BGH Beschluss v. - 4 StR 9/23

Instanzenzug: LG Meiningen Az: 1 KLs 150 Js 19165/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen, Beleidigung, Freiheitsberaubung, Nötigung, Diebstahl, vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, Urkundenfälschung und vorsätzlichem Gebrauch eines Kraftfahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag, wegen Körperverletzung, Diebstahls in zwei Fällen, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Gebrauch eines Kraftfahrzeuges ohne Haftpflichtversicherungsvertrag, wegen Urkundenfälschung in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und verbotenem Kraftfahrzeugrennen, wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort sowie wegen Hehlerei in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe angeordnet, eine Einziehungsentscheidung getroffen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bestimmt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom zutreffend ausgeführt hat, kann die tateinheitliche Verurteilung wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB im Fall II. 10. der Urteilsgründe nicht bestehen bleiben, weil es an dem nach § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen Strafantrag der Verletzten fehlt.

3Der Senat ändert daher den Schuldspruch entsprechend. Die Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, da sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldspruch nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

4Die für diese Tat (erpresserischer Menschenraub u.a.) verhängte Einzelstrafe von sechs Jahren Freiheitsstrafe bleibt von der Schuldspruchänderung unberührt. Denn es ist auszuschließen, dass das Landgericht eine geringere Strafe verhängt hätte, wenn es die tateinheitliche Verwirklichung von § 185 StGB außer Betracht gelassen hätte.

52. Im Übrigen hat die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils zum Schuld- und Strafausspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler ergeben. Auch die Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag, Urkundenfälschung, fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und unerlaubtem Kraftfahrzeugrennen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten in Fall II. 8. a. der Urteilsgründe hat im Ergebnis Bestand.

6a) Zwar ergeben die Urteilsgründe nicht, dass sich der Angeklagte einer fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 3 Nr. 2 StGB schuldig gemacht hat, indem er mit seinem Pkw aufgrund „der enthemmenden Wirkung des vorangegangenen Betäubungsmittelkonsums“ (Blutwirkstoffbefund: 82 μg/l Methamphetamin, 8,5 μg/l Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure und ca. 5 μg/l Amphetamin) mit überhöhter Geschwindigkeit in einen Kreisverkehr einfuhr und in der Folge Verkehrseinrichtungen beschädigte. Denn anders als bei Alkohol kann der Nachweis einer rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit auch weiterhin nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden, sondern es bedarf weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (st. Rspr.; vgl. , NStZ 2022, 741 Rn. 8; Beschluss vom – 4 StR 597/16 Rn. 10, NStZ-RR 2017, 123, 124; Beschluss vom – 4 StR 111/15, Rn. 9, insoweit nicht abgedruckt in NZV 2015, 562; Beschluss vom – 4 StR 477/11, NStZ 2012, 324; Urteil vom – 4 StR 639/07, NZV 2008, 528, 529; Beschluss vom – 4 StR 272/08, StV 2009, 359, 360; Beschluss vom – 4 StR 395/98, BGHSt 44, 219, 222; vgl. auch Fischer, StGB, 70. Aufl., § 316 Rn. 39a mwN). Hieran fehlt es. Die nicht näher konkretisierte Beschreibung einer enthemmenden Wirkung des Betäubungsmittelkonsums reicht dafür nicht aus.

7b) Die tateinheitliche Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs kann aber gleichwohl bestehen bleiben, weil das Landgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte auch den Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d, Abs. 3 Nr. 2 StGB erfüllt hat. Auch die für diese Tat verhängte Einzelstrafe kann bestehen bleiben, da die Strafkammer dem Angeklagten die von ihr angenommene mehrfache Verwirklichung des Tatbestandes des § 315c Abs. 1 StGB nicht angelastet hat, so dass ein Beruhen der Strafzumessung auf dem aufgezeigten Rechtsfehler auszuschließen ist (§ 337 Abs. 1 StPO).

83. Allerdings hat die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 Satz 1 StGB keinen Bestand. Denn das Landgericht hat die von ihm angenommene hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Behandlung im Sinne von § 64 Satz 2 StGB nicht tragfähig begründet.

