BGH Beschluss v. - 1 StR 615/19

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung: Abzuurteilende Taten wurden zwischen zwei Vorverurteilungen begangen

Gesetze: § 55 Abs 1 StGB, § 460 StPO

Instanzenzug: LG Waldshut-Tiengen Az: 14 Js 5778/19 - 1 KLs

Gründe

I.

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen versuchter Sachbeschädigung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts L.   vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten sowie wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Darüber hinaus hat das Landgericht Arbeitsleistungen, durch die der Angeklagte eine Auflage für die Aussetzung der Vollstreckung der einbezogenen achtmonatigen Freiheitsstrafe erfüllt hatte, mit zwei Wochen auf die gebildete Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet. Zudem hat es sichergestelltes Bargeld eingezogen.

2Gegen seine Verurteilung richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

II.

3Der Gesamtstrafenausspruch des angefochtenen Urteils kann keinen Bestand haben, weil die Strafkammer dem Urteil des Amtsgerichts L.   vom zu Unrecht Zäsurwirkung beigemessen hat.

41. Wurden die neu abzuurteilenden Taten zwischen zwei Vorverurteilungen begangen, die untereinander nach § 55 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus den Strafen für die neu abgeurteilten Taten und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden. Der letzten Vorverurteilung kommt, da die Taten aus beiden Vorverurteilungen bereits in dem früheren Erkenntnis hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unabhängig davon, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe tatsächlich gebildet wurde (vgl. ‒ 4 StR 276/15 Rn. 5; Urteil vom ‒ 3 StR 537/97, BGHSt 44, 179, 180 f.) oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann (vgl. Rn. 3 mwN). Eine gegebene Gesamtstrafenlage wird auch nicht dadurch beseitigt, dass nach § 55 Abs. 1 StGB i.V.m. § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB von der Einbeziehung einer Geldstrafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe abgesehen worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 356/13 Rn. 5 mwN und vom - 5 StR 325/10 Rn. 1).

52. Nach diesen Grundsätzen hätte die Strafkammer bereits dem früheren Urteil des Amtsgerichts L.   vom , mit dem der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15 € verurteilt wurde, Zäsurwirkung beimessen und aus allen von ihr selbst verhängten Strafen eine Gesamtstrafe bilden müssen. Denn die mit dem späteren Urteil des Amtsgerichts L.   vom geahndete Tat hatte der Angeklagte noch vor der früheren Entscheidung begangen. Die beiden Vorverurteilungen sind daher untereinander gesamtstrafenfähig. Davon ging zutreffend auch der nachträgliche Gesamtstrafenbeschluss vom aus, mit welchem das Amtsgericht die Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts L.   vom gemäß § 55 Abs. 1 StGB i.V.m. § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB gesondert bestehen ließ.

6Die Gesamtstrafenbildung in dem angefochtenen Urteil erweist sich auch nicht deshalb als richtig, weil die Geldstrafe „mittlerweile ohnehin vollständig vollstreckt“ (UA S. 73) ist. Für die Gesamtstrafenfähigkeit zwischen den Vorverurteilungen ist jedenfalls in der hier gegebenen Fallkonstellation der Vollstreckungsstand der Geldstrafe zum Zeitpunkt des (zweiten) Urteils vom maßgebend. Damals war sie noch nicht vollständig vollstreckt (vgl. UA S. 14). Ihre spätere Erledigung ist für die gesamtstrafenrechtliche Beurteilung ohne Belang (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 356/13 Rn. 6 mwN und vom - 5 StR 325/10 Rn. 1; vgl. auch Rn. 21 f.; Beschluss vom - 3 StR 161/13 Rn. 2 f., BGHR StPO § 460 Anwendung 1).

73. Durch die fehlerhafte Verhängung von zwei (Gesamt-)Freiheitsstrafen unter Einbeziehung der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von acht Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts L.   vom ist der Angeklagte beschwert (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 157/19 Rn. 5 und vom - 4 StR 356/13 Rn. 7). Der Senat hebt daher - wobei die Feststellungen unberührt bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) - den Gesamtstrafenausspruch auf. Zugleich ist wegen des selbständigen Fortbestands der fehlerhaft einbezogenen Bewährungsstrafe die auf § 58 Abs. 2 Satz 2, § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB gestützte Anrechnungsentscheidung aufzuheben (vgl. Rn. 6 [zu § 55 Abs. 2 StGB]). Eine solche Anrechnung wird ggf. das mit einem Widerruf der Strafaussetzung befasste Gericht gemäß § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB zu prüfen haben.

84. Der Senat, der von der Möglichkeit des § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO keinen Gebrauch macht, weist für die neue Hauptverhandlung auf Folgendes hin: Die aus den rechtskräftigen Einzelstrafen zu bildende neue Gesamtstrafe darf wegen des Verschlechterungsverbots des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO nur so hoch bemessen werden, dass sie zusammen mit der bestehenbleibenden Strafe von acht Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts L.   vom die Summe aus der im angefochtenen Urteil verhängten Gesamtfreiheitsstrafe und der Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung nicht übersteigt (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 563/18 Rn. 4 und vom - 4 StR 356/13 Rn. 8, jeweils mwN). Das neue Tatgericht kann weitere Feststellungen treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:010420B1STR615.19.0

Fundstelle(n):
FAAAH-68488