BGH Beschluss v. - XI ZR 199/22

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 17 U 88/21vorgehend LG Frankfurt Az: 2-25 O 109/21

Gründe

I.

1Die Parteien streiten um die Rückzahlung von Zins- und Tilgungsleistungen der Kläger auf einen Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag nach dem Widerruf ihrer diesbezüglichen Willenserklärungen, hilfsweise nach Kündigung dieses Vertrages.

2Mit Vertrag vom 10. Mai/ gewährte die Beklagte den Klägern zur Wohnungsbaufinanzierung ein grundschuldgesichertes Annuitätendarlehen in Höhe von 80.000 € netto mit 10-jähriger Zinsbindung zu einem Sollzinssatz in Höhe von 4,53% p.a. Der Vertrag enthält eine Widerrufsinformation, nach der das 14-tägige Widerrufsrecht spätestens nach dem Erhalt aller Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB beginnt.

3Im Jahre 2017 beabsichtigten die Kläger die Ablösung des Darlehens zum Ende der Zinsfestschreibung, weshalb sich die von ihnen beauftrage Sparkasse        unter dem mit der Bitte an die Beklagte wandte, einen Ablösebetrag zu benennen und die Sicherungsgrundschuld freizugeben. Damit erklärte sich die Beklagte unter dem einverstanden. Sie bezifferte den Ablösebetrag, der bis zum beglichen werden sollte, mit 59.178,01 €.

4Unter dem widerriefen die Kläger ihre auf den Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärungen und erklärten hilfsweise dessen Kündigung gem. § 494 Abs. 6 BGB, was die Beklagte zurückwies.

5Mit ihrer im April 2021 erhobenen Klage haben die Kläger die Feststellung begehrt, dass sie der Beklagten widerrufs-, hilfsweise kündigungsbedingt nicht mehr zu Zins- und Tilgungsleistungen aus dem Darlehensvertrag verpflichtet sind. Am haben die Kläger das Darlehen durch Zahlung von 50.215,59 € vollständig zurückgeführt, ohne in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am ihr Feststellungsbegehren zu modifizieren.

6Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Widerrufsinformation habe den gesetzlichen Vorgaben entsprochen und der Darlehensvertrag habe sämtliche Pflichtangaben enthalten. Ein Kündigungsrecht aus § 494 Abs. 6 BGB habe den Klägern nicht zugestanden. Zudem hätten die Kläger ihr Widerrufsrecht verwirkt. Das Zeitmoment der Verwirkung sei angesichts des Widerrufs ca. neun Jahre nach Vertragsschluss ebenso gegeben wie das Umstandsmoment, da die Kläger erklärt gehabt hätten, das Darlehen mit Ablauf der Zinsfestschreibung vollständig zurückzahlen zu wollen, und die Beklagte dem zugestimmt habe. Die Beklagte habe daher nicht mehr mit einem Widerruf rechnen müssen, zumal sie die Sicherungsgrundschuld bereits im Jahre 2017 an eine neue Darlehensgeberin abgetreten habe. Ihr diesbezügliches Vertrauen sei im Jahre 2020 noch schutzwürdig gewesen.

7In ihrer Berufungsbegründung vom haben die Klägervertreter angekündigt, den erstinstanzlichen Feststellungsantrag weiterverfolgen zu wollen. Das Berufungsgericht hat die Kläger im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO mit Beschluss vom auf ihr nach der vollständigen Rückzahlung des Darlehens fehlendes Feststellungsinteresse sowie auf die fehlende Erfolgsaussicht ihrer Berufung hingewiesen. Hierzu haben die Kläger, nachdem ihre Stellungnahmefrist bis zum verlängert worden war, mit Schriftsatz vom Stellung genommen, ihr Feststellungsbegehren für erledigt erklärt und Zahlung in Höhe von 54.345,75 € beantragt.

