BGH Beschluss v. - 4 StR 183/23

Strafverfahren: Einheitliche Einziehungsentscheidung bei mehreren Vorverurteilungen

Gesetze: § 55 StGB, § 73c Abs 1 StGB

Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 2 KLs 10/22

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten wegen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in mehreren Fällen – jeweils unter Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB – zu Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren und elf Monaten (Angeklagter P.    S.   ) sowie von vier Jahren und drei Monaten (Angeklagter M.        S.   ) verurteilt. Zudem hat es den Wert der durch die abgeurteilten Taten erlangten Erträge eingezogen und die Einziehungsentscheidungen aus den gesamtstrafenfähigen Vorverurteilungen aufrechterhalten. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten erzielen die aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolge; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Strafkammer hat bei beiden Angeklagten die nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 StGB rechtsfehlerhaft vorgenommen.

3a) Bei dem Angeklagten M.        S.   hat das Landgericht übersehen, dass der einbezogenen Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom eine Straftat zugrunde liegt, die der Angeklagte vor dem Erlass der „noch nicht vollständig gezahlten“ Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom beging. Die Tatzeiten der verfahrensgegenständlichen Delikte liegen zwischen beiden früheren Verurteilungen des Angeklagten. Damit scheidet eine Gesamtstrafenbildung der im vorliegenden Verfahren festgesetzten Einzelstrafen mit der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom aus. Denn dieser Vorverurteilung kommt, da die Taten aus beiden Vorverurteilungen bereits in dem noch nicht erledigten früheren Erkenntnis hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu. Vielmehr ist der früheren Vorverurteilung eine Zäsurwirkung beizumessen (vgl. Rn. 3 mwN; Beschluss vom – 1 StR 615/19 Rn. 4; Beschluss vom – 4 StR 356/13 Rn. 5).

4Der Gesamtstrafenausspruch gegen den Angeklagten M.        S.   hat aber dennoch Bestand. Denn der Angeklagte hat durch die rechtsfehlerhafte Gesamtstrafenbildung einen Rechtsvorteil erlangt, der ihm auf seine Revision hin nicht genommen werden kann (vgl. Rn. 4; Beschluss vom – 2 StR 63/06 Rn. 4). Ohne den Rechtsfehler bestünden gegen ihn zwei (Gesamt-)Freiheitsstrafen, wodurch der Angeklagte schlechter gestellt wäre. Auch dass nach den Urteilsgründen womöglich die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der zu Unrecht einbezogenen Freiheitsstrafe gemäß § 36 BtMG in Betracht gekommen wäre, kann hier keine Beschwer begründen. Denn jedenfalls der verbüßte Teil dieser Strafe von mindestens drei Monaten (vgl. dazu § 35 Abs. 1, 3 BtMG) ist auf die vom Landgericht gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten anzurechnen (§ 51 Abs. 2 StGB). Dass es deren Höhe bei Vermeidung des Rechtsfehlers niedriger als vier Jahre bemessen hätte, schließt der Senat schon mit Blick auf die Einsatzfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten aus.

5b) Bei dem Angeklagten P.     S.   hat das Landgericht zwar die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom , das eine im Jahr 2018 begangene Straftat betrifft, zutreffend gemäß § 55 Abs. 1 StGB in die Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen. Die (weitere) Gesamtstrafenfähigkeit der mit Urteil des Amtsgerichts Nauen vom verhängten Geldstrafe von 50 Tagessätzen, das ebenfalls nach den verfahrensgegenständlichen Taten ergangen ist, hat die Strafkammer aber mit rechtsfehlerhafter Begründung verneint.

6Insoweit genügt die von ihr allein herangezogene vollständige Zahlung der Geldstrafe nicht, um deren Gesamtstrafenfähigkeit zu verneinen. Für die Gesamtstrafenlage ist vielmehr maßgeblich, welchen Vollstreckungsstand die Geldstrafe zu dem Zeitpunkt hatte, als das Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom erging. Dies ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Sollte die Geldstrafe zur damaligen Zeit noch nicht erledigt gewesen sein, sind die Strafen aus beiden Verurteilungen untereinander und in der Folge auch mit den hiesigen Einzelstrafen gesamtstrafenfähig. Eine spätere Erledigung der Geldstrafe ist hingegen – wie im Rahmen von § 460 StPO – unerheblich (vgl. etwa Rn. 6 mwN; Beschluss vom – 4 StR 1/20 Rn. 2).

7Der Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung der gegen den Angeklagten P.     S.   verhängten Gesamtstrafe, wobei die zugehörigen Feststellungen bestehen bleiben können. Der Senat kann eine Beschwer des Angeklagten nicht ausschließen. Denn bei einer Einbeziehung (auch) der Geldstrafe wären diesem die vollstreckten Tagessätze gemäß § 51 Abs. 2, 4 Satz 1 StGB auf die verhängte Strafe anzurechnen, was ihn im Ergebnis besserstellen könnte. Der Senat macht von § 354 Abs. 1b StPO Gebrauch und verweist die Sache zur Bildung der Gesamtstrafe, in die jedenfalls erneut die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom eingehen wird, in das Beschlussverfahren nach §§ 460, 462 StPO zurück.

82. Darüber hinaus können die Einziehungsaussprüche nicht bestehen bleiben, soweit die Strafkammer nach § 55 Abs. 2 StGB die in den rechtskräftigen Vorverurteilungen enthaltenen Einziehungsentscheidungen aufrechterhalten hat.

9a) Sofern in einem gesamtstrafenfähigen Urteil – wie hier – der Wert von Taterträgen eingezogen wurde und auch im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen des § 73c Satz 1 StGB gegeben sind, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine einheitliche Einziehungsentscheidung zu treffen (vgl. Rn. 8; Beschluss vom – 6 StR 459/20 Rn. 2; Beschluss vom – 4 StR 477/18 Rn. 18). Der Senat holt dies – wie vom Generalbundesanwalt beantragt – jeweils entsprechend § 354 Abs. 1 StPO nach. Dazu ist der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen bei dem Angeklagten P.    S.    um 3.535 €, bei dem Angeklagten M.       S.   um 870 € zu erhöhen; zugleich entfällt die Aufrechterhaltung der früheren Einziehungsentscheidungen. Dem steht bei dem Angeklagten P.     S.   nicht entgegen, dass der gegen ihn ergangene Gesamtstrafenausspruch der Aufhebung unterliegt (vgl. auch schon ). Denn die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom , in dem die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.535 € angeordnet war, hat notwendig in die neu zu bildende Gesamtstrafe einzugehen.

10b) Die vom Landgericht zudem aufrechterhaltene Anordnung in dem Strafbefehl des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom , den Pkw Audi des Angeklagten M.        S.   einzuziehen, ist bereits erledigt. Denn mit ihrer Rechtskraft ist das Eigentum an dem als Tatmittel eingezogenen Gegenstand gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 StGB auf den Staat übergegangen (vgl. nur Rn. 2; Beschluss vom – 5 StR 380/22). Ihre Aufrechterhaltung hat daher ebenfalls zu entfallen.

113. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrügen der Angeklagten keinen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:050723B4STR183.23.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-45054