BGH Beschluss v. - 4 StR 497/22

Strafverurteilung wegen Vergewaltigung u.a.: Beweiswürdigung der Aussage eines Belastungszeugen

Gesetze: § 261 StPO

Instanzenzug: Az: 34 KLs 5/18

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt, von der sechs Monate zur Entschädigung für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zu einer Schuldspruchänderung; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Die Verfahrensbeanstandung hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.

II.

3Das Urteil hält der Überprüfung auf die Sachrüge mit Ausnahme der Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung im Ergebnis stand.

41. Nach den Feststellungen sperrte der Angeklagte die Nebenklägerin und ihre Töchter, die er in einem Supermarkt in seine Gewalt gebracht hatte, vom bis zum in ihre Wohnung ein. In dieser Zeit fügte er der Nebenklägerin, deren Wohnungsschlüssel und Mobiltelefon er an sich nahm, mit einer brennenden Zigarette an beiden Handgelenken jeweils zwei Brandwunden und am Dekolleté eine weitere Brandwunde zu. Mit der breiten Seite der Klinge eines Fleischmessers schlug er ihr mindestens zweimal auf den Kopf, wodurch sie Schwellungen davontrug. Auf der linken Kopfseite riss er ihr eine Vielzahl von Haaren aus. Zudem versetzte er ihr Faustschläge in das Gesicht sowie Ohrfeigen und wirkte auch an anderen Körperstellen auf sie ein, was jeweils zur Entstehung von Hämatomen führte. Mit einem Messer fügte er ihr mehrere oberflächliche Schnitte an den Oberarmen und am rechten Unterschenkel zu. Ferner erzwang der Angeklagte – wahrscheinlich auf dem Teppich im Wohnzimmer vor dem Sofa – zumindest einmal gegen den Willen der Nebenklägerin mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr, indem er ihr rechtes Bein mit seiner linken Hand im Bereich des Oberschenkels gewaltsam „auseinanderdrückte“. Dort verursachte er Hämatome, deren Entstehung er ebenso wie die mit seinem Handeln verbundenen Schmerzen der Nebenklägerin billigend in Kauf nahm. Er war sich sicher, dass diese mit dem Geschlechtsverkehr nicht einverstanden war.

5Als der Angeklagte am Morgen des kurzzeitig die Wohnung verließ und diese unverschlossen blieb, suchte die Nebenklägerin eine Nachbarin auf und bat, die Polizei zu rufen. Danach begab sich die Nebenklägerin aus Angst zurück in ihre Wohnung, in der sich bald auch wieder der Angeklagte einfand. Die von der Nachbarin alarmierte Polizei befreite die Nebenklägerin schließlich.

62. Diese Feststellungen beruhen auf einer (noch) tragfähigen Beweiswürdigung.

7a) Allerdings offenbaren die Urteilsgründe ein Fehlverständnis des Landgerichts über den Bedeutungsgehalt von § 267 Abs. 1-3 StPO. Nach den gesetzlichen Vorgaben ist in den Urteilsgründen das Beweisergebnis im Rahmen einer strukturierten, verstandesmäßig einsichtigen Darstellung soweit zu erörtern, wie es für die Entscheidung von Bedeutung ist (vgl. Rn. 13 mwN; Beschluss vom – 3 StR 486/17). Die Beweiswürdigung soll keine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung enthalten (vgl. ; Beschluss vom – 4 StR 326/18 Rn. 6). Die Abfassung des Urteils setzt eine wertende Vorauswahl zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem durch das Tatgericht voraus (vgl. ). Es ist daher verfehlt, dass das Landgericht die verschriftete Audiovernehmung der Nebenklägerin bei der Polizei und deren Explorationsgespräche mit der aussagepsychologischen Sachverständigen auf insgesamt über 240 Seiten in Gänze in die Urteilsgründe hineinkopiert hat (vgl. auch mwN).

8Ein solches Vorgehen gefährdet den Bestand des angefochtenen Urteils. Mindestens erschwert es die revisionsgerichtliche Prüfung, welche Aussageteile für das Tatgericht von (wesentlicher) Bedeutung waren und ob es solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. Rn. 11 mwN). Zudem kann zu besorgen sein, das Tatgericht sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, eine breite Darstellung der erhobenen Beweise könne die gebotene eigenverantwortliche Würdigung ersetzen.

9b) Die weiteren Ausführungen der Strafkammer werden den Darlegungsanforderungen an eine sorgfältige Würdigung der Aussage einer Belastungszeugin bei einer schwierigen Beweislage (vgl. dazu Rn. 10 mwN; Beschluss vom – 5 StR 524/09 Rn. 8 ff.; Beschluss vom – 2 StR 258/07 Rn. 5 ff.; Güntge in SSW-StPO, 5. Aufl., § 267 Rn. 17 mwN) für sich betrachtet nicht gerecht. Eine solche bestand hier schon aufgrund der Falschangaben der Nebenklägerin, die von emotionaler Wesensart ist, über ihre Beziehung mit dem Angeklagten und dessen möglicher Vaterschaft ihrer Töchter. Eine Inhaltsanalyse der Zeugenaussage anhand benannter Realkennzeichen (vgl. hierzu , BGHSt 45, 164, 170 f.) enthalten die Urteilsgründe gleichwohl nicht.

