Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Vertrauen auf eine Fristverlängerung nur bei Wahrung der erforderlichen Form; Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments
Leitsatz
1. Das Vertrauen auf eine Fristverlängerung kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann rechtfertigen, wenn der Fristverlängerungsantrag die erforderliche Form wahrt. Ob ein nach dem eingegangener Fristverlängerungsantrag formgerecht ist, richtet sich nach § 130d ZPO.
2. Unverzüglich ist die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments nur, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Hierbei hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, innerhalb welcher Zeitspanne die Glaubhaftmachung zu erfolgen hat. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls kann auch die Nachholung der Glaubhaftmachung vor Ablauf einer Woche nicht mehr unverzüglich sein (hier: Nachholung nach zwei Tagen).
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 130d S 3 ZPO, § 233 ZPO
Instanzenzug: Az: 318 S 86/21vorgehend AG Hamburg-Bergedorf Az: 407a C 10/19
Gründe
I.
1Der Kläger hat gegen ein Urteil des Amtsgerichts, mit dem seine Klage abgewiesen worden ist, fristgerecht Berufung eingelegt. Mit am Tag des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist () in den Briefkasten des Landgerichts eingeworfenem Schriftsatz hat er die Verlängerung dieser Frist beantragt. Eine Berufungsbegründung ist nicht zur Akte gelangt.
2Mit Beschluss vom hat das Landgericht den Antrag auf Fristverlängerung zurückgewiesen, da dieser nicht in der seit dem vorgeschriebenen elektronischen Form gestellt worden sei. Am selben Tag hat der Kläger den Fristverlängerungsantrag (erneut) elektronisch eingereicht. Am Folgetag () hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt; zugleich hat sein Prozessbevollmächtigter an Eides Statt versichert, dass am wegen einer defekten Netzwerkkarte keine Internetverbindung bestanden habe und eine elektronische Übermittlung des Fristverlängerungsantrags aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich gewesen sei.
3Das Landgericht hat die Berufung mit Beschluss vom wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt.
II.
4Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht gewahrt. Der Fristverlängerungsantrag sei nicht gemäß § 130d Satz 1 ZPO elektronisch übermittelt worden. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise zulässige Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften seien nicht rechtzeitig glaubhaft gemacht worden, da dies spätestens am hätte erfolgen können und müssen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO könne nicht gewährt werden. Der Kläger müsse sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen.
III.
5Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist der gemäß § 574 Abs. 2 ZPO erforderliche Zulassungsgrund gegeben.
61. Eine Entscheidung des Senats ist allerdings nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Alt. 2 ZPO) mit Blick darauf erforderlich, dass die Ablehnung der Fristverlängerung entgegen § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht durch den Vorsitzenden, sondern durch Beschluss der Kammer erfolgt ist. Die Ablehnung der Fristverlängerung ist unanfechtbar (§ 225 Abs. 3 ZPO; vgl. auch , BGHZ 93, 300, 302 f.). Nach Ablehnung der Verlängerung und Ablauf der (nicht verlängerten) Frist bleibt nur ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. BeckOK ZPO/Wulf [], § 520 Rn. 12).
72. Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde folgt aber daraus, dass eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO). Denn die Auslegung des Begriffs „unverzüglich“ im Sinne von § 130d Satz 3 ZPO ist höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärt.
IV.
8Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Die angegriffene Entscheidung beruht nicht auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 576 Abs. 1 ZPO. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) zurückgewiesen und die Berufung mangels Begründung in der gesetzlichen Frist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen.
91. Allerdings rügt die Rechtsbeschwerde zutreffend, dass das Berufungsgericht nicht vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist entscheiden durfte.
10a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung jedes Schriftsatzes, der innerhalb einer gesetzlichen oder richterlich bestimmten Frist bei Gericht eingeht. Danach darf das Gericht über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist entscheiden. Es ist unerheblich, ob es die Sache für entscheidungsreif hält, weil der Antragssteller innerhalb der Frist zu den Wiedereinsetzungsgründen ergänzend vortragen kann und darf (vgl. zum Ganzen Senat, Beschluss vom - V ZB 310/10, NJW 2011, 1363 Rn. 4; , NJW 2017, 1111 Rn. 5; Beschluss vom - VI ZB 48/17, NJW-RR 2018, 1149 Rn. 6, jeweils mwN).