8Dieser Schriftsatz ist zunächst nicht zu den Akten gelangt, weshalb das Berufungsgericht mit Beschluss vom die Berufung zurückgewiesen und dies außer mit dem fehlenden Feststellungsinteresse der Kläger damit begründet hat, dass die Kläger zum Hinweisbeschluss nicht Stellung genommen hätten. Auf einen Berichtigungsantrag der Kläger hin hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der o.g. Stellungnahmeschriftsatz beim Berufungsgericht zwar fristgerecht als elektronisches Dokument eingegangen, dort aber im "gelöschten Ordner" gespeichert worden war. Mit Beschluss vom hat das Berufungsgericht deshalb den Zurückweisungsbeschluss insoweit berichtigt, als es den Satz über die unterbliebene Stellungnahme der Kläger zum Hinweisbeschluss gestrichen hat.

II.

9Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil der angegriffene Beschluss den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 139 f., vom - XI ZR 532/14, WM 2015, 2279 Rn. 9 und vom - XI ZR 208/15, juris Rn. 8). Aus demselben Grund ist der angefochtene Beschluss gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

101. Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet mit Erfolg, dass das Berufungsgericht den Stellungnahmeschriftsatz der Kläger zum Hinweisbeschluss nicht berücksichtigt hat. Damit hat das Berufungsgericht den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

11a) Das Gebot rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 70, 288, 296; , juris Rn. 10; , juris Rn. 2). Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Gerichte den ihnen unterbreiteten Streitstoff beachten und in ihre Rechtsprüfung einbeziehen, setzt eine Gehörsverletzung eine gewisse Evidenz und damit besondere Umstände voraus, aus denen sich klar ergibt, dass dieser Pflicht im Einzelfall nicht genügt worden ist (BVerfGE 65, 293, 295 f.; , juris Rn. 9). Die Missachtung dieses Gebotes erfordert ein höchstrichterliches Eingreifen zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gem. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO, wenn die angefochtene Entscheidung auf dieser Missachtung beruht (Senatsbeschluss vom - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 139 f.).

12b) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt, weil das Berufungsgericht den Stellungnahmeschriftsatz der Kläger, mit dem diese als Reaktion auf den Inhalt des Hinweisbeschlusses ihr Feststellungbegehren für erledigt erklärt und auf einen Zahlungsantrag umgestellt haben, nicht berücksichtigt hat.

13Das Berufungsgericht durfte die Berufung deshalb weder mit der Begründung zurückweisen, dass den Klägern das Feststellungsinteresse fehle, noch durfte das Berufungsgericht die Berufung unter Übergehung der modifizierten Anträge zurückweisen. Vielmehr hätte sich das Berufungsgericht mit den Rügen der Kläger in der Berufungsbegründung auseinandersetzen und über die Begründetheit der zuletzt gestellten Anträge entscheiden müssen.

142. Anders als die Beschwerdeerwiderung meint, haben die mit dem Stellungnahmeschriftsatz modifizierten Anträge der Kläger ihre Wirkung nicht analog § 524 Abs. 4 ZPO mit der Zurückweisung der Berufung verloren. Stützt das Berufungsgericht in einem Hinweis gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO seine Rechtsauffassung auf einen Gesichtspunkt, den der Berufungskläger - wie hier - erkennbar übersehen hat, muss diesem Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden (§ 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Hierdurch veranlasste neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel dürfen ebensowenig als verspätet zurückgewiesen werden wie hierdurch veranlasste Antragsänderungen. Dementsprechend muss das Berufungsgericht, wenn es entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichts die Klage für unzulässig hält, den Kläger hierauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, auf diesen Hinweis in der Berufungsinstanz durch eine Antragsmodifizierung zu reagieren (BGH, Beschlüsse vom - VII ZR 47/13, WM 2016, 2098 Rn. 11 und vom - VI 85/16, NJW 2017, 2623 Rn. 11; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 20. Aufl., § 522 Rn. 27b).

153. Der angefochtene Beschluss beruht auf dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (vgl. BVerfGE 7, 95, 99; 62, 392, 396; 65, 305, 308).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:060623BXIZR199.22.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-42536