BGH Beschluss v. - II ZB 21/22

Instanzenzug: Az: II ZB 21/22 Beschlussvorgehend OLG Celle Az: 13 Kap 1/16 Beschlussvorgehend Az: 18 OH 2/16

Gründe

I.

1Die Musterbeklagte zu 1 ist eine europäische Aktiengesellschaft und die Muttergesellschaft des P.    -Konzerns. Die Musterbeklagte zu 2 ist die Muttergesellschaft des V.       -Konzerns.

2Die Kläger der Ausgangsverfahren verlangen Ersatz der Schäden aus Transaktionen mit Aktien der Musterbeklagten zu 2 wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformation. Sie machen im Kern geltend, die Musterbeklagte zu 1 habe zunächst ihre Absicht, die Musterbeklagte zu 2 übernehmen zu wollen, fehlerhaft dementiert. Nachdem eine Übernahme aufgrund der Finanzkrise nicht mehr zu realisieren gewesen sei, habe sie falsch ihre Übernahmeabsicht veröffentlicht, um mit der aufgrund dieser Mitteilung erwarteten Explosion der Aktienkurse der Musterbeklagten zu 2 Gewinne zu erzielen.

3Das Landgericht hat gemäß § 6 KapMuG einen Vorlagebeschluss erlassen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Herbeiführung eines Musterentscheids vorgelegt. Das Oberlandesgericht (OLG Celle, Beschluss vom - 13 Kap 1/16, juris, auszugsweise abgedruckt in ZWH 2022, 290) hat die Feststellungsziele überwiegend zurückgewiesen und im Übrigen als gegenstandslos behandelt. Dagegen richten sich die Rechtsbeschwerde der Beigeladenen und die auf das Prozessrechtsverhältnis zur Musterbeklagten zu 1 beschränkte Rechtsbeschwerde der Musterklägerin.

4Mit Beschluss vom hat der Senat die Musterbeklagte zu 1 gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 KapMuG zur Musterrechtsbeschwerdegegnerin bestimmt und ausgeführt, dass im Hinblick auf die von der Musterklägerin eingelegte Rechtsbeschwerde die Rechtsbeschwerde der Beigeladenen als solche nicht mehr zu berücksichtigen und in einen Beitritt gemäß § 20 Abs. 3 Satz 1 KapMuG umzudeuten ist. Gegen diesen Senatsbeschluss richtet sich die Gegenvorstellung der Musterklägerin, soweit die Musterklägerin darin als alleinige Musterrechtsbeschwerdeführerin aufgeführt und entsprechend seinem Inhalt auch als alleinige Musterrechtsbeschwerdeführerin angesehen wird.

II.

51. Die Gegenvorstellung hat schon deswegen keinen Erfolg, weil die Musterklägerin durch den Beschluss des Senats vom , mit der die Musterbeklagte zu 1 zur Musterrechtsbeschwerdegegnerin bestimmt wurde, nicht beschwert ist.

62. Es besteht im Übrigen kein Anlass, die Beigeladene als weitere Musterrechtsbeschwerdeführerin anzusehen. Legt der Musterkläger Rechtsbeschwerde gegen den Musterentscheid ein, so führt er nach § 21 Abs. 1 Satz 1 KapMuG das Musterverfahren als Musterrechtsbeschwerdeführer in der Rechtsbeschwerdeinstanz fort. Nach der Rechtsprechung des Senats spricht § 21 Abs. 1 Satz 1 KapMuG dem Musterkläger die Stellung des Musterrechtsbeschwerdeführers ohne Rücksicht darauf zu, ob neben ihm Beigeladene Rechtsbeschwerde eingelegt haben, so dass stets nur ein Rechtsbeschwerdeverfahren mit nur einem Musterrechtsbeschwerdeführer in Gang gesetzt wird (, ZIP 2021, 346 Rn. 32; aA , juris). Das gilt auch, wenn der Musterkläger seine Rechtsbeschwerde auf das Prozessrechtsverhältnis zu einer Musterbeklagten beschränkt, während ein Beigeladener eine Rechtsbeschwerde einlegt, die sich auf alle Musterbeklagte erstreckt.

