BGH Beschluss v. - 4 StR 451/22

Räuberischer Diebstahl: Erfüllung des Tatbestandsmerkmals "auf frischer Tat betroffen"; Anwendung des Nötigungsmittels im Rahmen der sog. Nacheile

Gesetze: § 252 StGB, § 315b StGB

Instanzenzug: LG Traunstein Az: 6 KLs 250 Js 16453/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und wegen Diebstahls in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Außerdem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Verurteilung des Angeklagten in Fall C. I. 1 der Urteilsgründe wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls nach § 252 i.V.m. §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB hat keinen Bestand.

3a) Nach den Feststellungen entwendete der Angeklagte aus einem unversperrten Schuppen ein E-Bike, um es für sich zu behalten. Dabei wurde er von dem Geschädigten beobachtet, der daraufhin mit seinem Pkw die Verfolgung des mit dem Fahrrad davon fahrenden Angeklagten aufnahm. Nach kurzer Zeit verlor der Geschädigte ihn aus den Augen. Unterdessen war der Nebenkläger, der Sohn des Geschädigten, über den Diebstahl informiert worden. Auch er nahm sofort in Begleitung von zwei Freunden mit einem Pkw „die Verfolgung des Angeklagten auf“. Etwa zehn Minuten nachdem sie losgefahren waren und ca. 1,4 Kilometer vom Tatort des Diebstahls entfernt, kam ihnen der Angeklagte auf einer einspurigen Straße in seinem Pkw entgegen. Beide Fahrzeuge hielten an; der Nebenkläger stieg aus, um den Angeklagten zu fragen, ob er vielleicht einen Fahrraddieb gesehen habe. Zunächst hegte der Nebenkläger gegenüber dem Angeklagten noch keinen Verdacht, bis er das gestohlene E-Bike im Inneren des Fahrzeugs des Angeklagten auf den umgeklappten Rücksitzen liegen sah. Er öffnete die linke hintere Tür des Wagens, um das Fahrrad zurückzuerlangen. Als der Angeklagte dies erkannte, fuhr er zügig mit einer Geschwindigkeit von ca. 25 km/h rückwärts, um den Nebenkläger davon abzuhalten, sich den Besitz des Rades zu verschaffen. Durch dieses Fahrmanöver wurde der Nebenkläger, der sich an einem Griff der geöffneten Fahrzeugtür festhielt, einige Meter mitgezogen und ging dann zu Boden.

4Der Angeklagte setzte zunächst weiter zurück, bis ihm einer der Freunde des Nebenklägers mit seinem Fahrzeug den Weg abschnitt. Daraufhin fuhr der Angeklagte nunmehr vorwärts mit einer Geschwindigkeit von zunächst 50 bis 80 km/h auf den Nebenkläger zu, der sich gerade wieder aufgerappelt hatte und mittig auf der Fahrbahn stand. Ohne auszuweichen näherte sich ihm der Angeklagte, reduzierte jedoch die Geschwindigkeit auf bis zu 20 bis 25 km/h. Als er noch ca. vier bis fünf Meter vom Nebenkläger entfernt war, sprang dieser zur Seite und brachte sich in Sicherheit. Bei dem anschließenden Versuch, neben dem Fahrzeug herzulaufen, zog sich der Nebenkläger erhebliche Verletzungen zu.

5Der Angeklagte handelte während des gesamten Geschehens in der Absicht, sich im Besitz des E-Bikes zu halten und den begangenen Diebstahl zu verdecken. Dabei nahm er billigend in Kauf, dass sich der Nebenkläger durch das Mitziehen mit dem Fahrzeug und das frontale Zufahren auf ihn erhebliche, auch potentiell lebensgefährliche Verletzungen zuziehen würde.

6b) Diese Feststellungen ergeben nicht, dass der Angeklagte den Tatbestand des § 252 StGB erfüllt hat.

7aa) Das Tatbestandsmerkmal „auf frischer Tat betroffen“ im Sinne dieser Vorschrift ist erfüllt, wenn der Dieb noch in unmittelbarer Nähe zum Tatort und alsbald nach der Tatausführung wahrgenommen wird, also im Moment der Wahrnehmung noch ein enger, sowohl örtlicher als auch zeitlicher Zusammenhang mit der Vortat besteht (st. Rspr.; vgl. schon , BGHSt 9, 255, 257; Urteil vom – 3 StR 381/78, BGHSt 28, 224, 229 f.; Beschluss vom – 3 StR 112/15, NStZ 2015, 700 f.). Ist dies der Fall und wendet der Täter in der Folge eines der in § 252 StGB genannten Nötigungsmittel in Besitzerhaltungsabsicht an, kommt es für die Tatbestandsverwirklichung im Übrigen nicht mehr darauf an, dass sich das Nötigungsmittel gegen eine Person richtet, die ihn auf frischer Tat betroffen hat. Vielmehr genügt es, dass die Nötigungshandlung eine Folge des Betroffenseins ist und zu diesem in einem Bezug steht. Ein derartiger Bezug ist auch dann noch gegeben, wenn das Nötigungsmittel im Rahmen der sogenannten Nacheile angewendet wird. Voraussetzung hierfür ist, dass der Täter in unmittelbarem Anschluss an das Betreffen auf frischer Tat verfolgt wird und diese Verfolgung bis zu dem Einsatz des Nötigungsmittels ohne Zäsur fortgesetzt wird. Ist dies der Fall, kommt es auf einen engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zwischen Vortat und dem Einsatz des Nötigungsmittels nicht mehr an (vgl. , NStZ 2015, 700, 701; Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 252 Rn. 5/6; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 252 Rn. 7 f.; Sander in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 252 Rn. 12; Kindhäuser in NK-StGB, 5. Aufl., § 252 Rn. 18, jew. mwN).

