BGH Beschluss v. - 5 StR 55/23

Gesetze: § 174 Abs 1 Nr 1 StGB

Instanzenzug: Az: 3 KLs 13/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Herstellen von kinderpornographischen Schriften in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Besitzverschaffung kinderpornographischer Schriften, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften, wegen Besitzverschaffung kinderpornographischer Schriften und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Der Senat hat das Verfahren im Fall II.5 der Urteilsgründe auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO aus prozessökonomischen Gründen eingestellt.

3Dem Schuldspruch wegen Besitzes kinderpornographischer „Schriften“ in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer „Schriften“ sollen laut den Urteilsgründen entsprechende Inhalte in insgesamt fünfstelliger Zahl zugrunde liegen. Deren Einordnung als kinder- oder jugendpornographische Inhalte im Sinne der § 184b Abs. 3 StGB und § 184c Abs. 3 StGB (jeweils in der bis zum geltenden Fassung) hat die Strafkammer auf die Beurteilung eines hierzu vernommenen Polizeibeamten gestützt, dessen Einschätzung sie lediglich anhand der Inaugenscheinnahme von 31 Aufnahmen stichprobenhaft überprüft und dabei die Einstufung als pornographisches Material in zwei Fällen nicht bestätigt hat. Allein für letztere enthält das Urteil tatsächliche Angaben, die aber nicht in Anspruch nehmen, das Ergebnis einer weiterreichenden eigenen Beweiserhebung und -würdigung zu beschreiben, und sei es – was möglich gewesen wäre – anhand von Beispielen (vgl. zu den Darstellungsanforderungen , BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 18). Für die weit überwiegende Zahl der als kinder- und jugendpornographisch bewerteten Inhalte fehlen so bereits die erforderlichen Feststellungen.

4Hinzu kommt, dass die Strafkammer damit zugleich auch die Subsumtion unter die maßgeblichen Strafnormen an einen Zeugen delegiert und so zum Gegenstand einer Beweisaufnahme gemacht hat, was von ihr selbst – als wesentlicher Teil ihrer richterlichen Aufgabe – rechtlich zu bewerten gewesen wäre.

5Anstelle dieser bedenklichen Vorgehensweise hätte sich angeboten, das Verfahren von vornherein – gegebenenfalls nach entsprechender Vorarbeit durch die Ermittlungsbehörden – durch Beschränkung nach § 154a StPO auf einen prozessual handhabbaren Teil der sichergestellten Dateien zu reduzieren.

62. Den in mehrfacher Hinsicht korrekturbedürftigen Schuldspruch hat der Senat wie aus der Beschlussformel ersichtlich neu gefasst – aus Gründen der leichteren Lesbarkeit nun in Entsprechung zur Abfolge der Taten – und dabei teilweise geändert.

7a) In den Fällen II.2 bis 4 der Urteilsgründe hatte die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen zu entfallen, da sie rechtlicher Nachprüfung nicht standhält.

8aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts kam der Angeklagte Mitte/Ende November 2019 über eine Suchanzeige bei eBay-Kleinanzeigen in Kontakt mit der Familie der am geborenen Nebenklägerin und übernahm im Folgenden für sie mehrfach die Kinderbetreuung. Im Rahmen dieser Babysitter-Tätigkeit im Wohnhaus der Familie führte der Angeklagte an der Nebenklägerin in Abwesenheit ihrer Eltern mehrfach sexuelle Handlungen durch, bei denen er unter anderem die Hand des Kleinkinds auf seinem unbekleideten erigierten Penis platzierte, mit dem Daumen in die Scheide des Kindes eindrang oder seinen Penis an der Scheide rieb und auf den Bauch der Nebenklägerin ejakulierte. Die Taten, die der Angeklagte jeweils filmte und fotografierte, wurden am 8. März und am sowie am begangen.

9bb) Diese Feststellungen vermögen die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen nicht zu tragen.

