Eingruppierung einer Beschäftigten in einer Serviceeinheit eines Amtsgerichts
Gesetze: § 12 TV-L, § 24 Abs 1 TV-L, § 37 Abs 1 TV-L, Anl A Teil 2 Abschn 12.1 Entgeltgr 9a TV-L, § 17 TVÜ-L, § 29a TVÜ-L, § 22 BAT, § 23 BAT, Anl 1a Teil 2 Abschn T UAbschn 1 BAT
Instanzenzug: Az: 3 Ca 141/19 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 17 Sa 1504/19 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.
2Die Klägerin, die eine Ausbildung zur Justizangestellten absolviert hat, ist seit dem bei dem beklagten Land beschäftigt. Nach § 2 Abs. 1 des Arbeitsvertrags vom bestimmt sich das Arbeitsverhältnis „nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) jeweils geltenden Fassung“. Darüber hinaus sollen „die im Bereich des Arbeitgebers jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung“ finden.
3Die Klägerin ist seit dem am Amtsgericht H als Geschäftsstellenverwalterin in einer Serviceeinheit für Zivilprozesssachen beschäftigt. Die für sie erstellte Tätigkeitsdarstellung und -bewertung vom hat ua. folgenden Inhalt:
4Das beklagte Land leitete die Klägerin nach den Regelungen des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Länder) zum aus der Vergütungsgruppe Vc der Anlage 1a zum BAT in die Entgeltgruppe 8 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) über und vergütet sie seither entsprechend.
5Nach erfolgloser Geltendmachung mit Schreiben vom hat die Klägerin mit ihrer Klage die Auffassung vertreten, seit dem habe sie Anspruch auf eine Vergütung nach Entgeltgruppe 9 TV-L. Ihre Tätigkeit habe bereits bei Überleitung in den TV-L die tariflichen Anforderungen der Vergütungsgruppe Vb BAT erfüllt. Die Tätigkeit einer Geschäftsstellenverwalterin in einer Serviceeinheit bilde einen Arbeitsvorgang, innerhalb dessen sie zu 36,78 vH schwierige Tätigkeiten ausübe.
6Die Klägerin hat zuletzt beantragt
7Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Tarifvertragsparteien hätten durch die Festlegung einzelner Tätigkeiten als „schwierig“ in den Protokollnotizen zu den besonderen Tätigkeitsmerkmalen für Angestellte bei Gerichten und Staatsanwaltschaften vorgegeben, dass es sich bei schwierigen und nicht schwierigen Tätigkeiten um unterschiedliche Arbeitsvorgänge im Tarifsinn handeln solle. Zudem sei der Klägerin die Tätigkeit der Schriftgutverwaltung und Aktenführung, die 58,22 vH ihrer Gesamtarbeitszeit beanspruche, nach der Geschäftsstellenordnung für die Gerichte und Staatsanwaltschaften des Landes Nordrhein-Westfalen (GStO NRW) vom (JMBl. NRW S. 62) idF vom (JMBl. NRW S. 293) iVm. den Anweisungen für die Verwaltung des Schriftguts bei den Geschäftsstellen der Gerichte und Staatsanwaltschaften des Landes Nordrhein-Westfalen (AktO NRW) vom (JMBl. NW S. 109) idF vom (JMBl. NRW S. 291) gesondert als abgrenzbarer Arbeitsvorgang übertragen worden. Da die Klägerin nicht zu mindestens 50 vH schwierige Tätigkeiten auszuüben habe, könne sie keine Vergütung zunächst nach Entgeltgruppe 9 und ab gemäß Entgeltgruppe 9a TV-L beanspruchen.
8Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht die hiergegen gerichtete Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land sein Begehren weiter.
Gründe
9Die zulässige Revision des beklagten Landes ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat dessen Berufung zutreffend zurückgewiesen. Die zulässige Klage ist begründet.
10I. Der Feststellungsantrag ist als allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO (vgl. - Rn. 12) auch im Hinblick auf die Verzinsung der Entgeltdifferenzen ( - Rn. 10; - 4 AZR 355/13 - Rn. 9 mwN) zulässig. Die zuletzt in der Berufungsinstanz vorgenommene Änderung des Feststellungsantrags, mit dem die Feststellung begehrt wird, dass das beklagte Land verpflichtet ist, die Klägerin ab dem nach Entgeltgruppe 9a TV-L zu vergüten, stellt keine unzulässige Klageänderung dar. Die Klägerin trägt lediglich dem Umstand der seit dem veränderten Bezeichnung der Entgeltgruppe bei gleichbleibendem Inhalt Rechnung (sh. dazu - Rn. 15, BAGE 172, 130).