11b) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung vom außer Acht gelassen. Die Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung beträgt nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Sie beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO). Selbst wenn man insoweit bereits auf den - den Tag, an dem der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Antrag auf Verlängerung der zwischenzeitlich abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist erstmals elektronisch eingereicht hat - abstellen wollte, wäre die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO am noch nicht abgelaufen gewesen.
122. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör setzt indes außerdem voraus, dass die Partei, die die Frist versäumt hat, vor Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist noch weiter zu den Wiedereinsetzungsgründen vorgetragen hätte, so dass das Gericht den ergänzenden Vortrag bei seiner Entscheidung hätte berücksichtigen können. Ist dagegen ausgeschlossen, dass die Partei ihren Vortrag zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hinreichend ergänzt hätte, ist der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt (vgl. , NJW 2012, 2201 Rn. 17; siehe zum Erfordernis der Entscheidungserheblichkeit auch Beschluss vom - VI ZB 27/15, NJW 2017, 1111 Rn. 7). So liegt es hier.
13a) Dabei ist unerheblich, dass der Kläger die innerhalb der Antragsfrist ebenfalls erforderliche Einreichung einer Berufungsbegründung (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) unterlassen hat. Mit der Rechtsbeschwerde ist davon auszugehen, dass dies auf die verfrühte Verwerfungsentscheidung zurückzuführen ist (vgl. , NJW-RR 2018, 1149 Rn. 8).
14b) Es ist aber - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Rechtsbeschwerde - aus Rechtsgründen ausgeschlossen, dass die Voraussetzungen für die beantragte Wiedereinsetzung hätten bejaht werden können. Denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers durfte unter den gegebenen Umständen nicht darauf vertrauen, dass seinem Fristverlängerungsantrag stattgegeben und damit eine Einreichung der Berufungsbegründung nach dem noch fristgerecht sein würde.
15aa) Zwar darf der Rechtsmittelführer in der Regel auf die Bewilligung einer rechtzeitig beantragten ersten Fristverlängerung vertrauen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 42/10, NJW-RR 2011, 285 Rn. 8; , NJW 2017, 2041 Rn. 12; Beschluss vom - VI ZB 47/17, NJW-RR 2018, 569 Rn. 8). Auch kann ein vor Fristablauf eingegangener Verlängerungsantrag nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung noch nach Fristablauf beschieden werden (grundlegend , BGHZ 83, 217, 221). Das Vertrauen auf eine (erste) Fristverlängerung kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aber von vorneherein nur dann rechtfertigen, wenn der Fristverlängerungsantrag die erforderliche Form wahrt. Ob ein - nach gefestigter Rechtsprechung schriftlich anzubringender (vgl. , BGHZ 93, 300, 303; Beschluss vom - VII ZB 43/03, juris Rn. 5) - nach dem eingegangener Fristverlängerungsantrag formgerecht ist, richtet sich nach § 130d ZPO. Die elektronische Übermittlung vorbereitender Schriftsätze sowie schriftlich einzureichender Anträge und Erklärungen ist seither der gesetzlich vorgeschriebene Regelfall (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 11/22, BeckRS 2023, 10045 Rn. 21). Dies gilt für sämtliche Erklärungen in allen Verfahren der Zivilprozessordnung, die schriftlich abzugeben wären, wenn es die Nutzungspflicht gemäß § 130d Satz 1 ZPO nicht gäbe (vgl. BeckOK ZPO/von Selle [], § 130d Rn. 3).
16bb) Eine elektronische - und damit formgerechte - Übermittlung des Verlängerungsantrags vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ist hier unzweifelhaft nicht erfolgt. Damit könnte ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigendes Vertrauen auf die Fristverlängerung nur gerechtfertigt sein, wenn die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung gemäß § 130d Satz 2, 3 ZPO erfüllt wären. Auch daran fehlt es aber.