8bb) Zwar ist der Angeklagte von dem Vater des Nebenklägers bei der Begehung des Diebstahls und damit auf frischer Tat betroffen worden. Die Feststellungen ergeben aber nicht, dass die spätere Anwendung von Gewalt gegen den Nebenkläger in dem erforderlichen Bezug zu diesem Betroffensein auf frischer Tat stand. Der Geschädigte, der den Angeklagten auf frischer Tat betroffen hatte, musste dessen Verfolgung aufgeben. Im Zeitpunkt der Gewaltanwendung lag keine zäsurlose Verfolgung mehr vor. Denn der Nebenkläger und seine Freunde haben, nachdem sie Kenntnis vom Diebstahl erlangt hatten, eine eigene, neue Suche nach dem Angeklagten begonnen; dabei hatten sie keine Vorstellung von dessen Person. Ihr Zusammentreffen mit ihm und die Erkenntnis von seiner Täterschaft beruhten nicht auf Wahrnehmungen, die „auf frischer Tat“ gemacht wurden, sondern waren eher dem Zufall geschuldet.

9c) Damit kann auch die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr nicht bestehen bleiben, denn die Strafkammer ist insoweit von Tateinheit ausgegangen (vgl. , ZfSch 2023, 108 Rn. 8; Urteil vom – 2 StR 468/04 Rn. 28; Beschluss vom – 3 StR 135/01 Rn. 18; Franke in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 353 Rn. 8; Gericke in KK-StPO, 9. Aufl., § 353 Rn. 17, jeweils mwN).

10Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auch die Annahme einer Strafbarkeit des Angeklagten gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB durch das Zufahren auf den Nebenkläger von den Feststellungen nicht getragen wird, da sich aus ihnen die Situation eines „Beinahe-Unfalls“ nicht ergibt (vgl. dazu , StV 2012, 217 f.; Beschluss vom – 4 StR 506/09, NStZ 2010, 572, 573; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 315b Rn. 16 ff. mwN). Eine solche könnte jedoch schon bei der vorangegangen Rückwärtsfahrt des Angeklagten eingetreten sein, als sich der Nebenkläger am Griff der Fahrzeugtür festhielt und der Angeklagte versuchte, ihn abzuschütteln (vgl. dazu , DAR 1995, 334, 335; Pegel in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 315b Rn. 54b). Sollten sich auch insofern keine Feststellungen mehr treffen lassen, kommt zudem ein Versuch nach § 315b Abs. 2 StGB in Betracht, wenn der Angeklagte mit bedingtem Schädigungsvorsatz gehandelt und damit auch billigend in Kauf genommen hat, dass der Nebenkläger konkret gefährdet werde (vgl. , BGHSt 48, 233; Beschluss vom – 4 StR 471/94, NJW 1996, 329, 330; Beschluss vom – 4 StR 461/88, NZV 1989, 119).

112. Auch die Einziehung des Pkw Scoda Oktavia, den der Angeklagte nach den Feststellungen in Fall C. I. 1 der Urteilsgründe geführt hat, hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

12Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift vom ausgeführt:

„Die auf § 74 Abs. 1 StGB gestützte Einziehung des Pkw Scoda Oktavia kann indes keinen Bestand haben. Zwar wird den Feststellungen zu den Schulden des Angeklagten in Höhe von 28.000 Euro, die zumindest auch aus der Finanzierung „seines Pkw“ resultieren (UA S. 4), noch zu entnehmen sein, dass der Pkw im Alleineigentum des Angeklagten steht (§ 74 Abs. 3 Satz 1 StGB). Die knappe Begründung der Einziehung (UA S. 34) lässt indes nicht erkennen, dass sich das Landgericht bewusst war, eine Ermessensentscheidung zu treffen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 415/21; – 4 StR 482/18). Eingedenk der oben genannten Feststellungen, die auf einen nicht unbeträchtlichen Wert des Fahrzeugs hindeuten, versteht sich dies vorliegend auch nicht von selbst (vgl. , juris Rn. 11).“

13Dem schließt sich der Senat an und weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass es sich bei einer Einziehungsentscheidung, durch die dem Angeklagten ein Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen wird, um einen bestimmenden Strafzumessungsgrund im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO handelt (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 5; Beschluss vom – 4 StR 214/20, StV 2021, 714; Beschluss vom – 4 StR 525/19, NStZ 2020, 407, 408; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 46 Rn. 71 mwN).

143. Bereits die Aufhebung der Verurteilung in Fall C. I. 1 der Urteilsgründe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Der Senat hebt auch die Einzelstrafen für die sechs Diebstähle auf (Fälle C. I. 2 bis 7 der Urteilsgründe), um es dem neuen Tatgericht zu ermöglichen, bei der Strafzumessung auch für diese Taten die Einziehung des Pkw in den Blick zu nehmen, sofern diese auch im zweiten Rechtsgang wieder angeordnet wird. Denn dieser Umstand ist nicht nur bei der abgeurteilten Tat im Sinne von § 74 Abs. 1 StGB zu berücksichtigen, sondern auch bei Bemessung weiterer zu verhängender Einzelstrafen und der Gesamtstrafenbildung (vgl. , NStZ-RR 2019, 88 mwN).

154. Im Übrigen hat die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:140323B4STR451.22.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-44657