11II. Die Klage ist begründet. Das beklagte Land ist verpflichtet, die Klägerin vom bis zum nach Entgeltgruppe 9 TV-L und seit dem nach Entgeltgruppe 9a TV-L zu vergüten.
121. Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich gemäß § 2 des Arbeitsvertrags in Folge der Tarifsukzession im öffentlichen Dienst für den Bereich der Länder (vgl. dazu - Rn. 12 ff. mwN) nach dem TV-L sowie nach dem TVÜ-Länder.
132. Für die Eingruppierung der Klägerin sind §§ 22, 23 BAT sowie die Tätigkeitsmerkmale des Teils II Abschnitt T Unterabschnitt I - Angestellte bei Gerichten und Staatsanwaltschaften - der Anlage 1a zum BAT maßgebend.
14a) § 17 TVÜ-Länder ordnet zunächst die Weitergeltung von §§ 22, 23 BAT einschließlich der Anlage 1a bis zum an. Die ursprünglich nur als vorübergehend angesehene Überleitung der Angestellten entsprechend der Anlage 2 zum TVÜ-Länder im Sinne einer formalen Zuordnung der bisherigen Vergütungsgruppen des BAT zu den neuen Entgeltgruppen des TVÜ-Länder ist mit Inkrafttreten der neuen Entgeltordnung zum TV-L am als grundsätzlich dauerhaft bestimmt worden (§ 29a Abs. 2 TVÜ-Länder). Eine Überprüfung und ggf. Neufeststellung der mit der Überleitung erfolgten Eingruppierungen sollte danach für die Dauer der unverändert auszuübenden Tätigkeit nicht mehr stattfinden (sh. Protokollerklärung zu § 29a Abs. 2 TVÜ-Länder; vgl. - Rn. 18 mwN). Danach verbleibt es grundsätzlich - soweit sich die Tätigkeit nicht ändert (sh. etwa - Rn. 19, BAGE 172, 130) - auch nach dem bei der zuvor zutreffenden Eingruppierung.
15b) Die Klägerin übt nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die ihr übertragene Tätigkeit einer Geschäftsstellenverwalterin in einer Serviceeinheit für Zivilprozesssachen seit dem Jahr 2002 unverändert aus.
163. In Anwendung von § 22 BAT iVm. § 29a Abs. 2 TVÜ-Länder sowie dessen Anlage 2 war die Klägerin nach Überleitung aus Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1 BAT in der Zeit vom bis zum nach Entgeltgruppe 9 TV-L zu vergüten.
17a) Gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 BAT ist die Angestellte in der Vergütungsgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihr nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Das ist dann der Fall, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe erfüllen (§ 22 Abs. 2 Satz 2 BAT). Nach Nr. 1 der Protokollnotiz zu § 22 Abs. 2 BAT sind Arbeitsvorgänge Arbeitsleistungen (einschließlich Zusammenhangarbeiten), die, bezogen auf den Aufgabenkreis der Angestellten, zu einem bei natürlicher Betrachtung abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen (zB unterschriftsreife Bearbeitung eines Aktenvorgangs, Erstellung eines EKG, Fertigung einer Bauzeichnung, Eintragung in das Grundbuch, Konstruktion einer Brücke oder eines Brückenteils, Bearbeitung eines Antrags auf Wohngeld, Festsetzung einer Leistung nach dem Bundessozialhilfegesetz). Jeder einzelne Arbeitsvorgang ist als solcher zu bewerten und darf dabei hinsichtlich der Anforderungen zeitlich nicht aufgespalten werden.
18b) Die Tätigkeitsmerkmale des Teils II Abschnitt T Unterabschnitt I der Anlage 1a zum BAT lauteten auszugsweise:
19c) Die Tätigkeit der Klägerin macht - mit Ausnahme der Fertigung von Inhaltsprotokollen in Strafsachen - einen einheitlichen, 95 vH der Gesamtarbeitszeit erfassenden, Arbeitsvorgang aus.