17(1) Gemäß § 130d Satz 2 ZPO ist die Übermittlung eines schriftlich einzureichenden Antrags nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen (§ 130d Satz 3 ZPO).
18(2) Vorliegend ist zwar eine durch den Ausfall der Netzwerkkarte bedingte vorübergehende technische Unmöglichkeit im Sinne von § 130d Satz 2 ZPO anzunehmen; hiervon ist ersichtlich auch das Berufungsgericht ausgegangen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat aber die Anforderungen des § 130d Satz 3 ZPO nicht erfüllt.
19(a) Gemäß § 130d Satz 3 ZPO bedarf es für die Glaubhaftmachung, die nach der Intention des Gesetzgebers möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen soll (BT-Drucks. 17/12634 S. 28), einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss. Stellt der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf fest, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist, und verbleibt bis zum Fristablauf keine Zeit mehr, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen, ist die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen (vgl. zum Ganzen Senat, Beschluss vom - V ZB 11/22, BeckRS 2023, 10045 Rn. 11; , WM 2023, 189 Rn. 8; Beschluss vom - XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647 Rn 13 ff.).
20(b) Dahinstehen kann hier, ob die Glaubhaftmachung bereits mit der Ersatzeinreichung zu erfolgen gehabt hätte (so , WM 2023, 198 Rn. 11; aA BAG NZA 2023, 58 Rn. 32 zu der mit § 130d Satz 3 ZPO wörtlich übereinstimmenden Regelung in § 46g Satz 4 ArbGG). Denn jedenfalls sind die geltend gemachten Gründe für die Ersatzeinreichung nicht unverzüglich danach glaubhaft gemacht worden, sodass die Ersatzeinreichung unwirksam ist.
21(c) Unverzüglich - und somit ohne schuldhaftes Zögern - ist die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments nur, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Entgegen der Rechtsbeschwerde ist, anders als etwa bei § 121 BGB und auch anders als nach Zurückweisung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe, keine gesonderte Prüfungs- und Überlegungszeit zu gewähren, sondern der Rechtsanwalt hat die Glaubhaftmachung gegenüber dem Gericht abzugeben, sobald er Kenntnis davon erlangt, dass die Einreichung an einer technischen Störung gescheitert ist und er zu einer geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände in der Lage ist (vgl. , NJW 2022, 3647 Rn. 17; BAG, NZA 2023, 58 Rn. 38 zu § 46g Satz 4 ArbGG). Hierbei ist in die Abwägung einzustellen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen und die Nachholung der Glaubhaftmachung auf diejenigen Fälle beschränkt sein soll, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen (BT-Drucks. 17/12634 S. 28; , WM 2023, 189 Rn. 10). Glaubhaft zu machen ist lediglich die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, ohne dass es einer weiteren Sachverhaltsaufklärung über deren Ursache bedarf (ebenso BAG aaO; VGH München, NVwZ 2022, 1392 Rn. 8; OVG Schleswig, NordÖR 2022, 198, 199, jeweils zu § 55d VwGO); es genügt eine (laienverständliche) Schilderung und Glaubhaftmachung der tatsächlichen Umstände, die beispielsweise mit Screenshots unterlegt werden kann, aber nicht zwingend muss (vgl. Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 20. Aufl., § 130d Rn. 3; jurisPK-ERV/Biallaß [], § 130d ZPO Rn. 66).
22(d) Der Zeitraum des unverschuldeten Zögerns im Sinne von § 130d Satz 3 ZPO ist nach alledem eng zu fassen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 11/22, BeckRS 2023, 10045 Rn. 16; , WM 2023, 189 Rn. 10; Beschluss vom - XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647 Rn. 17). Hierbei hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, innerhalb welcher Zeitspanne die Glaubhaftmachung zu erfolgen hat (vgl. BAG, NZA 2023, 58 Rn. 35 zu § 46g Satz 4 ArbGG; OLG Braunschweig, NJOZ 2022, 1497 Rn. 49; , juris Rn. 10).
