassene Zulassung der Rechtsbeschwerde als Verstoß gegen andere Verfahrensgrundrechte in analoger Anwendung von § 321 a ZPO bzw. § 44 FamFG überhaupt mit einer Gegenvorstellung gerügt werden kann, braucht im vorliegenden Fall indessen nicht entschieden werden.
16Denn sowohl der Anspruch auf den gesetzlichen Richter als auch das Recht auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes schützen nicht vor jeder fehlerhaften Anwendung der Verfahrensordnung, sondern setzen eine willkürlich unterlassene Zulassung oder eine unzumutbare, sachlich nicht mehr zu rechtfertigende Verkürzung des Instanzenzuges voraus (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 634/17 - FamRZ 2018, 936 Rn. 8). Auch nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eröffnet die Gegenvorstellung für das Gericht deshalb nicht die Möglichkeit, bereits deshalb nachträglich die Rechtsbeschwerde zuzulassen, weil es seine Entscheidung auf das Vorbringen in der Gegenvorstellung überdacht hat und nunmehr der Auffassung ist, die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 FamFG lägen vor. Dies gilt selbst dann, wenn diese Auffassung objektiv richtig wäre. Der Beschluss über die nachträgliche Zulassung der Rechtsbeschwerde muss vielmehr auf der Feststellung beruhen, dass das Gericht mit seiner ursprünglichen Entscheidung, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen, gegen Verfahrensgrundrechte des Rechtsmittelführers verstoßen hat (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 634/17 - FamRZ 2018, 936 Rn. 9 f.; - NJW-RR 2016, 955 Rn. 9 f. und Urteil vom - V ZR 123/10 - NJW 2011, 1516 Rn. 10). Der Beschluss des Beschwerdegerichts vom lässt mangels jeglicher Begründung nicht erkennen, dass es diese strengen Voraussetzungen geprüft und bejaht hätte.
17dd) Es kommt deshalb auch nicht mehr darauf an, dass der Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) hier nicht vorgelegen hätte. In der Rechtsprechung des Senats zu den sogenannten Behindertentestamenten ist bereits geklärt, dass das unter Dauertestamentsvollstreckung stehende Nachlassvermögen des Betreuten nicht bei der Bemessung des Schonvermögens nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII berücksichtigt werden kann und die Kosten der Betreuung daher auch nicht aus dem Eigengeld des Betreuten zu bestreiten sind, wenn dieses für sich genommen den sozialhilferechtlichen Schonbetrag nicht überschreitet (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 614/16 - FamRZ 2017, 1259 Rn. 22). Insoweit wäre nur der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG) in Betracht gekommen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:140623BXIIZB517.22.0
Fundstelle(n):
AAAAJ-45169