20aa) Nach § 22 Abs. 2 BAT ist Bezugspunkt der tariflichen Bewertung der Arbeitsvorgang. Für die Beurteilung, ob eine oder mehrere Einzeltätigkeiten zu einem Arbeitsergebnis führen, sind eine natürliche Betrachtungsweise und die durch den Arbeitgeber vorgenommene Arbeitsorganisation ausschlaggebend. Dabei kann die gesamte vertraglich geschuldete Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmachen. Einzeltätigkeiten können dann nicht zusammengefasst werden, wenn die verschiedenen Arbeitsschritte von vornherein auseinandergehalten und organisatorisch voneinander getrennt sind. Hierfür reicht jedoch die theoretische Möglichkeit nicht aus, einzelne Arbeitsschritte oder Einzelaufgaben verwaltungstechnisch isoliert auf andere Angestellte zu übertragen. Bei der Zuordnung zu einem Arbeitsvorgang können wiederkehrende und gleichartige Tätigkeiten zusammengefasst werden. Dem Arbeitsvorgang hinzuzurechnen sind dabei nach Satz 1 der Nr. 1 der Protokollnotiz zu § 22 Abs. 2 BAT auch Zusammenhangarbeiten. Das sind solche, die aufgrund ihres engen Zusammenhangs mit bestimmten Aufgaben einer Angestellten bei der tariflichen Bewertung zwecks Vermeidung tarifwidriger „Atomisierung“ der Arbeitseinheiten nicht abgetrennt werden dürfen, sondern diesen zuzurechnen sind. Die tarifliche Wertigkeit der verschiedenen Einzeltätigkeiten oder Arbeitsschritte bleibt dabei zunächst außer Betracht. Erst nachdem die Bestimmung des Arbeitsvorgangs erfolgt ist, ist dieser anhand des in Anspruch genommenen Tätigkeitsmerkmals zu bewerten ( - Rn. 27 mwN, BAGE 172, 130).
21(1) Die zu diesem Ergebnis führende Auslegung der tariflichen Bestimmungen hat der Senat ausführlich in der Entscheidung vom (- 4 AZR 195/20 - Rn. 28 - 57, BAGE 172, 130) begründet und sich dabei auch mit der vom beklagten Land vertretenen Auffassung auseinandergesetzt. Auf die dortigen Ausführungen wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
22(2) Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass - entgegen der Auffassung des beklagten Landes - der durch den Senat vorgenommenen Auslegung weder die Systematik der tariflichen Regelungen noch die Tarifgeschichte entgegenstehen.
23(a) Das vom Senat bei der Auslegung zugrunde gelegte Verständnis des Arbeitsvorgangs aufgrund einer „natürlichen Betrachtungsweise“ und damit die Zusammenfassung von Einzeltätigkeiten zu einem Arbeitsvorgang führt nicht dazu, dass der Klammerzusatz zu Nr. 1 der Protokollnotiz zu § 22 Abs. 2 BAT „praktisch vollends leer“ läuft (so aber zu Nr. 1 der Protokollerklärung zu § 12 Abs. 1 TV-L Geyer ZTR 2021, 539, 552). Bei natürlicher Betrachtungsweise ist - in Abgrenzung zu einer wissenschaftlichen, juristischen oder persönlichen Betrachtung (für Letzteres allerdings Geyer ZTR 2021, 539, 553) - darauf abzustellen, ob ein objektiver Außenstehender die einzelnen Tätigkeiten einem oder mehreren Arbeitsergebnissen zuordnen würde. Maßgebend ist daher, wie die Tätigkeit allgemein beschrieben und verstanden wird. Das ist abhängig von der durch den Arbeitgeber vorgenommenen Arbeitsorganisation. Je universeller eine Aufgabenzuweisung erfolgt, desto wahrscheinlicher ist es, dass bei natürlicher Betrachtungsweise ein großer Arbeitsvorgang vorliegt. Dementsprechend hängt es von der Organisation des Arbeitgebers ab, in welchem Umfang Tätigkeiten wie die in dem Klammerzusatz genannten zu einem eigenständigen Arbeitsergebnis führen. Das folgt aus der durch die Tarifvertragsparteien gewollten Abkehr von einer Bewertung von Gesamt- und Einzeltätigkeiten.
24(b) Die Zusammenfassung wiederkehrender und gleichartiger Tätigkeiten dient der Praktikabilität. Sie verändert die Eingruppierung nicht (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TV-L Stand Januar 2023 Teil II § 12 Rn. 386 ff.), da sie nur gleichartige Tätigkeiten betrifft. Ob es einen Arbeitsvorgang gibt oder viele, die jeweils gleich zu bewerten sind, weil sie die gleichen Tätigkeiten erfordern, zieht keine unterschiedliche Eingruppierung nach sich.
