IWB Nr. 11 vom Seite 1

Pillar 2 und die Abkehr von „heiligen“ Verfassungsprinzipien

VorsRiBFH aD RA StB Prof. Dr. Dietmar Gosch | Mitherausgeber der IWB

Es [i]Diskussionsentwurf zur Pillar 2-Umsetzung auf dem Tisch liegt bekanntlich der Diskussionsentwurf eines „Gesetzes zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für Unternehmensgruppen“ auf dem Tisch – das Mindeststeuergesetz. Die einschlägige Pillar 2-Richtlinie des Rates der EU vom harrt der nationalen Umsetzung bis zum , und das „MinStG“ soll diese Umsetzung bewirken. Verbände aller Couleur mochten sich dazu bis zum äußern. Es ist zu wünschen, dass sie davon fleißig Gebrauch gemacht haben. Denn es steht so einiges auf dem Spiel, nicht zuletzt eine „heilige Grundfeste“ des Ertragsteuerrechts: Das Leistungsfähigkeitsprinzip, geformt im Steuersubjekt- und überdies im korporationsrechtlichen Trennungsprinzip. Worum geht es?

Nach [i]Gruppenträger als alleiniger Steuerschuldner§ 1 Abs. 1 MinStG-E sollen der Steuerpflicht der Mindeststeuer im Inland belegene „Geschäftseinheiten“ unterfallen, die zu einer näher qualifizierten und spezifizierten Unternehmensgruppe gehören. Im Falle mehrerer hiernach steuerpflichtiger Geschäftseinheiten einer Unternehmensgruppe wird eine Mindeststeuergruppe gebildet. Die oberste Muttergesellschaft („UPE“) ist der „Gruppenträger“. Dieser ist „zentraler Akteur im nationalen Besteuerungsverfahren“: Ihm sind die Ergänzungssteuerbeträge der Geschäftseinheiten zuzurechnen (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 MinStG-E), selbst bei Beteiligung dritter Personen („POPE“), und er schuldet die Mindeststeuer (§ 3 Abs. 1 Satz 3 MinStG-E), während die „Geschäftseinheiten“ für die Mindeststeuer nur (gesamtschuldnerisch) haften (§ 3 Abs. 5 MinStG-E). Hierdurch soll das Besteuerungsverfahren beim Finanzamt des Gruppenträgers gebündelt werden. Für die Mindeststeuer ist eine Steuererklärung beim zuständigen Finanzamt abzugeben und die Steuer selbst zu berechnen (Steueranmeldung) (§ 84 MinStG-E). Das alles soll der „Vermeidung von Bürokratieaufwand“ dienen, sozusagen in „outgesourcter“ Komplexität.

Wie [i]Aufteilung der Steuerschuld in den Gesellschaften nicht gesetzlich bestimmt die Schuld „intern“ aufgeteilt und (wirtschaftlich) getragen werden soll, bleibt indessen ungeregelt. Offenbar soll das schuldrechtlichen Abmachungen und zivilrechtlichen Grundsätzen überantwortet werden. Das beläßt die Akteure ebenso rat- wie schutzlos. Das besagte Steuersubjektprinzip als „heiliger“ Maßstab der individuellen Leistungsfähigkeit droht auf der Strecke zu bleiben. Es bedarf zwingend einer Regelung, die die Steuerlasttragung bestimmt, mit klaren regulatorischen Vorgaben und möglichst mit dem Schutz des Rechtswegs vor den Finanzgerichten.

Wie [i]Lösungswege aus der jetzigen Situationließe sich diese Bruchstelle kitten? Zu denken wäre an eine gesetzlich geregelte Regressumlage, die dem Gruppenträger Sicherheit gibt. Oder daran, den Gruppenträger als sog. Verwaltungshelfer in die hoheitliche Pflicht zu nehmen und ihm das Einsammeln der jeweiligen Ergänzungssteuerbeträge aufzuerlegen. Im allgemeinen Abgabenrecht und in der FGO wären hier wie dort flankierende Regelungen zu treffen, wonach der Ausgleich der Beträge an den Gruppenträger dem Steuerschuldverhältnis zuzuordnen ist.

So wie es derzeit im Gesetzesentwurf niedergelegt ist, darf das Ganze jedenfalls nicht Gesetz werden. Der Flurschaden wäre andernfalls beachtlich, mit ungeahnten Folgen für „das System“. Deshalb: „Ring frei“ für den offenen Sachdiskurs!

Dietmar Gosch

Fundstelle(n):
IWB 11 / 2023 Seite 1
NWB BAAAJ-41651