BGH Beschluss v. - 6 StR 256/22

Instanzenzug: LG Frankfurt (Oder) Az: 23 KLs 7/21nachgehend Az: 6 StR 256/22 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 22 Fällen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Dopingmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt lediglich den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Den Verfahrensrügen bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt. Ergänzend bemerkt der Senat:

3a) Die Verfahrensbeanstandungen, mit denen die Verwertung von Daten des Kommunikationsdienstes „EncroChat“ beanstandet wird, sind bereits unzulässig. Es fehlt an einem vollständigen Vortrag der rügebegründenden Tatsachen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Der Revisionsvortrag stützt sich auf die Europäischen Ermittlungsanordnungen vom 2. und (vgl. „Verfahrensrüge 2“, Rechtsanwältin   M.    ). Während die erstgenannte formwidrig nur in französischer Sprache vorgetragen wird (vgl. ), fehlt es an einer Mitteilung des Inhalts der zweiten vollständig. Auch mit der „Verfahrensrüge 15“ werden zur Frage einer vor dem Zugriff auf die „EncroChat“-Server erfolgten Koordination zwischen Strafverfolgungsbehörden verschiedener Mitgliedstaaten der Europäischen Union (vgl. , Rn. 3) Urkundeninhalte in englischer und französischer, nicht aber übersetzt in die deutsche Sprache vorgetragen (RB S. 1092 f., 1095, 1097 f., ferner S. 1153).

4b) Aus demselben Grund ist die Rüge, dass die vorgenannten Europäischen Ermittlungsanordnungen nicht zum Inbegriff der Verhandlung (§ 261 StPO) gemacht worden seien („Verfahrensrüge 1“, Rechtsanwältin   M.     ) unzulässig (vgl. etwa RB S. 216 ff., 251 f., 256 ff., 262, 265 ff., 479 ff.). Sie wäre auch unbegründet. Nach dem Revisionsvortrag wurden diese Urkunden von der Strafkammer allein zur – freibeweislichen (vgl. , NJW-Spezial 2022, 634; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 244 Rn. 7 ff. mwN) – „Prüfung der Rechtmäßigkeit der Übermittlung der Daten von den französischen Behörden“ herangezogen.

5c) Die „Verfahrensrüge 1“ (Rechtsanwalt E.      ) ist ebenfalls bereits unzulässig. Der Bericht der „Nationalen Polizei“ vom , auf den sowohl die Antragsbegründung als auch der auf die Gegenvorstellung des Beschwerdeführers ergangene Beschluss der Strafkammer vom Bezug nehmen, wird nicht mitgeteilt. Dies gilt gleichermaßen für die in Bezug genommenen Datenlieferungsberichte. Dass diese etwa Gegenstand des Vortrags einer weiteren Verfahrensrüge waren, enthebt von dieser Vortragspflicht nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 496/86, NStZ 1987, 36; vom – 6 StR 509/22, Rn. 5; Urteil vom – 6 StR 47/22, Rn. 17).

6d) Die auf § 338 Nr. 3, § 24 Abs. 2 StPO gestützte Befangenheitsrüge versagt („Verfahrensrüge 5“).

7aa) Mit seinem gegen den Vorsitzenden und „N.N. [K.         oder Ma.       , es ist der Richter, der von der Verteidigerbank aus links neben dem Vorsitzenden sitzt, wir sind uns hinsichtlich des Namens nicht sicher]“ angebrachten Ablehnungsgesuch hat der Beschwerdeführer geltend gemacht, dass der Vorsitzende am vorangegangenen Sitzungstag den Polizeibeamten L.     zu dessen Wahrnehmungen über den Inhalt eines Telefonats des Angeklagten mit seinem Rechtsanwalt im Zuge seiner Festnahme befragt habe. Dass die abgelehnten Richter, die das Ergebnis dieses „Lauschangriffs auf den freien Verteidigerverkehr“ in der Hauptverhandlung vom Zeugen erfragt haben und keine Zweifel an der „Beweiserhebungsberechtigung“ erkennen ließen, begründe ebenso die Besorgnis der Befangenheit, wie die Tatsache, dass der Vorsitzende den Vermerk des Zeugen über dieses Geschehen „nicht unverzüglich aus der Akte entfernen“ ließ.

8bb) Die Rüge ist schon unzulässig, denn auch sie genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Hiernach ist der Beschwerdeführer verpflichtet, die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen so genau anzugeben, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Begründungsschriften prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revisionen zutrifft. Dies gilt auch für Befangenheitsrügen, über deren Begründetheit nach Beschwerdegrundsätzen zu entscheiden ist.