25(c) Die teilweise geforderte Berücksichtigung der Tarifhistorie im Hinblick auf die Zeit vor Einführung des Arbeitsvorgangs als Bewertungskriterium (vgl. insbesondere Geyer ZTR 2021, 539, 552) führt nicht zu einem anderen Verständnis der tariflichen Regelungen. Soweit in Entscheidungen vor 1975 der Begriff „Arbeitsvorgang“ verwendet wurde, lässt dies keinen Rückschluss auf dessen Verständnis in § 22 BAT oder § 12 TV-L zu. Eine Definition des Arbeitsvorgangs, auf die die Tarifvertragsparteien bei Vereinbarung der neuen Eingruppierungsregelungen hätten zurückgreifen können, ist dabei nicht erfolgt (vgl. zB die Verwendung des Begriffs ohne jegliche Erläuterung in -; - 4 AZR 256/67 -; - 4 AZR 148/67 -).
26Auch soweit der Senat in früheren Entscheidungen Tätigkeiten einem „Arbeitsvorgang“ zugeordnet hat, liegt dieses Verständnis weder § 22 BAT noch § 12 TV-L zugrunde. Vor Einführung der neuen Eingruppierungsregelungen ist der Begriff als Synonym für die einzelnen Aufgaben eines Beschäftigten verstanden worden. Der Senat ist zunächst davon ausgegangen, der Arbeitsvorgang sei kleiner als das Aufgabengebiet ( - BAGE 5, 27) und hat dann beispielhaft Arbeitsvorgänge aufgeführt als Darstellung politischer Grenzen, Ortschaften, Flussläufe und Bodenbeschaffenheit bei Erstellung einer topographischen Karte ( - BAGE 12, 91) oder als Festsetzung der Beschäftigungszeit, Dienstzeit, Berufszeit und Grundvergütung bei der selbstständigen Errechnung von Vergütungen ( -). In der Entscheidung vom (- 4 AZR 87/69 -) hat er den Begriff des „einzelnen Arbeitsvorgangs“ gleichbedeutend mit einer „Einzelaufgabe“ verwendet. „Arbeitsvorgänge“ iSd. § 22 BAT und § 12 TV-L sind aber nicht Einzeltätigkeiten, sondern die Arbeitsleistungen, die zu einem bei natürlicher Betrachtung abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen.
27(d) Soweit sich das beklagte Land erstmalig in der Revisionsinstanz darauf berufen hat, auch eine Mitteilung der - den BAT mit abschließenden - Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr aus dem Jahr 1975 belege, dass die Tarifvertragsparteien unter einem Arbeitsvorgang in Abkehr vom Begriff der „Gesamttätigkeit“ kleinere Einheiten verstanden hätten, kann dahinstehen, ob dieser Vortrag noch berücksichtigungsfähig ist (vgl. § 559 Abs. 1 ZPO). Der gewerkschaftlichen Mitteilung kann nicht entnommen werden, eine Begrenzung der Arbeitsvorgänge auf möglichst kleine Einheiten sei Ziel beider Tarifvertragsparteien gewesen. Vielmehr wird in dieser davon ausgegangen, die Beispiele in dem Klammerzusatz zu Nr. 1 der Protokollnotiz zu § 22 Abs. 2 BAT seien formuliert worden, damit „unter Bearbeitung eines Aktenvorgangs keine engbegrenzte Arbeitsleistung verstanden werden kann“.
28bb) In Anwendung der vorstehenden Grundsätze bilden - mit Ausnahme der Erstellung von Inhaltsprotokollen in Strafsachen - sämtliche der Klägerin übertragenen Tätigkeiten einen, 95 vH der Arbeitszeit erfassenden Arbeitsvorgang. Diese dienen dem Arbeitsergebnis der Betreuung der Aktenvorgänge in der Serviceeinheit vom Eingang bis zum Abschluss des Verfahrens.
29(1) Der Begriff des Arbeitsvorgangs unterliegt als feststehender, abstrakter und den Parteien vorgegebener Rechtsbegriff in vollem Umfang der Überprüfung durch das Revisionsgericht, das bei Vorliegen der erforderlichen Tatsachenfeststellungen die Arbeitsvorgänge auch selbst bestimmen kann ( - Rn. 59, BAGE 172, 130).