23(aa) Ein allgemeiner Grundsatz, wonach eine Nachholung der Glaubhaftmachung binnen einer Woche ausreichend sein soll, ist hiermit nicht vereinbar. Der in diesem Zusammenhang teilweise erfolgende Hinweis etwa auf § 174 BGB und § 174 Abs. 5 SGB IX (vgl. LAG Schleswig-Holstein, NZA-RR 2022, 148 Rn. 111 zu § 46g Satz 4 ArbGG; BayVGH, NJW 2022, 3239 Rn. 8 zu § 55d VwGO) überzeugt nicht, da diesen Vorschriften, wie § 121 BGB, die hier nicht erforderliche Prüfungs- und Überlegungszeit immanent ist.
24(bb) Soweit eine Zeitspanne von einer Woche in höchstrichterlichen Entscheidungen lediglich referiert (so , NJW 2022, 3647 Rn. 17) beziehungsweise als „unter normalen Umständen ausreichend“ (so BAG, NZA 2023, 58 Rn. 36 zu § 46g Satz 4 ArbGG) erachtet worden ist, waren diese Erwägungen angesichts der unproblematischen Überschreitung einer solchen Zeitspanne jedenfalls nicht tragend. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls kann nach alledem auch die Nachholung der Glaubhaftmachung vor Ablauf einer Woche nicht mehr unverzüglich sein (im Ergebnis ebenso , juris Rn. 11 zu § 55d VwGO).
25(e) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Kläger bereits am in der Lage, die zu der am Vortag erfolgten Ersatzeinreichung führenden Umstände in der vorstehend beschriebenen Weise geschlossen zu schildern und glaubhaft zu machen; dagegen erinnert für sich genommen auch die Rechtsbeschwerde nichts. An jenem Tag wurde die Netzwerkkarte seines Prozessbevollmächtigten getauscht, sodass die Internetverbindung wieder funktionierte und die (erneute) Übermittlung des Fristverlängerungsantrags in elektronischer Form erfolgen konnte. Zugleich hätte aber die Glaubhaftmachung in der vorstehend beschriebenen Form erfolgen können und nach dem Vorgesagten auch müssen. Daran fehlt es; die erst einen Tag später - also zwei Tage nach der Ersatzeinreichung - gemeinsam mit dem Wiedereinsetzungsantrag übermittelte anwaltliche Versicherung war nicht mehr unverzüglich.
26(f) Mangels unverzüglicher Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit ist die Ersatzeinreichung unwirksam (vgl. , juris Rn. 18). Hierdurch wird die Rechtsschutzgewährung nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Erforderlich gemäß § 130d Satz 3 ZPO ist lediglich die Glaubhaftmachung der Gründe des § 130d Satz 2 ZPO. Die Verpflichtung zur Glaubhaftmachung stellt keine unzumutbaren Anforderungen an den Rechtsanwalt, da insoweit eine anwaltliche Versicherung genügt (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 11/22, BeckRS 2023, 10045 Rn. 18 mwN).
27c) Das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten muss sich der Kläger zurechnen lassen (§ 233 Satz 1, § 85 Abs. 2 ZPO). Die elektronische Übermittlung vorbereitender Schriftsätze sowie schriftlich einzureichender Anträge und Erklärungen gemäß § 130d Satz 1 ZPO ist seit dem der gesetzlich vorgeschriebene Regelfall; diese Rechtslage sowie die Voraussetzungen einer ausnahmsweise zulässigen Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften gemäß § 130d Sätze 2 und 3 ZPO musste dem Prozessbevollmächtigten des Klägers bekannt sein (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 11/22, BeckRS 2023, 10045 Rn. 21). Es könnte ihn auch nicht entlasten, wenn er im Zweifel darüber gewesen wäre, ob er vor der Glaubhaftmachung zunächst Ursachenforschung betreiben und etwa eine Bescheinigung eines EDV-Fachmannes vorlegen müsse. Ein darauf bezogener eventueller Rechtsirrtum wäre nicht unverschuldet (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 11/22, BeckRS 2023, 10045 Rn. 26).
V.
28Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:210623BVZB15.22.0
Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 10 Nr. 32
NJW 2023 S. 2883 Nr. 39
GAAAJ-44652