9(1) Der Beschwerdeführer versäumt es bereits, den Inhalt der dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter vorzutragen; dies gehört indessen – auch hier – zum notwendigen Rügevortrag (st. Rspr.; vgl. nur , StV 1996, 2) und ist nicht zuletzt auch deswegen erforderlich, weil durch die dienstliche Äußerung eines abgelehnten Richters ursprünglich verständliches Misstrauen gegen die Unparteilichkeit beseitigt werden kann (vgl. , NStZ-RR 2008, 35; Beschluss vom – 1 StR 109/99). Auch der zurückweisende Beschluss in der Besetzung nach § 27 StPO lässt keine tragfähigen Rückschlüsse auf deren Inhalte zu (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 47 mwN). Dass die dienstliche Äußerung „des Richters Ma.     “ den Verteidiger „nicht erreicht hat“ und möglicherweise deshalb nicht Gegenstand des Beschwerdevorbringens geworden ist, ist schon vor dem Hintergrund der Beschlussgründe nicht nachvollziehbar; hiernach wurden beide dienstliche Stellungnahmen bekanntgegeben. Jedenfalls aber ist nicht ersichtlich, warum sich der Beschwerdeführer diese Kenntnis nicht zumindest während des Laufs der Begründungsfrist für die Verfahrensrüge verschaffen konnte.

10(2) Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die Bezeichnung des abgelehnten Richters mit „N.N.“ auch unter Berücksichtigung der Antragsbegründung (vgl. RG, Urteil vom 22. Januar 1886 – Rev. 3250/85, RGSt 13, 303, 305; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 26 Rn. 4) als noch hinreichend konkret anzusehen ist (vgl. , BVerfGE 2, 295, 297). Denn als unzureichend erweist es sich, dass weder anhand von Antrag und Begründung noch mit Blick auf das weitere Beschwerdevorbringen zweifelsfrei erkennbar ist, in welcher Sitzordnung die Richterbank im Zeitpunkt der Antragsstellung verhandelte oder ob sich das Ablehnungsgesuch zu diesem Zeitpunkt etwa gegen einen Ergänzungsrichter oder Ergänzungsschöffen (§ 31 StPO) richtete, ohne dass bis dahin ein Verhinderungsfall (§ 192 Abs. 2 und 3 GVG) entstanden wäre (vgl. , BVerfGE 30, 149; RG, Urteil vom – II 827/30, RGSt 65, 40, 42). Da es an der Mitteilung der dienstlichen Äußerungen fehlt, wäre der Schluss aus der weiteren Sachbehandlung durch das Landgericht auf eine wohlverstandene Auslegung der Angriffsrichtung des Antragsstellers für das Revisionsgericht ebenfalls nicht ohne Weiteres möglich.

11e) Die „Verfahrensrüge 7“, mit der eine Verletzung von § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO durch einen unterbliebenen Hinweis auf die Bewertung von Indiztatsachen beanstandet wird (vgl. , NStZ 2019, 239; Urteil vom – 1 StR 688/18, StV 2019, 818; BeckOK-StPO/Eschelbach, 47. Ed., § 265 Rn. 40 ff. mwN), ist wegen unzutreffenden Rügevorbringens ebenfalls schon unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 401/20, NStZ 2021, 434; vom – 1 StR 186/16). Bereits die Staatsanwaltschaft hatte – was der Senat dem von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmenden Anklageinhalt entnimmt – die vom Beschwerdeführer näher bezeichnete Chatkommunikation zur Bandenabrede beweiswürdigend herangezogen; dies ist mit der vom Beschwerdeführer behaupteten überraschenden Verwertung durch die Strafkammer unvereinbar.

12f) Die an § 244 Abs. 2 StPO anknüpfende Verfahrensbeanstandung einer „unangemessenen“, insbesondere zu schnell durchgeführten Augenscheinseinnahme des Lichtbildes „Zeile 4922“ aus den sichergestellten Chats des EncroChat-Nutzers „k.      “ („Verfahrensrüge 8“), ist ebenfalls unzulässig. Der Senat entnimmt dem Revisionsvorbringen und den Urteilsgründen (UA S. 14), dass jedenfalls die in Chats des EncroChat-Nutzers „t.     “ enthaltenen Lichtbilder in Augenschein genommen worden sind. An diesen hatte der Angeklagte das vorgenannte Lichtbild im Chat allerdings übersandt (UA S. 93). Der Beschwerdeführer hätte deshalb zumindest auch zum Gegenstand seines Revisionsvorbringens machen müssen, in welcher Weise das nämliche Lichtbild bei der Inaugenscheinnahme der Chats des Nutzers „t.     “ zum Inbegriff der Verhandlung gemacht worden ist, um dem Senat eine abschließende Prüfung der geltend gemachten Betrachtungsdauer zu eröffnen.