30(2) Die Büro- und Schreibtätigkeiten, die Vorprüfung der Zuständigkeit, die Aufstellung von Vorschusskostenrechnungen, die Anordnung von Zustellungen, die Erteilung von Rechtskraftzeugnissen und Vollstreckungsklauseln, die selbstständige Beantwortung schriftlicher und mündlicher Sachstandsanfragen, die Verfügungen nach den Mitteilungen in Zivilsachen (MiZi), die Entscheiderassistenz, die unterschriftsreife Vorbereitung von Anerkenntnis- und Versäumnisurteilen, die Aufnahme von Anträgen zu Protokoll der Geschäftsstelle und die Tätigkeit als Kostenbeamtin dienen, bezogen auf den Aufgabenkreis der Klägerin, einem Arbeitsergebnis. Bei natürlicher Betrachtung ist dieses nicht jeweils die Erledigung der einzelnen anfallenden Aufgaben, sondern die vollständige Bearbeitung der Aktenvorgänge. Alle (Einzel-)Aufgaben sind, anders als die in Nr. 1 der Protokollnotiz zu § 22 Abs. 2 BAT genannten Beispiele, lediglich notwendige Zwischenschritte auf dem Weg zum endgültigen Abschluss des Verfahrens, die für sich genommen nicht zu einem eigenen Arbeitsergebnis führen. So wird durch die Erteilung einer Vollstreckungsklausel oder die Anordnung einer Zustellung zwar dem Verfahren Fortgang gegeben und dieses seinem Abschluss nähergebracht, der Vorgang aber nicht beendet. Daran ändert nichts, dass die Bearbeitung der Akte und damit die Tätigkeit der Klägerin durch Eingänge und Verfügungen sachbearbeitender Richter oder Rechtspfleger „unterbrochen“ wird und daher in mehreren Teilschritten erfolgt (hierzu ausf. - Rn. 61, BAGE 172, 130). Demgegenüber endet die Bearbeitung eines Antrags auf Wohngeld ebenso wie die Festsetzung einer Leistung nach dem Bundessozialhilfegesetz mit dem Erlass eines Bescheids und ist damit abgeschlossen. Auch die Erstellung eines EKG oder die Fertigung einer Bauzeichnung führt - wenn nur dies als Tätigkeit zugewiesen ist - zur Erledigung der Aufgabe als Ganzes, nicht aber nur zur Erfüllung eines Zwischenschritts.
31(3) Diesem Arbeitsergebnis sind auch die Aufgaben im Zusammenhang mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe einschließlich einer Zahlungsbestimmung zuzuordnen. Das Prozesskostenhilfeverfahren ist zum Hauptverfahren zu zählen und untrennbar mit diesem verbunden.
32(4) Weiterhin sind die Aufgaben der Zählkartenanordnung als Zusammenhangarbeiten Teil dieses Arbeitsvorgangs. Sie sind erforderlich, um die Aktenbearbeitung organisieren und strukturiert durchführen zu können (vgl. - Rn. 60, BAGE 172, 130).
33(5) Entgegen der Auffassung der Revision führen die Aufgaben nicht deshalb zu verschiedenen Arbeitsergebnissen, weil sie nach der durch das beklagte Land vorgenommenen Arbeitsorganisation organisatorisch voneinander getrennt zugewiesen worden wären. Die „ganzheitliche“ Übertragung der Tätigkeiten schließt zwar eine solche Trennung nicht von vornherein aus. Diese beschreibt lediglich das Konzept der Serviceeinheit und lässt keinen zwingenden Schluss auf die tatsächliche Arbeitsorganisation zu. Eine organisatorische Trennung ergibt sich aber weder aus der GStO NRW noch aus der AktO NRW oder den rechtlichen und tatsächlichen Umständen der Tätigkeit.
