BGH Beschluss v. - VII ZB 73/21

Zwangsvollstreckungsverfahren: Funktionale Zuständigkeit des Einzelrichters im Beschwerdeverfahren

Gesetze: § 568 S 1 ZPO, § 766 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: LG Mosbach Az: 5 T 55/21vorgehend AG Mosbach Az: 1 M 995/21nachgehend Az: VII ZB 73/21 Beschluss

Gründe

I.

1Die Gläubigerin ist eine gesetzliche Krankenkasse, die aufgrund der Größe ihres Zuständigkeitsgebiets als bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert ist. Sie betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung in Höhe von 563,55 € aus einem Beitrags- beziehungsweise Leistungsbescheid.

2Mit Schreiben vom ersuchte der nach § 66 Abs. 1 Satz 3 SGB X für die Gläubigerin bestellte Vollstreckungsbeamte den Gerichtsvollzieher bei dem Amtsgericht M.      um die Pfändung körperlicher Sachen des Schuldners. Der Gerichtsvollzieher wies das auf § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB X i.V.m. § 5 Abs. 2 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG), § 15a Verwaltungsvollstreckungsgesetz für Baden-Württemberg (LVwVG BW) gestützte Vollstreckungsersuchen mit der Begründung zurück, eine Beauftragung des Gerichtsvollziehers sei der Gläubigerin nur nach § 66 Abs. 4 SGB X möglich, nicht jedoch im Wege der Amtshilfe.

3Die gegen die Weigerung des Gerichtsvollziehers gerichtete Erinnerung der Gläubigerin hat das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat die Gläubigerin sofortige Beschwerde eingelegt. Am hat die mit drei Mitgliedern besetzte Beschwerdekammer beschlossen, dass "der Rechtsstreit ... von der Kammer übernommen" wird. Mit weiterem Beschluss vom gleichen Tage hat die vollbesetzte Kammer die sofortige Beschwerde der Gläubigerin zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

4Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag weiter, den Gerichtsvollzieher zur Durchführung des Vollstreckungsersuchens anzuweisen.

II.

5Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

61. Die Beschwerde ist aufgrund ihrer wirksamen Zulassung durch die Kammer gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

72. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde schon deshalb Erfolg, weil das Beschwerdegericht - was vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten ist (st. Rspr.; vgl. nur z.V.b.; Beschluss vom - VII ZB 71/21 Rn. 8, juris; Beschluss vom - VI ZB 13/20 Rn. 5 m.w.N., NJW-RR 2022, 570) - entgegen § 568 Satz 1 ZPO nicht durch den Einzelrichter, sondern durch die Kammer entschieden hat.

8a) Nach § 568 Satz 1 ZPO entscheidet das Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen worden ist. Die Erinnerung der Gläubigerin nach § 766 Abs. 2 ZPO ist von der Amtsrichterin zurückgewiesen worden. In einem solchen Fall ist die vollbesetzte Kammer (§§ 70, 75 GVG) gemäß § 568 Satz 2 ZPO nur dann zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde berufen, wenn der Einzelrichter durch eine gesonderte Entscheidung das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung übertragen hat. Dies setzt einen entsprechenden Beschluss des Einzelrichters voraus ( z.V.b.; Beschluss vom - VII ZB 40/20 Rn. 8, DGVZ 2021, 260).

9b) Ein solcher Beschluss fehlt. Die mit drei Mitgliedern besetzte Kammer hat die Sache mit Beschluss vom übernommen. Dies war verfahrensfehlerhaft. Die Beschwerdekammer ist außer in Fällen, in denen die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zweifelhaft ist (§ 348 Abs. 2 ZPO analog; vgl. , BGHZ 156, 147, juris Rn. 15), nicht befugt, selbst über die Übertragung eines in die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters fallenden Beschwerdeverfahrens zu entscheiden. Insoweit ist es unerheblich, ob der Einzelrichter an dem Kammerbeschluss mitwirkt, weil es nach § 568 Satz 2 ZPO alleinige Entscheidungskompetenz des Einzelrichters ist, ob die Voraussetzungen für eine Übertragung auf die Kammer vorliegen ( z.V.b.; Rn. 9, DGVZ 2021, 260; Beschluss vom - I ZB 61/19 Rn. 24, BGHZ 225, 252).

10c) Die Bestimmung des § 568 Satz 3 ZPO, wonach auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung ein Rechtsmittel nicht gestützt werden kann, steht der Erheblichkeit des Verfahrensfehlers nicht entgegen. Es besteht kein Streit darüber, ob der Einzelrichter das Verfahren zu Recht nach § 568 Satz 2 ZPO der Kammer übertragen hat. Vielmehr hat der Einzelrichter insoweit keine Entscheidung getroffen. Dieser Fall wird von § 568 Satz 3 ZPO nicht erfasst ( m.w.N.; Beschluss vom - I ZB 61/19 Rn. 25, BGHZ 225, 252).

11d) Da das Beschwerdegericht zu Unrecht entgegen § 568 Satz 1 ZPO nicht durch den Einzelrichter, sondern durch die Beschwerdekammer entschieden hat, war es nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 576 Abs. 3, § 547 Nr. 1 ZPO). Angesichts dieses absoluten Rechtsbeschwerdegrunds ist es unerheblich, ob sich der angefochtene Beschluss aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 577 Abs. 3 ZPO). Vielmehr ist gemäß § 577 Abs. 4 ZPO der fehlerhaft ergangene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (vgl. z.V.b.; Beschluss vom - VII ZB 40/20 Rn. 11, DGVZ 2021, 260; Beschluss vom - I ZB 61/19 Rn. 26, BGHZ 225, 252). Bei dem Beschwerdegericht ist nach § 75 GVG, § 568 Satz 1 ZPO der Einzelrichter - vorbehaltlich einer Übertragung des Verfahrens auf die vollbesetzte Kammer - zur Entscheidung berufen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:240523BVIIZB73.21.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-43611