7a) Der Wortlaut von § 21 Abs. 1 Satz 1 KapMuG enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass im Fall einer beschränkt eingelegten Rechtsbeschwerde des Musterklägers und einer unbeschränkt eingelegten Rechtsbeschwerde eines Beigeladenen mehrere Musterrechtsbeschwerdeführer das Verfahren fortführen. Der Musterkläger führt das Verfahren vielmehr als Musterrechtsbeschwerdeführer fort, wenn er Rechtsbeschwerde einlegt, ohne dass die Norm auf den Umfang des Rechtsmittels abstellt.

8b) Den Gesetzesmaterialien lassen sich ebenfalls keine Anhaltspunkte für den rechtlichen Standpunkt der Musterklägerin entnehmen. Vielmehr betont die Begründung zu § 21 KapMuG, dass der Musterkläger, "sofern" er Rechtsbeschwerde einlegt, seine Rolle als Vertreter der übrigen Kläger der Ausgangsverfahren auch im Rechtsbeschwerdeverfahren fortsetzen soll (RegE eines Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, BT-Drucks. 17/8799, S. 25; , ZIP 2021, 346 Rn. 36).

9c) Auch die Systematik des Gesetzes spricht dafür, dass die Musterklägerin auch dann als alleinige Rechtsbeschwerdeführerin anzusehen ist, wenn neben ihrem beschränkten Rechtsmittel ein unbeschränktes Rechtsmittel von einem Beigeladenen eingelegt wurde. Gemäß § 21 Abs. 2 KapMuG wird ein Beigeladener nur dann vom Rechtsbeschwerdegericht zum Musterrechtsbeschwerdeführer bestimmt, wenn der Musterkläger ein Rechtsmittel nicht eingelegt hat.

10Legen mehrere Beigeladene Rechtsbeschwerde gegen den Musterentscheid ein, wird derjenige Beigeladene, welcher als erster das Rechtsmittel eingelegt hat, vom Rechtsbeschwerdegericht zum Musterrechtsbeschwerdeführer bestimmt (§ 21 Abs. 2 KapMuG). Entsprechendes gilt nach § 21 Abs. 3 Satz 1 KapMuG, wenn mehrere Musterbeklagte Rechtsbeschwerde einlegen. Die dort jeweils angeordnete Konzentrationswirkung auf eine Person tritt unabhängig davon ein, in welchem Umfang der Musterentscheid angefochten wurde (vgl. KK-KapMuG/Rimmelspacher, 2. Aufl., § 21 Rn. 22; Siegmann in Asmus/Wasmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 21 KapMuG Rn. 10). Dem entspricht auch § 9 Abs. 2 Satz 1 KapMuG, nach dem das Oberlandesgericht aus dem Kreis der Kläger den Musterkläger zu bestimmen hat, ohne dass es darauf ankommt, ob diese dieselben Feststellungsziele verfolgen (KK-KapMuG/Rimmelspacher, 2. Aufl., § 21 Rn. 10). Die darin zum Ausdruck kommende Grundentscheidung des Gesetzgebers, nach der das Musterverfahren schlank gehalten und ein Bündelungseffekt erreicht werden soll (RegE eines Gesetzes zur Einführung von Kapitalanlage-Musterverfahren, S. 25 [zu § 8 KapMuG aF]), setzt sich im Rechtsbeschwerdeverfahren fort (Dörfler in Asmus/Wasmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 9 KapMuG Rn. 18; Rimmelspacher, Festschrift Canaris, 2007, S. 343, 344).

11d) Der Sinn und Zweck der Bündelung der Rechtsmittel nach § 21 KapMuG spricht ebenfalls für das Fortwirken nur eines Rechtsmittels. Die mit der Bündelung angestrebte Vereinfachung des Rechtsbeschwerdeverfahrens würde nicht erreicht, wenn letztlich über sämtliche Rechtsmittel nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen zu entscheiden wäre, zumal das Rechtsbeschwerdegericht eine einheitliche Entscheidung über die Rechtsbeschwerde des Musterrechtsbeschwerdeführers und der auf seiner Seite Beigeladenen herbeiführen muss (, ZIP 2021, 346 Rn. 37).

12e) Anders als die Gegenvorstellung meint, ist die Beigeladene nicht gehindert, im Rechtsbeschwerdeverfahren Feststellungsziele im Hinblick auf die Musterbeklagte zu 2 zu verfolgen.