10c) Der Senat vermag allerdings die Wertung des Landgerichts im Ergebnis nachzuvollziehen, die Nebenklägerin habe in dem Umfang, wie es ihrer Aussage (lediglich) gefolgt ist, im Wesentlichen konstant ausgesagt. Insbesondere mit Blick auf ihre begrenzten intellektuellen Fähigkeiten, ihrer von der aussagepsychologischen Sachverständigen bestätigten gedanklichen und emotionalen Sprunghaftigkeit und die seit dem Tatzeitraum vergangene Zeit durfte die Strafkammer darin ein wesentliches Beweisanzeichen für die grundsätzliche Erlebnisbasiertheit der Angaben der Nebenklägerin sehen. Damit geht kein unaufgelöster Widerspruch zu der zugleich vom Landgericht für nicht ausgeschlossen erachteten Projektion der weiteren von der Nebenklägerin geschilderten gewaltsamen (sexuellen) Übergriffe durch den Angeklagten in den von der Anklage umfassten Tatzeitraum einher. Auch ein Rachemotiv der Nebenklägerin, die den Kontakt des Angeklagten zu ihren Kindern zu unterbinden suchte, hat die Strafkammer bedacht.

11d) Soweit das Landgericht den Angaben der Nebenklägerin gefolgt ist und den Angeklagten verurteilt hat, hat es sich zudem auf objektive Beweisumstände gestützt (Verletzungsbild u. a. mit diversen Hämatomen verschiedenen Alters, weitere Spuren). Aus diesem Grund erweist sich die Beweiswürdigung im Ergebnis als nicht durchgreifend rechtsfehlerhaft (vgl. auch , BGHSt 44, 153, 159, zur Stützung einer Zeugenaussage durch gewichtige andere Gründe).

12aa) Hinsichtlich der Vergewaltigung hat das Landgericht rechtsfehlerfrei insbesondere auf die dokumentierten Hämatome an der Innenseite des rechten Oberschenkels der Nebenklägerin abgehoben, die der rechtsmedizinischen Begutachtung zufolge nach ihrem Erscheinungsbild zur selben Zeit im Tatzeitraum entstanden sein können. Insofern hat sich das Landgericht im Anschluss an die Ausführungen der Sachverständigen davon überzeugt, dass es sich aufgrund der Anordnung der Hämatome um eine Handabdruckverletzung handelte, die beim gewaltsamen Auseinanderdrücken der Beine der Nebenklägerin entstand. Wenn es sich aufgrund der nachgewiesenen Spermaspuren in der Vagina der Nebenklägerin sodann davon überzeugt hat, dass im Tatzeitraum – im Einklang mit deren Schilderungen – gegen ihren Willen auch vaginaler Geschlechtsverkehr stattfand und der Angeklagte diesen mithilfe des Auseinanderdrückens ihrer Beine erzwang, ist diese Schlussfolgerung revisionsrechtlich hinzunehmen. Es handelt sich insofern um einen möglichen Schluss des Tatgerichts, der sich auf eine hinreichende tatsächliche Grundlage stützen kann. Hierbei hat die Strafkammer auch einen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit Blick auf die festgestellten Gesamtumstände tragfähig ausgeschlossen.

13bb) Allerdings genügt die Darstellung der Ergebnisse der DNA-Analyse nicht den vom Bundesgerichtshof gestellten Anforderungen (vgl. hierzu , BGHSt 63, 187; Beschluss vom – 6 StR 211/20 Rn. 4 mwN). Denn sie enthält hinsichtlich der Spermaspuren keine Angaben zur biostatistischen Wahrscheinlichkeit und teilt zudem hinsichtlich der Mischspur an einem Messergriff die Anzahl der untersuchten STR-Systeme und der Übereinstimmungen mit der DNA des Angeklagten nicht mit. Hierauf beruht das Urteil jedoch insbesondere mit Blick darauf nicht, dass sich den Urteilsgründen – auch angesichts der durch digitale Fotoaufnahmen von diesem Tag belegten Anwesenheit des Angeklagten in der Tatwohnung am und der von den Polizeibeamten geschilderten Antreffsituation am nächsten Tag – keine Anhaltspunkte entnehmen lassen, die auf eine andere Person als Täter hindeuten könnten.

143. Der Schuldspruch weist insoweit einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf, als ihn die Strafkammer auch wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt hat. Das Landgericht hat nicht bedacht, dass die Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) innerhalb des rechtsfehlerfrei als eine Tat (§ 52 Abs. 1 StGB) gewürdigten Geschehens zulasten derselben Geschädigten durch die rechtsfehlerfrei bejahte Qualifikation der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) im Wege der Gesetzeseinheit verdrängt wird (vgl. Rn. 4; Beschluss vom – 1 StR 178/19 Rn. 6; Beschluss vom – 3 StR 516/18 Rn. 16; Beschluss vom – 2 StR 41/18 Rn. 2). Dieser Teil des Schuldspruchs hatte daher zu entfallen.

15Die Schuldspruchänderung lässt den Schuldgehalt der Tat unberührt, weshalb auszuschließen ist, dass das Landgericht bei zutreffender konkurrenzrechtlicher Bewertung auf eine geringere Freiheitsstrafe erkannt hätte.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:110423B4STR497.22.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-41176