34(a) § 4 GStO NRW lässt sich der vom beklagten Land angenommene „aufgabenbezogene Ansatz“ nicht entnehmen. Die Aufzählung der Aufgaben in mehreren Absätzen kennzeichnet keine organisatorische Trennung. Vielmehr enthält § 4 Abs. 1 GStO NRW lediglich eine allgemeine Beschreibung, die in § 4 Abs. 2 GStO NRW konkretisiert wird. Darüber hinaus hat das Landesarbeitsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass die in § 4 Abs. 4 GStO NRW erwähnte „ganzheitliche Bearbeitungsweise“ der Annahme, in § 4 Abs. 1 und Abs. 2 GStO NRW würden getrennt zugewiesene Aufgaben beschrieben, entgegensteht. Zudem enthält die GStO NRW eine allgemeine Aufgabenbeschreibung für alle Geschäftsstellen an allen Gerichten in NRW. Sie ist damit - anders als die in der Entscheidung des Senats vom (- 4 AZR 816/16 - Rn. 3, 30, BAGE 162, 81) berücksichtigte Geschäftsstellenordnung für das Bundesverwaltungsgericht - nicht auf den Aufgabenbereich der Klägerin zugeschnitten.
35(b) Der AktO NRW lässt sich ebenfalls keine getrennte Zuweisung von Tätigkeiten an die Klägerin entnehmen. Diese enthält generelle Vorgaben zur Aktenführung und -verwaltung, bestimmt aber nicht, durch wen diese in welcher Art und Weise vorzunehmen ist.
36(c) Soweit für die der Klägerin übertragenen Aufgaben unterschiedliche Rechtsgrundlagen (zB § 3 KostVfG, §§ 114 ff., 127, 168, 706, 724 ZPO) bestehen, hat diese gesetzliche Festlegung der Zuständigkeit einzelner Organe der Rechtspflege keinen Einfluss auf die Arbeitsorganisation. Die Normen erlauben keinen Rückschluss darauf, welcher Person konkret welche Aufgaben übertragen werden, und ob dies zusammen mit anderen oder getrennt von diesen erfolgt.
37cc) Die der Klägerin übertragene „Inhaltsprotokollführung in Strafsachen“ mit einem Anteil von 5 vH der Arbeitszeit betrifft demgegenüber einen anderen Arbeitsbereich und steht in keinem Zusammenhang mit der Aktenführung in einer zivilrechtlichen Serviceeinheit. Diese bildet einen eigenen Arbeitsvorgang.
38d) Bei der innerhalb des 95 vH der Arbeitszeit ausmachenden Arbeitsvorgangs auszuübenden Tätigkeit der Klägerin handelt es sich um die einer Angestellten als Geschäftsstellenverwalterin bei Gericht iSd. Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1/Vb Fallgruppe 1 BAT, die sich dadurch aus der Vergütungsgruppe VIb Fallgruppe 1 BAT heraushebt, dass sie schwierig ist.
39aa) Die Klägerin ist Geschäftsstellenverwalterin iSd. Protokollnotiz Nr. 1 zu Teil II Abschnitt T Unterabschnitt I der Anlage 1a zum BAT. Sie verwaltet Schriftgut und nimmt aufgrund ihrer Tätigkeit in einer Serviceeinheit mindestens zu einem Drittel ihrer Gesamttätigkeit die sonstigen in der GStO NRW für ihr Arbeitsgebiet dem mittleren Dienst zugewiesenen Tätigkeiten wahr. Nach § 3 Abs. 1 GStO NRW werden in den Serviceeinheiten Beamte der Laufbahngruppe 1.2 und damit des ehemaligen „mittleren Dienstes“ (§ 5 LBG NRW; BeckOK BeamtenR NRW/Keller-Zacher Stand LBG NRW § 5 Rn. 15; Sachadae in Sponer/Steinherr TV-L EntgeltO Stand März 2023 Teil II 2312.1-L Rn. 81) eingesetzt.
40bb) Im Rahmen des Arbeitsvorgangs „Betreuung der Akten in einer Serviceeinheit“ fallen schwierige Tätigkeiten iSd. Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1/Vb Fallgruppe 1 BAT in rechtserheblichem Ausmaß an. Dieser umfasst zeitlich 95 vH und damit mindestens die Hälfte der Arbeitszeit (§ 22 Abs. 2 Satz 2 BAT) der Klägerin.
41(1) Bei der Bewertung eines Arbeitsvorgangs ist es zur Erfüllung einer qualifizierenden tariflichen Anforderung, hier der „schwierigen“ Tätigkeit, ausreichend, wenn diese innerhalb des Arbeitsvorgangs in rechtlich erheblichem Ausmaß vorliegt. Nicht erforderlich ist, dass innerhalb eines Arbeitsvorgangs schwierige Tätigkeiten ihrerseits in dem von § 22 Abs. 2 Satz 2, Satz 5 BAT bestimmten Maß anfallen. Hinsichtlich der zu diesem Ergebnis führenden Auslegung der tariflichen Bestimmungen sowie der Auseinandersetzung mit den hiergegen vorgebrachten Argumenten des beklagten Landes kann erneut auf die Ausführungen des Senats im Urteil vom (- 4 AZR 195/20 - Rn. 65 ff., BAGE 172, 130) verwiesen werden.