13aa) Das Gesetz kennt die Rolle des "rechtsbeschwerdeführenden Beigeladenen" neben dem nach § 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 KapMuG zu bestimmenden Musterrechtsbeschwerdeführer nicht. Daher kann derjenige Rechtsbeschwerdeführer, der nicht in die Rolle des Musterrechtsbeschwerdeführers gelangt, nur als Beigetretener am Rechtsbeschwerdeverfahren (weiter) teilnehmen, weswegen seine Rechtsbeschwerde in einen Beitritt gemäß § 20 Abs. 3 KapMuG umzudeuten ist (, ZIP 2021, 346 Rn. 35, 42). Das gilt auch, wenn die Rechtsbeschwerde des Beigeladenen über diejenige des Musterrechtsbeschwerdeführers hinausgeht.

14bb) Für das Verhältnis zwischen dem Musterrechtsbeschwerdeführer und den auf seiner Seite Beigetretenen sieht § 20 Abs. 4 Satz 2, § 14 KapMuG die Anwendung der für die Rechtsstellung des Beigeladenen geltenden Grundsätze vor. Nach diesem Regelungskonzept soll der Musterrechtsbeschwerdeführer das Rechtsbeschwerdeverfahren als Vertreter der auf seiner Seite Beteiligten durchführen, die nach Maßgabe von § 22 Abs. 3 KapMuG an die Ergebnisse der Prozessführung gebunden sind (, ZIP 2021, 346 Rn. 35).

15cc) Beschränkt der Musterrechtsbeschwerdeführer seine Rechtsbeschwerde auf die Überprüfung des Musterentscheids im Hinblick auf einzelne Feststellungsziele nach § 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG (vgl. , ZIP 2021, 1336 Rn. 21; KK-KapMuG/Rimmelspacher, 2. Aufl., § 20 Rn. 122; Siegmann in Asmus/Wasmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 20 KapMuG Rn. 78), ist der Beigetretene im Rahmen der ihm durch § 20 Abs. 4 Satz 2, § 14 KapMuG zugewiesenen Rechtsstellung nicht gehindert, Rechtsverletzungen zu rügen, die über die Anträge des Musterrechtsbeschwerdeführers hinausgehende Feststellungsziele betreffen (KK-KapMuG/Rimmelspacher, 2. Aufl., § 21 Rn. 10; Siegmann in Asmus/Wasmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 20 KapMuG Rn. 34; weitergehend Vorwerk in Vorwerk/Wolf, KapMuG, 2. Aufl., § 20 Rn. 39).

16Ob die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf das Prozessrechtsverhältnis zu einer Musterbeklagten im vorliegenden Fall zulässig ist (vgl. für eine Anschlussrechtsbeschwerde , WM 2022, 2381 Rn. 11, 42; Vorwerk in Vorwerk/Wolf, KapMuG, 2. Aufl., § 20 Rn. 16 f.; aA wohl Reuschle in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 20 KapMuG Rn. 9), bedarf hier keiner Entscheidung. Selbst wenn dies der Fall wäre, stünde dies weitergehenden Angriffen im Rahmen des Beitritts eines Beigeladenen nicht im Wege. Ein Widerspruch zu den Erklärungen und Handlungen des Musterklägers nach § 20 Abs. 4 Satz 2, § 14 KapMuG bestünde nicht allein deswegen, weil dieser den Musterentscheid insoweit hingenommen hat.

17f) Dem Interesse der Musterklägerin, im Hinblick auf ihre auf das Prozessrechtsverhältnis zur Musterbeklagten zu 1 beschränkte Rechtsbeschwerde nicht mit Kosten belastet zu werden, die durch die Beteiligung der Musterbeklagten zu 2 veranlasst werden, wäre gegebenenfalls im Hinblick auf einen unterschiedlichen Grad der Beteiligung am Rechtsbeschwerdeverfahren (§ 26 Abs. 1 KapMuG) Rechnung zu tragen; das gilt auch bei Anwendung von § 26 Abs. 3 und 4 KapMuG (, juris Rn. 170 [zu § 19 Abs. 4 KapMuG aF]; KK-KapMuG/Kruis, 2. Aufl., § 26 Rn. 11, 16; Siegmann in Asmus/Wasmuth, Kollektive Rechtsdurchsetzung, § 26 KapMuG Rn. 10, 13).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:270623BIIZB21.22.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-45102