10Der Tatbestand des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung vom setzte voraus, dass zwischen Täter und Opfer ein Verhältnis besteht, kraft dessen eine Person unter 16 Jahren dem Täter zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist, wobei sich die Begriffe der Erziehung, der Ausbildung und der Betreuung in der Lebensführung in ihrem Bedeutungsgehalt überschneiden. Erforderlich hierfür war – ebenso wie für die gegenwärtig geltende Fassung der Norm – ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne einer Unter- und Überordnung, die den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich umfasst, in welchem einer Person das Recht und die Pflicht obliegt, die Lebensführung des Jugendlichen und damit dessen geistig-seelische Entwicklung zu überwachen und zu leiten (st. Rspr.; siehe nur , BGHR StGB § 174 Abs. 1 Obhutsverhältnis 18 mwN).

11Ein derartiges Obhutsverhältnis wird durch die Feststellungen nicht belegt. Ihnen lässt sich nicht entnehmen, ob und in welchem Umfang der Angeklagte in die Erziehung des Kindes eingebunden war. So bleibt schon offen, wie oft und wie lange er für die Eltern der Nebenklägerin in deren Abwesenheit tätig wurde. Eine nur ganz kurzfristige Verantwortlichkeit während der Abwesenheit des Erziehungsberechtigten, wie sie bei der Tätigkeit eines Babysitters naheliegt, reicht jedenfalls nicht aus, um ein Obhutsverhältnis im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu begründen (). Konkrete Anhaltspunkte, die gleichwohl für ein Obhutsverhältnis sprechen könnten (vgl. zu solchen nur ), sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.

12cc) Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch Feststellungen zu treffen sind, die eine Verurteilung nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB tragen könnten. Er ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO dahin ab, dass in den Fällen II.2 bis 4 der Urteilsgründe die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen entfällt.

13b) Im Fall II.4 der Urteilsgründe war der Schuldspruch zudem an die zur Tatzeit geltende, vom Gesetzgeber mit Wirkung zum geänderte gesetzliche Überschrift des § 184b StGB anzupassen (vgl. Art. 1 Nr. 25a des 60. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Modernisierung des Schriftenbegriffs und anderer Begriffe sowie Erweiterung der Strafbarkeit nach den §§ 86, 86a, 111 und 130 des Strafgesetzbuches bei Handlungen im Ausland vom , BGBl. I S. 2600).

14c) Wegen der unter Ziffer 1 behandelten Einstellung des Verfahrens hinsichtlich des Falls II.5 der Urteilsgründe hatte schließlich die Verurteilung wegen Besitzes kinderpornographischer „Schriften“ in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer „Schriften“ zu entfallen.

153. Der Strafausspruch wird durch die genannten Änderungen nicht berührt.

16a) Die Aussprüche zu den Einzelstrafen in den Fällen Ziffer II.2 bis 4 der Urteilsgründe haben trotz des Wegfalls der tateinheitlichen Verurteilung nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB Bestand. Diese erachtet der Senat in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt angesichts der vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten weiteren erheblichen Strafschärfungsgesichtspunkte als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a StPO. Hierfür spricht insbesondere das Tatbild eines durch massiven Vertrauensbruch gegenüber den Eltern ermöglichten und obendrein für Filmaufnahmen genutzten sexuellen Missbrauchs eines Kleinkinds. Die Anforderungen an die Anwendung der Vorschrift (vgl. , – 2 BvR 136/05, BVerfGE 118, 212) sind gegeben. Der Beschwerdeführer hatte rechtliches Gehör zur Verfahrensweise gemäß § 354 Abs. 1a StPO. Dem Senat steht ein zutreffend ermittelter, vollständiger und aktueller Strafzumessungssachverhalt zur Verfügung (vgl. ).

17b) Die Gesamtstrafe kann ebenfalls bestehen bleiben. Der Senat kann angesichts der verbleibenden Einsatzstrafe von drei Jahren sowie drei weiterer Einzelstrafen von sechs Monaten, von zwei Jahren und sechs Monaten sowie von acht Monaten Freiheitsstrafe ausschließen, dass das Landgericht allein aufgrund des Wegfalls der Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr im Fall II.5 der Urteilsgründe auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.

184. Der geringfügige Erfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten insgesamt mit den Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:300623B5STR55.23.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-44760