Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Versäumung des Antrags auf Verlängerung der Begründungsfrist - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - keine Möglichkeit der Wiedereinsetzung in die Frist zur Stellung eines Verlängerungsantrags - verbleibende Möglichkeit der Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist - Erforderlichkeit der rechtzeitigen Nachreichung der Beschwerdebegründung - keine Notwendigkeit einer nachträglichen Entscheidung des Gerichts über einen verfristeten Verlängerungsantrag
Gesetze: § 160a Abs 2 S 2 SGG, § 160a Abs 2 S 1 SGG, § 64 Abs 2 SGG, § 64 Abs 3 SGG, § 67 Abs 1 SGG, § 67 Abs 2 S 1 SGG, § 67 Abs 2 S 3 SGG
Instanzenzug: Az: S 9 VG 3087/20 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 6 VG 1976/21 Urteil
Gründe
1I. Mit Urteil vom hat das LSG einen Anspruch des Klägers auf einen höheren GdS als 30 wegen schädigender Einwirkungen iS von § 1 Opferentschädigungsgesetz verneint.
2Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am zugestellte Urteil hat dieser am (Montag) Nichtzulassungsbeschwerde erhoben und angekündigt, eine Begründung nachzureichen. Am (Dienstag) hat der Prozessbevollmächtigte beantragt, die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu verlängern. Nach Hinweis des Berichterstatters auf den verspäteten Eingang des Fristverlängerungsantrags hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter dem Wiedereinsetzung beantragt.
3II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil er sie nicht gemäß § 160a Abs 2 Satz 1 SGG innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils am - also bis zum (Montag) - begründet hat.
41. Der vom Prozessbevollmächtigten für den Kläger gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist für den Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist der Nichtzulassungsbeschwerde ist abzulehnen. Denn bei der in § 160a Abs 2 Satz 2 SGG enthaltenen Möglichkeit zur Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Begründungsfrist vor deren Ablauf handelt es sich nicht um eine gesetzliche Verfahrensfrist iS von § 67 Abs 1 SGG, in die Wiedereinsetzung gewährt werden könnte ( - juris RdNr 7 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BFH zur entsprechenden Vorschrift in § 116 Abs 3 Satz 4 FGO zB - juris RdNr 3; - juris RdNr 3). Die vom Prozessbevollmächtigten zur unverschuldeten Versäumung eines rechtzeitig gestellten Fristverlängerungsantrags dargelegten Gründe sind mangels einer Wiedereinsetzbarkeit in die "Fristverlängerungsfrist" insoweit rechtlich unbeachtlich (vgl - juris RdNr 12).
52. Selbst wenn der Senat den vom Prozessbevollmächtigten gestellten Antrag zugleich auch als Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in die Begründungsfrist für die Nichtzulassungsbeschwerde (§ 160a Abs 2 Satz 1 SGG) auslegt, kommt eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht.
6Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden (§ 67 Abs 1 und 2 Satz 1 und 2 SGG). Eine Säumnis ist schuldhaft, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist ( - juris RdNr 5; - SozR 4-1500 § 67 Nr 15 RdNr 7, jeweils mwN). Das Verschulden eines Bevollmächtigten ist dem vertretenen Beteiligten stets wie eigenes Verschulden zuzurechnen (§ 73 Abs 6 Satz 7 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO). Für ein Verschulden von Hilfspersonen des Bevollmächtigten gilt dasselbe dann, wenn dieses vom Bevollmächtigten selbst zu vertreten, also als dessen eigenes Verschulden anzusehen ist. In diesem Sinne ist das Verhalten eines Prozessbevollmächtigten nicht schuldhaft, wenn er darlegen kann, dass es zu einem Büroversehen gekommen ist, obwohl er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (vgl BSG aaO, mwN).
7Die Versäumung der Begründungsfrist kann dabei nicht damit entschuldigt werden, die Verlängerung der Begründungsfrist sei ohne Verschulden zu spät beantragt worden. Bei der in § 160a Abs 2 Satz 2 SGG enthaltenen Möglichkeit zur Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Begründungsfrist vor deren Ablauf handelt es sich - wie oben ausgeführt - nicht um eine gesetzliche Verfahrensfrist iS von § 67 Abs 1 SGG. Wenn ein Kläger wegen eines unvermeidlichen Büroversehens in der Sphäre seines Prozessbevollmächtigten ohne Verschulden daran gehindert war, den Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist für seine Beschwerde rechtzeitig an das BSG zu übermitteln, entschuldigt dies nicht deren Versäumung, sondern nur die - insoweit unerhebliche - rechtzeitige Stellung des Verlängerungsantrags ( - juris RdNr 7 mwN). Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit eines Antrags auf Verlängerung der Begründungsfrist nach § 160a Abs 2 Satz 2 SGG soll demgegenüber gerade verhindern, dass ein Wiedereinsetzungsantrag insoweit erforderlich werden könnte (BSG aaO).
8Ob der Kläger aus anderen Gründen ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten, kann dahinstehen, weil er jedenfalls die erforderliche Begründung bis heute nicht nachgereicht hat. Nach § 67 Abs 2 Satz 1 und 3 SGG wäre die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde als versäumte Rechtshandlung aber binnen einen Monats nach Wegfall des Hindernisses nachzuholen gewesen. Nach seinen Angaben hat der Prozessbevollmächtigte am den Hinweis des Berichterstatters erhalten, dass sein Antrag auf Fristverlängerung beim BSG nach Ablauf der Frist zur Beschwerdebegründung und damit verspätet eingegangen war. Die Beschwerdebegründung wäre daher nach § 67 Abs 2 Satz 1 und 3 iVm § 64 Abs 2 und 3 SGG spätestens bis zum (Dienstag) nachzuholen gewesen, was unterblieben ist.
9Einer nachträglichen Entscheidung des Vorsitzenden über den Antrag auf Verlängerung der Frist zur Beschwerdebegründung bedarf es daher nicht (vgl B 7a AL 234/05 B - juris RdNr 3).
10Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
113. Die nicht fristgerecht begründete Beschwerde ist nach § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:220523BB9V323B0
Fundstelle(n):
IAAAJ-43166