42(2) Gemessen an diesen Grundsätzen übt die Klägerin mindestens zur Hälfte der ihr übertragenen Tätigkeit schwierige Tätigkeiten iSd. Vergütungsgruppe Vc/Vb BAT aus.
43(a) Die Anordnung von Zustellungen und Vermittlung von Zustellungen im Parteibetrieb, die Erteilung von Rechtskraftzeugnissen und Vollstreckungsklauseln, die Aufgaben nach der Zählkartenanordnung, die Aufstellung von Vorschusskostenrechnungen für die Prozessgebühren in Zivilsachen, die Aufgaben bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Zahlungsbestimmung, die Tätigkeit des Kostenbeamten nach Verfahrensabschluss (ohne Schlusskostenberechnung), die Vorprüfung der Zuständigkeit, die unterschriftsreife Vorbereitung von Anerkenntnis- und Versäumnisurteilen und die selbstständige Beantwortung schriftlicher und mündlicher Sachstandsanfragen und Auskunftsersuchen formeller Art sind nach Protokollnotiz Nr. 2 Buchst. a, b, c, e, g, h Teil II Abschnitt T Unterabschnitt I der Anlage 1a zum BAT schwierige Tätigkeiten iSd. Tarifmerkmals. Gleiches gilt für die Verfügungen nach der MiZi, die Entscheiderassistenz und die Aufnahme von Anträgen zu Protokoll der Geschäftsstelle. Diese sind zwar nicht explizit im Katalog der schwierigen Tätigkeiten aufgelistet, entsprechen aber ihrer Wertigkeit nach den in Protokollnotiz Nr. 2 Buchst. c und g Teil II Abschnitt T Unterabschnitt I der Anlage 1a zum BAT aufgelisteten Tätigkeiten (vgl. zur Heranziehung der Tätigkeitsbeispiele als Richtlinien für die Subsumtion unter den Oberbegriff - Rn. 55; - 4 AZR 252/19 - Rn. 42). Dies entspricht auch der übereinstimmenden Bewertung der Parteien. Der Anteil dieser Tätigkeiten an der von der Klägerin auszuübenden Gesamtarbeitszeit beträgt 36,80 vH, mithin 38,74 vH des maßgebenden Arbeitsvorgangs.
44(b) Damit fallen schwierige Tätigkeiten innerhalb des maßgebenden Arbeitsvorgangs in rechtlich erheblichem Ausmaß an. Ohne diese kann ein sinnvoll verwertbares Arbeitsergebnis im Hinblick auf den Zuschnitt der auszuübenden Tätigkeiten nicht erzielt werden; die Aktenbearbeitung wäre unvollständig. Das zeitliche Ausmaß ist rechtserheblich.
45e) Die Klägerin konnte daher zunächst ab dem ein Entgelt nach Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1 BAT sowie nach Ablauf der Bewährungszeit ab dem ein solches nach Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1 BAT beanspruchen. Sie war demnach am in die „kleine“ Entgeltgruppe 9 TV-L (Stufenlaufzeit in Stufe 2 von fünf Jahren) überzuleiten (Teil A Anlage 2 zum TVÜ-Länder).
46f) Die Klägerin hat ihre Ansprüche mit Schreiben vom rechtzeitig iSd. § 37 Abs. 1 TV-L geltend gemacht. Gegen diese Feststellung des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts hat sich das beklagte Land nicht gewendet.
474. Zum ist die Klägerin, da ihre Tätigkeit unverändert geblieben ist, gemäß § 29b Abs. 3 Satz 1 TVÜ-Länder in Entgeltgruppe 9a TV-L übergeleitet worden. Seit diesem Zeitpunkt ist das beklagte Land zur Zahlung dieser Vergütung verpflichtet.
485. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 BGB iVm. § 24 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 TV-L.
49III. Das beklagte Land hat die Kosten der Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:260423.U.4AZR275.20.0
Fundstelle(n):
PAAAJ-44889