9a) Nach den Feststellungen führte eine frühere Unterbringung des Angeklagten nach § 64 Satz 1 StGB nicht zu einem erfolgreichen Abschluss, weil der Angeklagte im Oktober 2018 von einem genehmigten Einzelausgang nicht zurückkehrte, sowie eine Aufarbeitung dieses Regelverstoßes und eine Verlängerung der ursprünglichen Maßregelzeit ablehnte. Er begründete sein Verhalten damit, dass er „zu dieser Zeit seine Freundin, die eine große Liebe für ihn gewesen sei und ihn betrogen habe, verloren habe und es eine schwierige Zeit für ihn gewesen sei“. Nach seiner anschließenden Verlegung in den Regelvollzug konsumierte der Angeklagte sofort erneut wieder Betäubungsmittel, „um nach seinen Angaben die Beendigung der Beziehung zu verarbeiten“.

10Die sachverständig beratene Strafkammer hat entgegen der Einschätzung des Sachverständigen die konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges im Sinne von § 64 Satz 2 StGB bejaht. Die Ausführungen des Gutachters, wonach bei dem Angeklagten dessen antisoziale Persönlichkeitsstörung im Vordergrund stehe und der Abbruch der Maßregel zeige, dass eine solche keinen Erfolg verspreche, stünden einer positiven Behandlungsprognose nicht entgegen. Denn es sei zu berücksichtigen, dass der Angeklagte die damalige Therapie über einen sehr langen Zeitraum durchgehalten und „erst aufgrund akut auftretender persönlicher Probleme“ abgebrochen habe.

11b) Diese Begründung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

12aa) Zwar ist das Tatgericht an einer vom Gutachten abweichenden Beurteilung des hinreichend konkreten Therapieerfolges nicht grundsätzlich gehindert, weil die gutachterlichen Ausführungen stets lediglich eine Grundlage der eigenen richterlichen Überzeugungsbildung sind. Will es allerdings eine Frage, für deren Beantwortung – wie hier durch § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO – die Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe gesetzlich vorgeschrieben ist, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, so muss es die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung erlaubt, ob es die Darlegungen des Sachverständigen zutreffend gewürdigt und aus ihnen rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat (vgl. Rn. 3; Urteil vom – 1 StR 51/18, NStZ-RR 2018, 275, 276; Beschlüsse vom ‒ 3 StR 333/01, NStZ-RR 2002, 259; vom – 3 StR 368/17 Rn. 11, insoweit nicht abgedruckt in NStZ-RR 2018, 85). Daran fehlt es hier. Die Strafkammer hat den vom Sachverständigen prognosekritisch gewürdigten Behandlungsabbruch allein unter Berufung auf den vom Angeklagten dafür angegebenen persönlichen Grund für unmaßgeblich erklärt. Sie hat diese Angaben aber weder kritisch hinterfragt noch einer Richtigkeitsprüfung unterzogen, derer es in Anbetracht der Bedeutung, die sie diesem Punkt beigemessen hat, bedurft hätte.

13bb) Überdies ist die Prognoseentscheidung der Strafkammer auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil sie den langjährig verfestigten, polyvalenten Betäubungsmittelmissbrauch des Angeklagten nicht in den Blick genommen hat. Dabei handelt es sich um einen für die Beurteilung der Erfolgsaussicht der Behandlung wesentlichen prognoseungünstigen Faktor (, NStZ-RR 2023, 41; Beschluss vom – 4 StR 272/22, ZfSch 2023, 108, 109 Rn. 21; Beschluss vom – 5 StR 464/14 Rn. 3; van Gemmeren in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 64 Rn. 65 mwN).

144. Mit der Aufhebung des Maßregelausspruchs nach § 64 Satz 1 StGB entfällt auch die Bestimmung des Vorwegvollzugs nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB (vgl. , BeckRS 1999, 30054513; Maier in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 67 Rn. 161 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:270423B4STR9.23.0

Fundstelle(n):
AAAAJ-41164