13g) Die erhobene Beweisantragsrüge (§ 244 Abs. 3 und 4 StPO) versagt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; „Verfahrensrüge 11“). Der Beschwerdeführer trägt die „aufgrund der richterlichen Verfügung“ vom „gewonnenen Daten“ nicht vor, deren fehlende Authentizität und Integrität unter Sachverständigenbeweis gestellt werden sollten. Auch den Inhalt der vorgenannten Gerichtsentscheidung teilt die Revision nicht mit. Eine an den Beweisermittlungsantrag vom anknüpfende Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO; vgl. LR/Becker, 27. Aufl., § 244 Rn. 381 mwN) ist ebenfalls unzulässig.

14h) Die an die Ablehnung einer beantragten Beiziehung von „Rohdaten“ anknüpfende Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) ist unzulässig („Verfahrensrüge 13“). Mit Beschluss vom hat die Strafkammer die Beiziehung abgelehnt und zur Begründung auch auf ihren Beschluss vom Bezug genommen; diesen teilt der Beschwerdeführer indes nicht mit. Es bleibt zudem offen, ob und wenn ja welche Bemühungen die Verteidigung während der Urteilsabsetzung und des Laufs der Revisionsbegründungsfrist unternommen hat, um Einsicht in die aus ihrer Sicht vorenthaltenen Datenbestände zu erlangen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 412/22, Rn. 12; vom – 5 StR 191/22, NStZ 2023, 116).

15i) Der letztgenannte Vortragsmangel begründet auch die Unzulässigkeit der Rüge einer unterbliebenen Beiziehung der „Ursprungsakte der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main“ (§ 244 Abs. 2 StPO; „Verfahrensrüge 14“). Zudem wird der auf den Antrag vom hin ergangene Gerichtsbeschluss vom nicht mitgeteilt.

162. Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende Überprüfung des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs hat allein hinsichtlich der angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c StGB) durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

17a) Das Landgericht hat die Einziehung des Wertes der aus den Fällen 4, 7, 18 und 22 der Urteilsgründe erlangten Erträge (§ 73c StGB) von insgesamt 33.000 Euro angeordnet und dies jeweils damit begründet, dass sie den Preis von 3.000 Euro pro Kilogramm „gemäß § 73d Abs. 2 StGB unter Beachtung des Zweifelssatzes geschätzt“ habe (UA S. 57, 67, 128, 143). Diese Begründung genügt den rechtlichen Darlegungsanforderungen nicht. Denn bei der Schätzung darf das Tatgericht nicht willkürlich vorgehen; es muss jedenfalls über eine sichere Schätzungsgrundlage verfügen, die im Urteil darzulegen ist. Den Urteilsgründen müssen deshalb die Schätzungsgrundlagen nachvollziehbar zu entnehmen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 598/06; vom – 3 StR 27/19; vom – 6 StR 28/20, StV 2021, 248). Solche Ausführungen fehlen hier. Sie lassen sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen.

18b) Zutreffend weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass es das Landgericht ferner versäumt hat, zugunsten des Angeklagten in Höhe von 13.550 Euro dessen gesamtschuldnerische Haftung anzuordnen. Ausweislich der Urteilsfeststellungen zu Fall 21 der Urteilsgründe erlangte neben dem Angeklagten auch der insoweit mittäterschaftlich handelnde EncroChat-Nutzer „s.       “ an dem durch einen eingesetzten Kurier übergebenen Geldbetrag faktische (Mit-)Verfügungsgewalt (UA S. 11, 141).

19c) Diese Rechtsfehler führen zur Aufhebung der Einziehungsentscheidung hinsichtlich des in den vorgenannten Fällen Erlangten. Überdies ist die gesamtschuldnerische Haftung im vorbenannten Umfang in die Urteilsformel aufzunehmen (§ 354 Abs. 1 StPO analog), um das mehrfache Einziehen des Tatertrages zu verhindern. Der namentlichen Benennung anderer Gesamtschuldner bedarf es nicht (vgl. , Rn. 2 mwN).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:180423B6STR256.22.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-45003